Presseberichte zur Buchmesse
Der 1. August 2016, 105. Todestag von Konrad Duden und immer wiederkehrender Jahrestag der Rechtschreibreform, wurde in den Medien kaum beachtet.
Eine Woche später waren die Medien voll von Berichten über das neue Buch des Germanisten Dr. Uwe Grund: Orthographische Regelwerke im Praxistest. Schulische Rechtschreibleistungen vor und nach der Rechtschreibreform, Berlin 2016. Er weist nach, was jeder Lehrer längst weiß, daß bzw. dass die Schüler heute deutlich mehr Rechtschreibfehler machen als vor 20 Jahren. Besonders schnell und kritisch reagierte die Bildzeitung, in der Chefreporter Hans-Jörg Vehlewald am 7. August 2016 das Buch von Uwe Grund in wenigen Zeilen resümierte: „Fehlerquote an Schulen hat sich vervielfacht“ und dann so kommentierte: Die Murks-Reform. Weitere Berichte finden sich bei Google News (wenn man z.B. Uwe Grund und Rechtschreibreform eingibt) oder auf der Webseite http://www.rechtschreibung.com/, wenn man die 20 neuesten Nachrichten im Nachrichtenteil der Datenbank rechtschreibung.com anklickt. Diese wurden von Sigmar Salzburg, der in der Anthologie zu 20 Jahren Rechtschreibreform mit einem satirischen Beitrag vertreten ist, jeweils sehr kundig kommentiert.
Hier nun die wenigen Berichte und Kommentare zum Frankfurter Orthographie-Preis, zur Frankfurter Erklärung nach 20 Jahren Rechtschreibreform, zu den drei Veranstaltungen zur Rechtschreibreform und den beiden Vorträgen über das Lesen auf der Buchmesse. Das geringe Medien-Echo hängt natürlich vor allem mit dem übergroßen Angebot an möglichen Nachrichten von der Buchmesse zusammen und zudem mit der aus verschiedenen Gründen subobtimalen Pressearbeit unsererseits.
Andererseits hätte die Mitwirkung von Elfriede Jelinek, die ihren 70. Geburtstag just am Tag der Verleihung der Frankfurter Orthographie-Preise gefeiert hat, und von Mario Adorf, der eigens von Paris nach Frankfurt angereist ist, das Interesse der Medien wecken können. Aber vielleicht war es bei der Rechtschreibreform ähnlich wie bei der Sommerzeit und der Bologna-Reform? Das bei der Einführung all dieser sog. Reformen Versprochene traf überhaupt nicht ein, dafür gab und gibt es viel Ärger, beträchtliche Unkosten und inhaltliche Verschlechterungen. Da diese Scheinreformen sich aber scheinbar oder anscheinend nicht zurücknehmen lassen, will man sich nicht unnötig ärgern und nicht mehr darüber sprechen, besonders wenn man selber passiv oder gar aktiv beteiligt war?
Die Verleihung der Frankfurter Orthographie-Preise
Über die Verleihung der Frankfurter Orthographie-Preise (hier das Einladungsfaltblatt dazu) berichtete zunächst nur die Bildzeitung in ihrer Frankfurter Ausgabe in einem Bericht über Tag 2 mit Filmstars, Komponisten, Krimi-Autorinnen und einer Wetterfee So schön und schlau ist die Bücherschau mit einem Foto von Mario Adorf:
Am selben 21. Oktober brachte Knud Cordsen in der Sendung Sozusagen! im Radiosender Bayern 2 ein zehnminütiges Interview zur Verleihung der Frankfurter Orthographie-Preise mit Friedrich Denk und den Schülern des Thomas-Morus-Gymnasiums in Daun in der Eifel Hannah Greven und Peter Kerpen (dessen »Radiosprecher-Stimme« hier voll zur Geltung kommt). Hier bot sich die einzige Gelegenheit, die Botschaft von Elfriede Jelinek an die in Frankfurt Versammelten zu zitieren.
Am Tag darauf ging Ulrich Hammerschmid in der Freien Presse Chemnitz in zwei Absätzen seines Artikels Von Rechten und Rebellen auf die Preisverleihung ein und schrieb:
Eine Art Ewiggestriger, aber einer von der liebenswerten Sorte, das ist auf dieser Buchmesse auch Wolf Biermann, der bald 80-Jährige, der im bombenfreien Gepäck seine Autobiografie mitbrachte: »Warte nicht auf bessere Zeiten!« - also ein Buch wider das Nichtstun, das Danebenstehen. Oder Mario Adorf (86), der große Schauspieler, der wie der Liedermacher aus Ost-Berlin den kleinen Windmühlenflügeln dieses Landes seine prominente Stirn bietet - als Juror des auf der Messe vergebenen Frankfurter Orthographiepreises. Die Initiatoren der Auszeichnung rund um den Deutsch-Lehrer und Rechtschreib-Rebellen Friedrich Denk halten auch heute noch, zwanzig Jahre, nachdem die Schreibreform auf den Weg gebracht wurde, diese »für eine große Dummheit«. In der Goethe-Stadt Frankfurt am Main preisgekrönt wurde zum Beispiel ein 22-jähriger Wiener [Elias Hirschl] für sein satirisches Klagelied darüber, »dass das Dass das Daß abgelöst hat«. Und ein 16-jähriger Schüler aus Bayern [Jakob Reitinger!], Vertreter der Orthographie-ist-mir-doch-egal-Generation, der sich auf der Bühne des Frankfurter Lesezeltes fragt: »Können wir es uns leisten, unserer eigenen Sprache fremder zu werden, als wir es eh schon sind?«
Die Frankfurter Erklärung nach 20 Jahren Rechtschreibreform
Zur Frankfurter Erklärung nach 20 Jahren Rechtschreibreform gab es zwei Berichte. Der erste fand sich am 20. Oktober in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einem Kommentar von Heike Schmoll auf der von ihr herausgegebenen Seite Bildungswelten. Der Titel Späte Reue bezog sich auf das Statement, das Hans Zehetmair vier Wochen vorher gemacht hatte: »Im Grunde war die klassische Rechtschreibung nach meinem Empfinden die bessere.« Hans Zehetmair hatte die Rechtschreibreform freilich schon früher mehrmals kritisiert und ihre erste Version im Herbst 1995 sogar im Alleingang gestoppt, wofür er damals freilich von verschiedenen Seiten angegriffen wurde. Leider werden in diesem Kommentar weder die Preisverleihung (am selben Tag!) noch Mario Adorf noch einer der anderen Unterzeichner genannt, auch ist die Bezeichnung »die sogenannte« Frankfurter Erklärung nach 20 Jahren Rechtschreibreform unpassend. Es gab ja schon einmal eine Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform, die genau 20 Jahre zuvor, am 19. Oktober 1996, als ganzseitige Anzeige in der F.A.Z. veröffentlicht wurde. Schließlich wird niemand vom neuen Vorsitzenden des Rechtschreibrats Dr. Josef Lange verlangen, ein »Rechtschreibrebell« zu sein. Allerdings sollte er ein wenig besser über die Materie Bescheid wissen. Als er nämlich in einem seiner ersten Interviews als designierter Vorsitzender am 1. Juli 2016 im Münchner Merkur gefragt wurde: Vor 20 Jahren war die Aufregung in Deutschland groß. Was war da los?, antwortete er: »Die Rechtschreibreform in der damaligen Form, zum Beispiel mit der sogenannten gemäßigten Kleinschreibung, löste heftige Widerstände aus...« (https://www.ovb-online.de/politik/mit-sprache-wird-schludrig-umgegangen-6533973.html) Die Pläne einer sog. »gemäßigten Kleinschreibung« waren jedoch schon 1973 gescheitert.
Der zweite Artikel zur neuen Frankfurter Erklärung fand sich am 28.10. in der Online-Ausgabe des Oberbayerischen Volksblatts (einer Regionalausgabe des Münchner Merkur). Hier war der vollständige Text der Erklärung wiedergegeben, dazu die folgende Einleitung und am Ende die Namen einiger Unterzeichner:
Heute wird der frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair in Weimar offiziell aus seinem Amt als Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung verabschiedet. Das Thema bleibt aber auf der Tagesordnung. Auf der Buchmesse haben 110 Autoren, Professoren, Schauspieler, Verleger und Journalisten dazu die Frankfurter Erklärung veröffentlicht, die wir hier abdrucken. ... Zu den Unterzeichnern gehören u.a.: Mario Adorf, Friedrich Denk, Matthias Dräger, Hans-Magnus Enzensberger, Elfriede Jelinek, Wulf Kirsten, Prof. Michael Klett, Reiner Kunze, Sten Nadolny, Prof. Peter Ring, Arnold Stadler, Prof. Rudolf Wachter, Prof. Reinhard Wittmann.
Die drei Veranstaltungen zur Rechtschreibreform
Die erste Veranstaltung (20 Jahre Rechtschreibreform - Bilanz und Ausblick) blieb ohne jede öffentliche Resonanz, obwohl sich dabei neun Kenner und Betroffene mit großem Ernst zu Wort gemeldet haben: Mario Adorf, Gabriele Ahrens, Organisatorin des niedersächsischen Volksbegehrens, Friedrich Denk, der Typograph Friedrich Forssman, der Kinderbuchverleger Hans-Joachim Gelberg, der Lehrerverbandspräsident Josef Kraus, der Editionsphilologe Prof. Roland Reuß, der Lyriker und Geschäftsführer der österreichischen IG Autorinnen Autoren Gerhard Ruiss sowie Arnold Stadler. Die Ton- und Filmaufnahme von dieser Veranstaltung im Saal Concorde in Halle 4.C wird das Niveau der Wortmeldungen dokumentieren.
Die zweite Veranstaltung - die Preisverleihung am Tag darauf im Lesezelt - war besonders erfolgreich. Auch das wird die Filmaufnahme zeigen. Für die kommenden Jahre sollte man jedoch auf der Buchmesse eine kleine Änderung erwägen: Das Signierzelt steht etwa 30 Meter vom Lesezelt entfernt (früher stand es deutlich näher). Deshalb konnte ein etwa viertelstündiger Wolkenbruch am Ende der Veranstaltung fast alle davon abhalten, die Bücher der Preisträger Elias Hirschl, Hans Krieger, Hans Kruppa, Christina Müller und Alva Sokopp zu erwerben und signieren zu lassen. Auch die Bücher der Jurymitglieder Mario Adorf, Elfriede Jelinek und Gisela Widmer, für die sie im voraus Exlibris signiert hatten, fanden erst an den nächsten Tagen ihre Leserinnen und Leser.
Die dritte Veranstaltung - Die Rechtschreibung in Verlagen, Zeitungen, Schulen und Hochschulen - war besser besucht als die erste und besonders spannend. Zwar fehlten drei der angekündigten Gäste, Matthias Dräger, Dr. Uwe Grund und Prof. Roland Reuß, teils aus familiären, teils aus gesundheitlichen Gründen. Dafür wirkten zwei kurzfristig eingeladene Experten mit: Andreas Hüllinghorst, Verlagsleiter der »jungen welt», und Dr. Peter Höfle, Kafka-Spezialist, früher Suhrkamp-Lektor, heute Deutschlehrer. Als erster sprach der langjährige F.A.Z-Redakteur für Bildung Dr. Kurt Reumann über die Rolle der F.A.Z als Kritikerin der Rechtschreibreform. Nach ihm erklärte Andreas Hüllinghorst, warum die »linke« »junge welt« sich bis 2014 noch deutlicher gegen die Rechtschreibreform gewehrt hat: nicht so sehr aus Protest, sondern aus sprachlichen Gründen, weshalb sie auch heute, von der ss-Regel abgesehen, weitgehend in »klassischer« Rechtschreibung erscheint. Sodann begründeten der Verleger Stefan Weidle und der Typograf Friedrich Forssman, warum sie bei der klassischen Rechtschreibung bleiben und nach wie vor über den Eingriff der Obrigkeit in die Entwicklung der Schriftsprache erzürnt sind. Sodann berichteten Dr. Peter Höfle und OStD Christoph Susewind von ihren Erfahrungen in der Schule, bevor Prof. Rudolf Wachter von der Universität Basel die Ziele der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK) erläuterte. Alle Referenten waren sich mit dem Publikum (und dem langjährigen Vorsitzenden des Rechtschreibrats Hans Zehetmair) einig: Die klassische Rechtschreibung war und ist die bessere, und eine baldige Wiedergewinnung einer stabilen und einheitlichen Orthographie ist im Interesse aller, die deutsch lesen und schreiben, unbedingt wünschenswert. (Zu dieser Veranstaltung fand sich in der Online-Ausgabe der F.A.Z. ein »Blog«, den man »am besten gar nicht ignoriert«: mit Invektiven statt Argumenten und einem Informationswert gegen Null.)
Die Beiden Vorträge über das Lesen
Unter den mehr als 3.000 Veranstaltungen auf der diesjährigen Buchmesse waren die beiden Vorträge von Friedrich Denk (Warum Lesen die klügste Freizeitbeschäftigung ist, bei der man nebenbei auch das Rechtschreiben lernt und: Lies – und werde reich! Was wir von Bill Gates, Mark Zuckerberg, Warren Buffet und Steve Jobs lernen können) die einzigen, in denen unmittelbar für das Lesen von Büchern und Zeitungen geworben wurde. Der zweite Vortrag war gut besucht und - ablesbar an der Zahl der verkauften Bücher von Mario Adorf, Elfriede Jelinek und Hans Kruppa, für deren Lektüre speziell geworben worden war - auch erfolgreich (der Text des Vortrags findet sich auf der Webseite www.friedrichdenk.info).
Der erste Vortrag wurde kaum beachtet, obwohl es in ihm vor allem darum ging, wie man Kinder für das Lesen gewinnen kann. Allerdings gab es zu diesem Vortrag den wohl besten Bericht über alle fünf Veranstaltungen des Arbeitskreises Lesen und Rechtschreiben heute. Geschrieben hat ihn Magnus Reitinger, Kulturredakteur des Weilheimer Tagblatts, einer Regionalzeitung des Münchner Merkur. Hier ist er: Lies - und werde reich!
In seinen Vorträgen über das Lesen wirbt Friedrich Denk immer auch für das Lesen der gedruckten Tageszeitung, weil man da vier lebenswichtige Fähigkeiten lernen kann: Alles, was wir sagen oder schreiben, sollte 1. zutreffend, 2. interessant, 3. gut formuliert und 4. kurz sein. Und das kann man nirgends so gut lernen wie bei der Lektüre einer Tageszeitung, die von Profis geschrieben wird, die sich immer um Objektivität und um interessante Themen bemühen, die fast alle sehr gut schreiben können und sich immer kurz fassen müssen. Im Netz ist das anders. Da ist vieles nachlässig recherchiert und formuliert, emotional gefärbt und oft zu lang. Und im Netz gilt leider mehr und mehr, was Steve Jobs 2008 einem Reporter gesagt hat: »Tatsache ist - die Leute lesen nicht mehr. The fact is that people don’t read anymore.« (http://bits.blogs.nytimes.com/2008/01/15/the-passion-of-steve-jobs/)