Die Rechtschreibreform von 1996 hat eine lange Vorgeschichte, die in zahlreichen Aufsätzen und Büchern beschrieben ist; besonders instruktiv ist die Geschichte der deutschen Orthographie (bis 2001) von Michael Schneider. Hier sollen in den nächsten Tagen und Wochen (diese Webseite wurde erst am 25. Juni eröffnet) einige Dokumente zusammengestellt werden, die in dem durchaus lesenswerten Wikipedia-Artikel „Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996“ nicht zu finden sind. Beginnen wir mit dem Flugblatt „Stoppt die überflüssige, aber milliardenteure Rechtschreibreform!“, das wir Anfang Oktober 1996 auf der Frankfurter Buchmesse verteilt haben. Welche der 10 Argumente haben sich seither bewahrheitet, welche nicht?

Aus dieser Flugblatt-Aktion ergab sich dann die von mehr als 450 Persönlichkeiten unterzeichnete Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform, die am 19. Oktober 1996 als ganzseitige Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde. Schon am 14. Oktober hatte DER SPIEGEL seine Titelgeschichte dem „Schwachsinn Rechtschreibreform“ gewidmet: „Rettet die deutsche Sprache!  Der Aufstand der Dichter“. Auf dem Titelbild waren Günter Grass, Martin Walser, Siegfried Lenz, Walter Kempowski und Hans Magnus Enzensberger, die mit vielen anderen Autorinnen und Autoren die Frankfurter Erklärung unterzeichnet hatten, als Revolutionäre abgebildet.

Auf die Frankfurter Erklärung antwortete die Kultusministerkonferenz am 25. Oktober mit einer Dresdner Erklärung zur Neuregelung der Rechtschreibung. Der Protest der Autoren wurde darin folgendermaßen beantwortet: „Die literarische Produktion ist durch die Neuregelung der Rechtschreibung nicht betroffen. Künstler können auch in Zukunft wie bisher selbstverständlich frei mit der Sprache umgehen und sie im Zuge ihres literarischen Schreibens individuell gebrauchen. Sie brauchen sich dabei um Orthographieregeln wie bisher nicht zu kümmern.“

Am 9. November folgte die 2. Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform mit einer Antwort an die Kultusminister. Beide Frankfurter Erklärungen wurden zusammen von fast 50.000 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet, und die Unterschriften wurden per Post (nicht per Mail) nach Weilheim geschickt. 

Und am 30. November riefen Friedrich Denk, Thomas Jaworek, Thomas Rücker und Thomas Schröer mit einer ganzseitigen Münchner Erklärung zur Rechtschreibreform im Münchner Merkur und in der Süddeutschen Zeitung von Weilheim i.OB aus zu einem Volksbegehren in Bayern auf. In kurzer Zeit kamen fast 50.000 Unterschriften zusammen, also fast doppelt so viele wie nötig, um ein Volksbegehren durchführen zu können, das zu einem Volksentscheid führen kann.

Da die Bedingungen für Volksinitiativen in anderen Bundesländern jedoch günstiger waren und sind, begannen Gabriele Ruta und Carsten Ahrens im November 1996 in Niedersachsen und Matthias Dräger im Dezember 1996 in Schleswig-Holstein Unterschriften zu sammeln, alle drei nahezu ohne Unterstützung von Parteien oder Verbänden, aus Verantwortung für unsere Sprache und ihre Vermittlung in den Schulen. Ähnliche Unterschriftensammlungen wurden dann auch in Berlin und Bremen gestartet. In Niedersachsen wurden bis Mai 1998 mehr als 500.000 Unterschriften gesammelt, 570.000 hätten es sein müssen. In Schleswig-Holstein gelang die Aktion, und beim Volksentscheid am 27. September 1998 stimmte eine deutliche Mehrheit von 56,4 % für die Rücknahme der Rechtschreibreform in den Schulen und für folgenden neuen Passus im §4, Abs. 10 des schleswig-holsteinischen Schulgesetzes: „In den Schulen wird die allgemein übliche Rechtschreibung unterrichtet. Als allgemein üblich gilt die Rechtschreibung, wie sie in der Bevölkerung seit langem anerkannt ist und in der Mehrzahl der lieferbaren Bücher verwendet wird.“ Nicht einmal ein Jahr später, am 17. September 1999, kassierte der Schleswig-Holsteinische Landtag einstimmig das Ergebnis des Volksentscheids, was in den Zeitungen, die am 1. August 1999 fast alle die Rechtschreibreform akzeptiert hatten, kaum kommentiert wurde.    (Fortsetzung folgt)