Zwanzig Jahre Rechtschreibreform
Eine Anthologie
An dem Schreibwettbewerb zum Thema Rechtschreibreform haben sich zu unserer großen Freude mehr als 250 Freundinnen und Freunde der deutschen Sprache in Deutschland, in Österreich, in der Schweiz, in Italien, in Frankreich und sogar in Japan beteiligt.
Wir freuen uns, fast alle Beiträge auf dieser Webseite publizieren zu können: als eine Anthologie zur Rechtschreibreform. Sie sind ein vielstimmiges Dokument dafür, daß bzw. dass wir zurzeit bzw. zur Zeit keine einheitliche, von allen anerkannte Rechtschreibung haben. Wenn dieser Wettbewerb einen kleinen Beitrag zur Wiedergewinnung einer einheitlichen Orthographie leisten könnte, dann hätte er sich wirklich gelohnt. Wenn nicht, hat er uns dennoch Freude gemacht! So oder so danken wir allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihre lesenswerten Beiträge. An dieser Stelle danken wir auch unserer Jury für die Wahl der Preisträgerinnen und Preisträger. Schließlich danken wir unserer Mäzenin, die ungenannt bleiben möchte. Sie freut sich übrigens mit uns über die vielen Einsendungen aus Wien, woher bei weitem die meisten Beiträge kamen, insgesamt 40!
Als erste Beiträge veröffentlichen wir, wie angekündigt, die 30 Texte, die wir Anfang September unserer Jury in einer Art „Longlist“ zur Wahl der fünf Preisträger vorgelegt haben. Wenn Zeitungen oder Zeitschriften den einen oder anderen Beitrag publizieren möchten – die Verfasserinnen und Verfasser haben dankenswerterweise einer honorarfreien Publikation zugestimmt!
Liebe Leserinnen und Leser dieser 30 Beiträge,
wir laden Sie recht herzlich ein, vor dem 20. Oktober, an dem Mario Adorf im Lesezelt der Frankfurter Buchmesse die Frankfurter Orthographie-Preise überreichen wird, beim Lesen zu überlegen, welche Beiträge Sie für die Preise auswählen würden. Vielleicht würden Sie ähnlich wählen wie unsere Jurorinnen und Juroren Mario Adorf, Elfriede Jelinek, Josef Kraus, Roland Reuß und Gisela Widmer?
St. Goar, am 6. Oktober 2016
Der Arbeitskreis Lesen und Rechtschreiben heute: Gabriele Ahrens, Dr. Sylvia Brockstieger, Friedrich Denk, Matthias Dräger, Hannah Greven, Peter Kerpen, Josef Kraus, Walter Lachenmann und Anna Weininger
30 Beiträge für die Longlist zum Frankfurter Orthographie-Preis
A. Fünf Geschichten und ein Protest
Der Auftrag
Der Auftrag war klar: Beseitige den Miss-Stand.
Nun denn.
Am Eintrittsschalter des Messegeländes war nicht viel Betrieb. Ich bezahlte den Eintritt und zwängte mich mit der Sporttasche durchs Drehkreuz. Die Halle 3 lag hinter der Halle 2, wo sonst, dachte ich mir, danke trotzdem für die Auskunft.
Ich fand den Miss-Stand auch gleich nach Plan, in der Reihe D, Stand 8.
Miss Erotica 2016.
Gaffer, blinkende Scheinwerfer, Patschuligeruch. Nackte Silikonbrüste, die kein bisschen wippten.
Ich stellte die Tasche ab, packte den Dudenwerfer aus, steckte die Rohre zusammen, drehte den Hahn auf und drückte auf den Abzug. Worte knatterten heraus, ich hatte die 96er-Kartusche Einsilbler mit Doppel-S. Sie prasselten auf die Wände des billigen Pavillons, durchlöcherten die Wände, perforierten die Schautafeln. Hass. Fluss. Krass. Stuss. Riss. Kuss. Dass. Die Einsilbler sind am wirkungsvollsten, du kommst mit einer halben Kartusche aus, kein Vergleich mit den Polysyllaba. Am schlimmsten von denen waren die Daktylen, was für Anfänger.
Die Besucher stoben auseinander, die Miss schrie und ging in die Knie, der Pavillon brach über ihr zusammen.
Ich nutzte die Verwirrung, packte alles ein und rief: »Dort läuft er!«
Viel später war der Chef zornig.
Er schrie.
Idiot, ich sprach vom Missstand der Rechtschreibambiguität. Missstand. Beseitigen. Verstehste?
Ich hasse Bindestriche.
Felix Kucher, Klagenfurt
Die Einkaufsliste
Heinz Thalhammer, ehemals Finanzbeamter, ging seit seiner Pensionierung leidenschaftlich gerne einkaufen, doch heute morgen missfiel ihm ein Posten auf der Einkaufsliste seiner Frau.
»Festkochende Kartoffeln«, meckerte er, »schreibt man auseinander.«
»Nein, zusammen«, erwiderte diese.
»Nein, auseinander!«
»Nein, zusammen!«
So ging das eine Weile hin und her.
Um seiner Gattin zu beweisen, dass er recht hatte, schnappte sich Thalhammer schließlich einen der klapprigen Küchenhocker, erklomm damit das Ungetüm von Wohnzimmerschrank, auf dem in der hintersten Ecke das Rechtschreiblexikon stand und spürte das kluge Buch schon zwischen seinen Fingern, als der Hocker ächzend unter ihm zusammenbrach.
Geistesgegenwärtig versuchte Thalhammer im Fallen noch nach der Deckenleuchte zu greifen, verfehlte sie jedoch knapp und krachte schreiend in das gläserne Tischchen vor dem Sofa.
Er hatte Glück im Unglück und zog sich neben zahlreichen Schnittwunden nur eine mittelschwere Gehirnerschütterung, diverse Arm-, Bein- und Rippenbrüche sowie einen doppelten Beckenbruch zu.
Als Thalhammer aus der Narkose erwachte, erfuhr er von einem hübschen, jungen Ding, das seinen Puls maß und sich als nebenberufliche Krankenpflegehelferin und hauptberufliche Germanistikstudentin entpuppte, dass im Rahmen der berühmten Rechtschreibreform von 1996 zwar beschlossen wurde, »fest kochend« auseinanderzuschreiben, dass eine Reform dieser Reform die Regelung aber später wieder rückgängig gemacht habe.
»Ihre Frau hat mir erzählt, wie es zu dem Unfall kam«, lachte die Hübsche den verwirrt wirkenden Patienten zur Erklärung an.
Es dauerte etwas länger, bis Thalhammer begriff.
Als es ihm endlich dämmerte, das Gesamtausmaß der Kartoffel-Katastrophe, bewegte er, anstelle einer Antwort, die einzigen Teile seines Körpers, die er derzeit schmerzfrei bewegen konnte.
Er knirschte mit den Zähnen.
Ulrike Kleinlein, München
Herr Fluß und die zwei S
Herr Fluß war ein ruhiger Zeitgenosse. Er ließ sich treiben und die Dinge geschehen. Seinem Nachbarn Herrn Schiffahrt gefiel seine Art. Die beiden tranken abends oft ein Bier zusammen und schauten Frau Dekolleté von gegenüber bei der Gartenarbeit zu. In letzter Zeit reichte das Herrn Fluß jedoch nicht mehr aus, um glücklich zu sein. Er wollte die Welt sehen und so buchte er kurzerhand eine Reise in die Südsee. Dort verlebte er seine Tage an weißen Stränden, unter exotischen Schönheiten und probierte sonnengereifte Früchte am Fuße eines Vulkans. Es gingen drei Wochen ins Land, bis Herr Fluß in einem Flieger Richtung Heimat saß. Er hatte für jeden seiner Nachbarn eine Kleinigkeit mitgebracht, zumindest für diejenigen, die er leiden konnte. Herr Schiffahrt erwartete ihn am Flughafen. Der Heimkehrer erzählte seinem Freund von der Schönheit der Landschaft und der faszinierenden Kultur der Einheimischen.
Zuhause sollte ihn jedoch eine Überraschung erwarten. Herr Fluß starrte perplex auf sein Klingelschild. Dort war ein anderer Name eingetragen worden. In seinem Zuhause wohnte jetzt ein Herr Fluss. Er stotterte ein paar Mal, drehte den Kopf erst nach links, dann nach rechts und schaute schließlich seinen Freund an. »Was ist das?!«, rief er mit erstickter Stimme. »Der König hat die Namen geändert. Ich heiße jetzt zum Beispiel Herr Schifffahrt«, erklärte ihm sein Nachbar. »Hat man uns gefragt?«, wollte Herr Fluss wissen. »Nein, es ist jetzt einfach so«, erwiderte Herr Schifffahrt schulterzuckend. Ja, wusste denn dieser König nicht, dass Fluss nicht das Gleiche war wie Fluß? Jeder Buchstabe steckte voll Bedeutung und Geschichte. Zusammen mit dem ›ß‹ hatte er alle Erlebnisse, Siege, Niederlagen und Erfahrungen der Familie Fluß weggewischt – ja, der König hatte die Familie Fluß ihrer Identität beraubt! »So kann er sich die Namen seiner Untertanen einfacher merken«, informierte Herr Schifffahrt seinen empörten Nachbarn.
Sein Familienname war nun nichts weiter als ein leeres Gefäß. Herr Fluss gehörte aber nicht zu den Menschen, die den Kopf in den Sand stecken oder sich Selbstmitleid hingeben. Dann musste er seinen neuen Namen halt mit neuen Erfahrungen füllen. Er fand, dass Bedeutung nur durch Handlung entstehen könne. So kam es, dass der ruhige Herr Fluss seinen Urlaub verlängerte und in Finnlands Wäldern wandern ging. Das hatte er schon immer einmal tun wollen.
Güllü Beydilli, Düsseldorf
Beschwernis für die Arche Noah
Immerhin, das kleine h haben sie ihm gelassen. Klar, Noah könnte sich auch wieder Noe nennen, das aber würde nichts mehr ändern an diesem Schlammassel. Allein schon die Schlammmassen um ihn herum; da schleppen die Viecher nicht nur Dreck ins Boot, sondern auch das dritte m. So ein Buchstabe bringt grässlichen Gewichtsüberschuss auf die Arche, wie auch beim grässlichen Überschuss selbst die luftig-scharfen ß durch pummelige s-Zwillinge ersetzt wurden.
Dabei ist der Kahn nicht aus Pressspan gebaut, auf überflüssigen Zierrat wie Kristallleuchter, Kontrolllampen und Krepppapier-Blumen hat er verzichtet. Zu Noahs Verdruss purzelt dennoch mit jedem von ihm leichtsinnig gedachten neuen Wort weitere Buchstabenlast auf das schwankende Gefährt. Behände platziert er die neu eingetroffenen s, r, l und p auf hurtig ausgebreitete
Betttücher, dann legt er noch das taufrische t und ein jungfräuliches ä hinzu. Ein orthographisches Stillleben, geboren aus einer Stresssituation.
Schon beim Einmarsch der Gämsen und Blässhühner hat Noah dieses Quäntchen pointierter Massezunahme gegenüber der alten e-Leichtigkeit bemerkt. Aber waren die Flussschildkröten und Galopppferde, war denn so ein Walross nicht schon vor der Rechtschreibreform schwer genug? Und hatte die Rechtschreibkommission eine Ahnung vom benötigten Tonnage-Plus durch die neuen Wörter, vom erhöhten Proviant-Gewicht bei Brennnesselfutter, Grasstängel und Delikatessgurken? Von zusätzlicher Kommalast aus wörtlichem Bordgerede?
Später einmal wird ein Herr von Goethe in seiner Etymologie über sture Sprachbewahrer lästern, wird er von festgerammelter und zusammen gestammelter Sprache des Volkes dichten, das ahnt Noah bereits, und beim Blick nach oben auf das dräuende Wetter weiß er von der schnelllebigen Natur des Seins, vom Überdruss an der Nulllösung. Belämmert von der Erkenntnis manövriert er im Schritttempo durch die steigenden Fluten, durch ein Meer aus Mehr an l und t.
An Bord weder Hostess noch Stewardess noch Schwimmmeister, erfährt Noah schon bald die Gräuel der Schifffahrt. Gleich droht das Boot am neuen ä-, s-, m- und f-Ballast zu kentern, und nur der eilige Abwurf überflüssig gewordener Kommata-Vorräte und die Sichtung eines Schwarms ph-neutraler Delfine verhindern den sofortigen Untergang. Eine Taube endlich bringt Noah kess den Tipp für den rettenden Australien-Trip: Locke, guru guru, dort nur eine hinreichend große Känguru-Herde auf die Arche – und sogleich naht, guru guru, der h-fach erleichterte Schluss.
Siegfried Straßner, Nürnberg
Rupicapra! Rupicapra! Eine Gemsen-Protestnote
Als Tiroler Gemse darf ich hiermit aus 2222 Metern Seehöhe meinen unbendigen Unmut kundtun!
Zoologisch nicht zufellig den Ziegenartigen zugeordnet, geht es mir hier überhaupt nicht darum, herumzuziegen, eh, zicken, sondern schlicht und ergreifend meinen Erger abzuladen. Seit ewigen Zeiten klettern und springen wir über scharfkantige Felsen und furchteinflößende Steilhenge, über jeh abfallenden Stein und herumliegendes, totes Geröll, den wilden Elementen jahrein, jahraus trotzend, unsere gehörnte Stirn bietend.
Das wird sich auch keinesfalls mehr endern, es geht vom Körperbau und unseren erblichen Anlagen ja einfach gar nicht anders. Wir brauchen diesen Kick, es liegt in unserem Blut. Das sollte eigentlich jegermann verstehen. Manche Dinge kann man einfach, einfach nicht endern. Das Geheimnis übrigens ist der Huf der Wildnis – er helt uns sicher am Stein und sorgt für den nötigen Grip. Gams zufellig jedoch ist mir nun zu Ohren gekommen, daß wir umbenannt wurden. Einfach so. Zack. In die »Gämse«! Wenn Sie mich fragen: Das ist ein handfester Skandal! Es mag ja orthographisch recht schön anzusehen sein und durchaus auch an zwei kleine Hörner erinnern, dieses »ä« in unserem Namen. Aber wo kommen wir denn da hin und wo hört das Ganze auf? Also, horn Sie mal, da ist mir ja unser lateinischer Name »Rupicapra rupicapra« noch lieber. Ja! Ja, laut und leidenschaftlich schallt es in die ganze Welt hinaus:
»Rupicapra rupicapra!«
Möge dies unser Ruf sein, unser loderndes Feuer der Selbstbestimmung, quer durch die Alpen, von den gewaltigsten Gipfeln bis ins tiefste Tal hinunter … Denn auch wir als Gemsen haben schließlich Rechte und lassen uns nicht einfach auf die Hörner nehmen. Das gebe ich Ihnen sogar schriftlich, wenn Sie wollen. Mit Huf auf Siegel. Ehrlich.
Die Konsequenz dieser Geschichte: Das »ä« wird von uns Gemsen zukünftig gemslich aus dem Wortschatz verbannt. So leicht kommt diese Reform nicht hier auf den Berg herauf. Ja, wir verbannen das »ä«. Aus Beharrlichkeit, Stolz und in der Gewißheit, daß man Traditionen nicht einfach brechen kann wie einen fauligen, morschen Besenstiel. Da kennen wir keine Kompromisse, das ziehen wir durch. Gams oder gar nicht.
Gemse dies bitte den zustendigen Damen und Herren weiter!
Christian Kössler, Innsbruck
Dr. Knock oder der Triumph der Rechtschreibreform
Dr. Klein, der Inhaber eines privaten Siegener Lerninstituts, betrieb seine »Sprach- und Schreibheilpraxis« schon seit Jahren. Aber sie ging schlecht. Die meisten Stadtbewohner hatten ein gesundes Sprach- und Schreibgefühl, trauten der »Klein-Schreibung« nicht und dachten gar nicht daran, sich einer orthographischen Behandlung zu unterziehen. Schließlich gab Dr. Klein auf.
Ein gewisser Dr. August Knock übernahm die Praxis. Er bewies jedem Interessenten, ein Schreib- und Sprachstümper zu sein: »Wer glaubt, richtig schreiben und sprechen zu können, ist nur noch nicht geprüft genug.« Sein robustes Auftreten erzeugte im ganzen Land eine ungeheure Fehlerangst, so daß bald der Reformnotstand ausgerufen wurde. Schließlich bot er auch dem Staat an, nur mit Volksetümologie und homöopathischen Dosen an Groß-, Getrennt- und ss-Schreibung die orthographische Gesundheit der Bevölkerung um 50 Prozent zu steigern. Seine Skurrilitäten erzeugten dabei immer wieder Aufmerksamkeit. Wer Wertvolles zertrat, war »toll patschig« und sein Fuß nur nicht »behände« genug. Mit derlei Späßen verschaffte sich Knock einen großen Zulauf.
Nach geraumer Zeit besuchte Dr. Klein seinen Kollegen und staunte über dessen florierende Praxis. Eine ganze orthographische Industrie hatte sich nebenher entwickelt mit Rechtschreibprothesen, Gehhilfen und Schreibkrücken, Schulungs- und Rehabilitationsprogrammen, Vor- und Nachschlagewerken, pädiatrischen Abteilungen, multimedialer Beratung, Denunziationsabteilungen für Reformverweigerer, über das ganze Land verstreuten Reformkulissen mit nichts dahinter und glücklich dreinschauenden Patienten davor.
Am Abend führte Knock seinen Kollegen ans Fenster, von wo aus sie die ganze Stadt überblicken konnten. Überall brannten Lichter in den Schreib-, Lern- und Redaktionsstuben: »Sehen Sie die Häuser, und in jedem Haus, in dem ein Licht brennt, bekennt man sich zur neuen Rechtschreibung, legt man Zeugnis darüber ab, daß das Schreiben wieder einen Sinn hat. Und jetzt …«, Knock blickte auf die Uhr, »jetzt legen sich die Schreiber die neuen Regeln auf den Tisch, stecken sie sich unters Kopfkissen oder in den Hintern, setzen die Korrektur- und Konvertiermaschinen in Gang und reparieren die Texte, damit sie morgen früh orthografisch und politisch korrekt am Zeitungskiosk oder in der Schule erscheinen können. Aber wir denken weiter. Am deutschen Rechtschreibwesen könnte die Welt genesen.« (Frei nach Jules Romains)
Sigmar Salzburg, 24405 Mohrkirch
B. Schulzeiten
Ich schreibe, also bin ich … wie Otto
Das allererste Schuldiktat meines Lebens war ganz ohne Rechtschreibfehler. Ich hatte die Worte OTTO IST DA vollkommen korrekt drei Mal untereinander ins Diktatheft geschrieben, während meine Sitznachbarin Sabine OTA ISST DA in ihr Heft gekritzelt hatte. Wie beschämt ihre Mutter war! Eine Horthilfe, die sich offiziell als Hortleiterin vorstellte und Sabine nach der Korrektur des Diktates ins »finstere Kammerl« sperrte, damit diese über ihre Fehler nachdenken konnte. Ich hatte nach diesem ersten Rechtschreibtest fortan einen besseren Stand in der Klasse und mehr Ansehen als Menschen wie Sabine, ich war selbstbewusster und durch mein Knowhow über die korrekte Schreibweise von Wörtern nicht so leicht zu erschüttern. Heute ist Sabine Modedesignerin, selbst-ständig oder selb-ständig, was jetzt für sie seit den diversen Rechtschreibprogrammen am Computer keine Rolle spielt. Statt zur Strafe ins finstere Kämmerchen zu gehen, öffnet sich Sabine jetzt mit ihrem modischen Rundumangebot in geschliffenem PR-Deutsch und mit zahlreichen Anglizismen erfolgreich einer breiten Öffentlichkeit. Ehrlich gesagt, für mich war’s zunächst ein Schock, eine narzisstische Kränkung, nachdem ich mich immer, auch später im Studium der Deutschen Philologie, an »die Regel« gehalten hatte – als diese REGEL auf einmal abgelöst werden sollte durch eine so genannte REFORM – ein paradigmatischer tiefer Schock, ein existenzielles Trauma war das! Und als Akt der Willkür erachtete ich den gesetzlichen Erlass, auf einmal ›ss‹ statt ›ß‹ usw. zu schreiben – warum denn nur? Nie hielt ich mich in der Folge strikt daran. Und so bildet meine heutige Schreibe ein Mischmasch aus ursprünglich Erlerntem und später künstlich darüber Gestülptem. Man tut der deutschen Sprache nichts Gutes, fand und finde ich, wenn man sie von den vermeintlichen Fesseln der Rechtschreibung erlöst. Und was soll das für eine »Reform« sein, ist Rechtschreibung etwa einer Religion vergleichbar, dass es auch hier eines befreienden Reformators bedarf? Ich lasse mich doch weder pflanzen noch pflantzen und schreibe, also bin ich. Und eins steht fest: Mit dem historischen Satz OTTO IST DA werde ich auch noch in hundert Jahren Recht behalten.
Monika Wogrolly-Domej, Graz
Was waren wir stolz!
Stängel hatte nichts mit Stange zu tun, Greuel nichts mit Grauen, schneuzen nicht mit Schnauze, im dunkeln tappte man mangels Ahnung, im Dunkeln mangels Licht. Im Großen und Ganzen schrieb man im großen und ganzen klein, im Übrigen auch im übrigen, und man trennte nie st, denn es tat ihm weh. Uns Gymnasiasten hatte man eingebleut (nicht eingebläut), dass wir dereinst die geistige Elite zu repräsentieren und daher die Orthographie zu beherrschen hatten. Was waren wir stolz, als wir die Regeln intus hatten und uns so von den Dummen abheben konnten!
Dann kam 1996. Die neue Rechtschreibung beraubte uns mit einem Schlag unserer orthographischen Souveränität. Plötzlich konnte man »selbstständig« nummerieren und platzieren, Ass und Tipp waren keine Tippfehler mehr.
Der Empörung über Tunfisch, Delfin, Jogurt, rau folgte ziviler Ungehorsam. Schulbuchverlage mussten sich an die neuen Regeln halten, Zeitungen, Autoren, Literaturverlage lehnten sie ab. Manche Printmedien und der ORF erfanden ihre eigene, »gemäßigte« neue Rechtschreibung, andere blieben bei der alten. Für mich begann die Zeit der Verzweiflung. War ich bis dahin der »wandelnde Duden« gewesen, musste ich plötzlich mit drei Rechtschreibungen zurechtkommen – in der Schule die neue, beim Korrekturlesen für Dichter die alte und in meinem Nebenjob die ORF-Rechtschreibung. Auf einmal schaute ich jedes dritte Wort nach – in drei Wörterbüchern, versteht sich. 2006 bescherte uns die NEUE neue Rechtschreibung. Diese stellt nun alle zufrieden, denn endlich darf jeder fast alles. Nicht dass ich etwas dagegen hätte – wäre es nicht von jeher Usus, dass der Fehler zur Regel wird, sprächen wir heute noch gotisch. Früher passte mir nicht, wie schnell Fehler zu korrekten Schreibweisen wurden – zehn Analphabeten, die ein Wort falsch schreiben, schon steht es so im Duden. Begründung: »Süddeutsche Zeitung vom …« Das geht zu weit.
Und doch, trotz der Bemühungen, »ein entspannteres Verhältnis zur Rechtschreibung zu entwickeln«, trotz der Freiheiten, die die neue Rechtschreibung bietet, finden wir keine fehlerfreien Texte. Menschen, die »dass« kennen und richtig schreiben, vielleicht sogar mit Komma davor, gibt es nur mehr eine Handvoll. Der Rest schreibt: »Wir freuen uns das ihr …« Ich kann mich also doch noch überlegen fühlen, und darum geht es ja bei der Rechtschreibung, oder?
Andreas Kurz, Wien
Das Recht zu schreiben
Ich bin ein Kind der Neunziger, das von Beginn an mit der Rechtschreibung auf dem Kriegsfuß stand. Fleißig lernte ich in der Schule den Unterschied zwischen ›s‹, ›ss‹ und dem ewig erheiternden »Rucksack-s«. Ich lernte den Unterschied zwischen »Opa« und »Oper« und scheiterte immer wieder an dem Wort »Gemüsebrühwürfel«. Ich paukte Karteikarten. Kästchen um Kästchen, mit gefüllten Karten, auf denen je ein Wort geschrieben stand, das einfach nicht in meinen Kopf hineinwollte. Wieso sollte ich den »Ernst« mit ›s‹ schreiben, wo er doch mit ›z‹ gesprochen wurde?
Ein ernstes Problem in meinen jungen Jahren. Doch ich war fleißig und blieb dran.
Mein Ziel: keine rote Farbe auf meinen geschriebenen Worten.
Es gelang, ich wurde besser. Doch wir fingen von vorne an. Eine neue Reform, ein neuer Karteikasten. Das Gelernte wurde falsch, das Verständnis für Buchstaben durchrüttelt.
Ich lief nicht davon, ich paukte weiter. Wort für Wort, Satz für Satz.
Schlaue Menschen waren der Meinung, dass es das Beste für uns alle wäre.
Die bisherige Rechtschreibung wäre veraltet.
Was zusammengehörte, wurde getrennt, was klein war, wurde groß.
Nur um Jahre später festzustellen, dass beide Formen der Rechtschreibung möglich waren.
Das war für mich der Moment zu resignieren. Ich beschloss, dass Rot doch auch eine sehr schöne Farbe ist und dass ich mit einem ›ss‹ oder »Rucksack-s« auch sehr glücklich werden kann.
Ich habe den Vorteil, dass ich keine Fehler lese, sondern gute Geschichten.
Ich sehe Bilder und keine Worte.
Nicht die Rechtschreibung gibt mir das Recht zu schreiben, sondern ich selbst.
Christina Degenhardt, Hamburg
Mit der Knute der Vernunft
Die neue Rechtschreibung mochte kaum einer. Mutti nicht, der Onkel nicht und Opa auch nicht. Oma dachte, meine Klassenlehrerin könne kein Deutsch. Dabei hatte sie mein Zeugnis nur nach den neuesten Regeln der Orthografie geschrieben. Weil es der Lehrerin ständig so ging, mochte auch sie die Reform nicht. Aber sie brachte uns die neue Schreibweise tapfer bei und so wuchsen wir auf mit ihr.
Und weil wir nie etwas anderes kannten, fehlte uns auch nichts. Wir hatten nie von der süßen Frucht des »Stengels« gekostet, nie die wilde Schönheit des »Greulichen« erfahren. Wir waren keine Heimatvertriebenen, die sich nach dem »daß« zurücksehnten. Einer, der älter war und sich auskannte, erklärte uns, dass die Gegner der Reform bloß verknöcherte Konservative seien, die sich festklammern an das, was einmal war, jetzt aber nicht mehr ist, Ewiggestrige eben. Das fanden wir auch.
Als wir selbst älter wurden, rationalisierten wir unsere Haltung und wurden zu begeisterten Parteigängern der neuen Schreibweise. Wir bewegten uns »behände«, nicht »behende«. Wir begriffen die Logik dahinter und Logik war gut. Denn Logik war Fortschritt und für den waren wir. Endlich wurde die deutsche Sprache moderner! Man hatte sie aus unhinterfragten Verankerungen gerissen und sich gelöst von der dumpfen Sprachscholle. Jetzt kam die neue, rationale Zeit, sogar Deutsch konnte hip werden.
Erste Zweifel kamen mir, als gerade die hippsten Autoren sich gegen die neue Rechtschreibung stellten. Popliteraten von Christian Kracht über Eckhart
Nickel bis Judith Hermann schrieben 2006 einen offenen Brief, in dem sie erklärten, auch weiterhin die Altsprache verwenden zu wollen. Das passte nicht in mein Konzept. Auch war nicht bloß die konservative FAZ dagegen, sondern sogar Autoren der ZEIT und linke Schriftsteller wie Grass und Jelinek. Ich las, dass die letzte Reform von 1903 eigentlich bloß in Gesetzesform goss, was sich ohnehin durchgesetzt hatte; die Festschreibung folgte dem, was von unten kam. 1996 hingegen wollte man von oben vorgeben, was unten zu tun sei. Der Staat begab sich in die Sphäre der Sprache hinein. Aber Sprache ist kein Baukasten, da gibt es auch noch etwas Gewachsenes und das wollte man mit der Knute der Vernunft austreiben.
Heute ahne ich: Man muss nicht ewiggestrig sein, um Vorbehalte gegen die Reform zu haben. Ich überlege auch schon, wieder nach alten Regeln zu schreiben. Aber die müsste ich erst lernen. Und wäre das nicht genauso artifiziell wie eine Sprachreform von oben?
Moritz Rudolph, 99885 Ohrdruf
Gedanken eines Schülers
Rechtschreibung? Ist unwichtig, spielt für uns keine Rolle, so heißt es bei vielen in meiner Generation. Und ich gebe gleich mal zu, dass ich in Sachen Rechtschreibung und Grammatik selber kein Held bin … Es wird so viel in sozialen Netzwerken geschrieben, aber auf Satzzeichen oder Groß- und Kleinschreibung wird in den seltensten Fällen geachtet, dabei nehme ich mich nicht aus. Nun stellt sich die Frage: Warum dieses Phänomen? Wird in der Schule zu wenig auf die Rechtschreibung geachtet? Vielleicht. Es gibt Lehrer, die sagen: »Solange ich verstehe, was du meinst, und ich die Wörter halbwegs entziffern kann, gibt es bei Rechtschreibfehlern in Tests keinen Punktabzug« – also für Falschgeschriebenes, Falschgetrenntes oder falsche Grammatik. Als Schüler ist einem das durchaus recht (mir selber natürlich auch), und man denkt sich: »Ach, egal… Solange es keinen Punktabzug gibt, ist ja alles gut!« Weshalb sollte man sich zuhause dann auf den Hintern setzen und die wertvolle Zeit damit verschwenden, sich seiner Muttersprache zu widmen?
Andererseits: Ist es vielleicht nicht doch wichtig, korrekt schreiben zu können? Und hat man da nicht auch Verantwortung für die nächsten Generationen? Wenn meiner Generation die Rechtschreibung nicht mehr viel bedeutet und wir uns voll und ganz auf das Rechtschreibprogramm am Computer verlassen, wird dann mit der Zeit alles noch schlechter? Was machen die zukünftigen jungen Leute, wenn sich die dann Älteren (also wir) schon nicht mehr mit der Rechtschreibung auskennen? Lernen sie es vielleicht gar nicht mehr? Doch Sprache und Schreibweise sind ein großer Teil menschlicher Kommunikation. Wenn immer weniger Menschen richtig schreiben können, führt das dann eine Gesellschaft ans Ende? Oder braucht man irgendwann eh keine Sprache mehr? Ich weiß es nicht.
Die Rechtschreibreform scheint mir und uns allen das Schreiben nicht einfacher gemacht zu haben. Wenn es zum Beispiel drei Schreibweisen für ein Wort gibt oder unterschiedliche Variationen der Silbentrennung, verliert man den Überblick – und irgendwann die Lust, sich mit den Regeln zu beschäftigen. Die Rechtschreibreform brachte also zum Teil noch mehr Verwirrung.
Liebe Lehrer, liebe Bildungsfachleute und Minister, können wir es uns leisten, unserer eigenen Sprache noch fremder zu werden, als wir es sowieso schon sind?
Jakob Reitinger, Weilheim i. OB
Mit Stendelwurz am Mittagstisch
»Mami, was ist ein Stendelwurz?« – Diese Frage der achtjährigen Tochter hatte das sanfte Besteckklappern beendet und schwebte nun irritierend über dem Suppentopf. Darin: Erbsensuppe mit zerschnittenen Würstchen. Der Moment der Stille wurde erst von der Mutter aufgelöst, die darüber zu schöpfen vergaß. »Kam das in der Schule dran und wurde nicht erklärt?«
»Dran kams nicht«, flötete das Kind. »Aber es kam ein Mann vom Rechtschreibrat in die Klasse und sagte uns, daß wir das jetzt mit ääh zu schreiben hätten. Aber kennen tu ichs nicht.«
Die Mutter überlegte. »Wie schreibt man das denn sonst?« Die Tochter: »Äh … weiß nicht. Vielleicht mit ee?«
Der Vater versuchte, durch die Suppe auf seinem Teller zu blicken. Er wußte es auch nicht.
»Und warum jetzt mit ää?« fragte die Mutter.
»Der Mann meinte, weil es von Ständer kommt. Was meint er damit?«
Die Mutter spießte ein Wurststück von ihrem Teller. »Frag das deinen Papa.«
Der Vater wußte nicht, wie er die Kurve kriegen könnte. »Vielleicht ein Kleiderständer. Wir essen jetzt.«
»Aber das versteht doch keiner.« Das Mädchen löffelte mißmutig im Teller herum.
Nun faßte sich der Vater ein Herz. »Also, wenn man es genau nimmt, kommt das Wort Ständer doch von stehen. Und deshalb schreibt man Stendelwurz mit ee.«
»Echt jetzt?« Das Kind machte verblüffte Augen.
»Aber warte mal«, meinte nun die Mutter. »Das Wort Ständer zeigt doch eigentlich einen transitiven Aspekt an, oder? Da fehlt doch ein Passiv!«
Argwöhnisch lugte der Vater über den Brillenrand. »Worauf willst du hinaus?«
»Daß es korrekt nicht Ständer, sondern Stehender heißen müßte. Aber das kommt irgendwie auch nicht hin.« Sie verbiß sich ein Prusten.
Er knallte die Serviette auf den Tisch, und gefährlich schwankte sein Sprudelglas. »Was kommt nicht hin? Hier steht alles.«
Das Mädchen hatte aufgegessen. »Wo steht denn nun, was Stendelwurz ist?«
»Nun hör mal zu, mein Kind«, sagte die Mutter. »Ich habe dieses Wort in meinem ganzen Leben noch nie geschrieben, weil niemand Stendelwurz braucht – außer vielleicht Papi.«
»Aber warum braucht er es denn, wenn es ihn so ärgert?«
»Ich brauche es doch überhaupt nicht! So wenig wie diesen Rechtschreibrat, der den Kindern solche Flausen in die Köpfe setzt!«
»Mami, was sind Flausen?«
Die Mutter angelte noch einen Nachschlag aus dem Topf. »Unsinnige Ideen. Jedenfalls schreibt man die ganz bestimmt mit ee.«
Alexander Glück, A-2020 Hollabrunn
Oma for Bildungsministerin
»Mama! Das Schloss schreibt man doch mit doppeltem ‚s‘ und schließen mit ‚ß‘ oder?« Ich überlegte angestrengt und legte mir den Zeigefinger an die Stirn, als ob es helfen könnte, mir die neue Rechtschreibregelung, die uns 1996 eiskalt heimgesucht und mich, die in den sechziger Jahren geboren wurde, ziemlich irritiert hatte. Als Hausfrau musste ich sie nicht unbedingt können, aber als Mutter eines Grundschülers war es wichtig, die neue Regelung zu beherrschen, um Fehler in den Hausarbeiten unseres Sohnes auszumerzen. »Moment mal! Ich muss mal kurz nach dem Kohl sehen.« Ich eilte heimlich zum Duden. Unseren alten hatten wir nicht mal auf dem Flohmarkt verticken können. Schweren Herzens hatte ich ihn in den Container geworfen, wobei ich vorm Entsorgen noch kurz überlegt hatte, ob nicht doch irgendwann eine Reform kommen könnte, die die neue wieder rückgängig machen würde, und die alte Reform die neue sein könnte. Rasch suchte ich auf den dünnen Seiten nach den viel zu klein gedruckten Wörtern. Meine Vermutung hatte sich bestätigt! Das musste ich mir endlich einprägen!, schwor ich mir und legte meine Hand auf die kleine Schulter meines Sohnes. »Das ist korrekt. Sehr gut, Max!« Ich las weiter in einem Roman, der noch vor 1996 veröffentlicht worden war. Voller Eifer war ich auf der Suche nach Wörtern, die der Reform zum Opfer gefallen waren und achtete nicht mehr auf den Inhalt. »Mama! Wird Kaffeeernte mit zwei oder drei ‚e‘ geschrieben?« Oh! Da war ich mir wieder unsicher und ärgerte mich, dass ich keinen Deutschkurs besucht hatte, der mir die neue RSR beigebracht hätte. »Natürlich mit zwei e«, mischte Oma sich ein, die gerade die Socken ihres Enkels stopfte. »Ich tendiere zu drei«, meinte mein Mann, der gerade in einer Tageszeitung las. Aber hatte er als Bäckermeister wirklich Ahnung? Wenn er nun in der Kaffeebranche tätig wäre, hätte ich ihm geglaubt. Und Oma? Die hatte noch eine ganz andere Rechtschreibung gelernt. Erneut flitzte ich zum Duden und blätterte hektisch im Buch der Wahrheit. Ich klärte die Unwissenden auf. »Habe ich doch gesagt!«, triumphierte der Bäcker. »Ach, da steigt doch kein Mensch mehr durch! Soll doch jeder so schreiben, wie er möchte. Wen kümmert es?«, sagte Oma genervt. »Oma, du solltest Ministerin für Bildung werden«, meinte Max und fragte seinen Vater, ob man »selbst gebackenen« Kuchen zusammenschreibt. Der Bäcker, der das wissen sollte, schaute uns ratlos an und ich begab mich erneut auf den Weg zum Duden.
Andrea Froh, 25563 Wrist
Rechtschreibung aus der Sicht einer Achtjährigen
»Mama? Wohnen wir in der Nußwaldgasse mit ›ß‹ oder mit ›ss‹? Denn bei den Briefen, die wir zugestellt kriegen, steht es einmal so und einmal so.«
»Schatz, ich glaube, korrekt müsste es Nusswaldgasse mit zwei ›s‹ heißen, aber möglicherweise ist es in dem Fall nicht so schlimm, wenn man es anders schreibt.«
»Warum?«
»Hmm, ich habe in der Schule noch gelernt, dass am Ende eines Wortes nie ein doppeltes ›s‹ stehen darf. Darum schrieb man die Nuss mit ›ß‹. Seit der Rechtschreibreform schreibt man nach lang ausgesprochenen Vokalen immer ›ß‹ wie beim Wort ›Fuß‹ und bei kurz gesprochenen Wörtern ›ss‹ wie zum Beispiel beim Wort ›Kuss‹.«
»Ja, aber warum schreiben dann viele die Nusswaldgasse noch so wie früher?«
»Ich denke, weil ‚Nußwaldgasse‘ einfach ihr Name war, darum glauben einige vielleicht, dass hier die Rechtschreibreform nicht gilt.«
»Aber es ist eigentlich falsch.«
»Ja.«
»Und warum hat man bei dieser Schreibreform nicht gleich gesagt, dass es nur noch ›s‹ gibt und das ›ß‹ wegfällt? Du hast mir doch einmal erklärt, das wurde gemacht, um die Sprache zu vereinfachen.«
»Das weiß ich eigentlich auch nicht.«
»Ist sowas mit vielen Wörtern passiert?«
»Dass man sie jetzt anders schreibt? Ja und nein. Denn bei ganz vielen gelten jetzt einfach beide Formen.«
»Mich verwirrt das.«
»Mich auch, aber du lernst es ja in der Schule, wie man alles richtig schreibt.«
»Hmmm, das hast du damals aber auch. Und wenn ich groß bin, ändern sie die Schreibweise einfach um, und es stimmt wieder nichts mehr.«
»Auch daran gewöhnt man sich. Oder man schaut eben im Duden nach.«
Mädchen nickt und geht ins Zimmer. Dort schreibt sie ihrem Vater eine Nachricht, auf der sie ihn bittet, die selbstgebackenen Schokokugeln im Kühlschrank für uns vier Frauen stehenzulassen und nicht aufzuessen:
Forsicht Fraun eigentum! wen eine felt die Kugeln sind gezelt!
Krigst du erger von den Frauen! Eigen tum von den Frauen!
Auf meine Anmerkung, dass auf dieser Notiz aber sehr viele Fehler stehen und ob ich sie ihr korrigieren soll, meint das Kind:
»Nein, lass gut sein. Irgendwann stimmt es ja dann eh wieder, wie ich es geschrieben habe. Wir warten einfach ab.«
Alva Sokopp, Wien
C. Dialoge, Gedichte und ein Brief
1996: So nett gemeint
Motive eines Rechtschreibreformers
Die schwere Sprache Deutsch. Wer kann denn die noch schreiben?
Die Schüler sind verträumter heut’ als noch vor fünfzig Jahren.
Es klappt nicht mehr bei jedem Kind, im Hirn was zu verwahren.
Wie also soll dem deutschen Kind sein Deutsch erlernbar bleiben?
Man muß den Schülern helfen in dieser schweren Lage.
Recht schreiben, Mann, was soll das? Tut das noch wirklich not?
Gequäle unter Vollgas. Schikane bis zum Tod.
Die Regeln deutscher Schreibung war’n immer schon ‘ne Plage.
»Du tust mir leid!« – »Leid« schreibt man klein? Wieso? Ist doch ein Nomen.
»Er ist mir feind.« – Warum denn »mir«? »Mein Feind« muß es doch heißen.
Drum auch nach »mir« mit großem F. Was anderes tät’ sich beißen.
Selbst bei »er ist mir Spinne Feind« grollt mir nichts im Abdomen.
ß nach einem Kurzvokal? Das tut dem Wort doch weh!
Und Känguruh am Schluß mit H? Ich find’ das schlicht zuviel
»mit Hilfe« in zwei Wörtern: auf lange Sicht skurril.
Nein! – So darf das nicht bleiben. Ich hätt’ da ‘ne Idee:
Das Schreiben wird jetzt kindgerecht. Wir kippen alle Regeln.
Und machen dann das Gegenteil, halt Köpfe nun mit Nägeln.
Du klagst, das Lesen fällt dann schwer und daß dir das im Bauch sticht?
Du willst sogar ‘nen Volksentscheid? – Das kratzt mich nicht die Bohne.
Das Lesen braucht die Regeln wohl. Das Schreiben geht auch ohne.
Und was ich nicht begriffen hab’, begreifen andere auch nicht.
Astrid Rußmann, Kiel
Was einen fertig macht (Kind, Oma, Vater, Mutter)
K (brütet über der Hausübung): Oma?
O (entfernt): Ja, mein Kind?
K: Hilfst du mir?
O (kommt mit Geschirrtuch aus der Küche): Was gibt es denn?
K: Ach, Oma, dieses Rechtschreiben macht mich noch verrückt. Schreibt man nun »Ich muss mich fürs Theater fertigmachen« oder »fertig machen« – getrennt oder zusammen?
O: Ist das denn nicht einerlei?
K: Nein, eben nicht. Wenn man das erste Wort betont, schreibt man zusammen.
O: Na, dann schreib es halt so!
K: Aber heißt »fertigmachen« nicht etwas anderes, wie »Die Rechtschreibung wird mich fertigmachen«?
O: Und welche Bedeutung soll es haben? (Papa kommt)
K: Papa, da bist du ja!
V: Womit verdiene ich die Ehre einer so stürmischen Begrüßung?
K (seufzt): Ach, Papa, die Deutsch-Hausübung ist es wieder einmal!
V (liest): Und wo kennst du dich da nicht aus?
K: Da, dieses »Fertigmachen« macht mich noch fertig!
V: Also, ich würde es zusammenschreiben.
O: Aber dann heißt es, jemanden fertigmachen!
V: Soll es ja auch, oder etwa nicht?
O: Nein, sie soll sich doch fürs Theater fertigmachen!
V: Aha – gehen sie von der Schule aus? Was wird denn gespielt?
K: Aber Papa, ich doch nicht. Der blöde Satz steht hier!
V (probiert murmelnd aus): Also, ich würde es zusammenschreiben.
O: Genau das habe ich auch gesagt!
V: Oder wart mal: fertigmachen ... fertig machen ...
M (kommt): Dieses Wetter macht mich noch fertig! (Alle schauen sie an) Was ist denn los? Was schaut ihr so?
K: Und wie schreibt man das, Mama?
M: Was – das?
K: Fertigmachen, Mama, fertigmachen. Das Wetter, das dich fertigmacht. Mich macht nämlich die Hausübung fertig!
M: Ja, du meine Güte, schlag halt im Wörterbuch nach, dort wird es schon zu finden sein!
K: Tolle Idee! (Suchprozess) Da steht: sich fürs Theater fertig machen, also getrennt, Klammer auf, ist gleich fertigmachen, also zusammen. Klammer zu. – Dann geht also beides. Und da unten steht noch extra bei übertragener Bedeutung: jemanden fertigmachen, zusammengeschrieben, jemanden rücksichtslos zermürben. (Buch zu) Ich schreibe es zusammen, denn die Rechtschreibung zermürbt mich Tag für Tag.
Elisabeth Seiberl, A-4190 Bad Leonfelden
»Ich habe meine Frau ernst genommen«
»Wenn Sie darauf weiter bestehen, werden unsere Probleme weiterbestehen.«
»Da haben Sie einerseits recht: Wir sollten wirklich so nicht weitermachen. Wir waren so voller Hoffnung ...«
»Worauf? Dass die Masse zu einer Art Spracherleuchtung gelangt und ihr der Unterschied zwischen bewusst machen und bewusstmachen verständlich wird? Im Zeitalter der Vier-Wort-Sätze, galoppierenden Artikelschwunds und Buchbeschreibungen auf der Grundlage eineinhalbseitiger Textauszüge?«
»Nun ja, vielleicht waren wir zu optimistisch ...«
»Realitätsfern, das ist es, was Sie waren. Zuerst. Aber ich mag Idealismus, also sagen wir, es hätte klappen können. Bis Sie alles verschlimmbesserten: zu feige für Entscheidungen. Deshalb kennt sich keiner mehr aus. Ein gutgeschriebener Text? Wem wird er denn gutgeschrieben? Gut gehende Geschäfte? Wohin gehen sie denn, die Geschäfte? Um das gut zu machen, haben Sie noch einiges gutzumachen.«
»Was schlagen Sie vor?«
»Schauen Sie: Ich kann gut schreiben und ich kann jemandem etwas gutschreiben. Ich kann mit einer Sache weitermachen oder meine Hose weiter machen. Das muss so bleiben, verfehlte Hoffnung hin oder her. Aber ein Text kann niemals gutgeschrieben werden, also machen Sie aus gut geschrieben keine Empfehlung, sondern die einzig gültige Schreibform. Anderes Beispiel: Ich kann die Gazpacho kalt stellen oder kaltstellen, den Gegenspieler kann ich jedoch nur kaltstellen. Was zwar auch passiert, wenn Sie ihn z. B. bei minus 18 Grad kalt stellen, in welchem Fall kalt stellen und kaltstellen eins wäre, aber das war wohl kaum der Grund für das Erlauben alternativer Schreibweisen. Wie, stellen Sie sich vor, soll die Rechtschreibreform jemals ernstgenommen werden, wenn sie sich vor Tausenden/tausenden Entscheidungen drückt?«
»Verzeihung, man schreibt ernst genommen ...«
»Lachen Sie beim Sex?«
»Wie bitte?«
»Sie verstehen mich schon. Wohl eher nicht, vermute ich. Ich zumindest habe erst gestern meine Frau sehr ernst genommen.«
»Also das geht jetzt wirklich zu weit! Das ist spitzfindig, vulgär und frauenverachtend / Frauen verachtend ...«
»Meinen Sie? Sie nehmen Ihre Frau also nicht ernst? Selbst wenn sie das möchte?« – »Wovon reden wir jetzt eigentlich? Ich gestehe, ich bin etwas verwirrt.«
»Dann haben wir mit diesem Gespräch ja zumindest eine Gemeinsamkeit zustande / zu Stande gebracht. Willkommen im Klub/Club!«
Helmuth Santler, Wien
Nur über meine Leiche – Ein Chat
AR: Hallo, Neue Rechtschreibung! Bist du da?
NR: Na sowas, die Alte Rechtschreibung! Dich gibt’s also immer noch?
AR: Totgesagte leben länger.
NR: Was liegt an?
AR: Wie bist du bloß auf die haarsträubende Idee gekommen, mich abschaffen zu wollen?
NR: Das hab ich dir doch schon beim letzten Chat gesagt: Um dich zu vereinfachen! Damit Schüler weniger Fehler beim Schreiben machen. Außerdem: Fortschritt muß sein!
AR: Nennst du das Fortschritt, »Schiffahrt« mit dreifachem »f« zu schreiben?
NR: Natürlich. Es ist eine logische Verbesserung.
AR: Es ist ein eklatanter Mangel an Sprachgefühl.
NR: Das Gefühl kann täuschen. Logik ist verlässlich.
AR: Kritikresistent bist du also auch! Unsensibel und widersprüchlich hätte doch schon gereicht.
NR: Wieso unsensibel und widersprüchlich?
AR: Weil es beispielsweise unsensibel ist, dem Wort »rauh« das »h« zu nehmen,
und widersprüchlich, dem Wort »roh« das »h« zu lassen.
NR: Es war mir klar, dass ich mit dir nicht fair diskutieren kann, du Ewiggestrige!
AR: Ich bin ziemlich fair, wenn man bedenkt, wie rauh und roh du mich verschlimmbessert hast. Übrigens ohne den geringsten Grund und gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung. Was hat dir eigentlich an mir nicht gefallen?
NR: Du bist zu schwierig. Und du bist zu alt.
AR: Und du bist nicht nur sinnlos, du bist auch arrogant! Am besten, du gehst wieder!
NR: Das würde dir so passen! Ich bin gekommen, um zu bleiben! Du bist doch nur beleidigt, weil ich dich abgeschafft habe. Wie lange willst du dich noch gegen den Fortschritt stemmen?
AR: Du bist kein Fortschritt. Du hast nur heillose Verwirrung gestiftet und dich letztlich als Versagerin erwiesen.
NR: Als Versagerin? Inwiefern?
AR: Du wolltest die Schriftsprache vereinfachen. Das war deine Existenzbegründung. Nun hat sich aber herausgestellt, daß Schüler fast doppelt so viele Fehler bei Diktaten und Aufsätzen machen, als es zu meiner Zeit der Fall war.
NR: Wer sagt das?
AR: Die neue Studie eines Bildungsforschers …
NR: ... der wohl einer deiner aussterbenden Fans ist.
AR: Zynisch bist du auch noch! Du bist wirklich ein buchstäblicher Mißstand!
NR: Ich ein Missstand? Übertreibst du da nicht maßlos?
AR: Nicht wirklich. Wenn ich dich sehe, wird mir blümerant.
NR: Dein Problem, du sture Nostalgikerin!
AR: Das Neue ist nicht immer das Bessere. Vielleicht werden die Menschen eines schönen Tages zu mir zurückkehren.
NR: Nur über meine Leiche!
AR: Damit kann ich leben.
Hans Kruppa, Bremen
Wi schreip ich dass den richtik? Oder: Lesen hilft
Als Rap vorzutragen
Was wird der Heftstapel in sich bergen:
Geschichten ›fon Risen unt fon Tswergen‹,
vielleicht auch über ›Krogodiele,
die sint ofd lang wie Besenschtile‹.
Ja, Kinder schreiben, was sie hören,
egal ob Regeln sich vermehren
oder ob sie abgeschafft –
zum Duden eine Lücke klafft.
Der Vollständigkeit halber sei auch gesagt:
Ein ›Bekagsö‹ einst den Beruf so angab.
Als Geselle flocht er Striezel per Hand,
im Rechtschreiben war er nicht so gewandt.
Rechtschreibreformen reichen nicht aus,
Bücher braucht es bei allen zu Haus.
Lesen nach einheitlichen Regeln wär toll,
dann lernt jeder, wie man schreiben soll.
Zuversichtlich fang ich den Heftstapel an,
mit Humor will ich lesen, dann komm ich voran.
Für morgen plan ich einen Bibliotheksbesuch,
jedes Kind vertieft sich in sein Lieblingsbuch!
Birgit Bydlinski, Mödling bei Wien
Pssst!
Eszett her! Eszett her! Eszett her!
Wollt ihr Schokolade?
Wir wollen unser scharfes ß wiederhaben!
Bloß kein Stress! Es gibt das ß doch noch!
Aber ihr bedrängt es geradezu unsittlich! Ihr geht dem ß an seinen schönen Hals und mißhandelt es so lange, bis es zu einem platten Doppel-s geworden ist. Ein Vergewaltigungsakt!
Um Gottes willen, nein! Wir folgen nur einer Regel, klar und einfach: Nach einem kurzen Vokal steht das ss und nach einem langen Vokal oder Diphthong das ß. Also schreibt man: du weißt, aber: ihr wisst. Völlig logisch!
Und schon habt ihr wieder ein ß umgebracht! Eure einfache Regel gilt nur mit Ausnahmen und Ausnahmen von Ausnahmen. Das ist nicht logisch, das ist verordnete Despotie.
Wir beschreiben doch nur, was ohnehin im Gebrauch ist.
Keineswegs! In eurem Herrscherwahn verdoppelt ihr nicht nur das s, ihr verdreifacht es sogar, wo immer möglich, z.B. bei Genusssucht, Missstimmung, Schlusssatz – alles nur, um das ß loszuwerden.
Diese Verdreifachung gab es doch schon immer!
Eben gerade nicht! Als das ß noch lebendig war, gab es solche Mißgeburten nicht. Man schrieb lesbar: Genußsucht, Schlußsatz usw.
Aber der Bindestrich ist ja auch erlaubt. Also: Genuss-Sucht.
Wie großzügig. Aber wo bleibt das ß? Klar ist, daß das »dass« das »daß« fast ausgerottet hat. Eure Rechtschreibreform ist eine organisierte Unterdrückungs- und Vernichtungsaktion von ss-lern gegen das ß!
Also das geht entschieden zu weit! Wir sind doch keine Nazis!
Sorry. Aber laßt wenigstens die Klassiker in Ruh! »Mein Vater, mein Vater, fast fasst er mich an!« – wie sieht das denn aus?
Falsch! Es muss heißen: jetzt; »jetzt fasst er mich an«.
Na gut. Aber wozu das ß sogar aus den Klassiker-Ausgaben streichen?
Die Regeln verlangen das. Sonst denken die Schüler, die Klassiker konnten nicht richtig schreiben.
Haltet ihr die Schüler für so blöd? Oder orientiert sich eure Rechtschreibung am niedrigsten Niveau? Ihr seid die Handlanger einer verfehlten Bildungspolitik! Und stiftet nur Verwirrung! Das »dass« verrät euch!
Wirklich? Seht´s doch mal locker: Das »dass« anstelle von »daß« ist nur unser Er-kennungs- und Markenzeichen, mehr nicht. Keiner braucht‘s, wenige machen es richtig, aber alle reden drüber. Das ist unser Triumph und ein Riesengeschäft: Alles muss neu gedruckt werden. Und morgen machen wir eine neue Rechtschreibreform. Aber pssst! Nicht weitersagen!
Wulf Segebrecht, Bamberg
Brief an einen Unreformierten
Uwe Meerwerth, Meerwerth Verlag Frankfurt, im März 1997
Dear John,
vielen Dank für deinen Brief. Nein, mein Respekt für dich hat nicht nachgelassen, nur weil ich dich nicht mehr in Großbuchstaben anrede.
deine Deine Bedenken angesichts der längst überfälligen Rechtschreibreform kann ich zerstreuen.
Lieber John, De deine Worte »ich bin mir nicht ganz sicher, daß diese etwas unhandlichen Regeln unter der Bevölkerung Anklang finden« verstehe ich als ein Stück englischer Ironie, das bei einem Gelage in einer eurer Teeecken aus einem Teeei geschlüpft ist. Natürlich werden diese Regeln Anklang finden! Schnell wird es allen Allen einleuchten, daß dass jetzt alles viel einfacher ist. Sicherlich haben manche Man ma einige Leute Anfangs anfangs Schwierigkeiten, aber man muss ja einfach nur der Logik folgen (das liegt uns nun ein Mal einmal im Blut), und man kann sich Wörter von ihren Verwandten herleiten. Wortfamilien bestimmen die Schreibung. Deshalb heißt es jetzt z.B. auch »überschwänglich«, denn es kommt von »Überschwang«. Nicht etwa von »schwingen«. Da kommt »Schwengel« her. Ein wenig nachdenken muss man schon.
Auch unsere Schwierigkeiten mit der Getrennt- und Zusammen schrei Zusammenschreibung sind jetzt vorbei. Es ist genau geregelt, wann etwas zusammengeschr zusammen geschrieben wird und wann nicht. Die Regel ist ganz einfach. Wörter werden getrennt geschrieben. Mit ein paar Ausnahmen. Hat man diese Regeln erst ein Mal einmal kennenge kennen gelernt, ist es viel leichter, sich in der Rechtschreibung zurechtzufin zu Recht zu nicht zu verlaufen.
Dein Gedanke, eine Rechtschreibreform müsse sich von unten her durchsetzen und nicht durch Paragrap Pharagraf Gesetze aufgesätzt aufgesetzt werden, ist vielleicht nicht zuende zu Ende gedacht. Exakte Bestimmungen sind gerade in der Ortho Ortografie Ortographie Ohr Rechtschreibung wichtig.
Vielleicht kann dich die neue Rechtschreibserie meines Verlages von deinen Zweifeln befreien, ich schicke dir ein Probeexemplar mit.
Ich hoffe, dir und deiner Familie geht es gut; bei mir steht alles zum bes Besten. Das Geschäft hat in den letzten Monaten einen enormen Aufschwung genommen. Obwohl in diesen schweren Zeiten andere Verlage Bankrott bankrott sind, ist die greuliche gräuliche Gefahr bankrott Bankrott zu gehen in weite Ferne gerückt.
Lieber John, solch eine Reform wäre auch eurer alt ehrwürdi alten Sprache dringend nahezulegen
nahe zu le zu empfehlen. In diesem Sinne und mit dem Rat: Catch up with us (Ketschup mit uns)
grüsst
grüßt herzlich
Dein dein De
Uwe
Christina Müller, Weimar
Reformdummheit
Dummheit im Verbund mit Macht
hat noch stets Verdruß gebracht.
Rüstet sie zur Schreibreform,
pfuscht und schadet sie enorm.
Weggesäbelt wird Bewährtes
und ersetzt durch Grundverkehrtes.
Nur weil sich was ändern muß,
endet mit SS der Kuß,
und das arme Känguru(h)
findet nirgends seine Ruh,
denn man hat – wie abgeschmackt! –
schnöd sein ‚h‘ ihm weggezwackt.
Umreformt wird permanent,
bis die Klarheit ausgetrieben.
Was wird groß, was klein geschrieben,
was zusammen, was getrennt?
Nichts ist mehr gewiß, und selten
weiß man, welche Regeln gelten.
Macht »seit Langem« (groß!) denn Sinn?
Substantiv steckt keines drin.
Gibt es für die Trennung »kleins-
te« ein Argument? Nein, keins.
Willkürnorm wird oktroyiert,
die das Sprachgefühl kastriert.
Das trifft mehr als nur die Schreibung:
Wörter starben, die wir kannten,
andre sind nur noch Varianten –
die Reform ist Sprachentleibung.
Auch wenn das nur Schaden bringt,
ist man stolz, daß es gelingt,
denn man fühlt sich ja so gern
mehr als andere modern.
Die Reformer, selbst-ernannt –
wohl bekannt? Nein, wohlbekannt –,
prahlen auf dem Trümmerhaufen:
»Ist doch wunderbar gelaufen.«
Manche Blattlaus wär halt bloß
gerne elefantengroß.
Gegen Dummheit wächst kein Kraut
außer: daß man ihr mißtraut
und, wenn sie der Staat diktiert,
nicht mit Schafsgeduld pariert.
Hans Krieger, München
ph
für glenn, der soeben lesen und schreiben lernt
in rom und warschau längst schon aufgegeben,
wird nun auch uns das ph ausgetrieben.
der delphin stirbt bald aus, wird umgeschrieben,
nicht mal der phönix darf wohl ewig leben.
seit kurzem sind der steno-, karto-, bio-
und geo- wie der markgraf von geblüte
und buhlen zag, doch edel im gemüte,
um anklang bei kalliope und klio.
sag, triumfiert der filosof bald spöttisch
– wie weiland schon bei wieland – übers ph?
ist efemer demnächst ein wort von dauer?
bereits sieht amenofis sich hundsföttisch
zum farao degradiert, pocht kühl auf reha:
sein ph-wert sei hin und er drum sauer.
Urs Schwarz, Winterthur
D. Drei Thesen eines Reformers
Rechtschreibreform fortsetzen!
Drei Thesen
Die Rechtschreibreform war richtig und notwendig.
Sie ist, auch wegen des öffentlichen und veröffentlichten Drucks, nicht gut gelungen.
Sie sollte, in breitem öffentlichen Diskurs, fortgesetzt werden.
Schon Konrad Duden hatte nach der Reformkonferenz 1901 erklärt, dass die Einheit der Rechtschreibung wichtig sei und die bestehenden Mängel in der Zukunft beseitigt würden. Stattdessen häuften sich fortan Absurditäten (Auto fahren vs. radfahren, Schiffahrt vs. Schifffracht) und nicht nachvollziehbare Regeln, so die Worttrennung am Zeilenende (Chir-urg, Heliko-pter), Nichttrennung des ›st‹, aber des ›sp‹, Groß- oder Kleinschreibung nach dem Doppelpunkt, Fremdwortschreibung, Kommasetzung bei erweiterten Infinitiv- und Partizipialsätzen. Vor allem die Großschreibung der nomina appellativa (Gattungsnamen) sowie der substantivierten Adjektive, Zahlwörter und Pronomen bereitete Generationen Probleme und führte zu schlechten Noten im Diktat und deshalb geringen Bildungschancen. Eine Reform war unverzichtbar.
Wir Reformer hatten die emotionale Bindung vieler Bürger unterschätzt. Schon Schiller wusste: »Was grau vor Alter ist, das ist ihm göttlich!« Viele Schreibende merkten erst durch die Reform, dass sie früher vieles falsch geschrieben hatten, von dem sie glaubten, dass es richtig war. Wir haben auch Fehler begangen, als wir die schweizer ›ss‹-Regelung nicht übernahmen und stattdessen am ›ß‹ festhielten. Obendrein versuchten wir Dinge festzuschreiben, die nicht eindeutig zu regeln sind. Das führte zu Unsicherheiten – ähnlich wie die im Kern richtige Variantenschreibung –, die die Menschen abschreckten. Es ist lächerlich und fadenscheinig, die schlechteren Rechtschreibleistungen heute der Reform in die Schuhe zu schieben: Massiver Medienkonsum, Smartphone und die Anerkennung eines »Deutsch light« durch Forschung und Lehre sind weit eher dafür verantwortlich.
Die Reform sollte, in einem breiten öffentlichen Diskurs, fortgesetzt werden: Eltern, Lehrer, Kinder, Journalisten, Schriftsteller und Wissenschaftler sollten mitwirken. Dazu gehört auch ein erneutes Nachdenken über Sinn und Zweck der Majuskelschreibung: Die deutsche Sprache ist die einzige auf der Welt, die Großbuchstaben für Gattungsnamen und Substantivierungen aufweist.
Prof. Dr. Lutz Götze, Herrsching am Ammersee
E. Verwirrung für Lehrende, Lesende und Schreibende
Auftakt – Attacke – Abgesang
»Schon Bismarck«, so warnte der reformbegeisterte Lehrer, der ich damals war, »hat sich blamiert, als er 1880 seine Beamten bei einer Schreibreform anwies, weiterhin Sopha statt Sofa und Unterthan statt Untertan zu schreiben!« Ich empörte mich über die Titelgraphik des SPIEGEL (Nr. 42/1996), auf dem »meine« Autoren gegen die neue Orthographie zu Felde zogen: Trommler Grass mit der Fahne vorweg, neben ihm der grimmige Walser, dahinter der schnurrige Kempowski, einstige Feinde wie Ernst Jünger reihen sich ein. Sie alle blasen ins Horn, reiten drauflos, ziehen vom Leder auf die Wegwarten des neuen Regelwerks – eine Reform, die meiner Meinung nach sinnvoll war, weil sie sowohl die Lernenden als auch Erwachsene von vielen Sonderregeln entlastete, also half. Die Dichter aber hielten es wie Luther, sie konnten angeblich nicht anders, sahen die geplante Neuregelung als Attacke auf das klassische Goethe-Deutsch, zu dem sie sich auch selbst zählten. Es ging hoch her, man schimpfte auf Murks und Sesselfurzer, Zwangsjacken und Schildbürgerstreiche: allesamt »rauhe« Begriffe, immer den alten Regeln entsprechend, die viele Autoren nun für ihre Werke verbindlich festlegten.
Die Zeitungen entschieden sich bald für eigene Hausorthographien, die Reformer reformierten, nahmen zurück, ließen Varianten zu. Bald wies man darauf hin, dass die Änderungen streng genommen nur für Schulen und Behörden gelten/gälten, allen anderen sei doch freigestellt, wie sie die Buchstaben und Zeichen setzten.
Was nun folgte, wurde mir zur Qual. Unter dem Deckmantel der Freizügigkeit zerfaserte die Reform, geriet zur Beliebigkeit. Welcher Schüler soll ernsthaft die Rechtschreibung erlernen, wenn er weiß, dass in der Gesellschaft eine fast grenzenlose Freiheit im Umgang mit dem Wort herrscht? Heute scheint es mir so, als habe diese Reform und ihre Implosion den Weg frei gemacht für Twitter und Facebook, für Stummelsätze mit kupierten Worten, für ein geistloses Morsealphabet: freiwilliger Verzicht auf jede sprachliche Ausdifferenzierung. Doch will der Lehrer, der ich einmal war, und der Literaturliebhaber, der ich bleibe, ein Zeichen der Hoffnung setzen: Grass letzte Lyrik, Walsers späte Romane, Kempowskis ausufernde Chronik (zwei schreiben »daß«, einer nun »dass«!) – in ihnen überlebt die Kraft der deutschen Sprache, ihre Schönheit und Vielfalt. Sie wird weiter Leser, Redner, Schreiber finden, weil der Mensch in allen seinen Gedanken, Gefühlen und Sinnen ein Mensch der Sprache ist.
Axel Kahrs, Lüchow (Wendland)
Jagd auf Rechtschreibfehler
Während meiner Schulzeit hatte ich in Deutsch stets ein »sehr gut«. Daher bildete ich mir auch ein, die deutsche Sprache zu beherrschen. Seit meinem zehnten Lebensjahr schreibe ich bereits Gedichte und Erzählungen, und seit geraumer Zeit tue ich das auch für Verlage. Die Lektoren sind stets zufrieden mit meinen Werken, da sie kaum etwas ändern müssen. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat, meinem Partner mein gerade fertiggestelltes Gedicht zur Überprüfung der Rechtschreibung vorzulegen. Er ist ein Perfektionist in Sachen Rechtschreibung und Grammatik, währenddessen mir der Inhalt und der Ausdruck wichtiger sind. Schließlich habe ich einen Lektor. Aber der Reihe nach.
Geschafft, endlich war ich mit meinem Gedicht fertig. Meine Testleser auf Facebook waren hochzufrieden und niemand hatte etwas zu bemängeln. Einhundertvierzig »Gefällt mir« in einer halben Stunde konnten nicht lügen. Ich war hocherfreut. Da klingelte mein Telefon. »Hallo Schatz, du hast das Gedicht doch noch nicht an den Verlag geschickt oder?«, tönte es mir entgegen. »Nein, warum?« »Es sind Rechtschreibfehler drin.« »Das kann nicht sein.« »Doch. Nach der neuen Rechtschreibung musst du »dasein« auseinanderschreiben.« »Ich schreibe nach der alten Rechtschreibung.« Davon ungerührt fuhr er fort: »Einen weiteren Fehler hast du bei »aufs neue«. Das musst du ändern.« So ging es munter weiter. Ich kam mir wie ein Schüler in der 1. Klasse vor, der gerade erst das Schreiben lernt. Keines meiner Argumente wurde gehört, so dass ich schließlich entnervt ausrief: »Halt, ich sende das Gedicht jetzt an zwei Lektoren zur sofortigen Überprüfung. Dann werden wir weitersehen. Bis dahin will ich nichts mehr hören.« Ich war den Tränen nah und wollte das Gedicht nicht mehr einreichen. Mein Werk war zerstört und ich am Boden. Das Gedicht wurde eingereicht. Rasch kamen die Antworten. Ich war verblüfft. Auch bei den Lektoren gab es keine Übereinstimmung. Und nun? Ich konfrontierte sie mit ihren Ergebnissen, aber beide beharrten auf ihrer Meinung. Letztendlich entschied ich mich dafür, das Gedicht an den Verlag zu senden und der Meinung der dortigen Lektorin zu vertrauen. Monate später bekam ich die Korrekturfahne und siehe da, ich hatte wieder eine andere Version vor mir.
Einige Zeit später fragt mich mein Partner: »Bist du böse auf mich?« Ich sehe ihn an und erwidere lachend: »Eigentlich nicht, denn ganz offenbar kann heute jeder schreiben, wie er will. Reine Ansichtssache.«
Birgit Wichmann, Wien
Rechtschreibregeln: recht oder richtig?
Dass es irgendwann Standard-Lösungen gibt, nachdem sich viele Änderungen im Lauf der Zeit ohnehin eingeschlichen haben, kann mir nur recht sein. Aber richtig schreiben können wir jetzt wohl alle nicht mehr so recht.
Dazu hat es zu lang gedauert, zu viele Proteste, Kompromisse, Nachänderungen oder -besserungen gegeben. Nur noch Spezialisten kennen sich wirklich aus. Und vermutlich kommt auch denen nicht alles logisch vor. Wohl(-)gemerkt: Einfacher und logischer sollte sie ja werden, die deutsche Rechtschreibung. Einsichten und Absichten, die weiland schon für die Orthographischen Konferenzen in Berlin galten – 1876 und 1901. Ein Jahrhundert danach gingen zehn Jahre ins Land, bis das neue Regelwerk vorlag und verpflichtend eingeführt werden sollte: 1.7.1996. Denk(s)-ste: Anti-Kampagnen, Debatten, Stürme der Entrüstung, als ob es um den Bestand der Nation ginge! Puristen, Autoren, Verleger gegen Reformer, weil die Entrümpelung den einen zu weit, den anderen nicht weit genug ging. Und alle, Gegner wie Befürworter, fanden jede Menge Anhaltspunkte, die ihnen jeweils Recht gaben (rechtgaben). Die Medien mischten eifrig mit und spielten alle Möglichkeiten durch, vom Boykott über selbständig (selbstständig) erstellte Varianten bis zur beflissenen Übernahme oder genervten Anpassung mit späterer Rückkehr zur lieb gewordenen (liebgewordenen) Tradition bzw. »Hausorthographie«. Chaos? Aber sicher! Schade um Zeit und Geld, auch angesichts der Neudrucke von Wörterbüchern und Lehrmaterialien.
Nach weiteren zehn Jahren der Kompromiss(s/-S)uche, diesmal von Seiten der Kultusminister, die vor nochmal(?) zehn Jahren verbindlich wurden – nicht für alle, nur »für Beamte, Richter, Soldaten, Studenten und Schüler« (Neuerungen der deutschen Rechtschreibreform, ab August 2006 gültige Fassung) – haben wir es also mit einer weitgehend unverbindlichen Empfehlung zu tun. Einsichtiger ist sie deshalb nicht geworden, die deutsche Rechtschreibung: Keine Regel kommt ohne Ausnahmen aus (Fotografie/Philosoph/gar Sinfonie?). Wer der schreibenden Zunft angehört wie ich, verlässt sich einfach auf das Korrekturprogramm im Rechner, das Abweichungen anzeigt. Abgesehen davon ist die Verwirrung größer als zuvor. Wer kann auf Anhieb sagen, was richtig(er) ist: Recht haben oder rechthaben? Oder bedeutet das vielleicht jeweils etwas Anderes (anderes)? Ob wir ohne (W-)weiteres Tests bestehen, die uns orthograph(f)isch aufs Glatteis führen wollen? Wer da nicht anfängt zu zweifeln, bitte vortreten!
Edith Moroder, Bozen
Anything goes?
Im letzten Schuljahr bereitete ich eine Klasse des Goethe-Instituts Rom auf die C2-Prüfung vor, die schwerste Prüfung im Bereich Deutsch-als-Fremdsprache. Eine meiner besten Schülerinnen, die ein wunderbares, leicht österreichisch angehauchtes Deutsch spricht, war verzweifelt: Sie könne überhaupt nicht mehr schreiben! Das war gar nicht wahr, sie konnte perfekt schreiben. Sie hatte an der deutschen Schule in Rom Abitur gemacht, aber noch vor der Rechtschreibreform. Daher meinte sie, jetzt sei alles ganz anders, sie wüsste z.B. nie, wann man scharfes S schreibe und wann nicht. Das war schnell erklärt: Nach kurzem Vokal schreibt man doppeltes S, nach langem Vokal scharfes S!
Auf dieser Stufe hat eine solche Erklärung einen Sinn, meine Schülerin war sehr wohl in der Lage, zwischen einem kurzem und einem langem Vokal zu unterscheiden, sie konnte ja perfekt Deutsch, hatte sich ihr Leben lang mit dieser Sprache beschäftigt, Sommerferien in Österreich oder Deutschland, Freunde, Bücher. Eine absolute Könnerin.
Was aber, wenn man Anfänger unterrichtet? Da wird die Regel mit dem kurzen oder langen Vokal auf einmal fragwürdig. Die Länge der Vokale ist im Italienischen nämlich nicht dafür verantwortlich, Bedeutungen zu differenzieren wie im Deutschen, zum Beispiel zwischen »wann« und »Wahn« oder »Fis« und »fies«. Deswegen fällt es den Italienern schwer, zwischen kurzen und langen Vokalen zu unterscheiden, erst recht im Deutschen.
Noch schwierigere Dinge, wie die Getrennt- oder Zusammenschreibung oder die Groß- und Kleinschreibung in ihren verschiedenen Varianten im Lauf der Zeit (quer durch die Reform und die Reform der Reform), kann man Ausländern gar nicht vermitteln. Man muss im Ausland nämlich oft mit älteren Texten vorliebnehmen, die nicht nach der neuesten Rechtschreibregelung gedruckt sind. Mit dem Ergebnis, dass sich die Schüler über die vielen unterschiedlichen Formen wundern und der Lehrer seine liebe Not hat, diese zu erklären …
So bleibt eigentlich nur eine Lösung, nämlich die Schüler im Ausland zu beruhigen und ihnen zu sagen, dass jetzt postmoderne Zeiten angebrochen sind, auch in Deutschland, dass es für viele Wörter nicht mehr nur eine Schreibweise gibt, sondern mehrere. Anything goes! Auch die Deutschen wüssten oft nicht, wie sie schreiben sollten. Und was die Deutschen nicht können, das brauchen Ausländer erst recht nicht zu können!
Susanne Lippert, Rom
Rechtschreibreform für Scrabble-Spieler
Seit der Rechtschreibreform bin ich eine gewissenlose Schreiberin. Beim Scrabble-Spielen hilft das ungemein. Steht mir gerade kein ›P‹ und kein ›H‹ zur Verfügung, behaupte ich fröhlich, dass man statt »Phallus« auch »Fallus« schreiben kann. Dank der neuen Rechtschreibung.
Gerne würde ich auch mit dem Wort »Sääle« Punkte kassieren. Warum sollte man das nicht tun, wo es doch in der Einzahl »Saal« heißt. Im Finnischen ginge das. Da gibt es Doppelvokale wohin man blickt. »Muuttaa« – das heißt nicht, wie man glauben könnte, Mutter, sondern Schlamm. Schlammiger als mit zwei ›U‹ und zwei ›A‹ kann man Schlamm gar nicht schreiben. Die rumänische Sprache kennt Worte, in denen sogar drei ›i‹ hintereinander stehen, wie in »copiii«, was »die Kinder« bedeutet. Eine erfreulich heitere, kindliche Triniiität.
Säääle, mit drei ›Ä‹ geschrieben, eröffnet biblische Dimensionen: »Du stellst meine Füße auf weiten Raum«, übersetzte Martin Luther Psalm 31,9. Heute würde er wohl schreiben: »Du stellst meine Füße in Säääle«. Trotz der Vermehrung der ›Ä‹ hätte er Lettern gespart und den Raum noch erweitert. Das würde zur europäischen Integration, zur Verständigung ganz unterschiedlicher Sprachvölker beitragen. Leider gibt es pro Scrabble-Spiel nur ein ›Ä‹ im Angebot.
Wenig sexy ist hingegen die Flussschifffahrt. ›S‹ bringt pro Stück nur einen Punkt und dreipunktige ›F‹ gibt es nicht genug.
So werde ich auch hinfort völlig gewissenlos die rechtschreibreformmäßige Unwissenheit der Mitspielenden nützen und meine Siege einfahren.
Grenzen setzt hier nur das Spiel mit seinem beschränkten Angebot an Buchstaben.
Christine Hubka, Wien
Von Missständen und Mißständen
Die Einheitlichkeit der Sprache ist wichtig, da es sonst zu Missverständnissen kommen kann, die selbst Miss Versteht missversteht. Um diese Missstände oder Mißstände aufzuklären, muss man sie aber erst einmal sichtbar machen:
Beispielsweise weiß man oft nicht, ob man auf einer Schiffahrt oder einer Schifffahrt nun fantastische Fotos von Delfinen fotografieren oder phantastische Photos von Delphinen photographieren soll.
Daß das schwierig ist, kann man sich denken. Und auch, daß das daß schwierig ist, kann man sich denken, denn es ist offenbar noch nicht allen bewusst, daß das dass das daß abgelöst hat, sodass das daß nun das dass ist.
Und auch, dass die sehr seeerfahrenen Seeelefanten bei der Schwimmmeisterschaft ohne Sauerstoffflasche im Schritttempo durch die Flusssenken und Seeengen wettturnen, war bisher nicht allen klar.
Dennoch wird dennoch noch nicht dennnoch geschrieben, denn noch wird dennoch noch dennoch geschrieben.
Ja, heute schreibt man anders als gestern und Häute schreibt man anders als heute. Vorgestern war vor gestern und heute ist nicht morgen, selbst wenn es heute Morgen ist, wo die letzten Reste der rauen Rauhnächte reif zum Raureifregen sind. Und heute bleibt heute, auch wenn ich die Beute heute häute. Und wenn ich die Beute heute auf Bäumen häute, sieht man die Beute sich auf Bäumen aufbäumen.
Da kann man nun mal das Ausbleiben von Missverständnissen weder gewährleisten noch Gewähr leisten, selbst wenn man sich ein Gewehr leisten kann. Es ist genauso schwer, wie beim Maßhalten Maß zu halten, denn wenn man erst einmal ein Maß hält, hält man schnell das zweite Maß und das dritte, bis man sie nicht mehr zusammenrechnen kann.
Denn auch das Rechnen wird erschwert. Denn zwei mal drei ist nicht zweimal drei oder Zwei mal Drei oder 2 x 3, sondern 6. Und einmal Sex ist nicht 1 mal 6. Und das erste Mal ist nicht das Erste Mal und das letzte Mal ist nicht das letzte Mahl. Von Mal zu Mal zu Mahl zu Mahl bleiben aber sogar mit einheitlicher Rechtschreibung manche Dinge unklar. Etwa wenn der Fußballer mit seinen Stollen in einen Stollen geht, um dort einen Stollen zu essen.
Und darum möchte ich Euch oder euch, den Rechtschreibreformatoren, dafür Dank sagen oder danksagen, dass oder daß ihr oder Ihr so gut auf die Sprache Acht gebt oder achtgebt und klarstellt oder klar stellt, wann die Leute recht schreiben, rechtschreiben oder Recht schreiben.
Ich verbleibe bis auf weiteres oder bis auf Weiteres in Hochachtung
Euer oder euer
Elias
Elias Hirschl, Wien