Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unserem Schreibwettbewerb! Liebe Besucherinnen und Besucher unserer Webseite!
Hier, alphabetisch geordnet, die mehr als 250 Beiträge zu unserem Schreibwettbewerb zur Rechtschreibreform – mit herzlichem Dank an alle, die sich beteiligt haben! Für alle gilt, was Elfriede Jelinek speziell für die 30 Autorinnen und Autoren geschrieben hat, deren Texte sie und die anderen Mitglieder der Hauptjury gelesen haben, und was Gerhard Ruiss bei der Preisverleihung am 20. Oktober im Lesezelt der Frankfurter Buchmesse vorgelesen hat: „Ich habe Ihre Texte sehr gerne gelesen, ich hatte wirklich große Freude an ihnen! Sie meinen es alle ernst, das finde ich sehr wichtig, man spürt das auch."
Ob wohl die heutigen Kultusminister, deren Vorgänger für die heutige Schreibverwirrung mitverantwortlich waren, von Ihren Beiträgen Kenntnis nehmen werden? Vielleicht. Und vielleicht können Ihre Texte so oder so ein wenig dazu beitragen, die Wiedergewinnung der seit 1996 verlorenen einheitlichen Rechtschreibung zu fördern? Dann hätte sich Ihre und unsere Mühe gelohnt.
St. Goar, am 28. Oktober 2016
Der Arbeitskreis Lesen und Rechtschreiben heute: Friedrich Denk, Matthias Dräger, Walter Lachenmann, Gabriele Ahrens, Dr. Sylvia Brockstieger, Hannah Greven, Peter Kerpen, Josef Kraus und Anna Weininger
Afforismus
Rechtschreibreform?
Hol's der QQck!
Manfred Ach, D 80807 München
Krav-Vieh im Ort Okra
Aus all den alten gewonnenen Gewohnheiten glaubt man, Frau und Mann und klauben mahnende Alte alte gehwonnige Gewohnheiten für Welt und All. Eine davon, da bar jedes Phons unhörbar selbst für führende Petzen an der paarigen Teerbar bei 5 Bar Überdruck im mit Barren bar bezahlten Über-Truck, sich nicht mit, egal ob Miet, Kauf oder Leasing oder als im Kaff angegaffte Sing-Otter "Lee" mitten in Wien-Liesing, nackten Tatsachen zufrieden zu geben. Drainiert trainiert von lockend Theologischem, den wie Rauschenten weiss rauschenden heidnischen Weisheiten von Theos Sch-Sch-Lok und Deo, den ins heitere Weltweite bis ins Meer und zu geeggten Äckern und abgeweideten Weiden grassierenden familiären Mehrecken samt krassen Schimären, Ski-Mären und grasenden Ackermähren, den gesetzten leeren Lehrsätzen der meterfiesigen Metaphysik, dem mit Netzwerg abgedichteten elektronischen Netzwerk voll elegischer Drohnen und Net-Zwergen im Nestwerk, dem souveränen Tausch im Dau "Sch" von gellend geltend Geld in wahre Waren und dünnste Dienste aller Aale Dunst-Art, gelt, ist die Erscheinung keine tiersche Einung, nur mehr Äsen, Essen und Anlass, wie ein Fes-Tick verfestigt in D-Dur, Struk-Dur und Zonen zur, per surrendem Söhnlein und anderen Sonnen, gezurrten eingesurten persönlichen Fest-Struktur. Zusammen mit dem wie ein zahmes Geck-Omen zu Samen gekommenen Gag namens dauernd nehmender Wirtschaftskrise, in der kein Wirt mehr Gries schafft, wird der Griss um die wirre Paranoia beim krossen Großwirt in der Bar "A" neuer und besser. Alles ist Indiz für anderes, alle essen und messen mit Messer und Ahle Indizien, die auf Wegen ahnend weg führen. Drüben in den trüben Suppen fischen nur Fieschen und Populisten mit Truppen und Tank und schreien bei jedem Fang eines Wahlwals Petri oder sonstjemandens Jammerotter Heil zum Dank. So gestimmt ist es trotz gestischem Hoffnungs-Los und stimmigem Gehens hoffnungslos, undepperte Debatten über Orthographie, Kra-Vieh und Tee-Paten zu erwarten. Viele Arten zu warten, auch Filet. Die Einen, die genannten und nennenden Eier, fürchten die Furchen des fahlen zerrenden Zerfalls sehr, die auf und um die und von den Anden rennenden Anderen
Georg Aichinger, A 6020 Innsbruck
Fünf Buchstaben
Mit oder ohne Rechtschreibreform,
sind es diese fünf Buchstaben:
L I E B E,
die die Welt bedeuten.
Mit oder ohne Rechtschreibreform,
diese fünf Buchstaben bringen den
Aufstieg und Fall.
Mit oder ohne Rechtschreibreform,
diese fünf Buchstaben sind die Erfüllung
für Jedermann.
Die Rechtschreibreform kann nichts daran ändern,
ich liebe hemmungslos und ohne Schranken,
bin gefangen in meinen Gedanken,
Sklave meiner Leidenschaft,
wie lange habe ich die Kraft,
auf dem Seil zu balancieren,
gewinne ich dich, werde ich verlieren?
Doch eines möchte ich dir sagen,
du bist mein Licht an dunklen Tagen,
und erreiche ich dich auch nicht,
so bleibt mir doch, ich liebe dich.
Susanne Ulrike Maria Albrecht, D 66482 Zweibrücken
Die Rechtschreibreform - ein Riesengeschäft
Die Rechtschreibreform wurde gerade 20 Jahre alt, und keiner weiß mehr so richtig, wie alles begann. Die wahren Ereignisse zu enthüllen, davon handelt diese kleine Geschichte.
Wir schreiben die Neunziger-Jahre. Die Wiedervereinigung war eine Weile her, aus blühenden Landschaften wurden verwaiste Plattenbauten. Die Konjunktur schwächelte, die Bürger stöhnten unter der Steuerlast, und welche Sorgen hatten die Kultusminister? Eine Rechtschreibreform!
Dahinter steckte leider nicht das Ziel, die Sprache zu vereinfachen. Dahinter steckte die Industrie. Mehr Buchstaben mussten her! Mehr Buchstaben bedeuteten mehr Papier, mehr Tinte, mehr Geschäft. Ein Sonderkonjunkturprogramm getarnt hinter einem Bildungsauftrag. Das Motto lautete: alles muss einfacher werden aber gleichzeitig länger dauern!
Der Fetttropfen blieb, dazu kamen Schifffahrt, Kaffeeernte, schnelllebig, aber auch muss, nass, ein bisschen. Hauptsache es wurde länger geschrieben. Und wenn schon kein zusätzlicher Buchstabe, dann wenigstens eine Leerstelle: Rad fahren, Schlange stehen, kennen lernen oder spazieren gehen.
Aber nicht nur die erwarteten Branchen wie Druckereigewerbe drängten. Der Deutsche Verband der Manikürfachbetriebe gehörte plötzlich zu den vehementesten Unterstützern. Wer das Zehnfingersystem beherrschte, so deren Argumentation, brauchte schließlich mehr Anschläge und früher wieder einer Maniküre.
Es kam wie es kommen musste. Die Rechtschreibreform wurde beschlossen, das Timing war auch ideal. Euphorisiert von Oliver Bierhoffs Golden Goal am Vortag war den Leuten am 1. Juli 1996 vorerst alles egal.
Ob es langfristig weiter so geschrieben wird, bleibt offen. Die heutige Jugend revoltiert bereits. Wer eine Nachricht von seinen Kindern via Smartphone bekommt, weiß, dass sie jedes wort nur mehr klein schreiben wollen und am liebsten ohne satzzeichen und am liebsten in einem fort. liebe rechtschreibreform dein ende naht
Peter Arch, D 85630 Grasbrunn
Sprachen, Digitalisierung und Plurizentrik
Eine Sprache zu vereinheitlichen, machte relativen Sinn in Zeiten einer analogen Technik. Aber schon die Rechtschreibreform der deutschen Sprachen (Konzepte: Bodmer/ Breitinger, Pawlow, Gottsched) scheiterte im 18. Jahrhundert an der Realität der Sprachen der Theater (z.B. Nestroy, Qualtinger, Soyfer), der Verwaltung, der Gerichte. Bewusst wurde dies insbesondere anlässlich des EU-Beitritts von Österreich 1995, als zum Beispiel durch die Rechtspraxis (die Eindeutigkeit verlangt) notwendig wurde, im Falle hunderter Wörter deutsch-deutsche Übersetzungen zu finden.
Aber auch in der täglichen Praxis der Verlage spiegelte sich nicht erst seit 1901 die Differenz wieder. Und dies nicht nur im Falle von AutorInnen, die sich ihrer Sprache bewusst waren. Auch der deutschnationale Autor Franz Nabl, heute noch Namensgeber des Steierischen Literaturarchivs, Mitglied zudem der NSDAP wurde Jahrzehnte von deutschen Verlagen wegen seiner österreichischen Ausdrucksweise, seines österreichischen Stils kritisiert. Ein umfangreicher Briefwechsel im Franz-Nabl-Archiv belegt das.
Es dauerte lange, bis Duden die Plurizentrik der deutschen Sprachen akzeptierte und die Differenz auch auswies. Und schon diese Andeutungen zeigen, dass eine Forderung nach Vereinheitlichung immer eine Forderung nach Unterdrückung ist.
Weiters haben die unterschiedlichen Schreibweisen ihre Ursachen in verschiedenen Weltanschauungen (z.B. Groß- und Kleinschreibung nach religiösen oder ideologischen Motiven), in der Vielfalt der Sprachen, die die deutsche Sprache geprägt haben (schon das Wörterbuch der Gebrüder Grimm, die wegen Deutschnationalismus eingesperrt waren, belegt dies) - und das nicht nur von den Wörtern her, sondern auch von der Grammatik.
Neuerdings kommt die Digitalisierung als prägende Kommunikationsgrundlage hinzu, die keiner Vereinheitlichung mehr bedarf, sondern in allen Bereichen Offenheit geschaffen hat. An die Stelle der Schlagwörter sind die offenen Suchsysteme getreten, die aber ebenso wie die sprachmaschinellen Übersetzungen dann ihre Grenzen finden, wenn es zum Beispiel um die Identität der Nicht-Identität geht. Es würde aber den Prinzipien der Künste, der Wissenschaften, der Wissenserarbeitung prinzipiell widersprechen, durch Regeln etwas eindeutig festzulegen, das eindeutig nicht festgelegt werden kann. Vielmehr wird es darum gehen, zum Beispiel die Erkenntnisse aus der Quantenmechanik zu berücksichtigen, die Grenzen von 0 und 1 - und damit aller Regeln - aufzeigen.
Herbert Arlt, A 1110 Wien
Möbel von Tannen Holz - oder: zusammen schreiben
Hallo Tage Buch! Wurde heute zur Miss Stand am Gemüsemarkt gewählt. Der Stunden Lohn wird steigen wie der Neid. Schwierig, vor allem nach dem Fertigstellungskrieg um die Morgenfrühkartoffeln: Kollegin Miss Trauisch und ich mussten unsere Haare raufen lassen. Markt Direktor Wes Kurz dachte, es läge an ihm: Alles wegen Wes! Ich ging heim, weg. Packte noch Obst Salat in meinen Brustkorb.
Bin verliebt. Wes ist meines Herzens Angelegenheit. Abend Rot Wein: Ich schreibe ihm eine Kurz-Nachricht: Ohne Grund Gebühr? Es geht um meinen Stand. Er bleibt antwortschuldig. Schock. Schwerenot. Oh, sein Kuss Mund. Zusammen bleiben. Getrenntsein.
Die Heim-Suchung hat dann begonnen. Meine früh zeitliche Demenz macht es zur Schwerst-Aufgabe, nach Hause zu finden. Hause ist eine Groß-Stadt. Aber es gibt auch Kinder. Ich rufe Mutter Tier an. Sie lotst mich zu meiner Adresse: Fam. Nutz-Tier, Schlachthausgasse 13. Seit der Scheidung von Lutz Nutz bin ich nur noch Tier allein. Ich trenne dementsprechend neu: dement sprechend.
Daheim ist es heiß. Nehme den Unter-Gang. Kühles Erd-Geschoss: Kanonenspatzen liegen leblos da. Ich baue eine Zusammenhängebrücke: Jemand ist Hass. Erfüllt auch, jetzt. Miss Trauisch wahrscheinlich! Ich gehe aufwärts. Ihr drohend: Anzeigen, Flut.
Oben liegt der Hand Zettel von der „ungarischen Kleinmaschinenbrigade“. Über-Schrift: „Haus sammeln“. Arm. Mut. Armut. Vor verschlossenen Türen: Sperr-Müll. Sie suchen „Möbel von Tannen Holz“. Bitte her richten. Sie würden holen kommen. Auch Bilder Rahmen. Ich bin berührt. Mit Leid. Ob Mafia- oder Hugo Boss: Grenzen los. Meine Hilfe Stellung: hole Altes: Kaffee Maschine. Kuchen Form. Säge Blatt. Kinder Spielzeug. Habe noch Schreckens Bilder. Signiert vom Maler Fürsten von Schrecken. Ton Träger, alles nach draußen gebracht. Ich mache Abend Brot. Mit Gefühl. Herz Spende. Tränen Sack zu. Falls sie die brauchen: Schreibe ihnen ihre Liste neu. Fehler frei. Zusammen gebracht.
Jetzt noch: Regen Tanz. Feier Abend. Flug Stunde. Gedanken Zug.
Um den Bauch des Jahres Ringe. Denke: Hula-Hoop, mit Reifen „von Tannen Holz“.
Nur einen Flügel haben. Darauf ein Lied spielen. Ihn weiter geben. Klavier vor der Tür. Vordertür. Ja! Auf, machen! Kinder Wunsch Zettel. „Haus sammeln“ …
Gute Nacht Tage Buch! Morgen Früh werde ich dich zusammenschreiben. Deine Norma, ehemals Nutz-Tier, vergesslich, denk-würdig, aus Öster Reich, mit Leerzeichen.
Miriam H. Auer (* 1983), A 9601 Arnoldstein
Mein deutsch verlorenes Interesse
Sehr geehrte zu Hörende,
ich bin in die deutsche Sprache eingewandert, kurz, bevor die reformierte Schreibung Recht und pflichtig wurde. Plötzlich war die Sprache neu zugesetzt mit möglichen Vielheiten und meine mühsam gemerkte Korrektschrift vorzeitig gealtert.
Mein sprechendes Lernen hatte es immer auf der leichteren Schulter gehabt als das fest Geschriebene. Aber jetzt rutschten von beiden Schultern die Buchstäbe in ein Gemisch aus alt und neu geschriebenem Recht. ich war in einem durch ein anderen Zustand. Zuvor einander eng verbundene Wörter sollten sich plötzlich von einander trennen.
Seit meinem geflüchteten zurück Verlassen wichtiger Menschen formiert zu viel Getrenntes meine Angst. Gerade die deutsch besondere Zusammensetzung von Wörtern war von mir besonders vorgeliebt. Keine von mir aus sonst gesprochene Sprache hat sich vorbei an allen getraut, so vieles zusammenzubinden: DonaudampfschiffahrtsgeselIschaft. Und jetzt sollten meine bewunderten Langwörter auseinander gerückt vereinzeln. So wie ich in der isolierten Haft, der ich vor meiner Hierherflucht ausgesetzt war.
Das Deutsch, das ich als Sprachziel angekreuzt auf mich genommen und in vielen Langnächten aus und wendig gelernt hatte, konnte von einem zum anderen Moment nicht Mehr weiter. groß- und Kleinworte haben sich vertauscht in meinem Kopf, der Alle regeln verloren hat. Ich konnte meine und die deutsche Mitvergangenheit nicht mehr aus einander halten. Es folgte eine retraumatische Schwere, die ich schließlich bewältigt habe mit der Änderung meines deutsch gelemten Interesses in andere Richtungssprachen. Eine schwere End Scheidung, das können Sie mir glauben. Adieu also hieß es, Adieu, Hass geliebte Deutschsprache.
Nur manchmal noch blitzt heute, Jahre später, eine deutsches Recht geschriebene Frage durch mein Denken. Aber ob ein oder zwei oder drei foder t hintereinander weg im Schritttempo angestellt sind für meine einst geliebte Donaudampfschifffahrt, macht mich nicht mehr Sorgen voll. Oder eingewanderte Testfragen, mit denen Deutsch sich trennt, von wem es mehr will als jemand kann. Das sind nicht mehr oder weniger meine Probleme.
PS: Wenn eines Tages aber SIE dern ER verfällt zu SEHR, werden viele migrierte Sorgen weg artikelt sein und ein Gemeinsames ersetzt die zwei Geschlechter Trennung. Zusammen mit dem fortan ungebrauchten ES würde ich von Herzen meine Freude dazu klatschen.
Danke für Ihre auf gemerkte Zuhörerkeit.
Lilly Axster, A 1160 Wien
Die Reform: zum ersten, zum zweiten und zum…
Wer die Schreibung einer Sprache reformieren will, sollte sich das gut überlegen. Warum wohl ist für das Englische – wohlgemerkt! – außer dem kläglichen Versuch eines in Britannien weithin unbekannt gebliebenen US-Amerikaners nie ein weiterer unternommen worden? … Eben.
Wieso nun also das Deutsche? Ward etwa in Deutschland und Österreich ein anwachsendes Grummeln gehört, daß man das in der Schweiz längst eingedampfte ß endlich auch loswerden wollte? Bedrängte man allüberall die Schriftgewaltigen, endlich den Irrsinn mit dem ie, ih oder gar ieh abzuschaffen? Standen gar Zeitungsleute kurz vor dem Aufstand, weil sie sich ums Verrecken nicht mehr merken wollten, wo man ein Komma setzen müsse oder dürfe, wo hingegen nicht?
Nein, es war von Anpassung an heutige Erfordernisse die Rede, und insbesondere sollten »die in vielen Teilbereichen der Rechtschreibung im Laufe der Zeit kompliziert gewordenen Regeln« vereinfacht werden. Welche könnten das wohl gewesen sein? Eine gesprochene Sprache hat ihren eigenen Kopf, und den setzt sie am Ende auch gegen ihre Schreiber durch. Wenngleich sie sich zuweilen ein unpassendes outfit aufdrängen läßt – aber kompliziert gewordene Regeln? Im Deutschen stammen die doch fast alle noch unverändert aus Kaisers Zeiten!
Wurden denn nun wenigstens die Ziele der Reform erreicht? Mittlerweile gilt deren dritte Fassung, und mit jeder neuen wurde ein Stück der vorigen zurückgenommen – möge also richten, wer mag. Hilfe zur Urteilsfindung: das späte Bekenntnis der »schönen Seele« des verantwortlichen Rats »Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen …«
Welchen Sinn könnte so eine Reform denn überhaupt haben – schreib, wie du sprichst? Aber so weit wollte doch niemand gehen! Ich hingegen fand seit jeher: Eine Rechtschreibreform des Deutschen, die nicht die Großschreibung der Substantive abschafft, ist keine. Das jedoch würde sich sicher niemand trauen. Und: Was geschah? Daß man jetzt Känguru schreibt und Schifffahrt und Stängel, und daß man daß jetzt dass schreibt, das traute man sich, aber das ß als solches – ach, vergiß es einfach …
Lieb geworden ist sie uns eher nicht, diese Reform. Teuer hingegen schon. Es gibt ja immer und überall Leute, die gewinnen – die Schreiber des Deutschen gehören hier ganz gewiß nicht dazu. Es sei denn, man sieht es als Gewinn, den Vorwurf, unsauberes Deutsch zu Papier oder ins Textprogramm gebracht zu haben, jetzt mit dem Duden im Rücken abwehren zu können: »Die einen schreiben so, die anderen so!«
Georg Bach, D 13086 Berlin
zwischenruf
ich habe mich entschieden meine interpunktion zu radikalisieren in meinem schreiben möchte ich die fesseln der interpunktion ablegen und mein schreiben befreien von dem was es belastet ich leiste mir fortan nur mehr die unbedingt notwendigste struktur um den text in fluss zu bringen seine lesbarkeit und präsenz zu erhöhen und mich selbst und andere herauszufordern nicht dort hängen zu bleiben wo sich ein gedanke geschmeidig in die interpunktion einfügt in alte gewohnheiten denn es heisst ja nicht umsonst interpunktion inter für zwischen punktion für stechen also das dazwischenstechen das unterbrechen das sich hineinwühlen in den kontext der sprache um den fluss zu brechen uns zu zwingen unser denken auszusetzen zwischen zwei punkte zu pressen denn vor dem zeichen ist immer nach dem zeichen und schliesslich wollen doch sätze gebildet werden zusammenhängende sich aneinander fügende damit daraus kathedralen des literarischen werden in denen die leser und schreiber hausen können in denen sie asyl finden vor der welt
Raimund Bahr, A 5360 St. Wolfgang
Die Nachwehen. Eine Posse in 0,125 Akten.
Personen
Deleata Bummerl
Leopold Laxerl
Ein Büro. Leopold Laxerl sitzt auf seinem Arbeitsplatz und spitzt konzentriert die Bleistifte. Plötzlich springt die Tür auf und Deleata Bummerl betritt wutschnaubend das Zimmer. Energisch knallt sie mehrere Blätter Papier auf den Tisch.
Bummerl Wer soll denn das lesen können?
Laxerl Gnä` Frau, ich hab's doch eh mit der Schreibmaschine getippt, ob meiner letzthin so heftig kritisierten Handschrift!
Bummerl Ihre Sauklaue meinen Sie wohl … Aber von der ist jetzt gar nicht die Red` - die Einladung mein` ich! Zum Galadiner! Zur Feier anlässlich des Jubiläums der Rechtschreibreform. Zwanzig Jahre ist das „dass“ nicht mehr scharf!
Laxerl Und was, Frau Bummerl, wühlt Sie jetzt so auf? Ihr Gesicht ist ja rot vor Rage!
Bummerl Das Menü! Diese ganzen sprachlichen Extrawürstel!
Laxerl Extrawürstel stehen ja gar nicht auf der Karte! Ein Beiried gibt's, mit Erdäpfelpüree und Eierschwammerl!
Bummerl Was reden Sie für einen Topfen! Allein das Schwarzbrot mit Grammeln als Vorspeise ist ein Geschmacksaffront - auch sprachlicher Natur! Schreiben müssen Sie, damit die Leut` Sie verstehen: „Roastbeef, Kartoffelpüree und Pfifferlinge“ …
Laxerl Ach, „Roastbeef“ sagt man auf Bundesdeutsch … „Beiried“ gefällt mir doch besser.
Bummerl Laxerl, Ihre Meinung interessiert hier nicht! Vermerken Sie bei Vorspeise: „Grieben auf Schwarzbrot“, aus „Powidl“ machen Sie ein „Pflaumenmus“ und aus dem „Marillenkuchen“ eine „Aprikosentarte“.
Laxerl Wer soll denn das nur verstehen?
Couplet (mit herzlichem Dank an Johann Nepomuk Nestroy)
Schon beim Essen ist's schwer,
beim Diskutieren nur noch mehr:
all die Probleme - nur aufgrund der Phoneme!
Es nimmt mir den Schwung
jede einzelne Ausnahmeregelung -
wen gibt's, der erkennt, ob zusammen oder getrennt?
Selbst groß oder klein,
gestaltet sich gar gemein!
Schreiben wird so zum Krampf - weshalb ich lieber mampf`!
Ob Syntax, ob Verben, ob Nomen, ob Stil,
ja, die Zeit ändert viel! Ja, die Zeit ändert viel!
Die Zukunft ang'schaut, ja da wird mir recht bang,
ich mein` die Welt steht auf kein Fall mehr lang!
Verena Bauer und Stephanie Karmel, A 1070 Wien
Liebesbrief
Meine Liebste,
wo soll ich nur beginnen? Ich schreibe Dir diesen Brief aus Verzweiflung. Mein Herz ist ein einziger Ort des Chaos seit ich Dich das erste Mal traf. Die vergangenen zwanzig Jahre mit Dir bin ich fast ständig hin- und hergerissen zwischen blinder Hingabe und tiefster Abneigung. Du provozierst in mir ein fatales Wechselspiel der Gefühle. Es tritt keine Ruhe in unsere Beziehung ein, trotz der langen gemeinsamen Zeit. Ich spüre, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, an dem wir eine Entscheidung treffen müssen: Bestreiten wir unsere Zukunft Hand in Hand oder müssen wir getrennte Wege gehen?
Erinnerst Du Dich, wie alles zwischen uns begann, im Sommer 1996? Wir waren so glücklich in den ersten Wochen unbeschwerter Verliebtheit. Du wurdest meine große Leidenschaft, von einem Moment auf den anderen. Dein Werben um mein Interesse beantwortete ich mit einer eifrigen Neugierde auf Dich. Du hattest meine volle Aufmerksamkeit. Ich wollte Dich entdecken. Du lehrtest mir Seiten an Dir, die für mich völlig neu waren. Du hast mich überrascht, Du warst mein Abenteuer. Gleichzeitig gabst Du mir die Sicherheit eines alten Freundes, denn so Vieles an Dir war mir von Anfang an vertraut. Am Meisten wusste ich an Dir zu schätzen, dass ich plötzlich lernte, meinem Gefühl folgen zu dürfen. Ein perfekter Mix, so empfand ich es, so empfand ich Dich damals. Ich wollte unbedingt mit Dir zusammen sein, eine gemeinsame Zukunft aufbauen.
Doch je mehr ich Dich über die Jahre kennengelernt habe, desto schwieriger wurde es zwischen uns. Ich muss heute erkennen, dass manche Facetten an Dir einfach nicht zu mir passen wollen. Es ist fürchterlich, es zuzugeben, aber teilweise schäme ich mich, mit Dir gemeinsam gesehen zu werden. Du hemmst mich in meinem intellektuellen Ausdruck. Wegen Dir muss ich meinen ästhetischen Anspruch reduzieren. Die Beziehung zu meinen Eltern leidet unter der Beziehung zu Dir. Sie wollen Dich partout nicht akzeptieren.
Ja, das sind alles Nebensächlichkeiten, weil uns doch andererseits so Vieles stark verbindet. Aber fehlt uns nicht diese unabdingbar loyale Bande? Ein Ja zueinander ohne jeden Zweifel? Ich merke, dass ich es nicht schaffe, Dich in Deiner kompletten Vielfalt in der Intensität zu lieben, die ich im tiefsten Inneren ersehne. Ist dieses Streben utopisch? Erleben wir, was für langjährige Beziehungen normal ist? Können wir trotz der Differenzen zusammen alt werden? Ich weiß es nicht. Wie fühlst Du?
In unsicherer Liebe
Dein Fred
Stephanie Baumeister, CH 8005 Zürich
Von der Schwierigkeit, Sprache sichtbar zu machen
Spreche, wie man schreibt!? Schreibe wie man spricht!? Einer meiner größten pubertären Fehler war die Weigerung, in der Schule Französisch als Wahlfach zu nehmen, weil ich dessen Rechtschreibung fürchtete; ein Versäumnis, das ich Zeit meines Lebens nicht mehr heilen konnte. Da hielt ich Latein für besser. Keine Schwierigkeiten beim Lesen oder Schreiben. Doch nicht einmal im Lateinischen geht das ohne Streit, ob das C wie K oder Z ausgesprochen werden muss. Es geht nicht ohne Regeln, klar. Die Übereinkunft der Deutschsprachigen, wie ihre Schriftsprache aussehen soll, hat beachtenswerte historische Vorgaben, doch auch die Notwendigkeit, verstanden zu werden. Also müssen wir lernen, wie recht und nicht nur, wann Recht klein oder groß geschrieben werden soll. Jede Generation glaubt, es besser zu wissen als die vorhergehende. Darum: Reform! Reform! Reform! Alles soll einfacher werden. Einfacher? Wenn ich mich an das halte, was ich in der Schule gelernt habe, wird es schwierig. Etwa: Trenne nie ST, denn es tut ihm weh! Heute tut es mir weh, wenn ich auf ein getrenntes ST treffe. Und: wer soll drei S oder drei F hintereinander aussprechen, ohne zu stottern? Warum ist der Stengel einer Blume jetzt eine kleine Stange? Wenn es nur um den Erhalt des Stammlauts geht, könnte man - um der Einfachheit willen! - doch auch gleich die stark gebeugten Verben zu schwach gebeugten machen: singen, singte, gesingen. Ach, und das schöne SZ. Seit daß jetzt dass geschrieben wird, leide ich, wenn ich in der Zeitung lesen muss, dass ein Schreiberling das dass mit das verwechselt hat. In diesem Wirrwarr bin ich glücklich mit meinem Computer: er denkt mit, er korrigiert, wenn ich etwas falsch schreibe. Aber was, wenn der PC auf seiner Korrektur beharrt? Einer Korrektur, die den Sinn nicht erfasst? Ein Beispiel: rechtgläubig meint, den richtigen Glauben zu haben; recht gläubig ist einer, der ziemlich gläubig ist; Recht gläubig ist, wer allein dem Recht vertraut. Es geht um Nuancen, um das Gemeinte, wenn es schriftlich vermittelt werden soll. Rhetorische Sinngebung ist da einfacher, aber das geschriebene Wort bedarf der Differenzierung.
Oh, Ihr Rechtschreibapostel, seid barmherzig! Lasst den Redakteuren, Schriftstellern, Autoren jeder Couleur und auch den Schülern und Studenten die Freiheit, ihr Gemeintes so schriftlich auszudrücken, wie sie glauben, am besten verstanden zu werden!
Karin Bechthold, D 25980 SYLT / OT Keitum
1996
Der bestellte Strauß stand auf dem Küchentisch. Daneben, sorgsam verpackt, die KaDeWe-Pralinen. Mit dem alten Stielkamm zog er Strähne für Strähne glatt, bis jedes Haar in Reihe lag. Er band gerade die neu gekaufte Krawatte und sprühte den teuren Herrenduft auf, als die Radiomusik verstummte. Ein Sprecher sagte die Nachrichten an. Allerlei politisches Gedöns, danach eine Meldung zur Rechtschreibreform, die fortan galt, wenn auch umstritten.
Die Ansage traf ihn unvorbereitet. Passé die Zeit der lieblosen Gewöhnung, ein neuer Kampf begann. Die geliebte Spreeschifffahrt würde ihn entlarven, auch der non-verbale Austausch über den edlen Panther, den er in intimen Momenten im Zustand seliger Betrunkenheit gern imitierte, würde ihn demaskieren.
Ihn durchzuckte der Blitz, er hatte doch nicht ...? Die Bären. Diese vermaledeiten Viecher, sie konnten ihm das Genick brechen. Sein Brief war unkommentiert geblieben, die Einladung zum Zoobesuch mit anschließendem Abendessen hatte sie angenommen. Vermutlich verbat es ihr die Höflichkeit, und sie hatte deshalb nichts gesagt. Ein bekanntes Gefühl stieg in der Magengegend empor. Er hatte die Schule nach der achten Klasse fluchtartig verlassen, um nicht länger mit ihr konfrontiert zu werden, der deutschen Sprache war nicht zu trauen.
Auf dem Weg zu ihr nahm er einen Umweg. Mit feuchten Händen umklammerte er den dornigen Strauß, seine Finger zerdrückten die Pappschachtel. Plötzlich stand sie vor ihm. Lisbeth Rothe, der Schreck seiner Jugend, ein Arschengel im Korsett. Wie oft hatte er sie erwürgen wollen. Er hielt das Gespräch erfolgreich oberflächlich, heuchelte gute Wünsche zum Abschied, und atmete auf, als sie ihm beim Gehen zuwinkte. Er hatte die Begegnung mit der früheren Feindin zügig abgewickelt und setzte gerade zum Weitergehen an, als das Weib sich noch einmal umdrehte und schauerlich grinsend rief: „Sag, Hermann, schreibst du Eisbären immer noch mit Doppel-e?“ Ohne zu antworten, rannte er los, die Hand in die Stängel des Straußes gebohrt. Vor ihrer Haustür angekommen, klingelte er etwas zu derb, polterte die Holzstufen bis zur dritten Etage hinauf, klingelte erneut, und wurde lächelnd empfangen. Sie trug ein Blumenkleid. Absatzschuhe, eine knallrote Handtasche und farblich passender Nagellack ergänzten die grazile Erscheinung. Mit einem gekonnten Wurf schmiss er ihr den Strauß vor die Füße, knallte die Pralinenschachtel ins leere Treppenhaus und ging.
Linda Becker, D 38855 Wernigerode
Eine Frage der Ästethik
„Gottverdammt!“, murmelte der Autor und schloss die Augen, während der Lektor schief grinsend auf seinen Duden pochte. Schon seit Stunden saßen sie zusammen - alles vergeblich, sie kamen nicht voran. Nachdem sich der Autor dem Druck der Verlags gebeugt und seinen Roman von 650 Seiten auf 190 gekürzt und fast zur Gänze umgeschrieben hatte, wollte er wenigstens in Fragen der Orthographie ein paar Freiheit behalten. Unter anderem zog er Spagetti (ohne ‚h`) Spaghetti (mit ‚h`) vor. Gemäß Duden zulässig, also nichts Unverschämtes. Aber der Lektor gab sich von Anfang an stur: „Unser Verlag folgt der empfohlenen Schreibweise und diese lautet: Spaghetti. Mit ‚h`. Alles klar?“ - „Alles klar.“ Der Autor hatte mit den Zähnen geknirscht und am selben Abend noch machte er aus Spagetti (ein zentrales Thema in seinem Roman) blutige Steaks. Sein Trotz wurde Strategie: Jedes Mal, wenn er sich mit dem Lektor nicht einigen konnte, wo der Duden verschiedene Schreibweisen zuließ, ersetzte er das strittige Wort durch ein anderes. Aber mittlerweile war seine Geduld erschöpft. Keinesfalls würde er vor Kurzem schreiben, sondern bei vor kurzem bleiben - und dieses Mal würde er auch auf das Wort nicht verzichten. Ein stiller Schwur. Dann öffnete er langsam die Augen und sagte: „Gottverdammt, das gehört klein geschrieben. Verstehen Sie? Vor Kurzem groß? Wie sieht das denn aus?“ - Der Lektor wiegte den Kopf - und beharrte auf seinem Standpunkt: empfohlene Schreibweise, ergo groß. Außerdem wäre dies gar nicht so unlogisch --- „Scheiß auf die Logik!“, rief der Autor. „Vor Kurzem groß ist hässlich. Einfach erbärmlich.“ Keine Frage der Logik, sondern eine der Ästhetik. „... aber die empfohlene Schreibweise“, konterte der Lektor unnachsichtig und zeigte auf die Stelle im Duden. Da verlor der Autor fast die Nerven. „Alles Scheiße!“, schrie er und fluchte lautstark, ehe er sein Lieblingswort mehrfach wiederholte: „Gottverdammt!“ Nun stieg auch dem Lektor sichtbar der Blutdruck: „Himmel“, kreischte er, „entweder empfohlene Schreibweise oder ich werf Sie und Ihr beschissenes Buch auf die Straße!“ Eine harte Ansage, die verbale Auseinandersetzung eskalierte. Plötzlich sah der Autor rot. Er griff nach der Mineralwasserflasche und zog sie dem Lektor über den Schädel. Ein dumpfes Geräusch - und „Ah!“, der Lektor sank leise stöhnend vom Sessel. Sein Begräbnis war sehr schön. Und der Autor … ja der Autor, er verschwand in der Nacht. Wo er jetzt wohl sein mag? Bis vor kurzem war er noch da …
Thomas Beckstedt, A 2020 Hollabrunn
"Nach den neuen Regeln schreiben" - geht das?
In den letzten 20 Jahren wurde viel über die Rechtschreibreform gestritten. Streitpunkte waren und sind (neben der Vorgehensweise ihrer Einführung) in der Regel die Neuschreibungen. Je nach Haltung zu diesen Neuerungen positioniert man sich zu den „neuen Regeln“, wie sie auch heute noch gerne genannt werden. An den Schulen ist schon lange klar: in allen deutschsprachigen Ländern darf nur „nach den neuen Regeln“ korrigiert werden. Einmal abgesehen von den Vorlieben zu bestimmten alten oder neuen Schreibungen:
Geht das überhaupt? Lässt sich „nach den neuen Regeln“ schreiben? In der Tat ist es der Anspruch der Reform, daß das Regelwerk neben dem Wörterverzeichnis ein eigenes Gewicht hat, ja sogar das Hauptgewicht (so heißt es z.B. im amtlichen Text: „Schreibungen, die den Regeln nicht widersprechen, sind immer möglich ...“, d.h. Beschränkungen gibt es nur durch die im Regelteil ausdrücklich genannten Ausnahmen). Doch hier liegt aus meiner Sicht der eigentliche Knackpunkt, die eigentliche Problematik der Reform. Denn wenn man tatsächlich versucht, „nach den Regeln“ zu schreiben, so wie sie im Regelteil des Amtlichen Regelwerkes formuliert sind, so kommt man auf Schreibungen, die nicht im Wörterverzeichnis stehen - und zwar gerade auch bei vielen Wörtern die nicht von Neuschreibungen betroffen sind. Die Regeln sind oft widersprüchlich und bauen nicht logisch aufeinander auf. Im Grunde muss man oft eine Regelformulierung erst uminterpretieren! Im folgenden Satz könnte man keinen Fehler anstreichen, würde man tatsächlich dem Wortlaut der Regeln folgen: „Der schwizende Übermitler hältt mit Genugtuhung dreisig ideeale Vögellein bereit, die er fürs besste Naturkundemusehum däs Landes gefangngen hate.“
Statt (nur) über Sinn und Unsinn bestimmter Neuschreibungen zu debattieren, sollte das Regelwerk endlich einmal auf seine Stringenz hin überprüft und überarbeitet werden! Sonst kann niemand ernsthaft behaupten (oder gar verlangen), daß „nach den neuen Regeln“ geschrieben wird.
Bis dies grundlegend verbessert ist, plädiere ich dafür, mit einigen prägnanten Abweichungen von der Reformschreibung (die auch zu einem Kompromiss taugen würden) auf die Unausgegorenheit des Reformtextes aufmerksam zu machen. Daher handhabe ich es z.B. so, wie vor der Reform „daß“ und „miß-“ zu schreiben, weil auch sonst in Funktionswörtern und Präfixen Konsonanten im Auslaut in der Regel gerade nicht doppelt dargestellt werden, vgl. „in, um, ab, mit, un-, ...“.
Martin Beesk, D 14558 Nuthetal
Unsere Abschlussfahrt (Übungsaufsatz der 2. Kl.)
Wir waren am Dienstag mit der Klasse in Herrenchiemsse. Wir sind mit den Bus gefahren. Dan sind wir ausgestiegen und auf das Schiff gegangen. Dann haben wir gewartet und gewartet und sind endlich Losgefahren. Und danach sind wir angekommen. Und sind abgestiegen. Und wir haben uns aufgstelt und sind gegangen. In der Kirche haben wir Jubilato Deo gesungen. Und dan sind wir In einen kleinen Schlossgarten gegangen. Jemand hat uns eine geschichte erzählt. Sie sagte: König Ludwig besas vier glocken eine wurde eingeschmoltzen die andere haben sie in einen See geschmisen die nächste haben sie verkauft und die letzte haben sie versteckt und wider gefunden. Dann sind wir weitergegangen und wir haben uns die Glocke angesehen. Dann sind wir zum Schlossgarten gegangen. Da gab es ganz viele Blumen, Hecken und große Springbrunnen. Während der Pause hat es geregnet. Nach der Pause sind wir in das Schloss gegangen. Eine Frau hat uns durch das Schloss gefürt. Blau wahr die lieblings Farbe von König Ludwig. Das Schloss wurde aus 9000000 Steinen gebaut. Er steckte sämtliches Geld in den Bau des Schlosses und ging pleite. Er hate 10 Tage auf diesem Schloss gelebt bis er mit 41 ertrank. Mann hat noch nicht herausgefunden wie es pasirt ist. König Ludwig besaß zwei goldene Trone und zwei goldene Betten.
Dann sind wir Spiegelzimmer gegangen. Es gab 23 Spiegel in dem Zimmer. Am lustigsten fand ich Tischlein deck dich. Sie kurbelten den Tisch runter in die Küche stellten essen drauf. Dann kurbelten sie den Tisch wieder raus und König Ludwig sagte: Tischlein deck dich. In seiner Badewanne haben 3000 Liter Wasser platz. Viele Räume sind nicht fertig geworden Danach sind wir mit der Kutsche gefahren dan sind wir ausgestiegen, und zu Fuß zum Schiff gegangen. Mit dem Schaufelraddampfer sind wir zurück nach Prien gefahren.
Mit der Bockerlbahn sind wir zurück zum Bus und mit dem Bus nach Amerang gefahren. Das wahr der schönste Tag in meinen leben.
Bemerkung der Lehrerin:
Du hast dir ja unglaublich viel Mühe gegeben, Markus!
Du hast dir sehr viel gemerkt - ganz viele Einzelheiten über das
Schloss und König Ludwig! Ein wirklich gelungener Aufsatz!
Ob die vielen Fehler wohl durch die Rechtschreibreform kamen? Zum Glück beherrschte die Lehrerin diese zu dem Zeitpunkt.
Markus Beham (*1996), D 83123 Amerang
Wiener Melonsch
Ein klares Satzzeichen wurde mit der Rechtschreibreform 1996 nicht gesetzt. Punktum. Praktisch entpuppt sich das Reförmchen nach der Übergangsfrist, die nie vorüberzugehen scheint, mehr als eine Doktrin zum Erhalt der Artenvielfalt. Es wirkt, als wäre man in einem Paralleluniversum der alten und neuen Rechtschreibung gelandet. Alter Duden. Neuer Duden. Wie das Alte und das Neue Testament. Ein krasser Vergleich? Nicht wirklich, wenn man bedenkt, daß die deutsche Sprache samt scharfem S vom Aussterben bedroht ist. Ausserdem haben die Änderungen sehr fiel mit glauben zu tun. Zumindest glaubt seit der Reform Jeder, so wie so Alles richtig zu schreiben. Falls nicht, beruft man sich einfach auf die alte neue Rechtschreibung.
Auch ich befinde mich seit nunmehr 20 Jahren in einer Glaubenskriese. Seid die Ortographie unter das freie Gewerbe fehlt, geht es aus meiner Sicht Berg ab mit ihr. Man möchte fast meinen, es gild der Grundsatz: Schreib, wie dir die Griffl gewaxen sind. Linksdrehender Jogurt ohne h. Rechtsdrehender Joghurt mit h. Ganz zu schweigen davon, ob der Jogurt oder das Joghurt oder das Jogurt oder der Joghurt. Ein perfides Spiel mit Bifidus. Lektor Bacillus. Ess ist doch bitteschön scheissegahl, ob mann Spaghetti mit oder one h schreibt. Essfehler wird es immer geben. So läßt es sich über die Wendigkeit der Not einer Reformreform bloss sinnen. Sollte wider einmal ein Rechtschreibrehformationstag ausgerufen werden, waage ich bambig zu behaupten, das das den Kitz von Morgen ziehmlich am A vorbei gehen wird.
Ich glaube, dass ich noch aus einer recht guten Schreibstube komme. Doch mein orthografisches Gedächtnis ist inzwischen schwundgeschrieben. Das Genick endgültig gebrochen hat mir mein Festhalten an der Goldenen Regel: Punkt vor Strich. Mit Beistrichen befinde ich mich auf Kriegsfuß. Aber ich habe jetzt einen Termin beim Orthografen ausgemacht. Der soll meinen Rechtschreibkünsten Beine machen. Auch wenn die Beistrichrechnung ohnehin nie aufgeht. Ebenso wenig wie mir ein Licht hinter selbigen Regeln. Ich frage mich immer wieder: Wo ist er bloß hin, der schöne Atempausenbeistrich? Oder ist der nur eine strichhaltige Erfindung findiger Satzbaumeister? Ach, was, diese nervigen Beistriche, die setze ich ab, sofort vor die Tür mit ihnen, und trete noch heute in die unabhängige Kommabanditgesellschaft mit beschränkter Setzung ein, bevor es zu blablablamabel wird.
Im Übrigen gilt für mich: Es lebe die Wiener Mischung! Ich... ähm... pfähle mich.
Gerhard Benigni, A 9500 Villach
Gutenberg
Hinter den Schläfenlappen
schlafen deine Wörter
es ist eng, sie berühren sich
wie die Buchstaben
in deinem Winkelhaken
Mond liegt neben Mund
bewegliche Lettern
wenn deine, auf das Setzschiff
zugreifende Hand, träumt
wird ein Morphem geboren
Gras wird zu Glas
ein Einfall, ein Zweifall, etwas Naheliegendes
etwas Verrutschendes
wie bei schwerer Krankheit
oder Poesie
Ruth Johanna Benrath, 10551 Berlin
Die Verpasste Reform
Mit einer verlorenen Wette beginnt es. "STILLLEBEN mit drei L", behauptete ein guter alter Freund, welcher mir gern ein wenig Deutschland beibringt, damit der Faden zwischen mir in Frankreich und meinem Ursprungsland nicht dünn wird. Ich wollte ihm nicht glauben, hatte ich doch mit meinem Protest gegen eine in der FAZ entdeckte "Opernprämiere" recht gehabt und angeberisch getönt, dass Prämien in Frankfurt möglicherweise wichtiger geworden seien als Premieren. Aber einmal Nachschlagen und die Flasche Champagner war verwettet - ich verwirrt. Beim darauffolgenden Besuch im Städelmuseum wurde aus dem Nachgelesenen ein Erlebnis: "STILLLEBEN MIT SAXOFONEN Max Beckmann, 1926". Zwei nostalgische Fliegen mit einer Klappe geschlagen und meine fein ziselierte visuelle Erinnerung für ungültig erklärt. Mit inbrünstiger, wenn auch unwissender Überzeugung hatte ich Stilleben von jung auf immer auch mit Stil verbunden. Still.Leben.Stil. Das war mir ein sehr feines und geliebtes Trio. War mein Deutsch nun renovierungsbedürftig geworden oder durfte ich weiter Stilleben mit zwei L denken und fühlen? Womöglich weiterhin STILLEBEN schreiben? War es unrichtig, ZUSAMMENSEIN statt ZUSAMMEN SEIN schreiben zu wollen, weil das Verb, voll des Sinns, einem Pärchen gleicht - umschlungen auf dem Bänkchen sitzend?
Drei Fassungen zur Rechtschreibereform, zugelassene Varianten, Hausorthografien… Ein solch gewaltiger Streit, weil man Angst hat vor Durchlässigkeiten? Kommt womöglich das deutsche Naturell zurückgeschlichen? Wir verpönen es längst, aber wie sagt der Franzose: "Chassez le naturel, il revient au galop." Vielleicht ist das unser deutsches Problem. Und mithin das der Reform. Die Koexistenz der Orthografien wäre eine Alternative zum Sprachkorsett, denn sie würde Platz schaffen für Erinnerung wie für Neuerung. Die Reform könnte sich am Leben reiben. Über mich ist die Rechtschreibereform hinweggeflogen : Als junge Deutsche in Paris war ich sprachlich und kulturell gänzlich auf Frankreich eingestellt. Ich wollte meinen Akzent ausradieren, Konversation und Diplomatie als Verhaltenmodelle fürs Leben erlernen, die Geheimnisse von französischem Chic durchdringen und schon damals unsere von den Franzosen mokierten Achsel- und Beinhaare loswerden. Die Reform betraf mich damals nicht. Lange schrieb ich, wie ich es gelernt hatte. Durch die Distanz und mit der Zeit haben sich kleine Eigenwilligkeiten eingeschlichen. Aber das bringt doch keine Sprache zum Wackeln.
Uta Bergès, F 83320 Carqueiranne
Boatpeople
Aspekte relativer Relevanz in der deutschen Rechtschreibreform
Auszug in (fast) alphabetischer Reihenfolge
Gestern Abend, gestern Nacht, hunderte und aberhundert Sterne. Acht geben, Ackerbau treibend, Afroasiatisch, Arabisch, Alt und Jung, Arm und Reich. Außer Acht lassen. Die anders Denkenden Krieg führend, Albtraum, auf das Schlimmste gefasst sein und aufeinander beißen, sitzen, stapeln. Ausschluss, Angst und Bange machen, außer Stande [sein]. Boatpeople. Biografien, bunt gestreift, Besorgnis erregend, blass, bläulich grün. Blackpower, Black-out, blond gelockt, belämmert, beieinander bleiben. Bottleparty, Braindrain, Commonsense, auf [gut] Deutsch. Diarrhö. Im Dunkeln tappen, kein Kompass, eisig kalt, nicht Wasser abweisend, Entschluss, ernst zu nehmen. Essbar, Ekel erregend, Erstklässler, früh verstorben, nicht gar gekocht, Gefahr bringend, gering achtend, kein gern gesehener Gast, geschrien, gespien, Grauen erregende Gräuel, grell beleuchtet zu Grunde [gehen/richten]. Halb verhungert hängen lassen. Happy End, die heiß ersehnte Ankunft, auf das Herzlichste, hier zu Lande. Die Hilfe Suchenden, Fahne gehisst. Hohn lachen, Hass, mehrere Hundert Menschen, hunderte armer Kinder, die hungers sterben. Hurra schreien, Ich-Sucht im Nachhinein. Im Stillen im Trüben fischen, in Acht nehmen. Irgendjemand: Esst! Italienisch. Kalt bleiben/lassen, aber: kaltmachen. Keepsmiling, kennen lernen, klug reden. Leben spendend, Leid tun, lieb haben, liegen lassen. Das erste Mal, das letzte Mal, Millionen Mal Maläse. Alles Menschenmögliche tun, Misstrauen, Mitleid erregend, zu Mute sein. Myrre. Nasskalt, nass geschwitzt. Negrospiritual, Not leidend, Nein sagen, offen lassen, Pass. Zurande kommen, die Rat Suchenden, rau wie grau und schlau, Recht bekommen, richtig machen. Der reich geschmückte Tisch. Roundtablekonferenz. Rohheit, grünblau, scheel blickend. Ruhig stellen, rückwärts gehen, sauber machen. Schiss, schlecht beraten, schmutzig grau, zu Schulden kommen lassen, so dass: Sein lassen, selbstständig, sesshaft, so dass: Show-down. Spanisch, stark besiedelt, Staunen erregend. Stecken bleiben, stillhalten, Stofffetzen, bunt gestreift. Stresssituation. Tschüss! Überschwänglich, überhand nehmen, Überdruss, Ultima Ratio. Ungewissheit, im Ungewissen bleiben/lassen/sein. Als Ungezählte [kamen...], zu Ungunsten, das unsrige: Im Vollen leben, warm halten. Vabanque spielen, verloren gehen, weit gereist, Zähheit. Eine Zeit lang zueinander finden. Zu wenig [wissen].
Bettina Beutler-Prahm, D 28209 Bremen
Orthographie und Tanz
Es ist die Orthographie ja schon vor langer Zeit zu etwas Separatem geworden, das getrennt behandelt und gelehrt wird. Dadurch sieht sie leblos aus, und so wurde die Versuchung groß, an ihr herumzubasteln. Warum sollte man auch nicht an etwas herumbasteln, das von allem Wichtigen separiert vor einem liegt? Man hätte nie gewagt, die Orthographie in gleicher Weise anzugehen, wäre sie eingebunden und ihre Aufgabe offensichtlich.
Kant schreibt: “Man muß fertig gehen können, ehe man tanzen lernt, und derjenige wird schlecht die orthographie lernen, der noch niemals geschrieben hat.” Für die Orthographie gilt also, was auch für das Tanzen gilt: Man muß schon einiges können, bevor man überhaupt damit anfangen darf. Wer tanzen lernen will, muß “fertig gehen können”. Schaut man genauer hin, genügt das – auch in Kants Augen – nicht, weil Tanzen kein beliebiges Sich-Bewegen ist, sondern typischerweise einer Musik folgt. Es wird “das Spiel der Empfindungen in einer Musik mit dem Spiele der Gestalten im Tanz” verbunden.
Genauso genügt es für das Erlernen der Orthographie nicht, nur “geschrieben” zu haben. Würde man das Schreiben einer Sprache erlernen, ohne sie zu sprechen, dann wären die erlernten Schreibregeln nicht Orthographie, sondern Normen zur Manipulation von Schriftzeichen. Zur Orthographie werden sie erst, wenn sie Probleme lösen, wie sie an den Grenzen des Schreibens auftreten. Wenn etwa das Sprechen durch seine Verschleifungen eine bestimmte Schreibung nahelegt, dann interferieren die Regeln des einen Systems mit denen des anderen. In diesem Sinne sind alle Rechtschreibfehler interferentiell bedingte Fehler, obwohl man für gewöhnlich nur die so nennt, bei denen die Regeln einer anderen Sprache hereinspielen. Aber auch der dritte Typ von Rechtschreibfehlern, die morphologisch bedingten, ergeben sich aus Überlagerungen, nur daß diesmal falsche Vorstellungen von den verwendeten Wörtern in die Irre führen.
Im Tanz werden Körperbewegungen mit Musik verbunden, so daß etwas Neues mit eigenen Regeln entsteht, das aber immer durch die Möglichkeiten des menschlichen Körpers limitiert bleibt. In der Orthographie wird das Schreiben mit anderen sprachlichen Regeln konfrontiert. Daß diese Regeln in das Schreiben hineinwirken, zeigt, wie wenig separat Orthographie ist, und daraus ergeben sich die Probleme, deren Lösung ihre Aufgabe ist.
Hanno Birken-Bertsch, D 63303 Dreieich
Die 80-20-Regel
Klein und getrennt.
Sich fallen lassen, morgens liegen bleiben, lang gestreckt und nass geschwitzt.
Allzu lang übel gelaunt, die Hoffnung mikroskopisch klein, geradezu abschreckend hässlich der Mann im Spiegel.
Dann: Kennen lernen, leuchtend blau deine Augen, strahlend hell dein Gesicht und dein Lachen voll berlinischem Charme. Gemeinsam spazieren gehen, da sein.
Groß, aber (noch) nicht zusammen.
Gestern / heute /morgen Vormittag /Mittag /Abend, am liebsten ständig im Frankfurter Frühling Rad fahren wollen, Klavier spielen, sogar Kartoffel schälen vor Glück.
Aufs Äußerste erregt sein, eine Handvoll Tage aus dem Vollen schöpfen, dich mein Eigen nennen.
Jedoch: Im Verborgenen blühen Zweifel, als Erster oder der Nächstbeste? Angst haben.
Zusammen klein.
Bloßstellen, satthaben, preisgeben, auseinander-, vorüber, vorbeigehen, nur noch pfenniggroß die Liebe.
Erst schlafwandeln, dann schlussfolgern. Nicht länger dableiben, sondern weiterziehen, angsterfüllt und tränenbedeckt.
Getrennt klein.
Weiter gegangen als je zuvor, trotzdem nicht durch dick und dünn.
Schwarz auf weiß hat sie geschrieben: Du bist es nicht wert.
Sie sei es leid, ständig neue Vorwürfe zu hören. Bin selbst schuld, habe zuerst dick aufgetragen, dann klein beigegeben. Jetzt ist sie weg.
Mir wird siedend heiß und zugleich eisig kalt.
Das Leben vor mir: grau in grau.
Alles Übrige
Happy End oder Happyend, wen interessiert das schon? Seit Kurzem gibt es nur noch das Glück der anderen. Teeeier und Rollläden sind mir egal. Alles Weitere kann man so oder so halten oder fällt unter die 80-20-Regel.
Nur die Liebe ist ein Entweder-oder, ein Sowohl-als-auch erträgt sie nicht. Aus Liebe wird: du musst. Aber 100%ige Gewissheit gibt es nicht.
Maike Braun, D 22179 Hamburg
die zukunft der gegenwart
in zukunft werden
ausländer deutsch sprechen
haben sich angepasst
dem land wo sie leben
doch auch jene die
schon lange hier leben
haben sich angepasst
downloaden und forwarden
chillen im bodysuit
joggen und einchecken
zum shopping und trekking
online und offshore is
easy-going mit wonderbra
einloggen sich im chatroom
zu dumping-preisen indoor
entertainen im outlet
investment-broker jobben
hard und lunchen beim roaming
mountainbiken just-for-fun
outdoor overdressed
flopen beim one-night-stand
performen im swinger-club
zoomen und podcasten
im flashback: deutsch talken
is retro and no-go
Manfred Chobot, A 1160 Wien
Das „daß“ – und Genossen
Daß das "daß" so verhaßt war, daß es geändert werden mußte, das wußte ich nicht, und war baß erstaunt, als es passierte. Ich fand das eine mißverstandene Verbesserung und haßte aus diesem Anlaß das neue „dass“. Mußte ich das denn befolgen, nur weil auch sogar die Verfaßung die Änderung zu umfaßen schien ? War die Änderung weiser oder sch..ßer ? Sollte ich mich anpassen, obwohl es mir Überdruß veranlaßte ? Schule war damals seit mehr als dreißig Jahren passé, Professoren auch, Zensuren erst recht, wer sonst bloß hätte mich beeinflußen können ? Niemand ! Würde ich mir eine Blöße geben, die neuen Muß-Regeln auszulassen ? Wäre ich äußerlich blamiert, wegen „Riß in der Schüssel“ oder so ? Könnte ich draußen vielleicht als bißchen spießig gelten, oder meine Texte als blaß ?
Nöööh, nichts davon, also, was soll's. Ich sch..ß drauf, jetzt schon zwanzig Jahre lang, aber auch dreißig und mehr, wenn`s noch paßt. Anlaß zur Buße, nein, Buße ist müßig, ich laß mir den Spaß nicht vermiesen. Es schießt ja schließlich niemand auf mich. Was für ein Stuß, das Ganze ! Kraß, was ?
Und wenn in meinen Word-Texten auch bei "Paß", "keß“, „Biß“, „Roß“ „Kuß“ und vielen anderen Worten der rote Unterkringel auftaucht, dann denke ich schon längst nicht mehr mit Verdruß, sondern nur noch spaßeshalber an die Rechtschreibreform, faß auch manchmal nach einer Maß, eß dazu mit großem Genuß etwas passables, kroß gebraten, mit Kräutersoß, und weiß, daß mich das "dass" mit zwei s nicht, noch nie und auch nicht mehr „naß“ macht.
Anläßlich des Jubiläums stelle ich deshalb fest, daß das „dass“ mir nicht paßt, sodaß das „daß“ von mir ohne Unterlaß auch fürbaß als „daß“ geschrieben wird.
Schluß, Basta.
Hieronymus F. Clary, D 64853 Otzberg
Rechtschreibreform
“20 Jahre Rechtschreibreform!“ Welch eine Fundgrube für Spott und Hohn. Aber die Rechtschreibreform sollte nicht dazu herhalten, sich über sie lustig zu machen, wie zum Beispiel durch solche Äußerungen: „Den Kindern wird in der Schule die falsche Rechtschreibung beigebracht“. Immerhin fällt auf, dass die Tendenz ansteigt, Rechtschreibfehler zu machen. Woran mag das liegen? Wie es scheint, handelt es sich dabei um Gleichgültigkeit und mangelndes Interesse an der Rechtschreibung. Vielleicht ließen sich Rechtschreibprobleme ein für alle Mal durch einen “Handstreich“ lösen, wenn man die Buchstabenschrift durch die in der Sprachwissenschaft verwendete Lautschrift ersetzt. Und dazu passten die im Internet beliebten Emoticons. In früheren Zeiten, in Bayern bis zum Verbot der Prügelstrafe 31. Dezember 1982, ließ sich die Rechtschreibung in der Schule viel leichter durchsetzen. Manch ein Erzieher vertrat allerdings weiterhin die Meinung, das Züchtigungsverbot habe ihm sein wichtigstes Erziehungsinstrument genommen. Dem Schüler ist allerdings bei “Ertüchtigung durch Züchtigung“ die Lust am Lernen und an der Schule vergangen.
Conrad Cortin, D München
Einmal durch den Krautgarten und zurück
Eingabe an die Bundeskanzlerin: Ich fordere, um die Rechtschreibreform von 1996 endlich in den Herzen der Bevölkerung zu verankern, den pauschalen Entzug der Fahrerlaubnis für alle Bürger, die eine solche besitzen, und deren Wiedererlangung nur durch die verpflichtende Teilnahme an einer Rechtschreibolympiade. So könnte durch ein sportähnliches Großereignis erreicht werden, dass die Bevölkerung in Zukunft weniger Zeit mit Fragen der deutschen Rechtschreibung verbringen muss. Außerdem würden die Bürger ganz allgemein ihre Konzentration, ihre geistige Beweglichkeit und ihre Ausdauer trainieren. Alle Menschen, die sich näher mit der deutschen Rechtschreibung befassen wollen, auch solche ohne gültige Fahrerlaubnis, sind natürlich ebenso zur Rechtschreibolympiade eingeladen. Ein Schriftsteller ist als Ombudsmann in allen strittigen Fragen der deutschen Rechtschreibung zu bestellen, dieser muss aber vorab eidesstattlich versichern, dass er sich zur neuen deutschen Rechtschreibung bekennt. Die Rechtschreibolympiade findet ununterbrochen statt, und zwar in Mannheim. Sie umfasst unter anderem folgende Disziplinen: Getrennt- und Zusammenschreibung von Substantiven; Beispielübung (die richtige Schreibweise des Substantivs ist zu unterstreichen): „Haben Sie die Meta-Botschaft verstanden? Oder haben Sie die Metabotschaft verstanden?“ Kommasetzung; Beispielübung (die Kommata sind richtig zu setzen): „Ich fühle mich gut und frei, das ist gut, und jetzt mache ich mich frei, und dann springe ich ganz fröhlich und wie Gott mich erschuf einmal durch den Krautgarten und zurück.“ Die Medaillen sind zu vergeben als ein Band „Die deutsche Rechtschreibung“ (Goldmedaille), ein Band „Handbuch Zeichensetzung“ (Silbermedaille) und ein Radiergummi mit einem aufgedruckten Korrekturzeichen (Bronzemedaille). Für die Siegerehrung werden Wörterbücher zu einem Podest aufgetürmt. Nach erfolgreicher Teilnahme an der Rechtschreibolympiade ist jedem Bürger die Fahrerlaubnis wieder auszuhändigen. Der Ombudsmann soll anschließend ein Gedicht über den jeweiligen Wettkampftag verfassen. Darin vorkommende Rechtschreibfehler werden mit dem Entzug der Fahrerlaubnis geahndet.
Jan Decker, D 49076 Osnabrück
Scharf bist du noch woanders
Der Boden schwankte. Dem dicklich gerundeten Körper trennten nur noch Millimeter, um das physikalische Ungleichgewicht in Form eines Sturzes umzusetzen.
Der Schmerz höhlte die Punzen aus und riss an den Ligaturen, wie ein niederes Tier.
Die Welt würde gleich eine andere sein.
Reform. Eine bedeutende Änderung, über die man zu streiten wusste. Aber die Entzweiung von dem Lieblingswort würde vollzogen werden. Die Königin des einleitenden Nebensatzes, das »daß«, sollte sich mit den Zwillingen des »s« neu vermählen und dem »ß« den Todesstoß versetzen.
Erodierte Erde löste sich und verschwand in der Tiefe. Bald würde es in eine bessere Welt eintauchen. Der Schmerz wird aus dem Leib verpuffen und in der ewigen Schwärze vergehen.
Literaten, Lehrer und Germanisten waren sich einig. Es war immer das scharfe »s«. Die anfängliche Schamesröte war dem Kokettieren gewichen. Scharf, ja, das war es immer gewesen. Rundungen. Unbeschreibliche, ausladende rubenhafte Rundungen. Dass es der Sächlichkeit angehörte, störte es nicht.
Der schreibende Mensch würde es ersetzen. Gemini des einfachen »s« an seine Stelle treten. So widerlich verschwimmend der Buchstabe in seiner Dopplung aussah, so unmissverständlich würde das Gespann es in wenigen Stunden auf das Abstellgleis schicken.
Jetzt war es bereit, den letzten Schritt zu gehen. Sollten die 26 Überlebenden glücklich werden.
»Formiert euch, wie ihr wollt, erzeugt Geschichten, aber vergesst mich nicht.«, schrie es in die Welt hinaus.
Eine Träne, dick und salzig, rann über den geschwungenen Körper.
Reform ist Mord, spukte die verletzte Seele. Das »ß« lachte. Bitterböse sollte das letzte Lachen sein, das die Welt vernehmen sollte.
Knirschende Steine tönten in das verebbende Lachen hinein.
Jemand schlich sich an.
»ß« drehte sich um, in der vagen Vermutung, die Zwillinge »s« wollten sich an dem Suizid ergötzen.
Unbeholfen nährten sich Wörter. Schüchtern, vielleicht auch nur verstört, kamen sie in Scharen auf die Klippe.
Jedes dieser Wörter trug ein »ß« in sich und sie wussten, wenn hier und jetzt der Suizid stattfinden würde, würde das »ß« auch sie mit in die ewige Schwärze ziehen. Ausgelöscht und nur noch in der Literatur der Vergangenheit zu finden.
»ß« schaute sich um, hier waren sie, die Freunde, die es brauchte. Es erkannte, dass es die deutsche Sprache bereichern konnte. Es musste leben. Der Schritt weg von der Kante war klein. Das Geschenk an die Literatur unermesslich.
Rohan de Rijk, D 41069 Mönchengladbach
Herr K. und die Odysee
„Ich lehne die so genannte Neue Rechtschreibung ab, weil sie unlogisch und in sich widersprüchlich ist“, erklärte Herr K. in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
„Sie haben Recht“, erwiderte ich. „Aber ablehnen hat wenig Sinn. Es wäre ein Kampf gegen Windmühlen. Auf lange Sicht führt kein Weg daran vorbei.“
Herr K. war irritiert, weil ich ihm Recht gegeben hatte, aber doch widersprach.
„Vor hundert Jahren gab es Leute, die genau das Gleiche gesagt haben“, sagte ich. „Sie wehrten sich gegen die Rechtschreibreform von 1901, da sie ihnen unlogisch und widersprüchlich erschien, und wollten lieber beim Bewährten bleiben. Man sagte zum Beispiel: Früher haben wir »giebt« und »liebt« geschrieben, wieso sollen wir plötzlich »gibt« statt »giebt«, aber nach wie vor »liebt« schreiben?“
Herr K. war, wie mir schien, ein wenig nachdenklich geworden.
„Eine logische und widerspruchsfreie Rechtschreibung gibt es nicht“, fuhr ich fort. „Dieses hölzerne Eisen konnte noch keiner schmieden. Es gibt immer nur Kompromisse. Im Grunde ist es eine Sache der Gewöhnung. Wie man’s in der Schule gelernt hat, so findet man’s sein Leben lang richtig.“
Und dann erzählte ich Herrn K., was ich selber erlebt hatte. „Als ich Erstklässler war, hatten wir einen Religionslehrer, der noch im 19. Jahrhundert aufgewachsen war. Er hat die Rechtschreibreform von 1901 nicht mitgemacht, weil ihm die Änderungen unsinnig erschienen, und er war nicht bereit umzulernen. So schrieb er noch in den Fünfzigerjahren im Advent »Macht hoch die Thür« und »ein Helfer werth« an die Tafel, weil ihm das, was er einst gelernt hatte, richtiger schien als unsere neumodische Schreibweise.“
„Es geht nicht um neumodisch oder altmodisch“, sagte Herr K., „sondern um richtig oder falsch!“
„Was ist richtig, was falsch?“ erwiderte ich. „Vor dem 19. Jahrhundert hat man bekanntlich ebenfalls anders geschrieben. Es hat noch jeden verblüfft, wenn ich ihm meine Originalausgabe von Homers »Odyssee« in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß gezeigt habe. Das Buch erschien 1781 in Hamburg, »auf Kosten des Verfassers«. Offenbar wollte kein Verlag das Risiko eingehen, jene Nachdichtung zu drucken, die dann zu einem Super-Bestseller wurde. Am Ende des Buches sind seitenlang die Namen der »Pränumeranten und Subskribenten« aufgelistet, und was steht auf dem Titelblatt? Lesen Sie selbst: »Homers Odüßee«. Später hat man die Schreibweise verändert, gewöhnte sich daran und hält diese nun für die einzig richtige.“
Josef Dirnbeck, D 90489 Nürnberg
Buchstabensuppe
Selbst der Verkehrsfunk wird für diese Nachricht unterbrochen. Die Buchstabensuppe ist aus. Endgültig und im ganzen Land. Die Konsonanten stauen sich in jedem Schlund.
Zu oft geschluckt und nicht mehr zu verdauen. Nun fällt gar die Stimme der Großmutter wieder ein. Die Stimme der Großmutter, die ihren Enkeln das allererste Ammenmärchen auftischt:
Brennnesselsuppe gleitet mit drei N den Hals noch brennender herab als bloß mit zweien. Bald wird auch dieser Brand schon Brannd genannt. Ganz ohne Vokal-Biss fortgeflossen.
Hinter diesen Zähnen ducken sich selbst die Brüder Grimm ins grimmsche Märchen. In deren Sein nicht mal mehr brüderliches Zusammensein mehr mit sich zusammen sein kann.
Eine Schifffahrt auf Schlammmassen, dem vierten f, dem vierten m entgegen.
Andreas H. Drescher, D 66740 Saarlouis
Der kleine Gott
Ein junger Berliner und ein älterer Ägypter, der seit Jahren in Deutschland lebt, sitzen in einem Zugabteil.
„Entschuldigung, können Sie Deutsch?“, fragt der Berliner.
„Sie meinen die deutsche Sprache?“, antwortet der Ägypter.
„Deutsche Sprache klingt aber sehr formell. Sagen Sie doch einfach Deutsch!“, sagt der Berliner.
„Wissen Sie, warum ich das nicht sage? Ich habe es mir abgewöhnt. Ich weiß nie, ob ich das Wort groß- oder kleinschreiben muss. Ich habe keine Lust mehr, darüber nachzudenken.“
„Ich glaube, es gibt größere Probleme“, sagt der Berliner.
„Mag sein, aber versuchen Sie mal Folgendes zu schreiben: ,Ich spreche Deutsch, denke deutsch und schreibe auf Deutsch. Deshalb sprechen wir jetzt deutsch.' Mündlich versteht man das auf Anhieb“, sagt der ältere Mann. „Schriftlich ist es eine Prüfung.“
„Also ich kann Ihnen das erklären“, sagt der Berliner. „Groß schreibt man es, wenn es im Sinne von ,deutsche Sprache' verwendet wird und mit ,was?' erfragbar ist.“
„Es bleibt mir schleierhaft. Wenn ich sage, dass ich Deutsch spreche, dann müsste es eigentlich klein sein, denn es ist logischerweise ein Adverb. Ich schreibe doch auch nicht: Ich spreche Schnell – also mit großem S.“
„Aber mit Deutsch ist doch die Sprache gemeint!“, wirft der Berliner ein.
„Dann wäre es ein Substantiv, und es müsste heißen: das Deutsche. Außerdem kann das Verb, also sprechen, eigentlich kein Objekt haben. Wenn ich sage: Ich spreche eine Sprache, dann ist das etwa so sinnvoll wie: Es schneit Schnee. Eure deutsche Grammatik ist voller unlogischer Regeln.“
„Auf gut Deutsch: Man muss diese Regeln halt lernen!“, sagt der Berliner süffisant.
„Dann sagen Sie das mal den Politikern! Mit denen sollte man mal deutsch reden!“, erwidert der Ägypter. „Ständig höre ich die sagen: ,Deutsch sollen sie lernen!' Die meinen Flüchtlinge. Was für ein grammatikalischer Unsinn! Soll das heißen, sie sollen lernen wie die Deutschen? Also: Gründlich sollen sie lernen?“
„Das versteht schon jeder richtig“, beschwichtigt der Berliner. „Wie würden Sie es denn machen?“
„Deutsch immer kleinschreiben“, sagt der Ägypter.
„Finde ich nicht“, sagt der Berliner, „Großbuchstaben machen Deutsch – für Sie natürlich: die deutsche Sprache – ja auch besonders. Wie ist es denn auf Arabisch? Schreibt man da nichts groß?“
„Nein, in der arabischen Sprache ist alles klein“, sagt der ältere Mann.
„Ihr schreibt nicht einmal Gott groß?“, fragt der Berliner irritiert.
„Das ist nicht nötig“, sagt der Ägypter.
„Bei uns weiß jeder, dass Allah groß ist.“
Gerald Drißner, A 6700 Bludenz
Es war einmal eine Schriftsprache. Ein Märchen
Es war einmal eine Schriftsprache, mit der alle Untertanen im Königreich glücklich waren.
Fast alle Untertanen.
Denn einige Schüler klagten darüber, daß die Rechtschreibung zu schwierig sei. Das „ß“ mochten sie nicht so recht. Und warum „das“ einmal mit „s“ und manchmal mit „ß“ oder „muß“ mit „ß“ und „müssen“ mit „ss“ geschrieben werden sollte, entbehrte doch jeder Logik.
Um nur ein paar Merkwürdigkeiten der Schriftsprache zu nennen.
Einer dieser Schüler war der Sohn eines Herzogs, welcher wiederum ein Günstling des Königs war. So erfuhr der König von den Schwierigkeiten seiner jungen Untertanen mit der Rechtschreibung. Und er hatte Mitleid mit ihnen.
Deshalb wies er den Herzog an, dafür zu sorgen, daß die Rechtschreibung vereinfacht werde, damit in Zukunft alle Schüler gern in die Schule gehen und fehlerlos schreiben lernen würden.
Gesagt, getan. Neue Regeln wurden aufgestellt, alte abgeschafft.
Mit der Erneuerung der Schriftsprache waren alle Untertanen im Königreich glücklich.
Fast alle Untertanen.
Denn einige murrten laut und sagten voraus, daß die neue Rechtschreibung nur zu neuen Schwierigkeiten für die Schüler führen werde, daß sie ein Schlag ins Wasser, ein Schuß in den Ofen sei, und daß es besser gewesen wäre, bei der alten zu bleiben. Wer das Wort „Schiffahrt“ mit dreifachem „f“ schreibe, der sei auf dem falschen Dampfer. Und wer „daß“ mit doppeltem „s“ schreibe, wisse nicht, was er tue.
Um nur ein paar Merkwürdigkeiten der neuen Schriftsprache zu nennen.
Aber murren Untertanen nicht immer, wenn Könige etwas verändern?
„Man kann es nicht allen recht machen. Manchmal muß man das Volk zu seinem Glück zwingen“, sprach der König zum Herzog. „Jede Schafherde braucht einen Hirten, und manchmal ist es an der Zeit, die Schafe zu einer neuen Weide zu führen, auch wenn das Gras dort nicht grüner ist als auf der alten.“
Dann runzelte er die Stirn und fügte leise hinzu: „Obwohl ich meine Zweifel am Sinn der Sache habe.“
Der Herzog, der sich die Gunst des Königs nicht verscherzen wollte, nickte zustimmend und sprach: „Fürwahr, auch ich habe meine Zweifel. Aber was einmal geschehen ist, läßt sich nicht ungeschehen machen.“
„Auch daran läßt sich zweifeln, zumindest in diesem Fall“, gab der König zu bedenken.
„In der Tat“, stimmte der Herzog ihm eilfertig zu. „Auch daran läßt sich zweifeln.“
Nachdenklich blickten sie in die Ferne.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann zweifeln sie noch heute.
Catherine Ducloux, D 28213 Bremen
Fräulein Masseuse und ihr ´Hang zur Prostitution
Mein Name ist Dudin. Ich muss ihn oft buchstabieren, also sage ich: wie der Duden - aber mit i. Meist funktioniert das. Früher war mein Fast-Namensvetter, der Duden, ein langweiliges Regelwerk. Spätestens seit 2006 ist das anders: Heute gibt er Empfehlungen und weist auf Besonderheiten der deutschen Sprache hin. Ein unterhaltsames Lehrstück sind die Angaben zum Fräulein:
Das Fräulein war einmal eine junge Frau vornehmen Standes. Doch dann begann ihr Abstieg. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden auch Mädchen aus dem Bürgertum so genannt, wenn sie ledig und kinderlos waren. Bis vor einigen Jahren war darüber hinaus die Angestellte in einem Dienstleistungsberuf ein Fräulein. Verrucht war das deutsche Fräulein als Geliebte eines amerikanischen Besatzungssoldaten nach 1945. Die US-Soldaten betrachteten ihre attraktiven jungen Partnerinnen wiederum als Fräuleinwunder. Einen besonders schlechten Ruf hatte das Fräulein, das eigentlich eine Prostituierte war.
Für die moderne junge Frau kommt eine Anrede als Fräulein fast einer Beleidigung gleich. So stellt der Duden klar: Als Anrede für eine erwachsene weibliche Person sollte, unabhängig von Alter, Familienstand und Beruf, immer Frau statt Fräulein gewählt werden.
Dem Single Reiner aus Mannheim dürfte dies entgangen sein. Reiner schaltete jüngst eine Anzeige in einer Zeitung, weil er ein "junges Fräulein zwecks Haushalt, Einkaufsdienst und Heirat" sucht. Im Internet sorgte dies für Heiterkeit. Reiner könnte sich allerdings auf eine Ausnahmeregel berufen, würde er seine Herzdame bereits kennen: Denn die Anrede Fräulein darf laut Duden dann noch verwendet werden, wenn die angesprochene Frau diese Bezeichnung selbst wünscht.
Einen sprachlichen Abstieg ins Rotlichtmilieu erlebte nach dem Fräulein übrigens auch die Masseuse. Die einst weibliche Form von Masseur wurde, so der Duden, plötzlich für eine in einem Massagesalon arbeitende Prostituierte verwendet, die ihren Kunden Massagen mit "Happy End" anbot. Um Verwechslungen vorzubeugen, wurde aus der nicht im Erotik-Gewerbe arbeitenden Masseuse eine Masseurin. Das Lehnsuffix -euse aber war fortan unwiderruflich beschädigt. So wurde auch aus der Friseuse eine Friseurin. Unklar ist, inwiefern Witze über Mantafahrer ihren Teil dazu beitrugen. Der Mantafahrer hatte nämlich stets eine vollbusige blonde Friseuse an seiner Seite. Eine Antwort darauf gibt auch der neue Duden nicht.
Mey Dudin, D 12045 Berlin
Die Verbannten
Vermißtenanzeige schreibe ich mit ß, denke nach, streiche und schreibe zwei kleine s darüber. Das Buckel-es gibt es in keiner anderen Sprache, und nun ist es aus vielen Wörtern verbannt.
Es war auch nie in großen Buchstaben zu haben, also eher bescheiden, obwohl es sich an Großes klammert und schnell zu Fuß ist, dabei Flüssen und Küssen aus dem Weg geht. Da ist es nicht erwünscht. Schön scharf ist es, und es fragt jeden, warum ein Bus nicht mit zwei s geschrieben wird, hört sich das Wort doch wie Fluss und Kuss an.
„Von wegen Gerechtigkeit!“, zischt es und zieht murmelnd davon. Es setzt sich bei Oma auf den Schoß, das beruhigt. Oma streichelt es. Sie hält auch nichts von der Rechtschreibreform. Früher war alles anders, und nun weiß sie gar nicht mehr, wie man richtig schreibt. Weder Brief noch Karte kommt von ihr.
„Erzähle mir ein Märchen“, bettelt das kleine ß, „aber ohne Schloss.“
Oma beginnt ein Märchen zu erzählen, von einer Prinzessin, die auf einer Burg lebte und alle verbannten Buckel-esse bei sich aufgenommen hatte. „Das war ein Zischen und Sausen vom Morgen bis zum späten Abend. Und am Vergnüglichsten waren sie miteinander, wenn sie Klöße mit viel Soße aßen.“ Oma erzählt, bis dem kleinen ß die Augen zufallen, so dass es glücklich den Schluss verpasst.
Hanna Dunkel, D 65830 Kriftel
Die Sch(m)eissfliege
In einer Gegend, in der sich frische Luft mit Kuhfladendunst mischt, dort, wo die Flennerstraße und die Clamarenstrasse aufeinander prallen und von Feldern und Weiden eingerahmt werden, dort geht Herr Nass spazieren. Er ist Photograf aber seine Fotos haben bei Weitem keinen großartigen Status und seit längerem stagniert seine Karriere, doch es reicht zum leben. Er läuft hier oft entlang, zur Entspannung. Außerdem hofft er, vielleicht das ein oder andere Motiv vor die Linse zu bekommen. Da Herr Naß allerdings ständig den Blick in sein Handy versenkt hat, bemerkt er nicht den von der Sonne vergoldeten Morgennebel zwischen den Gräsern, nicht die Lichtstrahlen, die von den Ästen der Bäume zerteilt werden und leider auch nicht die Kuh, die ihn freundlich anmuht, um mal wieder gestreichelt zu werden.
Aber die Natur kennt einen Weg, seine Aufmerksamkeit zu erringen und so umschwirrt ihn eine dicke, nervige Fliege, die ihm nie fernbleibt, sondern immer zielsicher ausgerechnet ihn anzupeilen scheint. Ihr ständiges Brummen und Summen geht Herr Nass auf die gespannten Nerven. Er verflucht sie, wie sie ständig gegen
seinen Kopf fliegt, nach 0,7 Sekunden vergisst, dass sein Schädel härter ist als ihrer und es einfach erneut tut. „Sie soll doch mal auf einem Kaktus landen, diese Kacktusse!“ , denkt er sich.
Einmal war die Fliege auf seiner Hand gelandet und ihr kleiner, metallisch schimmernder Körper zeigte ein
Muster, das er als „RR“ definierte. Wie auch immer, Doppel-R macht es ihm unmöglich auf den Spaziergängen Erholung zu finden. Es scheint seltsam, dass ein so kleines und unwichtiges Insekt den großartigen Homo Sapiens in seiner grossen Erhabenheit stören kann, während sogar die freundlich muhende Kuh eine ganze Schar von ihnen schwanzzuckend abtut.
So läuft Herr Naß hier mehrfach die Woche entlang, fluchend, dass jemand mal etwas gegen diese dauernd wiederkehrende, unfassbar strapaziöse Doppel-R unternehmen sollte und dass es ja eine Unverschämtheit sei, die Menschen mit etwas wie einer Fliege zu belästigen.
Doch es ist wie überall auf der Welt: Manche würden diese Fliege als legitimen Teil der Natur sehen, anderen ist sie völlig egal, auch wenn sie allgegenwärtig ist. Herr Nass gehört einfach nur zu der Sorte Mensch, die sich immer beschwert, egal, ob die Fliege nun groß oder klein ist und der sich in gewisser Weise auch einfach nur echauffieren will. Und er kommt nie auf die Idee, seine Route zu ändern …
Alexander Eckerlin (*1995), D 69221 Dossenheim
Faul(l)enzen
Wie kann man diesen Begriff etymologisch verstehen und einordnen? Ist es eine Zusammensetzung aus faul und lenzen? Also faul im Sinne von abgeneigt zu arbeiten, sich zu bewegen, sich anzustrengen, ; stinkfaul; sein, und lenzen im Sinne von leeren? D.h., nichts tun und den Geist von jeglichem Anfall zu einer Tätigkeit leeren. Demnach müsste man folgerichtig faulenzen mit zwei l schreiben, also faullenzen.
Im Rahmen der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung geht es ja auch um die Vereinfachung der Schreibweise von Wörtern und Begriffen. Mein Vorschlag ist deswegen künftig einfach v-lenzen zu schreiben. Das wäre eine große Vereinfachung phonetisch der Umgangssprache entsprechend und sie käme dem Trend, alles abzukürzen, entgegen. Außerdem ist diese kurze Schreibweise sicher im Sinne des Wortes an sich. Dementsprechend müsste natürlich das Hauptwort Faul(l)enzer der neuen Schreibweise angepasst werden. Geht man davon aus, dass der „F“ ein Verweigerer jeglichen Tuns ist, sollte man zukünftig einfach V-Lenzer schreiben. Das macht Sinn, V als Abkürzung für Verweigerung und Lenzer als Leerer jeglicher Tätigkeitsgedanken.
Noch ein paar Gedanken zu v-lenzen. Grammatikalisch gesehen ist es ein Verb, ein „Tuwort“. M. E. ist das paradox; denn es hat ja mit Tun überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil, ist es nicht eine dem Menschen im Laufe der Evolution rudimentär verbliebene, lieb gewordene Eigenschaft? Dementsprechend sollte v-lenzen künftig als Adjektiv geführt werden. Nur aktivistische Workaholics, die keine Ahnung von genussvollen, v-lenzen haben, konnten diese Eigenschaft zu einem vorwurfsvollen Verb umfunktionieren.
Sie sollten diese Vorschläge Ihrer sicher nicht einfachen Aufgabenstellung, die deutsche Rechtschreibung zu reformieren, ernsthaft prüfen. Herzliche Grüße, Ihr V-Lenzer.
Karl-Heinz Falk, D 74676 Niedernhall
Ausm F-F-F
Mit etwa siebeneinhalb Jahren kollidierte klein-Claudi zum ersten Mal mit der alten Rechtschreibung. Oder besser gesagt mit ihrer damaligen Lehrerin, die sich über die drei F in der Mitte des Wortes Schifffahrt in der Mitte des Ferienaufsatzes von Claudi aufregte.
Mit der Begründung, es würde mit zwei F geschrieben, weil das schon immer so war, gab sich das Kind nicht zufrieden. »Aber das ergibt keinen Sinn!«
»Das ist aber nun mal so!«
»Warum? Fressen die zwei F das Dritte?«
Die Lehrerin schmunzelte sogar und sagte: »Du hast mir eine Fantasie, Mädchen. Sieh es einfach ein: Es ist so und du musst es dir merken.«
Sich vorzustellen, dass sie ersten beiden F das Dritte fraßen, war furchtbar und das Wort Schiffahrt sah gruselig aus. Es war unlogisch und gemein und klein-Claudi war unglücklich, sich damit abfinden zu müssen. Sie diskutierte laut, regte sich auf, schrieb die drei F, konnte nicht anders, auch wenn sie am Ende dafür traurige Stempelchen bekam.
Als wenige Jahre später jedoch die Reform der Rechtschreibung angekündigt wurde und dank ihr das dritte F leben durfte, erfuhr Claudi zum ersten Mal, dass Wünschen hilft. Vermutlich war dieses frühe Erlebnis dermaßen prägsam, dass sie bis heute glauben kann: Eines Tages wird die Vernunft siegen!
Claudi Feldhaus (*1987), D 12679 Berlin
das verkehrtschriftformreferendum
die vereinheitlichung der verkehrtschrift war der ausdrückliche wunsch dieses referendums. in einer undemokratischen abstimmung wurde der antrag jedoch nach mehreren gegenüberstimmen und schwankungsergebnissen abgelehnt. die gründe werden im im folgenden mehr oder weniger vollständig aufgezählt, der fairness halber in der allseits beliebten pro-contra methode, um die umstrittenheit des aktuellen endergebnisses zu unterstreichen.
punkt 1: erringung einer gesamtvereinheitlichung zur lebenseinfachheit.
pro: einfachheit täuscht eine tatsächliche erleichterung vor, was grundsätzlich zu begrüßen ist, vor allem von vertreterinnen des schreibpsychologiestammtisches,
jedoch durch contra widerlegt wurde: individualitätsverschiebung d.h. einbuße des eigens ausgeformten sprachgebrauchs aka anarchieschreibung mit besonderem nachdruck unterschriftengestützt durch die mehrschreibige volksschullehrerinnenvereinigung.
punkt 2-5 sind aus irrelevanz aus dem register genommen worden, weswegen dies eine direkte überleitung zu punkt 6 darstellt, der lautet:
vorbeugung einer gehaltserhöhung des lehrpersonals wegen unzumutbarer unterrichtszustände
pro: ausbeutung des lehrberufes ist in jedem falle und ohne angabe näherer gründe zu unterstützen. contra: die mehrschreibige volksschullerhrerinnenvereinigung plädiert auf gehaltserhöhungen aufgrund des unwiderbringlichen bildungsauftrags der auch bei ausgesprochen unaufmerksamen subjekten unwiderruflich ausgeführt wird, wobei sich die anstrengungen dahingehend seit der einführung der gewaltfreiheit mindestens verdoppelt haben.
punkt sieben beschreibt zugleich den abschließenden punkt:
vernichtung jeglicher ortographiebücher und erschaffung eines schreibgeschützten e-regelwerks.
pro: in diesem fall aufgrund von taktlosigkeit gegenüber schriftstücken nicht vorhanden. contra: mangelnde sicherheit d.h. die möglichkeit einer endgültigen zerstörung des regelwerks durch einen virus aka bücherwurm.
letzte anmerkung: die diskussionsverzögerung durch diskussionsverweigerung verhinderte eine endgültige entscheidung. einwände sind jedoch immer willkommen und dienen der förderung von schriftduellen aka streitschriften, die eine basiseinnahmequelle der reformantinnen bieten. d.h. für das aufleben der diskussion, im sinne der verkehrtschriftrevolution!
Katharina Ferner, A 1200 Wien
Orthographenkongress
Werte Kollegen und Kolleginnen,
heute, am 20. November 1994, treten wir erneut zusammen, um im Rahmen der Reformierung der deutschen Rechtschreibung über die neu einzuführende S-Schreibung zu entscheiden.
Zur Wahl stehen zwei Schreibungen, die Adelungsche und die Heysesche. Erstere wurde 1901 im gesamten deutschen Sprachraum eingeführt, in den Jahrhunderten davor war die Heysesche gang und gäbe, von der Adelungschen unterscheidet sie sich dadurch, dass ausschließlich nach gedehnten Vokalen und Diphtongen ein scharfes S, am Ende einer Silbe und vor einem Konsonanten hingegen ss geschrieben wird. Wir müssen uns also entscheiden, ob wir in Zukunft „Kuss“ oder „Kuß“, „Missstand“ oder „Mißstand“, „paßte“ oder „passte“ schreiben wollen.
Werte Kollegen und Kolleginnen, wie Sie wahrscheinlich bereits erkannt haben, ist es gehupft wie gesprungen, Jacke wie Hose, ob die Adelungsche oder die Heysesche Schreibweise zum Einsatz kommt, zukünftige Deutschschüler werden sowohl an der einen als auch an der anderen scheitern, werden „dass“ schreiben, wenn es „daß“ hieße, und „daß“, wenn „dass“ richtig wäre. Für die Heysesche Schreibweise spricht, dass sie eine Regelung weniger aufweist, allerdings wird nicht jeder Schüler auf Anhieb einen gedehnten Vokal erkennen, der Vorteil der Adelungschen hingegen besteht darin, dass sie unter dem Aspekt des Schriftbilds eindeutiger ist. Zweifellos spräche das für ihre Beibehaltung, doch wir wollen ja verändern und reformieren und geben deshalb auch der Heyseschen eine neue Chance.
Eine dritte Möglichkeit bestünde darin, das scharfe S, eine obsolete Besonderheit der deutschen Schriftsprache, ganz abzuschaffen und durch ss zu ersetzen, wie andernorts bereits geschehen, doch übers Ziel hinausschießen wollen wir nun auch wieder nicht.
Werte Kollegen und Kolleginnen, da es wie gesagt gehupft wie gesprungen, Jacke wie Hose ist, ob die Adelungsche oder die Heysesche Schreibung zum Einsatz kommt, haben wir beschlossen, den Zufall entscheiden zu lassen. Der beziehungsweise die jüngste aus unserer Mitte wird eine Münze werfen. Kommt die Zahl oben zu liegen, bekommt die Adelungsche den Zuschlag, kommt der Kopf oben zu liegen, die Heysesche ...
Alea iacta est, das Schicksal hat sich für die Heysesche entschieden. Von nun an werden wir nur noch nach gedehnten Vokalen und Diphtongen ein scharfes S schreiben!
(Tosender Applaus)
Karin Fleischanderl, A 1020 Wien
Meine unreformierte Kindheit
Noch heute hört man Leute sagen: „Ach, mit der (blöden) neuen Rechtschreibreform ist das jetzt so“. „Neu“ – denke ich mir – die Rechtschreibreform ist immerhin mehr als zwei Jahre älter als ich. Früher war mir nie klar, was „die Großen“ überhaupt damit meinten. Das Wort „Reform“ brachte ich mit Reformhäusern in Verbindung: teuer, qualitativ, kleine Portionen für viel Geld - aber „gut für den Menschen“. Heute ist mir klar geworden, dass Reformen häufig teuer sind. Aber ob sie wirklich ein Segen für die Menschheit sind, stellt sich meist erst später heraus. Auf jeden Fall werden sie oft zunächst skeptisch betrachtet. So also auch die „neue“ Rechtschreibreform. Das erste mal mit der Veränderung von Schreibweisen konfrontiert wurde ich, als ich vor einigen Jahren eine alte Bierflasche fand, auf der
„Eigenthum der XY-Brauerei“ stand – mit h. Sofort fing ich an mich für alte Schreibweisen zu interessieren, besonders für Worte wie „Tor“ und „Tür“, die damals noch mit h geschrieben wurden. Lange überlegte ich, welche Variante wohl sinniger sei – mit dem Entschluss, dass die Menschen ihrer Zeit wohl viele Probleme mit der Umgewöhnung hatten, bestimmt haben auch sie die ihnen „neue“ Rechtschreibreform verflucht. Vielleicht hätte man es ihnen zuliebe einfach alles beim alten belassen sollen, denn wirklich drastisch ist der Unterschied ja nicht, so ein „h“ wird schon nicht die Welt kosten. Doch das war lange vor dem Zeitalter der automatischen Rechtschreibkorrektur, die uns das Denken über mögliche Fehler abnimmt und sogar aus dem schwierigsten Buchstabenwirrwarr entziffern kann, welches Wort wir schreiben wollen. Obwohl die Rechtschreibung des Öfteren kleine Veränderungen hinnehmen muss und der Duden mittlerweile voll mit Anglizismen ist, habe ich diese Neuerungen nie erlernen müssen, sie wurden mir ganz selbstverständlich in der Grundschule beigebracht. Deshalb war mir auch nie klar, warum so viele Menschen Probleme mit dieser „neuen“ Rechtschreibung hatten, denn meiner Meinung nach hat man alles so geschrieben, wie man es spricht (oder in der ersten Klasse mit viel Kreativität versucht die acht Buchstaben, die man schon kannte, in eine „logische“ Reihenfolge zu bringen). Besonders jetzt, mitten im Abi-Stress, wo jedes Wort zählt, wird mir aber klar, dass die meisten meiner Rechtschreibfehler vor 1996 noch keine gewesen wären. Doch um zum Schluss zu kommen – vieles ist ja doch sinnvoll.
Marie Formella (*1998), D 24107 Kiel
Schei__e in der Fu__ballstra__e
Kein Sportler im Fernsehinterview kommt ohne Schei__e aus. Gespräche, die ich mit anhören muss (Stra__e, Zahnarztpraxis, Eisenbahn oder Bus), ermangeln selten dieses Wortes. Und als indeklinables Adjektiv erst! Kaum etwas, das nicht schei_e ist, kaum einer, der nicht so aussieht. Schei__e ist allgegenwärtig, ist Teil unseres Seins. Allerdings überwiegt noch mündlicher Gebrauch. Denn mit der Schreibung ist es schwierig. Es wird geraunt, dass das Eszett abgeschafft sei. Gebraucht wird es auch nicht mehr, dies lehren die Schweizer. Und so ist die Doppel-s-Schreibung allenthalben auf dem Vormarsch. Selbst Gymnasien weisen sich inzwischen als in einer Strasse befindlich aus, Fussball wird überall gespielt, sogar Fussball-Europameisterschaften finden statt, hausgemachte Himbeersosse weist die Tageskarte der Eisdiele aus.
Im von mir unterrichteten Integrationskurs übten wir: Ich heiße. Als ich mich zur Tafel wandte, um die Floskel anzuschreiben, wurde hinter mir ein Reimwort geflüstert. Ich sagte, auch dieses Wort gehöre zur deutschen Sprache, man müsse es kennen. Ich forderte einen der Flüsterer auf, das Wort anzuschreiben. An der Tafel erschien die Doppel-s-Variante. Ich begann zu erklären: „ß nach langem Vokal, nach Diphthong erst recht.“ Die ganze Duden-Litanei - natürlich ohne Exkurs zu Heyse'schen und Adelung'schen Regeln. „Warum so?“, erscholl es. „Das ist doch schwer.“ „Das ist so“, sagte ich, „so sind die Rechtschreibregeln.“ Und was im Kurs wirklich gern gehört wird, wirkte wiederum: „Auch viele Deutsche können das nicht.“ Es sei also egal, erwiderten die Flüsterer, die es sich auch angelegen sein lassen, den Kurs ab und zu aufzuheitern, ob man auf der Stra_e Fu_ball spiele und dabei in die Hundeschei_e trete. Im Sinne der Rechtschreibung sei es wohl nicht egal, versuchte ich einzuwenden, aber ich wirkte nicht überzeugend. Mir fiel ein, wie ich, Anfänger noch, an der Volkshochschule zu W. einen Kurs Volkspolizisten in der deutschen Sprache unterweisen musste. Einer sagte mir bei der Aufsatzrückgabe (Note 4 wegen schlechter Orthografie), dass die vielen Rechtschreibregeln doch wohl schei_e seien, warum man nicht jeden so schreiben lasse, wie er wolle. Ihn konnte ich mit dem Hinweis auf die in der Deutschen Demokratischen Republik keineswegs gewollte und zu verhindernde Anarchie vom Gegenteil überzeugen. Aber was soll ich heute sagen? „Schei_e?“ Oder: „Gehen wir noch Fu_ball spielen?“
Albrecht Franke, D 39576 Stendal
Hugo Duden Dada
Hugo, sprach der Lehrer, was ich da sehe, ist kein Spaß. Willst du die Gegenreformation einläuten mit dem „daß“? Oder die nationale Souveränität der Schweiz verletzen? (Die Eidgenossen haben Angst vor allem Scharfen, auch vorm ß.) Des Weiteren lese ich „desweiteren“, ferner von Phantasie, Photographie und Potential. Hast du noch nie von Karl Kraus gehört, der dereinst deklamierte, dass ein einziger falscher Beistrich einen Weltkrieg auslösen kann. Semikolon ist auch kein Halbkölner, Expander kein Reservelöwe und Astigmatismus keineswegs die Lehre von den Satzgliedern. Du schreibst, mein lieber Hugo, zusammen, was zusammen nicht gehört, nämlich Käse, aber das ist bei der Jugend gang und gäbe – nicht Gang und Gebe. Wenn ich Yogurt und Maionese lese, wird mir angst und bang, und nicht, wie es bei dir steht: Angst und Bang, was ein kleiner Sprachverwirrungs-Urknall ist.
130 Jahre deutsche Rechtschreibung gehen Bankrott. Dilettanten haben nichts mit Tanten oder Dille zu tun. Und wenn ich höre, das macht Sinn, dann ist das der Untergang der reinen teutonisch deutschen Sprache, und das aus dem Teutoburger Wald stammende Papier dreht sich im Grabe um, das zurzeit, die man nicht trennt, ein Smartphone ist – samt einer App mit Namen Göhte. Ein Gräuel! Aber nicht mit eu und noch weniger mit mir. Wir müssen bewusstmachen, was bewusst zu machen ist! Die reine Sprache! Schon ein kleiner Fehler kann alles urinieren.
Nichtsdestotrotz glaube ich inbrünstig, obwohl du scheinbar statt anscheinend schreibst, dass du zartbesaitet bist, nur nicht mit ei. Wer selbstständig weiter denkt und von „Ältern“, die auch nur mit „Mähl“ bak-ken, fabuliert, ist noch nicht verloren. Wie sollst du wissen, dass ein viel versprechender Kandidat kein vielversprechender ist, Urinstinkt keine übel riechende Ausscheidung, und jemand, der gut zu Vögeln ist, sich nicht fest nageln lässt? Ich geb dir einen Tipp mit Doppel-P, denk über die Verwendung von Wörterbüchern nach, das ist nicht, wie du es ausdrückst, aufwendig, sondern notwendig, weil die Orthografie die Seele eines Menschen widerspiegelt – und da hast du eindeutig ein langes i zu viel.
Wir haben, lieber Hugo, die Rechtschreibreform doch nur für dich gemacht. Nicht, um etwas schlecht zu machen, sondern um Unklarheiten zu beseitigen. Verstehst? Und du? Schreibst: Gadse, Alter, krass. Bruder, fick dich, LOL, WTF, IMO und ggg! Zum Schluss noch eine Frage zu diesen Emojis: Müssen die jetzt wirklich sein? WFM. XOXO. SU.
Franzobel (Stefan Griebl), A 1020 Wien
"So" oder "so" oder "so oder so"?
Schreibt man "aufgrund" oder "auf Grund"? Der Duden erlaubt beide Schreibweisen - wie in vielen Zweifelsfällen. Wer möchte - z.B. beim Korrigieren eines Aufsatzes - schon dauernd nachschlagen, ob ein seltener verwendetes Wort "so" oder "so" oder "so oder so" zu schreiben ist? Also lässt man alles durchgehen, was verständlich ist und keine Missverständnisse erzeugt. Faktisch ist das Ergebnis der Rechtschreibreform von 1996 eine Liberalisierung der Rechtschreibung.
Und das ist gut so. Goethe und Schiller hatten keinen Duden. H.M.Enzensberger soll seinem Lektor die Anweisung "Nicht nach Duden!" gegeben haben. Die großen Zeitungsredaktionen verwenden Hausregelungen für eine einheitliche Verfahrensweise bei der Rechtschreibung. Eine Sprache muss atmen, um sich lebendig weiterentwickeln zu können. Der Duden sargt sie ein: Einfalt statt Vielfalt.
Der doppelte sinnlich wahrnehmbare Körper eines Wortes, sein Wortlaut und dessen Schriftbild, ist vergleichbar dem, was einem Menschen ein unverwechselbares Gepräge verleiht: seiner Gestalt und Physiognomie, seinem Stil und seiner Selbstinszenierung. Um so gewaltsamer der Eingriff, den die Experten mit dem Ziel bürokratisch verordneter Vereinfachung am geschichtlich Gewordenen vornahmen. So wurde die Aura von Wörtern, wie rauh, Schenke, Zierat, Greuel, behende, Gemse oder selbständig, zerstört.
Da wir alle sehr viel mehr lesen als schreiben, ist Vereinfachung des Schreibens immer dann ein widersinniges Anliegen, wenn seine Verwirklichung auf Kosten der Lesbarkeit von Texten geht. Und dies trifft z.B. auf die neuen Regeln zur Kommasetzung bei Infinitivgruppen zu. Hier darf man auf den Beistrich verzichten. Doch wer stolpert beim ersten Lesen nicht über Sätze wie "Wir versuchten [,] die Torte mit Sahne zu verzieren" (Duden)? Zudem handelt es sich dabei um eine paradoxe Vereinfachung, da es Fälle gibt, wo man das Komma weiterhin setzen muss - etwa, wenn die erweiterten Infinitive "mit 'als', 'anstatt', 'außer', 'ohne', 'statt' oder 'um' eingeleitet werden", "von einem Substantiv abhängen", "mit einem hinweisenden Wort angekündigt oder wieder aufgenommen werden" (Duden). Wer soll das fehlerfrei beherrschen? Wäre es da nicht viel effizienter für Lesende und Schreibende, wenn ganz einfach gälte: "Infinitivsätze sind durch Komma vom übrigen Satz zu trennen."?
Seien wir also rigide hinsichtlich der Interpunktion und liberal in puncto Orthographie!
Karl-Ludwig Friderich, D 66424 Homburg
Prinzipienreiter
Abdihakim sagt: „Guten Tag.“ Ich grüsse auch und reiche ihm meine Kreide: „Schreib das doch bitte gleich an die Tafel.“ Er wippt verlegen von einem Fuss auf den andern. „Schreibt man Tag gross oder klein?“ Ich schlucke leer. Wäre mein Mann je vor diese Klasse getreten, wir wären vielleicht noch zusammen. Obschon: Jürg ist ein Esel. Wahrscheinlich hätte er sogar Abdihakim die Gross- und Kleinschreibung mit ihrer drucktechnischen Tradition in allen Details erläutert und ihm gleich noch die Kommaregeln um die Ohren geschlagen.
Ich weiss noch, wie er mir erklärt hat, dass ein Lamm in Gottes Namen nichts mit belämmert zu tun hat. Selbst ein Windelkind sei in der Lage, einen derartigen semantischen Unterschied zu begreifen. Jürg hat mir nie über die Schulter geschaut, wenn ich Aufsätze zu korrigieren versuchte. Ich bin mir sicher, ihm wäre schon nach den ersten Absätzen jede Reform recht gewesen, die das Unterrichten vereinfacht. Und – wohlgemerkt – es waren Aufsätze von Gymnasiasten. Flüchtlinge unterrichte ich erst, seit ich pensioniert bin. In meiner Klasse sind mehr als dreissig Personen, acht verschiedene Nationen und mindestens ebenso viele Niveaus, drei komplette Analphabeten. „Man ist, wie man spricht“, sagte Jürg immer. Ich möchte ihn sehen, wie er Abdihakim „belemmert“ erklärt.
Hätte ich gewusst, dass ich meinen Mann an die Rechtschreibereform verliere, ich hätte nicht zugelassen, dass er sich in die Kommission wählen liess. Ich sah ihn nicht mehr, nur einen beliebigen Mann, nein, nicht einmal das, ich sah einen Prinzipienreiter.
Er schlug mit morphologischen Einzelfällen um sich, enervierte sich über eine lapidare Inkonsequenz, die die Silbentrennung betraf. Ich habe ihn noch heute im Ohr: „Ein Komma betrifft nicht nur einen einzelnen Satz, es demonstriert, wie jemand denkt. Und das ist bei den meisten in Gottes Namen zu wenig.“
„Es reicht“, habe ich irgendwann zu ihm gesagt. „Noch einen Satz zur Orthographie und du siehst mich nicht wieder.“ (Selbstverständlich klang ich Stunden später bereits moderater: „Setz dich bitte in mein Unterrichtszimmer und du wirst verstehen, wovon ich spreche.“) Er ist nie vor meine Klasse getreten, hat sich überhaupt nie dafür interessiert, was mich kümmert, kurzum: Unsere Beziehung hat die Reform nicht überlebt. „Gross“, gebe ich Abdihakim endlich zur Antwort. „Man schreibt ‚Tag’ gross“, und noch ehe er fragt, warum man ihn dann nicht anfassen kann, sage ich: „Aber lass uns über etwas anderes reden.“
Michaela Friemel, CH 7536 Santa Maria Val Müstair
Recht-Schreibung?
In Wahrheit geht es um Sprachreform. Da aber Sprache ein Prozess ist, sie sich also ständig
selbst erneuert, hat sie keine Eingriffe nötig. Trotzdem werkelt man seit Luther an ihr herum:
aus ideologischen Gründen.
So hatte der „preußische Kanzleistil", ein autoritärer Nominalstil, zuvörderst das Ziel, Steuern
einzutreiben und Soldaten zu rekrutieren. Auch Adolf Hitler brauchte dringend Gehorsam zur
Durchsetzung seiner Ziele: Denkgehorsam, Sprachgehorsam. Der Gröfaz wurde von dem Wahn verfolgt, das arische Deutsche sei von subversivem Französisch unterwandert. Es stimmt, zur Zeit der industriellen Revolution wurden gewisse Wörter wie Lokomotive und Perron, Automobil und Navigation ins Deutsche übernommen. Nichts Beunruhigendes, oder? Doch das Auto musste zum „Kraftfahrzeug" mutieren - noch heute existent in dem hässlichen Kürzel Kfe.Als Fehlschlag indes erwies sich der Plan, so private Teile wie die Nase zu reformieren: Sie sollte von der abwegigen Wortfindung „Gesichtserker" abgelöst werden.
Eben wegen solcher Abwege wurde nach '45 jedem weiteren Reformversuch misstraut. Die lang diskutierte Rechtschreibreform von 1996 wurde denn auch ein Mischmasch aus Alt und Neu. Auf der Strecke blieb die Autonomie der Sprache.
Ich vermute, ursprünglich war Sprache so etwas wie die geheime Übereinkunft derer, die im
selben Urstromtal lebten. Dann, mit den Völkerwanderungen, entstanden Differenzierungen, je nach Siedlungsart. Mauern gegen Fremdwörter aber nicht. Herkunft und Bedeutung
eingewanderter Wörter ließen sich aus ihrer Schreibweise ableiten. Phantasie zum Beispiel
hatte mit dem griechischen „Trugbild" zu tun, Fantasie dagegen mit Musik.
Bekannte deutsche Autoren forderten noch im selben Jahr den sofortigen Stopp der Reform.
Sonst müsse die gesamte deutsche Literatur von Luther bis Lenz neu gedruclü: werden.
Ein Nebenaspekt, meine Herren! Denn hier geschah etwas Selbstvergessenes, wie bei
Kriegsende, als noch die letzten stehengebliebenen Gründerzeit-Fassaden niedergerissen
wurden: Weg mit Simsen und Baikonen, Karyatiden und Säulen! Alles Ballast! Kompliziertes
sollte durch Einfaches, Ungleiches durch Gleiches ersetzt werden, möglichst aus genormten
Fertigteilen.
Doch derlei Fortschritt hat seine Tücken. Plötzlich erkennen wir die eigene Straße nicht wieder, ja nicht einmal die eigene Stadt, und fangen an, sie mit anderen Straßen und Städten zu verwechseln. Am Schluss fragen wir uns vergeblich, wer wir sind und woher wir kommen.
Uwe Friesel, D-29410 Salzwedel
Die neue Un-rechtschreibung
Als ich anfing, deutsch zu lernen, war für mich der schönste,
geheimnisvollste Buchstabe das „ß“. Und jetzt wo ist er? Er hält sich
versteckt, verschollen, verschwunden, taucht trotzdem auf, da wo
man ihn am wenigsten noch erwartet. Vermutlich habe ich die neuen
Spielregeln noch nicht kapiert. Dieses Doppeltgemoppelte an den
Kommata und Pünktchen heißt nicht, daß (sorry! Fremdwort) doppelt
unbedingt besser hält.
Ein Schuss ins Muss!,!!
mit dem zauberhaften „daß“
iss Schluss
ist das nicht krass?,!?,,,!!??
Nun zischt das „dass“
und mit dem Fluss ist kein Genuss
Noch treumt der träue Alp vom Alb
nicht mehr fassbar ist das Fass
Und wenn die neuen Regeln logisch begründet sind, warum nicht ins
Mittel- und gar ins Althochdeutsche zurück?
Wenn Greuel gräulich ist
so grüwelt's mich
lieber griul und
griuselich grüwesam
grässlich
grunn
und grauss - ,
als das Auss.
schmeiss
die Tür ins Schloss
und rauss!,.!!!
Ruth Fruchtman, 10439 Berlin
Das ß hat Heimweh
Eines Morgens fiel das kleine ß aus seinem Buch. Obwohl es weich auf dem Teppich landete, fühlte es sich elend. Ein Silberfischchen fand es und pflegte es gesund. Sehr bald sehnte das ß sich nach seinem Zuhause. Wie gut, dass eine Ameise ihre Hilfe anbot. Sie nahm den Kleinbuchstaben huckepack und krabbelte am Regal hoch. Da oben stand sein DUDEN, da warteten seine Freunde. Am Ziel schob das ß sich hurtig zwischen die Blätter, dort, wo die Seitenzahlen saßen. So konnte es sich zügig orientieren. Schon erreichte es Seite 328. Wie schön es war, wieder daheim zu sein!
Aber, was zum Typo-Teufel war geschehen? Es gab kein leeres Plätzchen in seiner vertrauten Zeile. Habe ich mich geirrt, fragte sich das ß ganz verwirrt. Unmöglich! Das ß entdeckte seine Textstelle 22 Zeilen tiefer. Doch auch hier fehlte kein einziger Buchstabe. Auf seinem Platz im Wörtchen daß taten sich zwei kleine s dicke, dass konnte das ß hinter dem Komma lesen. Da erschrak es gewaltig. Indessen meldeten sich die beiden kleinen s zu Wort: „Gestern wurden einige alte Bände herausgezogen. Möglicherweise wurde dein Buch ausgetauscht. Die alte Rechtschreibung ist nicht mehr gültig. Ein dass mit ß gibt es nicht mehr - so leid es uns tut, dir das sagen zu müssen.“ Die anderen Buchstaben rundherum nickten.
„Aber mein Buch sah genauso aus, wie das eure! Und es hieß genauso. Wohin ist es verschwunden?“ Von gestern auf heute sollte ein ganzes Buch nicht mehr gültig sein? Traurig schleppte das ß sich nach draußen. Da saß es auf dem Schnitt und Tränen aus Druckerschwärze kullerten. Wäre es doch nie aus seinem Buch herausgefallen!
„Hallo, hallo!“ rief mit einem Mal jemand - die Ameise hatte noch gewartet.
„Ich habe kein Zuhause mehr“, schluchzte das ß.
„Sachte, sachte. Du hast dich nicht richtig umgesehen. Was meinst du wohl, steht gleich neben diesem Buch im Regal?“ Die schlaue Ameise blickte bedeutungsvoll nach links. Das ß folgte ihrer Kopfbewegung. Tatsächlich, wie hatte es das übersehen können? Seite an Seite mit dem falschen neuen steckte sein alter DUDEN im Regal.
„Du siehst, der Besitzer der Bücher will beide Ausgaben behalten. Diese Geschöpfe werden schon wissen, wozu sie die neuen Regeln brauchen. Sie wollen anscheinend einiges vereinfachen, vor allem für ihre Kinder, die erst lesen und schreiben lernen.“
„Danke, Ameise, und grüße mir den Silberfisch.“ Jetzt hielt das ß nichts mehr. Es hopste kopfüber in sein Buch, fand seinen Platz auf Anhieb und feierte mit allen Freunden seine Rückkehr.
Rüdiger Fuchs, D 18055 Rostock
Sprachschätze
Als ich 1970 anfing mich mit der deutschen Sprache zu beschäftigen, fand ich das ß und die Buchstaben mit Umlaut sehr reizvoll. Sie kamen oft vor, und sie zu benützen hat mich beim Lernen motiviert. Inzwischen, leider, durch die Rechtschreibreform und die Tendenz alles am PC zuschreiben, bleiben diese Schönheiten auf der Strecke.
Ich empfand die Rechtschreibreform vor zwanzig Jahren eher als eine Sprachverstümmelung. Ichbeschloss, sie zu ignorieren und die alte Schreibweise beizubehalten. Anfangs klappte das auch, aber im Laufe der Zeit, sah ich mich dazu gezwungen mich damit auseinander zusetzen. Ich konnte keinen Text mehr im PC eingeben ohne ewige Korrekturvorschläge. Dazu kam, dass die ersten Enkelkinder eingeschult werden. Ich wollte helfen und nicht hindern.
Ich stellte fest, es gibt durchaus sinnvolle Änderungen, wie z. B. das Trennen vor ck anstatt in der Mitte und zweimal k daraus zu machen, was mir unlogisch schien. St darf man jetzt auch trennen finde ich gut. Aber wie kommt man dazu die Wörter Spagetti und Majonäse so zu schreiben? Wie sieht das aus? Warum gibt es Wörter in denen drei gleiche Buchstaben aufeinander folgen (2. B. Nussschnecke, Stilllegung, Schneeeule usw.)? Sie sind nicht ästhetisch. Mir fällt es schwer sieanzusehen. Schreiben tue ich sie nicht!
Das Ph ist so gut wie aus dem Duden verschwunden. Warum? Es deutet auf die griechische Herkunft, und ist unschwer auszusprechen. Da könnte man genau so gut aus Ps (Pseudonym, Psychologe) einem 3 machen, wie von den meisten Leuten ausgesprochen.
Bindestriche, die in andere Sprachen eher verschwinden, werden häufiger eingesetzt, aber da wo sienützlich wären, wegrationalisiert. Es ist zum verrückt werden.
Für die Zukunft, wünsche ich mir, dass alle noch vorhandene ß und Umlaute bleiben und, dass weniger englische Begriffe aufgenommen werden.
Bitte steht zu eurer Sprache. Gibt sie nicht auf!
Jane Funke, D 82256 Fürstenfeldbruck
Spag(h)etti, Kon-struk-tion
Gesprochen sind sie schnell,
diese Worte hier,
doch wie schreibt und trennt man sie
dann auf Papier?
Läßt man Laute, die man nicht hört
einfach weg?
Falsch getrennt, gab früher
einen Fleck.
Den Duden her, den neuen
um nach-zu-schlagen
und das noch in meinen
alten Tagen.
Wo ich so stolz auf meine
Rechtschreibung war,
man fragte mich danach,
wenn etwas war nicht klar.
Heut bin ich mir nicht mehr sicher,
das ist kein Schmäh,
Schreiben wird für mich zum Lexikon
und manchmal zäh.
Was jahrelang mir eingetrichtert und
von mir aufgesogen,
ist auf einmal falsch und ganz
verlogen.
Doch Hänschen lernt und Hans dazu,
ich bleibe keine dumme Kuh.
Ich lerne heute und auch morgen,
manchmal leicht, manchmal mit Sorgen.
Doch lieg ich einmal dann im Sarg,
wird das Lernen, mein' ich arg.
Dann denkst DU vielleicht, das ist enorm:
"Sie konnte die neue Rechtschreibreform."
Doch wenn das wirklich alles ist,
war mein Leben einfach Mist.
Irma Karolina Fussenegger, A Dornbirn
Befehlvon ganz unten!
Der Edelmann denkt an sich selbst zuletzt. Oder doch eher: der Edelmann denkt an sich, selbst zuletzt. Die Macht eines kleinen Striches im unteren Buchstabendrittel ändert alles. Das ist die Macht des geschriebenen Wortes.
Inzwischen wird der Krepp in der Pfanne verrückt. Das Teeei gleitet lautlos in die Tasse zurück. Der Kammmolch geht sich lässig durchs Haar. Känguru und Delfin sagen sich gute Nacht. Ortografie wird zum Sketsch degradiert. Da wittern die Ladys in den Lobbys ganz große Storys. Ihre Männer können ihnen nicht mehr flötengehen, sie müssen flöten gehen. Als Bäk-ker müssen sie den Zuk-ker anders trennen als zuvor.
Und die Rechtschreibprüfung hat sich gar nicht zu Wort gemeldet. Meine Grundschullehrerin hätte bei einem solchen Diktatergebnis noch graue Haare bekommen. Oder meine Eltern einbestellt. Aber, es bleibt alles Anders. Es hatte ein Revolution sein sollen. Die Evolution der Sprache hatte sich warm anziehen sollen. Die Kultusminister würden es schon richten. Immerhin wussten sie was Schüler wollen. Sollte sich das Volk seine Lautverschiebungen doch sonst wo hinstecken. Alles Gute kam schon immer von oben. Von oben herab. Im Grunde also ein Befehl von ganz unten!
Sebastian Gebauer, D 85570 Markt Schwaben
Argumentum ad infinitum: Da freute sich der König
Es war einmal ein König, der war mit allem und Allen in seinem Land zufrieden. Da es also nichts, aber auch gar nichts zu regieren gab, rief er seine Gelehrten zusammen, ob es denn nicht doch etwas gäbe, worum er sich kümmern könnte. Der Hofschreiber fasste sich Mut und sagte: „Herr, immer, wenn ich das Protokoll führe, weiß ich nicht, wie ich die Wörter schreiben soll. Außerdem, so sagen die alten Vorschriften, haben wir im Wort „Außerdem“ ein scharfes S. Sire, ich finde aber nirgendwo ein stumpfes S. Auch in den Volksschulen herrscht darüber Verwirrung.“ Der König war begeistert. Sofort fing er an zu regieren: Der Hofschreiber musste Regeln aufstellen, wie die Wörter geschrieben werden und wie ein Satz schriftlich auszusehen habe, obwohl er gesprochen ganz anders formuliert daherkam. Gerade das Letztere bereitete in den Lehranstalten des Landes alsbald riesige Probleme. Plötzlich verschlechterten sich die Noten der Schüler und der König erhielt den Eindruck, seine Bevölkerung werde immer dümmer. Da erreichte ihn Kunde, dass es einem Nachbarland viel bessergehe als dem seinen. Während das Außenministerium erklärte, es mache sich diese Aussage „in dieser Pauschalität“ nicht zu eigen, lud der König bereits einige der Nachbarn ein. Diese brachten ihre Sprache mit und taten recht gescheit, so dass auch das Volk Teile der fremden Sprache übernahm: aus der Polsterbank wurde ein Chaiselongue und statt Hildegard hießen die Mädchen nun Jeannine. Allerdings taten sich die Neuankömmlinge mit dem Erlernen der einheimischen Sprache und die Einheimischem mit dem Erlernen der vielen neuen Lehnwörter so schwer, dass der König erfreut eine erneute Reform anordnete. Und so durften die Mädchen alsbald Schanine heißen. Doch schon wurde von einem Land jenseits des Ozeans erzählt, wo die Menschen noch glücklicher waren als sonst auf der Welt. Sofort wurden Untertanen von dort eingeladen. Sie brachten neue Musik und neue Lebensgewohnheiten mit sich und ganz viele neue Wörter. Aus dem Säugling ward ein Baby und aus der Chaiselongue eine Couch. Und die Jungs hießen Maik. Halt: eigentlich hätten sie Mike heißen müssen! Aber der König sah das Problem und entschied freudig: „Wir brauchen eine neue Rechtschreibreform!“ Diese war gerade mal zwanzig Jahre vollendet, da kamen nun von sich aus Fremde ins Land, diesmal aus einem armen Königreich. Und auch sie brachten eine neue Sprache mit sich und taten sich schwer mit dem Erlernen der einheimischen Sprache. Da freute sich der König …
Tom Goeller, D 13467 Berlin
Powidl ist ein Pflaumenmus
Auch Powidel, aber ein Mus, kein Muss. Kommt vom tschechischen povidla.
Mein Opa war ein böhmischer Trompeter, meine Oma Wienerin und Köchin dieser Datschgerl oder Tatschkerln - wenn es sein muss - auch Taschen.
Ich versuche eine Sinnkonstruktion. Es geht mir um Prägungen, die ich als Kind erhalten habe, den Schmuck jedes Daseins. Also Wortschätze. Deshalb mach ich diesen „Bahö“.
Dazu gibt es keine Altregelung und keine Neuregelung, nur eine Privatregelung.
Und die ist billig. Oma ist seit 37 Jahren tot, aber sie hat mir viel hinterlassen, obwohl sie kaum lesen und schreiben konnte.
Wäre sie noch auf dieser Welt, würde sie kudern über alle Rechtschreib-reformversuche. Unter kudern versteht man heftig und genüsslich oder genüßlich lachen. Wie die „difteln“ (oder tüfteln) und was das kostet, würde sie sagen. Und auch: Sind doch alles „Gschaftlhuber“, haben einen „Huscher“ und machen nur „an Balawatsch“. Wie die unsere Sprache „zermudeln“ und „verwurschteln“.
Mein Großmutter war eine gescheite Frau, auch wenn sie von der Schriftsprache abgewichen ist. Ebenso gescheit ist der Leser, welcher die Wörter unter Anführungszeichen zu deuten versteht, wenn er das nicht kann, ist er ein „Armutschkerl“.
Oma sitzt auf ihrer Wolke und spricht: Immer will man ein Wort und seine Buchstaben „ummodeln“, so ein „Gfrett“. Das ist ein „Glumpert“.
Und dann will man die Leute „ausfratscheln“, wie ihnen das gefällt. Diese „Schlaucherln“ mit ihrer „Schmirasch“ könnten mich „bucklfünferln“. Sind doch alles „Foaferln“, die Geld „verurassen. Ich brauch´ „kan Bahö“.
Die Antwort der Enkelin: Oma, ich schwöre, dass ich schreibe, wie ich immer geschrieben habe und werde einen billigen Arbeitskreis gründen. „Privatregelung 70 plus“ wird er heißen.
Als Hauptthema nehmen wir „alt ist gleich reformkritisch“.
Keiner soll uns arme „Tschapperln“ um Meinungen „benzen“, wo doch „eh ois Powidl“ ist. „Gnädig“ hat es sowieso niemand, und die Jahre werden vergehen.
Bitte, ich habe eine weisse oder weiße Weste, weil ich eine unschuldige Seniorin bin. Und die genannte Farbe steht auch für Weisheit (nicht für Weißheit).
Da bin ich mir sicher. Ich bitte nur um Respekt vor uraltem Erbe, das aufbewahrt werden muß oder muss. Weiß ist rein und klar, die Farbe der Erfahrung.
Alles andere ist schetzkojedno oder schetzgo jedno. Das ist ein Wortschatz vom böhmischen Trompeter.
Mein Schwur: Ich werde schreiben, wie ich es einmal in der Schule gelernt habe.
Maria Gornikiewicz, 1100 Wien
Hat sich die Erwartungshaltung erfüllt?
Die Frage drängt sich auf, ob die neue Rechtschreibung eine signifikante Verbesserung mit sich brachte. Im ersten Moment mag man „Ja“ sagen. Aber wie sieht die Realität aus? Ist es nicht so, dass einzig die heutigen Schüler unbelastet mit der Rechtschreibung umgehen können? Für alle anderen ist es die ständige Frage, wie schreibe ich ein Wort, wie beispielsweise Schifffahrt, richtig? Drei aufeinanderfolgende F sehen seltsam aus. Für jene, die genau während der Änderungsphase in den Genuss kamen die Schule zu besuchen ist es heute noch ein Kreuz. Man verfasst Begriffe zum Teil noch in der alten Schreibweise, einfach, weil sie einem ansprechender erscheinen. Schlimm wird es, wenn jene Generationen mit dem Schreiben konfrontiert sind, die ihren Abschluss lange vor 1996 machten. Aussagen wie; „Wenn ich heute einen Text in der Schule schreiben würde, wäre es völlig gleich, was ich da hinschreibe. Es wäre alles richtig“ sind mir nicht fremd. Die meisten Regelungen haben sich in der Hinsicht nicht richtig durchgesetzt. Und wen wundert's? Wir haben eine Rechtsschreibreform, die einen Spielraum offenlässt, sodass man kaum durchblickt. Selbst als Autorin ist man mit der Situation konfrontiert mehrere Möglichkeiten zu besitzen. Ob sich die Vereinheitlichung also durchgesetzt hat, ist unter solchen Umständen wohl zu bezweifeln und mehr als fraglich.
Monika Grasl (*1986), A 1160 Wien
Leiden einer Deutschlehrerin
Rechtschreibregeln verstehen, get noch.
Übungen dazu ausführen, okai.
Gelerntes in eigenen Texten anwänden, schwirig.
nomen erkennen, geht noch.
Nomen imer groß schreiben, schwierig.
Gemäßigte Kleinschreibung were schön!!!
Langes i höhren, schwierig.
Fremdwörter mit langem i erkennen, komplieziert.
Ausnamen der ie-Schreibung lernen, okay.
Anwändung des Erlernten, fast unmöglich.
Mittlautverdopplung, logisch.
Kurze und lange Vokale hören, proplematisch.
Regel immer anwenden, schwierik.
Schreibweise s - ß, logisch.
Stimhaftes s in Süddeutschland hören, ser schwer.
Regl anwenden, gans, gans schwer.
Neue Regelung ss - ß, sehr sinnvol.
Lange und kurze Wokale unterscheiden, schwierig.
ss - ß anwenden, kaum zu schafen.
Rechtschreipstrategien: Verlengern, Zerlegen, Ableiten.
Ale verstehen, merken, anwenden, unmöglich.
Notwändigkeit guter Rechtschreibkenntnisse immer wieder betonen und weiterkempfen!
Die rechtschreibreform hat dieses Bemühen zumindest etwas fereinfacht!
Dagmar Grüne-Uhrig, D 69239 Neckarsteinach
Kommaregelungen für kranke Kühe
"Statt über die Kommaregeln zu grübeln, kann man sich nun auf den Text selbst mehr konzentrieren": so hat sich 1998 Berlins Kultussenatorin Ingrid Stahmer geirrt, in ihrem Beitrag zu einem Preisausschreiben, das für die ungeliebte Reform der deutschen Rechtschreibung werben sollte.
Nun gibt zwar das Komma in dem Satz "Die Krankheit befiel alle Kühe und ihre Besitzer, die von der Gefahr nichts ahnten" keinen Anlaß zum Grübeln, man staunt allenfalls über die Mutationsfähigkeit des Erregers; sobald aber der Satz ein wenig verlängert wird, führen gerade die neuen Regeln zur Grübelei: "Die Krankheit befiel alle Kühe und ihre Besitzer, die von der Gefahr nichts ahnten, gingen bankrott." Das kann man nur verstehen, wenn man bemerkt, daß man den Satz zunächst falsch verstanden hat, und dann dahinterkommt, daß ihn das Fehlen eines Kommas um den Verstand gebracht hat. Die tradierte Zeichensetzung schreibt zwischen zwei Hauptsätzen ein Komma vor, und jedem Leser ist dann sofort klar, daß hier der nichtmutierte Erreger am Werke ist, der nur Rinder in den Wahnsinn treibt, Besitzer aber verschont: "Die Krankheit befiel alle Kühe, und ihre Besitzer, die von der Gefahr nichts ahnten, gingen bankrott." Nach den neuen Regeln wird das sinnstiftende Komma vor der Konjunktion "und" nicht mehr systematisch verlangt.
So richtig zum Grübeln jedoch führt die neue Regelung erst, wenn das bloße Einsetzen eines Kommas in einen vorgegebenen Satz nicht mehr hilft: "Die Krankheit befiel alle Kühe und ihre Besitzer und die Tierärzte und die Politiker waren fassungslos." Die Leser auch, denn hier handelt es sich nicht um einen Satz, sondern um drei Sätze, unter denen die Leser sich einen aussuchen dürfen: befällt die Krankheit nur die Kühe, während die anderen Beteiligten lediglich fassungslos sind, oder zusätzlich die Besitzer, oder am Ende gar noch die Tierärzte? Nach den alten Regeln entscheidet das zwischen Hauptsätzen verbindliche Komma darüber, ob der Wahnsinn auf die Kühe beschränkt bleibt oder auf die Besitzer übergegriffen hat, und die dritte Lesart bringt noch eine Steigerung des Grauens mit sich, wenn die wegreformierte sinnvolle Zeichensetzung sie sichtbar macht: "Die Krankheit befiel alle Kühe und ihre Besitzer und die Tierärzte, und die Politiker waren fassungslos." Dagegen läßt der abschließende Satz nur eine sinnvolle Position des Kommas zu: "Die Krankheit befiel alle Kühe und alle Experten für neue Kommaregelungen und alle Politiker, und die Bevölkerung war fassungslos."
Gerhard Günther, D 21079 Hamburg
Die Sprache und ihr Gesicht
Deutschlehrerin bin ich keine - aber vielleicht eine Leidensgenossin in Sachen Korrektur: Nicht, was das Pensum angeht (ich unterrichte "nur" Religion), sondern was die Schmerzgrenze betrifft, die seit Jahren überschritten wird, wenn ich Texte von Schülern eines Gymnasiums (aber auch von Studenten einer Fachhochschule) lese und bewerten soll. Oft sind deren Gedanken originell, manchmal erfreulich offen und durchaus kreativ, aber rechtschreiblich gesichtslos bis entstellt. Die geschriebene Sprache vieler Schüler schreit nach kosmetischer Behandlung wie das pickelige Gesicht eines Pubertierenden. Doch die Rechtschreibreform war dazu ganz offensichtlich nicht das richtige Mittel.
Während mich Rechtschreibfehler noch innerlich aufschreien lassen, zucken meine Schüler bei diesem Thema nur verständnislos mit den Schultern. Allenfalls das Korrigier-Rot schmerzt sie - und alle guten Gedanken liegen darin wie in eigenem Blut. Schade eigentlich. Und manchmal traurig.
Insbesondere längere Sätze scheinen bei Jugendlichen Chaos im Kopf entstehen zu lassen, liegen sie doch abseits von Handy-tauglicher Kommunikation. Diese folgt in der schriftlichen Form ja ganz neuen, eigenen Regeln (so mancher Schüler könnte da meine SMS mal mit dem Rotstift verbessern...).
Es herrscht eine große Verunsicherung bezüglich der Rechtschreibregeln, nicht nur bei Schülern. Die Eindeutigkeit des Regelwerks wurde mit der Rechtschreibreform aufgegeben, der gewohnte Anblick des geschriebenen Wortes verwässert und verwischt. Keine oder wenig Klarheit jedoch führt zu Beliebigkeit und signalisiert nur eines: Wir wissen auch nicht recht, wie es geht. Und abgesehen davon: Reduziert eine scheinbar vereinfachte Form nicht auch die Schönheit sprachlicher Gestaltung?
Eine gute Rechtschreibung sagt etwas über den Menschen aus, der seine Gedanken in Worte fasst; sie verleiht ihm und dem Text (sprachliche) Schönheit und verlangt, die Gedanken ernstzunehmen. Darin liegt der Wert korrekt geschriebener Texte - und auch die Würde des Verfassers. Sprache braucht ein schönes Gesicht. Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, ihre jungen, originellen, kreativen, oft intelligenten Gedanken würdevoll zum Ausdruck und zu Papier bringen zu können. Und dafür braucht es beständige, klare Regeln, keine sinnlosen Reformen. Darum kämpfe ich fürs rechte Schreiben, auch in einem schulischen Nebenfach: Unterstützt die Kinder, damit die Sprache nicht ihr Gesicht verliert - und jener, der schreibt, nicht seine Würde!
Andrea Günther-Reitinger, D 82362 Weilheim
Es gibt kein richtiges Schreiben im Falschen
Entlang der Sätze, die mir geblieben sind, der Sentenzen, die ich für gut und richtig befunden und doch wieder korrigiert habe, wieder und wieder, schweige ich im Konjunktiv. Es gibt kein richtiges Schreiben im falschen. Die Möglichkeiten fangen hier an, Schalter vier, wo die Mutterzunge des Vaterlandes verwiesen wird und Fragen sich quer stellen. Geben Sie eine Identität an, nehmen Sie eine allgemeingültige Präposition ein, umgehen Sie Zäune und andere Sprachbarrieren. Aus welchem Schreib- Denk- oder Lebensprozess stammen Sie eigentlich? Nehmen Sie eine Identität an, lassen Sie dieses Wort fallen, denn es ist hoch interjektiös, gewaltbereit gar, und geben Sie uns einen Infinitiv, damit wir entscheiden können, wie weiter mit diesen Ausnahmen zu verfahren ist, diese ganze Sprachverwirrung kommt daher, dass Sie es sich in Ihren Manierismen bequem gemacht haben, und jetzt, auf einmal, aus dieser Subjektivität heraus, und mitten in das Wort hinein, im Sturm und Zwang des Futur, gestrauchelt über ein Semikolon, in die Sehnsucht nach einer Ligatur-Amour-Fou, die sich nach wirklicher Wirklichkeit anfühlt, wie ein scharfes ß, zwischen den Zähnen hervorgepresst, begleitet von Spuckeregen, während die Theorie nach Praxis schreit, um dann doch inne zu halten: Wo kommen all diese Leerzeichen her, wo waren wir stehen geblieben? Jetzt aber raus mit der Sprache und dem roten Faden, erklären Sie sich und uns, ist das jetzt noch privat, oder schon politisch, kehren Sie mal vor Ihrer eigenen Tür, mit großer Selbstverständlichkeit wartet dort ein Haufen angeblicher Muttersprachler, deren Sätze lassen sich definitiv verbessern, unter uns, zwischen den Zeilen, den Vorschlägen und Zuschreibungen, zwischen Unterhaltungserwartung und Inszenierungsverdacht haben wir das Wort ANGST in die ganze Welt verkauft, spell and break the spell, man oder frau, Töchter und Söhne und alle anderen, zur geneigten Kenntnis: An dieser Stelle könnte ein Punkt stehen, aber das Boot ist voller Missverständnisse, was wir sollenwollenmüssen, und es scheint, als bräuchte es nur wenig, und eine schöne neue Sprache wäre gefunden, wie ein neues Leben in einer sich ständig neu ordnenden Welt, in der Veränderung eine Konstante der Frage nach dem Wort als Anfang oder dem Anfang als Wort, Ei ei ei! Die, der spricht, sagt: Entlang der Sätze, die mir geblieben sind, der Sentenzen, die ich für gut und richtig befunden und doch wieder korrigiert habe, wieder und wieder, schreibe ich.
Sandra Gugic, A 1200 Wien
Sprachreformer
Nach drei Versuchen habe ich festgestellt, dass 2500 Zeichen nicht ausreichen, um gründliche Gedanken zu einem so komplexen Thema wie der staatlichen Regulierung von Rechtschreibung zu formulieren.
Sie reichen aber, um das Wirtshaus eines Dörfchens irgendwo in Tauberfranken zu beschreiben.
Mit schlichtem, gründerväterlichem Stolz thront es über der Kreuzung des Altorts, dort, wo früher das Herz der kleinen Gemeinde schlug. Unter wucherndem Efeu blitzen, kaum noch sichtbar, verblichene Lettern hervor: "Gasthaus zur Gans." Was für ein Sprachrebell der Erbauer gewesen sein muss! Man kann nur raten, wie oft (nicht aber, ob) seine Nachbarn sich die Mäuler über diesen aufdringlichen Gebrauch des Hochdeutschen, dieser fremden, konstruierten Obrigkeitssprache, zerfetzt haben. Doch der weltmännische Reisende ebenso wie der einfache Knecht sollten wissen, hier kehrt man nicht bei irgendeinem “Gänschwirt” ein, sondern in einer Lokalität auf Reichsniveau! Ob nun der Einsatz der mächtigsten Fraktur, die der örtliche Maler zu pinseln imstande war, diesen Ausbruch geschäftssinnigen Modernismus' mit einem Anspruch auf Tradition übertünchen sollte, oder ob dem Bauherrn und seinen Zeitgenossen bewusst war, wie unhistorisch dieser Trend zur “deutschesten” aller Schriften war - in jedem Fall wird er sich gut überlegt haben, welche Worte er auf seiner Stein gewordenen Existenz anbringt, und wie.
Vielleicht 120 Jahre ist das her - so lange können Menschen leben! - schon hat der Großenkel des Gänschwirts, der keiner sein wollte, ein neues Schild über dem Eingang angebracht. Es besteht aus weißem Plastik und darauf steht unverziert in, ich schwöre, Comic Sans: "Gänschwirt". Gerade, als seine Gäste angefangen haben, zu sagen: Schatz, lass uns zur Gans gehen! Gerade, als die Fraktur uns von den Tätowierungen afroamerikanischer Gangster-Rapper anspringt und die deutsche Sprache eine Normierung erreicht hat, von der die wilhelminische nur träumen konnte! Dabei kann man auch dem jungen Gänsewirt sicher nicht vorwerfen, er habe nur aus Liebe zum Dialekt oder minimalen Designkosten gehandelt. Auch er lebt davon, am Puls seiner Zeit zu sein.
Alexander Gutmann (*1985), D 97877 Wertheim
Eine nicht ganz ernst zu nehmende Predigt über die
Rechtschreibreform? Wird sie zum Albtraum - Verzeihung - oder lieber Alptraum, wenn wir darüber zu tiefgreifend filosofieren - äh, Verzeihung - philosophieren. Oder ist es den Delphinen schnuppe - äh, Verzeihung - Delfinen gleichgültig, wie das Wort für sie geschrieben wird. Überlassen wir das dem Fluß - äh - Fluss.
Eins ist sicher, konkret damit befassen werden sich wohl nur einige wenige. Ausschlaggebend für die Deutschlehrer, Germanistikprofessoren und Bücherlektoren bei ihren Korrekturlesens und deren Schülern bei den Abzügen von ihren Punkten/Noten in ihren schriftlichen Arbeiten, als Rechtschreibfehler. Wann wird die Rechtschreibung eines Wortes geändert? Wenn genügend Menschen es so oft genug anders schreiben als in dem Duden vorgeschrieben ist? Eins steht fest, betrachten wir es positiv ist die gesprochene Sprache ein Mittel der Kommunikation zwischen Menschen und die geschriebene Sprache und deren Schriftbild im besten Fall, eine Erweiterung der Gedanken und Ideen, die dahinterstehen. Bleibt zu hoffen, dass Exaktheit und Verständlichkeit der beiden sich gegenseitig befruchten und weiter befruchtet werden. Die Sprache ist ein lebendiges, lebendes Wesen und damit wohl auch der Veränderung unterworfen. Und die Delphine sie schwimmen weiter in den mit Plastik verseuchten Ozeanen unseres Planeten und es wird ihnen weiterhin schnuppe sein, wie das Wort für sie geschrieben wird. Also brauchen wir auch nicht Weiteres darüber auszuposaunen und in das gleiche Horn zu blasen, wie die Sprachpessimisten und deren Anhang. Amen.
Melissa Guttmann (*1997), D 13507 Berlin
Recht(es)-schreib-Gedicht / 2006 auch nicht!
Wer will die Rechtschreibung nicht kennen?
Wüsst nicht, wie voneinander trennen
oder vielleicht zusammenschreiben?
Was ändert sich, und was darf bleiben?
Was darf man frech zusammen fassen
und was allein nur stehenlassen?
Worauf ist dabei achtzugeben,
was schwerverdaulich aufzuheben?
Was muss als neu man richtigstellen?
Wo wäre Dunkles aufzuhellen?
Was macht man sich dabei zu eigen?
Wem gilt ‘s, die Rote Karte zeigen?
Infinitiv mit um, anstatt
nun wieder eignes Komma hat.
Des Bindestrichs vertraut ich werde,
geht es um die Blumentopferde.
Nach Diphthong steht ein scharfes eß,
am Silbenende doppelt-kess.
Beim Waschen braucht man oft Schwemmmittel,
ein Dritt-Teil aber bleibt ein Drittel.
Ein Messner muss Platz nummerieren,
um einen Tollpatsch zu platzieren.
Aufwendig heißt es und aufwändig,
belämmert schnäuzt man sich behändig.
Denn raue Zähheit so wie Rohheit
sind kein Zeichen mehr von Hoheit.
Für Albtraum – alt wie neu – Alptraum
bleibt überschwänglich doch noch Raum.
Weil wenige bei viel entscheiden,
muss just so mancher drunter leiden.
Darum bestehen wir darauf:
Nehmt Eure Arbeit wieder auf!
Dann wissen wir, wenn wir recht schreiben,
dass wir auf Deutsch beisammenbleiben.
Heinz-Helmut Hadwiger, A 4020 Linz
Von "Thür und Thor" zur Dampfschifffahrt
Die Gämse kommt von Gams, da haben sich die Österreicher durchgesetzt - für uns Bayern nachvollziehbar, denn, hätten sich die Preußen durchgesetzt, wären wir mit "Jemse" nicht unbedingt glücklich.
Nur, warum haben die Österreicher weiterhin ihre "Kassa" statt der allgemein üblichen "Kasse"? Gewohnheit siegt gegen Reform!
Während Schifffahrt mit drei "f" das Auge des Betrachters nicht mehr so sehr erschreckt, ist Ausschusssitzung mit drei "s" doch noch sehr gewöhnungsbedürftig - drängt sich da doch bei den Älteren manchmal die Meinung auf, die Jüngeren könnten nicht mehr richtig schreiben. Auch hält sich die Regel "Trenne nie "st", das tut ihm weh", hartnäckig. Älteren Personen stellen sich die Haare zu Berge, man schafft es einfach nicht, den beiden Buchstaben "Schmerzen" zuzufügen, auch wenn kluge Professoren das so diktierten.
Kommen wir zur Litfaßsäule, die, beachtet man die Regel, wonach nach kurzem Vokal ein Doppel-S zu schreiben wäre, dies jedoch keine Anwendung findet, weil eben jene Säule von Herrn Litfaß er-funden wurde. Ein bisschen Geschichtsunterricht inbegriffen.
Man schreiben Rad fahren, aber auch radfahren, dagegen immer Auto fahren. Warum - weil das Fahrzeug größer ist?
Früher schrieb man im Zweifel die zwei, drei in Frage kommenden Wörter auf ein Blatt und ließ das Buchgefühl entscheiden. Heute dreht sich einem eher der Magen um.
Selbst T9, die Handykorrektur, kommt mit unseren Rechtschreibregeln durcheinander. Kürzlich erhielt ich eine sms mit den Worten: "Ich bin dann weck" - aus der Wortfamilie "wecken" oder war es doch eher im Sinne von Aufbruch, Weg gemeint? Oder schreibt man das jetzt so?
Wir haben, um die Rechtschreibung zu vereinfachen, so genannte "eingedeutschte" Wörter, wie Zaziki, unserer eher harten Aussprache angepasst, statt ursprünglich Tsatsiki. Nur, warum schreibt man weiterhin Trottoir - weil das Wort junge Leute eh nicht kennen? Dafür kennt niemand auf der Welt das gute deutsche Wort "Handy", bei dem wir alle denken, es sei typisch englisch.
Blättert man im Duden, drängt sich einem die Meinung auf, je nach Land hat sich mal dieses und mal jenes durchgesetzt - und eigentlich kann man jetzt (fast) alles schreiben ohne falsch zu liegen. Oder?
Elisabeth Hager, D 83080 Oberaudorf
Stuhl
Lieber Vater im Himmel,
du erinnerst dich vielleicht nicht, aber einst gab es eine schwierige Sache zwischen uns, eine tiefgreifend starke, ein Fleisch gewordenes Wort, eine Fetzerei, die mir gebot, mich mit der Schrift intensiver als das gemeine Kind und später der gemeine Mensch auseinanderzusetzen, denn als ich einmal von der Schule nachhause kam und von den Dingen erzählte, die ich dort gelernt und stolz verinnerlicht, brav memoriert hatte, da sagte ich zu dir, zu dir nach oben hin und lächelte: „Und Sessel schreibt man mit einem S!“, und da geschah es nun also und ein starker Wind zog auf, alles verfinsterte sich und es erzitterten die Gegebenheiten, ja der Himmel brach echt über mir nieder, denn du erzürntest ob dieser Falschheit und der Vehemenz, mit der ich auf ihr bestand, meiner Uneinsichtigkeit und dem Trug, auf den ich hereingefallen sein musste, und wir stritten uns arg, bis aufs Blut, und niemand gab nach, da wir doch nicht zum Nachgeben gemacht waren, und letztlich musste ich mich vor dich hinknien und die Händchen falten und deine Formel nacheiern: „Sessel schreibt man mit zwei S!“, und ich tat es, denn ich konnte dem nicht entkommen, da man dir nicht entkommen kann, da du, mein Vater, mich dazu zwingen konntest, und als ich mich von dem Boden aufgerichtet hatte und mein Antlitz erhob und dir fest entgegen schaute, da sagte ich es, wie ich es als dieses Kind bereits wusste und prophetisch senkte ich meine Stimme und ließ es viel schärfer einfahren, als dein Beugen es je gekonnt hätte und ich sagte es wie ein Sturm zu dir hin, als Feuer ließ ich es laufen, so unbarmherzig wie du, als verzehrendes Wissen, denn: „Mein lieber Vater, du kannst mich zwingen, ein solches zu sagen, soviel du willst, doch eines Tages werde ich die Sprache haben, wie du es nie erreichen wirst, so du auch alle Normen beherrschst und die Macht hast seit allem Anfang bis ans Ende und aller Anfang dein Wort ist und alles Ende mit dir, werde ich dennoch dieses Sessel-Wort nie mehr verwenden, aus meiner Sprache streichen, in meinem einst Geschaffenen, in meinem Werke keinen Platz einräumen, damit ich diesem Alten ein Bein stelle, damit es so nicht weiter bleibt, auf dass es niedergehe und verrotte so wie du im Himmel, auf dass die Gräber sich öffnen und auch das Wort hineinfalle und dort verwese bis in alle Ewigkeit und damit zerhauen wird und ausgelöscht, und es wird so sein und also ist es auch so.“
Lydia Haider (*1985), A 1150 Wien
Schreibwettbewerb zum 20. Jahrestag der Rechtschreibreform
„Zum Wohle des Volkes“ - doch dem Volk ist nicht wohl.
Eine kleine Satire zur Rechtschreibreform
Wien, Wien , nur du allein
wirst stets die Stadt unsrer Albträume sein.
Vor zwanzig Jahren hast du gewagt zu erklären,
dass Schreiben und Sprache nicht uns gehören.
Es muss reformiert und geregelt sein.
Du mischst dich in Freiheit und Eigentum ein!
Unzählige wurden gequält und geplagt,
weil sie beim „Scharfen ß „ versagt.
Wer Groß- und Kleinschreibung nicht erfasst,
der hat den Sinn des Lebens verpasst.
Die Lehrer verzweifelt, die Eltern nicht minder,
von schlechten Noten verstört sind die Kinder.
Schweiß und Tränen sind reichlich geflossen
bei dem, der „Rechtschreiben“ hat genossen.
Wer bestimmt denn, was „recht“ ist, wer schmeißt ́s wieder um ?
Welcher Minister ist schlau, welcher dumm ?
„Es weht der göttliche Wind, wo er will“,
sagt die Bibel. Doch manchmal vergebens.
Warum ist es im KM so still?
Wir vermissen den Wind des Lebens!
Im Land, bei diversen Volksbegehren
begannen die Bürger sich zu wehren.
„Nichts da !“, sagt das Ministerium,
„Wir setzen die Neuregelung trotzdem um!“
Doch allmählich hat man Stimmen gehört:
„Die Reform war ein Irrtum! Sie war verkehrt!“
Doch sie musste bleiben – ohne Pardon.
Vielleicht aus Gründen der Staatsräson?
Ja, hat denn der Staat die Sprache erschaffen?
Saß er nicht vor Zeiten wie alle Affen
hoch auf den Bäumen mit Affengeschrei
und das „Doppelte F „ war ihm einerlei?
Das Affenvolk hat danach zu trachten,
die Jungen zu schützen , die Alten zu achten,
die täglichen Früchte neu zu entdecken,
mit schrillem Schrei den Feind zu erschrecken.
Der Urwald wurde nicht reformiert
und die alten Regeln hat jeder kapiert.
Nun gut. Wir sitzen nicht mehr auf den Bäumen.
Wir simsen und twittern und wagen zu träumen
von einer Welt ohne Zwang und Doktrin.
Doch bis das geschieht, ist ́s noch lange hin.
Und ganz nebenbei – wer muss da nicht grinsen? -
beim „Whats-appen“ und beim täglichen „Simsen“
sind alle Regeln auf den Kopf gestellt.
Jeder versteht jeden und das ist, was zählt.
Dem Loriot schließe ich mich am Ende an :
„Die Rechtschreibreform ist vollkommen in Ordnung,
wenn man weder schreiben noch lesen kann“.
Maleen Hartung, D-83098 Brannenburg
[ Der Hund boll . . . ]
1996, 21. Oktober: "Deutsche Rechtschreibreform?"
Der Anstoß dazu kann nur von der Papierindustrie gekommen sein. Also jener Industrie, die jährlich unter gigantischem Produktionszwang Hekatomben von unbeschriebenem Papier ausspucken MUSS - UND, das ist der entschiedene Vorteil - , niemand kann dieselbe später verpflichten oder gar zwingen, auch nur eine dieser bedruckten Seiten jemals LESEN ZU MÜSSEN.
2010, 10. Jänner: Es geschieht etwas Unerwartetes: des Nachschlagens in bis zu 3 verschiedenen
Duden pro Wort überdrüssig, beschließe ich ein für alle Mal - und wohl des Datums wegen (10.1.10), mich aus rein praktikablen Gründen der sogenannten NEUEN RECHTSCHREIBUNG zu bedienen, NEIN - mich eigentlich nach dem Modus des Hölderlin-Zitats: "Der Hund boll ..." - , zu FÜGEN. Für alle meine Texte VOR diesem Datum gilt vorläufig: lassen wir die Hunde noch ein bisschen weiter bellen - bollen? - , die Eltern noch ein bisschen weiter ältern oder die Ältern eltern. Hauptsache, ich muss pro Vokabel nur mehr 1 schreibkunstgerechtes Wörterbuch verwenden!
NACHTRAG:
Ja - war es denn so schlimm, dass Hölderlin den Hund nicht "bellen" ließ, sondern "er boll - im
Präteritum"? - Gar nicht auszumalen, wie geringfügig das alles zu bewerten ist; schrieb doch etwa um 1850 noch ohnehin jeder Einzelne seine eigene Grammatik. Und Sprache verändert sich so rapide, dass es völlig sekundär ist (für den AUSDRUCK, meine ich), ob man ihre Regeln nach dem
gewachsenen Geflecht von über 90 Jahren oder dem bloß erweiterten und aufgepfropftem
Geschäftsgespinst der letzten 4 Jahre ausrichtet ...
Also wohl bekomms: Lass die Hunde SO bollen, dass sie augenblicklich raueste Gämsräude
bekommen!
Hermann Haslin, A 4020 Linz
Rechtschreibreform
Annemarie Hecht, D Fürstenfeldbruck
Klageworte
Sehr geehrte Tölpel der Reform von 1996,
nach dem nun 20. Jahr Ihrer ausgemachten Torheit sehe ich es als meine Pflicht, diese Zeilen an Sie zu richten. Nun muß ich aus Gründen der Höflichkeit einräumen, daß Ihr fehlüberschätztes Projekt sicher auch seine Glanzpunkte hatte - und sei es nur den Jubel aller, die sich bis dahin vergeblich um eine Sinnfindung in der Rechtschreibung bemühten. Aber Sprache ist Kunst!
Mit Ihrem Versuch, sie zu Mathematik zu degradieren, sind Ihnen empörend zahlreiche optische Unglücke unterlaufen. Nun wird es einen Delphin aber kaum tangieren, wie ein deutscher Dummerjan sein Bezeichnungswort zu buchstabieren gelernt hat. Die Phantasie ist hierbei möglicherweise sensibler.
Was allerdings mich angeht: Ich sehe mich einer entsetzlichen Ignoranz gegenüber. Mit mir haben Sie eine Einzigartigkeit unserer Sprache nicht nur eingeschränkt, Sie sind auf dem Wege, sie auszuradieren!
Es sollte Ihnen eine unermeßliche Ehre sein, über mich zu verfügen - eine doppelbauchige Schönheit mit einem eleganten, geraden Rücken. Statt dessen geben Sie zwei inflationären Gestalten den Vorrang, welche die Eleganz einer Linie besitzen, die unter Kolik leidet.
Ich möchte Ihnen zugestehen, daß es Ihr gutes Ansinnen war, meine hervorragende Arbeit und anmutige Präsenz mit einem gebührlichen Grad der Entlastung zu honorieren. Dies weiß ich zu schätzen, doch Ihr Versuch ist gründlich mißlungen.
Die partiell geplante Ablöse findet allmählich auf fundamentaler Ebene statt und erreicht Ausmaße, die es mich schmerzt, ansehen zu müßen. Ich möchte mich nicht über den Verlust meiner Rolle im Worte „daß“ beklagen. Dieses war mir wegen seiner überhäuften Nutzung ein fast lästiger Zeitgenosse. Nur verraten Sie mir, was diese zwei Bauchschmerzkurven in anderem Vokabular verloren haben. Was genau soll „Spass“ sein? Wo ist „aussen“ und was ist ein „Fuss“?
Ich muß Sie darauf hinweisen, daß Ihre anfängliche Idee die Ausmaße einer wahren Epidemie annimmt. Einer gefährlichen Epidemie, denn ohne mein teilweises Auftreten wird die von mir so innig geliebte und von Ihnen schmählich verstümmelte Sprache eines Tages … Nein, es ist zu beklemmend, mir die Folgen auszumalen.
Aber ich rufe Sie dazu auf, mehr Achtsamkeit zu propagieren. Bringen Sie mich in Erinnerung, denn ich bin unentbehrlich für das Schriftbild eloquenter Texte! Dies ist meine Forderung an Sie und es ist Ihr Dienst an die Sprache, den Sie noch leisten können und sollten.
Hoffnungsvoll,
Ihr ß
Anne Heerlein (*1986), D 13407 Berlin
Die Schrift der Tiere
Auf dem Hof Graf Ottos und insbesondere im Stall desselben, wo so unterschiedliche Tiere wie Rind, Huhn, Schwein und Pferd lebten, machte sich Unmut ob der so wenig einheitlichen Weise, wie sie ihre Botschaften in die Einstreu legten, breit. Wie soll ein Huhn, welches von der Losung einer Kuh fast ertränkt werden kann, die Botschaft jener deuten können? Und wie soll die Kuh, welche kaum in der Lage ist, den Hühnerschiss im Stroh zu sehen, auf eine Mitteilung des Federviehs reagieren können? War also die alte Regelung Graf Ottos, aus Scheiße zu lesen und mit Scheiße Botschaften zu legen, überhaupt noch zeitgemäß?
Den Schweinen, welche erfahrungsgemäß ganz dicht dran sind, wurde die Schaffung einer neuen Ottografie angetragen. Sie prüften über viele Wochen alles, was von den Tieren hinterlassen wurde und kamen zu dem Schluss, dass nur der „Große Erweiterte Schweinecode“ zur allgemeinen Verständlichkeit führen könne. Auf dem folgenden Gemeinrat aller Stalltiere Graf Ottos stellten die Schweine ihr Jahrhundertwerk wie folgt vor: Alle Tiere scheißen in die gleiche Ecke und lesen während ihrer Verrichtung das, was sie vorfinden, ein jedes nach seiner Weise. Bei Unklarheiten obliegt den Schweinen die Deutungshoheit. Obwohl sich einiges an Widerstand regte, nahm man den Rat an, denn alles schien besser, als bei den alten Regeln zu bleiben. Viele Haufen später resümierten einschlägige Gremien, dass alles anders geworden sei, einiges besser und einiges schlechter. Die Scheißreform habe ein wenig mehr Abwechslung gebracht, wollten die Schweine erschnüffelt haben. Sie steckten beim Schreiben knietief in der Scheiße, bemängelten die Hühner. Einen Fortschritt habe der Schweinecode nicht gebracht, konstatierte das Pferd. „Eine Rückkehr zu dem alten Scheiß bringt uns keineswegs weiter“, beendete Graf Otto seinen Stalldienst und er hatte sicher Recht.
Friedemann Hennings, D 29459 Clenze
Deutschstunde
Wenn die Obrigkeit den Bürger ignoriert, / Mit Ignoranz und Inkompetenz brilliert, / Man elaboriert restringiert / Und falsch als richtig deklariert; // Wenn Volksbegehren null und nichtig werden, / Komposita den Worttod sterben; // Wenn des Wiener Kongresses Kopfgeburt / Verlangt, daß man auf kleinstem Nenner spurt; // Wenn linientreu-emanz’patorisch’ Pädagogen, / Paternalistisch-ideologisch ’rangezogen, / Das Rustsche Werk ganz stolz vollenden / Und sich als Polyphemen selber blenden; // Wenn Schweizer Großschriebdörfer ohne Redegegenstand und Sinn entsteh’n, / Potemkinisierte Zaren (KMK) begeistert diese hohle Gasse geh’n; // Wenn Paragraphennumerierung suggeriert, / Daß gar Feind Komma seinen Schreck’ verliert; // Wenn Bibliotheken Bücher („schädlich!“) aussortieren, / Eilfert’ge Elferräte servilst in Karlsruhe defilieren; // Wenn man die Kinder nimmt in Geiselhaft / Und so der Press’ ein Pseudoargument verschafft; // Dann wütet der Furor, die RECHTSCHREIBREFORM! / Vernünft’ger schreiben! Bildersturm! Staatsräson! //
Was bleibt für mich als einfacher – so heißt es dann – / Hochwohlgeborener (schön wär’s!) Ästhetenmann? // Mein Heil im Sprachschatz der Vergangenheit zu suchen, / Reimrumpelnd laut im Paulskirchschatten hier zu fluchen, / In Denkschriften Icklerbögen wild zu schlagen, / Graphostilistik, Widerstand zu wagen! // Sprachlich-poetisch also auf die Barrikaden gehen, / Schmunzelnd Konservative zu Rebellen werden sehen; / Nicht mit ’nem am Gängelband gehalt’nen Sprachpapstbayern / Euphemistisch Rechtschreibfrieden halbgar abzufeiern! // Stillehalten? Ob ich die weiße Fahne hisse? / Nein! Niemals! Sprache kennt doch keine Kompromisse! / Feinheit, Freiheit - sie sind’s, an die ich glaub’! / Wider Diff’renzierungs-, Möglichkeitsraub! // Verlust! Solch Schmerz läßt einfach sich nicht lindern! / Ich fühl’ es, schrei’s heraus: Leckt mich im Hintern! // Nebst Götzen jedoch mein zentraler Glaube: / ’s hilft doch nur eins: Vernunft! Sapere aude! // Seid wachsam! Schreibt, was und wie ihr wollt; / Schrift ist unser, sie gehört dem Volk! / Weh droht weiter Wahrheit, Wissen, Präzision: / PC schwingt arg ihr Szepter schon!
Serjosha Heudtlaß (*1981), D 48429 Rheine
Sprachgefühl
Sprache ist ein amorphes Wesen, ständig in Bewegung, immer im Fluss, doppelbödig und zweideutig bis dorthinaus und häufig von hanebüchener Logik. Sobald man darüber nachdenkt, weiß man nicht mehr, wo ist oben, wo unten, aus welchem Grund heißt die menschliche Vorwärtsbewegung gehen und nicht halten, und wölben nicht höhlen, und mit welchem Recht nennen wir die Erde Erde, könnte doch ebenso gut Himmel heißen und dafür der Himmel Erde, nur eine Sache der Gewöhnung, bis wir unten auf Himmeln halten und über uns höhlt sich der Erde.
Doch vor so viel Freiheit haben die Sprachgötter ihre Germanisten, Linguisten und Philologen gesetzt, die, wie der Volksmund sagt, die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Sie verbeißen sich in die Sprache (die ja tatsächlich oral ist, bestimmt von Lippen, Zungenschlag, Gaumenform, Stimmbändern und Co), und reformieren die aktuellen Regeln, und das in schöner Regelmäßigkeit alle paar Jahre bis in alle Ewigkeit, indem sie den Wörtern andere Anfangssilben verpassen, da wird Weis zu Tor, Löf zu Büf, gefres zu beschis, und dann wäre laut Volksmund die Torheit mit Büffeln beschissen.
Der Weisheit letzter Schluss ist das nicht, weiß der Volksmund, doch unbelehrbar bürsten die Reformer das Sprachgefühl gegen den Strich, bauen Satzkonstruktionen um und schütteln die Wörter so lange, bis neue entstehen, tragen wird regant oder grante oder nagert oder jede andere Buchstabenkombination, die unsere Lingualwerkzeuge zu formen imstande sind, und der Volksmund spräche von der Sieweith zettler Sluschs.
Ebenfalls in schöner Regelmäßigkeit sind die hochgültigen Reformer mit ihrer Weisheit am Ende, aber ihr Scheitern zugeben? Niemals! Stattdessen behaupten sie kurzerhand in allen Fällen, wo sich etwas spreizt, dass Ausnahmen die Regel bestätigen, und merken nicht, dass sie einem Irrtum aufsitzen, denn der Redensart auf den Zahn gefühlt entlarvt sich deren Unlogik sofort: Ein Regelbruch kann niemals Beweis für die Regel sein, die er bricht - im Gegenteil, er stellt sie generell in Frage! Eine Binsenlüge als Ausrede für missglückte Reformen zu benutzen, ist ein Armutszeugnis und in höchstem Grade unseriös, da protestiert jedes Sprachgefühl und sinnt auf Rache, drum hebt der Volksmund den sprichwörtlichen Finger und warnt, der Sieb hegt so kurz zum Brennun, bis er chribt oder alternativ der Gurk hält so angel zum Dürren, bis er sticht.
Margit Heumann, A 1030 Wien
Bedrohte Artenvielfalt
Eine Hauptregel der deutschen Rechtschreibung lautet:
"Schreibe, was du hörst!"
Fuks, Vuks, Phuks
Fucks, Vucks, Phucks
Fugs, Vugs, Phugs
Fuggs, Vuggs, Phuggs
Fuchs, Vuchs, Phuchs
Fukß, Vukß, Phukß
Fuckß, Vuckß, Phuckß
Fugß, Vugß, Phugß
Fuggß, Vuggß, Phuggß
Fuchß, Vuchß, Phuchß
Fux, Vux, Phux
Das Schriftzeichen "Langes S" gilt als nahezu ausgerottet, dadurch gingen weitere 30 Schreibweisen des Wortes 'Fuchs' verloren.
Nach O. Kosog: Unsere Rechtschreibung und die Notwendigkeit ihrer gründlichen Reform, 1912.
Werner Höller, A 2130 Mistelbach
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
daß ich so fehlerhaft bin‚
die Regeln aus alten Zeiten,
die geh’n mir nicht aus dem Sinn.
Die Schreibmg war klar und eingängig
und ohne Unsicherheit;
da kamen Minister gefällig,
haben mich verrnaledeit.
Die Orthographie soll bieten
nicht nur ein Lebensgefühl,
soll helfen zu allen Zieten
aus bloßem Rechtschreibgewühl.
Dabei die Reform ist mißlungen,
man schert sich nicht darum;
Lob deshalb ist nicht erklungen,
heut’ fragt man sich, warum.
Den Leser lesenderweise
ergreift es mit wildem Weh;
er kriegt beim Lesen ’ne Meise,
sieht plötzlich mehr Fehler denn je!
Ich glaube, die Reform am Ende
kann mich kreuzweise mal,
ich schreibe wieder behende,
der Rest ist mir egal!
(Frei nach Heinrich Heine,
wahlweise auch zu singen auf die bekannte Melodie von Friedrich Silcher.)
Jens Holland, D 30419 Hannover
Ein überflüssiges Zeichen soll weg. Pustekuchen!
Alle Umlaute platt machen, geht entschieden zu weit. Man hat sich schon daran gewöhnt, die ehrwürdigen österreichischen Bundesbahnen unter oebb.at im Netz zu finden, aber ein herzliches „fahr zur Hoelle" ginge gar nicht mehr. Den Gesang von Xavier Naidoo würden auch die schärfsten Kritiker nur ungern als Genoele beschreiben.
Aber das scharfe „s“ ist ein echtes NoGo. Würde man nur ein paar von den Dingern in den Quellcode von Betriebssystemen schmuggeln, könnten Computer nur mehr ihre Lüfter hochfahren. Sonst nichts. Aber nicht nur Programmierer fürchten das scharfe „s“, sondern auch bei Simsern und Simserinnen holpert die effiziente Zweidaumentechnik wegen einem lieben Gruß. Den Wechsel der Tastaturbelegung nimmt man hingegen gerne in Kauf, eröffnet sich damit doch die Welt der Emoticons, mit denen sich selbst komplexeste Gefühlslagen darstellen lassen. Was hätte Rilke erschaffen können, wenn er über dieses Werkzeug verfügt hätte?
Meine Nichte Eva flutet mich regelmässig mit Emoticons, worauf ich meistens mit „Like mich“ antworte, was sie hoffentlich anders versteht als ich. Bei ROM denkt sie auch eher an Read Only Memory, als an die Hauptstadt von Italien, und bei DDR nur mehr an Speichererweiterungen.
Zurück zum ungeliebten scharfen „s“. Durch neue Regeln wurde sein Vorkommen zwar reduziert aber es wurde nicht gänzlich verbannt. Dafür wäre eine großangelegte Aktion vonnöten, die aber schwer zu organisieren wäre, international wahrscheinlich gar nicht.
Dieser unschöne Buchstabe sollte sich mit dem Binnen „i“ zusammentun, dann sähe er aus wie ein großes „b“ und es wären gleich zwei Probleme gelöst. In der Schule an der Kreidetafel hat man schliesslich auch ein großes „b“ geschrieben und es dann mit dem angefeuchteten Zeigefinger verstümmelt. Anmerkung: Kreidetafel war das Tablet der Steinzeitmenschen.
Christian Hollaus, A 5300 Hallwang
Fantasie und Ferstand
Fantasie darf ich mit F schreiben, obwohl ich es nicht schön finde. Den Verstand muss ich aber mit V schreiben.
Wieso eigentlich? Weil die Vorsilbe ver- nicht verändert werden darf? Und was bedeutet sie?
Wenn etwas verschwindet, schwindet sein Vorhandensein so lange, bis es nicht mehr da ist. Es ist also endgültig weg. Wenn etwas versteckt wurde, steckt es dann endgültig fest an dem Ort, den ich dafür ausgesucht habe? Wenn ich etwas vergessen habe, hat es mein Verstand dann für immer aufgegessen? Ist Verstehen etwas, das so lange in der Gedankenlandschaft steht, bis es endgültig ist?
Die Verwechslung von Personen ist hoffentlich nie endgültig! Das Verwaschensein einer Jeans leider schon. Vergehen ist auch etwas, das für immer weg gegangen ist. Verschwenden hat vielleicht mit dem oben genannten Verschwinden zu tun, denn danach ist mein Geld oder die Ressource weniger, meine Großzügigkeit aber nicht unbedingt.
Und warum hat die Fantasie ein F?
Philosophie darf ich nicht mit F schreiben! Zu heilig! Ist das die Phantasie nicht? Oder das Photo? Und die Geographie - immerhin auch eine Wissenschaft! - wird nicht geschützt?!
Ich las neulich einen Artikel, in dem es um Philosophie (mit PH) und Fantasie (mit F) ging. Einmal hat der Autor sich vertippt und nach dem F der Fantasie ein Leerzeichen stehen lassen. Es zog zwischen dem F und dem A.
So wie der Hauch der beiden H nach den P die notwendige Zugluft zum Philosophieren ist; Freiheit für den Wirbel des Verstandes. Erst ein drittes H in der Phantasie bringt dabei den Geist zum Glühen! Sonst macht Philosophie doch gar keinen Spaß!
Also entweder schreiben wir ab sofort Phantasie wieder mit PH oder gleich den Ferstand mit F.
Birgit Honikel, D 93047 Regensburg
Die reformierten Gämse
Ist es genetisch oder liegt es an meinem Geburtsort, an dem lange Zeit ein sprachliches Standardwerk beheimatet war? Ich weiß es nicht. Kurz gesagt: Ich bin eine Rechtschreibfanatikerin. Keinen Text kann ich lesen, ohne nicht akribisch nach Schreibfehlern zu fahnden. Ein Zwang, den manche schon neurotisch nennen. Folgende kleine Geschichte ist wahr. Denn Leuten, die wie ich Regeln hochhalten, mangelt es an Fantasie (mit F!). In besagter Heimatstadt, auch Quadratestadt genannt, haben wir sehr einfach Adressen: A 1, B 1 usw. - Buchstaben und Zahlen. Da kann man nicht viel falsch machen. Von dort verschlug es mich in die Schweiz, und ich landete an einer Adresse, die lautete „Im Eisernen Zeit“ (soll heißen: „An der eisernen Sonnenuhr“). Wobei Groß- und Kleinschreibung umstritten waren: Auf der rechten Straßenseite war „eisern“ kleingeschrieben und auf der linken groß. Drei Wörter und drei Fehler. So viel sprachliche Anarchie ließ sogar mich meine Grundsätze vergessen. Ich war begeistert! Aber nur in diesem einen Fall. Denn für mich und meinen gnadenlosen Rotstift gibt es im Land der Eidgenossen viel zu tun. Bekanntlich ist den Schweizern das Hochdeutsch suspekt. Sie sind mit unserer schönen Sprache nur auf dem Papier eine Scheinehe eingegangen. Stattdessen frönen sie leidenschaftlich der Vielehe mit zahlreichen Dialekten, die vom Hochdeutsch weit entfernt sind. Die Folgen sieht man im Schriftlichen, so dass ich immer etwas zu korrigieren habe. Ein wenig geriet mein Rotstift allerdings ins Wanken, als ich von neuen Regeln hörte. Plötzlich war meine Sicherheit dahin. Eines Morgens sah ich auf dem Weg zur Arbeit zwei Männer, die ein Straßenschild abmontierten: Statt „Gemsenweg“ wurde nun „Gämsenweg“ befestigt. Die Rechtschreibreform war da! Sogleich fürchtete ich um meine „Eiserne Zeit“. Und ich wusste auch: Jetzt muss ich neu lernen, wieder in einen Deutschkurs gehen. Als ich im Kurs erfuhr, dass ein Großteil der Kommaregeln untergegangen ist, hat mich das versöhnt. Dann soll die Gämse ihr Ä haben und der Delfin sein F (der Elefant hat ja schließlich auch eines). Und meine Sorge um die „Eiserne Zeit“ war auch unbegründet. Diese schöne Straße gibt es bis heute.
Stefanie Huber Grütz, CH 8049 Zürich
Lehrer müssen immer - ob sie wollen oder nicht
Als die RR kam wurden wir Lehrer zu Fortbildungen verdonnert, die natürlich wenig ergiebig waren, weil sie stets zu Zeiten des ungünstigsten Biorhythmus stattfanden- also nach sechs Stunden Unterricht. Wer wirklich lernen wollte, musste sich schon selber kümmern. Leider kaufte ich mir sofort den neuen Duden und war damit wieder einmal zu voreilig. Seitdem habe ich zwei neue Duden, die ich nicht einmal bei Amazon losbringe. Jedenfalls war die nächste Zeit für meine Schüler sicher lustig, weil ich bei jeder Tafelanschrift erst mal einige Wörter im Duden nachschlug. Da ich in der Grundschule in 1 und 2 unterrichtete, wurde es aber sehr bald übersichtlich – der Wortschatz ist doch begrenzt. Die wichtigste Neuerung war, dass „daß“ immer zu dass wurde. Daran erkenne ich auch heute noch, ob Texte in der alten oder neuen RS verfasst sind. Einige Änderungen waren durchaus logisch und sinnvoll, allerdings lösten Fälle wie Schifffahrt einfach Gelächter aus. Interessant wurde es dann erst, als in Bayern, so wie vorher in der Schweiz, die Methode „Lesen lernen durch Schreiben“ eingeführt wurde. Kinder sind so etwas von kreativ im RS – Kaubeu und liba Gilawal waren noch klar, aber bei MTR konnte es Mutter oder Motor bedeuten. Meine heimliche Leidenschaft zur Kombinatorik bei Krimis wurde endlich auch im Beruf gestillt. Ich führte ein ICH-Heft ein, ohne Linien und vorne mit einem Foto des Schülers darauf – 1. Klasse. Von nun an gehörte es zu meinen größten Vergnügen diese Hefte zu „korrigieren“. Musste nur laut lesen, dann verstand ich, was das Kind ausdrücken wollte. Die Bandbreite reichte von zwei Seiten eng beschrieben bis zur Minizeichnung mit einem Buchstaben? dabei – alles nannte sich VERSCHRIFTEN und tauchte auch so im Wochenplan auf.
Richtig dramatisch wurde es erst zur Zeugniszeit. Jetzt herrschte auch im Kollegium keine Einigkeit mehr. Ohne die Duden Hotline hätte ich nicht überlebt. Mein Mann meinte nur trocken: Jetzt kommt wieder das Leichentuch über das Kollegium.
Mein Glauben an die Fähigkeit des bayerischen Schulsystems ließ endgültig nach, als ich berufsbedingt folgende Zeilen im Original erhielt. Autor Alter 46 Jahre, weiblich, Mutter von vier Kindern, Realschulabschluss an einer Städtischen Schule in München: Dinge kann man nicht mehr rückgängig machen. Die zukunft aber schon.
Barbara Hülsebusch, D 80809 München
Sprachfrevel – Eine persönliche Abrechnung
„Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens“
(Karl Kraus)
__________
Sprache lebt und Sprache ändert sich, wie alles Lebendige sich ändert. Wer aber verändert, erst schleichend, dann zunehmend brachial, Sprache, und warum? Wer hat das Recht das Denken der Menschen, mein Denken, vor sich her zu treiben? Ich denke in Worten, und ich tue das in der Sprache, die in meinem Kopf und meinem Herzen einfach da ist, so wie ich sie vom ersten Tag meines Lebens gehört und erlernt habe. Und niemand hat sich Zugang zu meinem Kopf und Herzen zu verschaffen, dem ich es nicht gewähre, der mein Denken nicht bereichert, es nicht schärft und nicht immun macht gegen Dummheit. Von Kaiser Augustus bis Mao Zedong – das sind 2000 Jahre unsäglicher, von Sprachmißbrauch getragener Propaganda mit Millionen von Toten als Ergebnis. Immer im Schafspelz daherkommend, und immer mit hundert blühenden Blumen als Symbol erhabenster Absichten. Goebbels, Gender und Genossen! Ja, jetzt werdet ihr kreischen, kreischen, kreischen wie Pawlowsche Hunde – es ändert nichts. Ihr wollt Weltliteratur, die ihr nie verstanden habt, umschreiben und damit verändern, Worte befehlen, Worte verbieten, Regeln ändern, die ihr nie begriffen habt, ihr wähnt euch im Tanz um das Kalb der goldenen Wahrheit, die ihr selber festlegt oder ändert wie es euch genehm ist. Ihr seid selbst die Kälber und tanzt in Wirklichkeit um den Stier des Phalaris, der euch verbrennen wird, wenn die nächsten Kälber euren Tanzplatz fordern. Und diese Kälber sind lange schon gezeugt.
__________
„Der Herr sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, so daß keiner mehr die Sprache des anderen versteht“. (Genesis11,6,7)
Georg Igl, D 83536 Gars
Im Haufen raufen
Nein, es lag nicht an den bösen Politikern, den angepaßten Zeitungsverlagen, den rückgratlosen Germanisten und den gleichgültigen Bürgern, daß ein paar Sprachfummler einem ganzen Volk Quatsch als Norm verkaufen konnten. Es lag an den Reformgegnern. Wer mal mit Marketing zu tun hatte, weiß, ein Unternehmen sollte möglichst sympathisch wirken. Unsere Reformgegner sehen es indes als ihre wichtigste Aufgabe an, diese Binsenweisheit zu widerlegen. Am Internet kann man ihr Bemühen bestaunen.
Einer ihrer Anführer durfte unwidersprochen mit süßlicher Stimme faseln bis er starb: eine andere Reform wäre gut gewesen, eine, mit einer Grammatik für 'Wenigleser' und einer anderen für die 'Gebildeten'.
Der Rest des Vereins, strategischem Denken wie auch jeglicher Selbstkritik abhold, setzt seither auf Erbsenzählerei und Rechthaberei. So spießt im fernen Amerika ein sich jovial gebender Vielschreiber von Ergüssen ohne Absatz jeden noch so kleinen Fehler selbst in der Bildzeitung auf, offenbar überzeugt, damit dem Reformgegnervolk zu gefallen. Das ist übrigens der, der gegen Mitte April die Datumsangabe in seinen Emails gegen 'Führers Geburtstag' tauscht. Dazwischen lacht sich der kompetenteste Mann im Verein 'schlapp' über die Fehler 'großmächtiger Gelehrter' beim Gebrauch von Latein. Wer (nur) über Fehler anderer lacht, macht sich natürlich verdächtig, sympathiemäßig. Wobei der Mann zudem im Verdacht steht, selbst ein solch großmächtiger Gelehrter sein zu wollen. Qualitätsmäßig macht er sich verdächtig, weil er auf einem Nebenschauplatz penetrant seinen Überskinner lobpreist, wo den doch jeder, der schon liest, als Scharlatan entlarvt. Was bleibt, sind befreundete 'Sprachpflegevereine' wie die Neue Fruchtbringende Gesellschaft. Die Leute schaffen es tatsächlich, diesen Titel ohne Ironie in den Mund zu nehmen. Den Weltrekord der Unsympathischen aber hält unangefochten ein Berliner Oberjournalist, für den schnoddrig und prägnant Synonyme sind, der sich in einzeiligen Rumpfsätzen artikuliert und in jenen Kreisen alle anschnauzen darf, die es wagen, in größeren Zusammenhängen zu denken.
Doch, es gibt auch sympathische Leute dort, federführend sind aber die genannten. Manche von denen vertreiben allein durch ihre Existenz diejenigen, die den Schildbürgerstreich sehr wohl wirksam hätten bekämpfen können, sich aber angesichts des Erscheinungsbildes der Reformgegnerschaft frei nach Reinhard Mey fragen: Wer will in so einem Haufen - raufen.
Karl-Heinz Isleif, Japan 184-0012 Tokyo
Weil
Weil ich der zeichnenden Hand lausche, verzaubere ich ihre Linien.
Weil ich die Überschrift überschreibe, wird „träumend“ zu „tagträumend“.
Weil der Nachtmahr der Nacht gehört und als Tagtraum geschrieben worden ist, bekommt er eine andere Form.
Weil Wanzen nicht nur krabbelnd beissende Ungeziefer sind sondern auch ein Abhörgerät Wanze genannt wird, mischt sich bei der letzten Wanze ein Polizist in meinen Tagtraum.
Weil ich viel und leicht komme, wird das Wort „vielleicht“ aus der Ungewissheit erlöst und in die Freiheit entlassen.
Weil die Fantasie der Kinder ins Grenzenlose fliegt, nennen die Erwachsenen es Schwindel, was in Schweiz auch Lüge bedeutet, obwohl Kinder nicht lügen, sie erleben.
Weil ihnen auch nicht so leicht schwindlig wird, lieben sie es, neben dem Surfbrett zu surfen.
Weil Kinder und seien es erwachsen gewordene Kinder sich nicht an der Logik festklammern müssen, fliegen sie mit allen Sinnen durch alle Sinne und wieder zurück; ich nenne das sinnenvoll.
Weil es ohne Geheimnis kein sinnenvolles Leben gibt, bin ich froh, eines zu haben und mehrere zu finden.
Weil die Stille jenseits jeder Logik liegt, ist sie für Kinder selbstverständlich und für Erwachsene so entrückt.
Weil der Zugeknöpfte wahrscheinlich friert, sehr kalt hat, und deshalb bis oben zugeknöpft ist, müsste er sich doch freuen, wenn ich ihn wärmend umarme - doch nein, obwohl bis oben zugeknöpft, mag er das nicht. Er ist eben zugeknöpft, erklärt einer, hoffen wir, dass er sich nicht aufknöpfe.
Weil der Zugeknöpfte eindeutig ein Mann ist, bin ich dieses Mal nicht mit gemeint, so auch nicht beim Shitstorm, doch wenn es heisst, die Ärztekammer liefere Gesundheitsreformen für Ärzte und Bürger bleibe ich unbenannt. was vielleicht ein Glück ist für mich.
Weil ÄrztInnen in der Rechtschreibereform 1996 nicht aufgenommen wurde, obwohl vielerorts bereits üblich, nehme ich an, das Patriarchat stehe noch immer nicht auf eigenen Beinen.
Weil durch Gewohnheit, Denkweise und Sprachgebrauch unausgesprochene Regeln entstehen - sind - liebe ich es, solche Regeln zu brechen und die Sprache zu öffnen.
Weil ich die Regel „öffne sie und wiederhole den Vorgang“ trotz allem befolge, setze ich ein Wiederholungszeichen da capo al fine
Els Jegen, CH 4053 Basel
Rechtschreibung für alle: Reform soll’s richten
Die neueste Rechtschreibreform tritt ab heute in ganz Deutschland in Kraft, nachdem sie vor einem Jahr vom deutschen Rechtschreibrat verabschiedet wurde. Der Kern der Reform ist die sogenannte rotierende Rechtschreibung, kurz RoRe. Zahlreiche Experten wurden zurate gezogen, um möglichst alle Zweifler in die neue Reform miteinzubeziehen. Das Einzigartige an der RoRe ist, dass jeder neue Absatz eines Textes in einer anderen Rechtschreibvariante geschrieben wird. Dadurch soll eine Diskriminierung der verschiedenen Rechtschreibungen verhindert werden.
Fünf Varianten haben es in die finale Version der RoRe geschafft. Diese umfassen die neue Rechtschreibung von 2006, die alte Rechtschreibung aus der Zeit von vor 1996, Mittelhochdeutsch mit einigen aktuellen Ergänzungen, die konsequente Kleinschreibung und schließlich die regelfreie Sprache, in der jede Schreibweise Rechtens ist. Die Stärke dieses Modell sei, so der Sprecher des Rechtschreibrates, daß man vom historisch Interessierten bis hin zu Reglementierungsgegnern im wesentlichen jedem gerecht werde.
Obe diz entwurf aber all zwîvelære überreden kan weiz niemant. Der strît umbe die rehte schrift ist vil jâre alt. In den schuolen, ûf der strâze, in dem netze - allenthalben disputierten diu leut mit bitterlîchem grim.
das thema hat deutschland tief gespalten. überall kam es zu vorfällen wie in mainau, wo eine studienrätin ihrem kollegen in der hitze des gefechtes mit einem duden (20. auflage, 1991) den vorderen schneidezahn ausschlug. dies gipfelte im mai vergangenen jahres darin, dass eine gruppe anarchisten, die sich für eine sprache jenseits von regeln und normen aussprachen, den duden-verlag stürmten. erst nach tagen konnten sie dazu bewegt werden, die aus den werken deutscher dadaisten errichtete barrikaden niederzureißen und die redaktionsräume wieder freizugeben.
DeR VeRBanD deR SchRiftSTeller bEgrÜßte bEsOnders dEn AbsAtz dEr freifreifreien Sprache als „Spielwiese für den kreativen Geist, der dem Einfallsreichtum der Menschen keinen Riegel vorschiebt.“ Um-Welt-Schutz-Verbünde hingegen beklagtenjammerschluchz, dass der deutsche BaumBestand DurCH die StÄnDIgen NeuAuflagen der WörterBücher bereits stark decimiert sei. D1eser zustand w3rde s1ch durch di3 n3ue fünfbändig3 Ausgabe d3s Dud3n n0ch we1ter v3rschärfen. Di neu RoRE wirt trotz der Kritik als neu Fach dem Curriculm der Schüler hinzugefügt, di nun fünf Male di Woch mittelhochdütsche Ablautreyhen unde allerley Spannendes lernen dürfen.
Sabine Juschkat, D 74731 Altheim
ZUSAMMENGETRENNT (ein pamphlet)
getrennt schreiben wir schriftenersteller, auch
getrennt durch ein räudiges regelwerk, laut dem
zu trennen ist, was doch zusammengehört
zusammengetrenntes, das durch den rost fällt
durch den rost feiger reformer und bigotter rechtschreibpäpste
purzeln prinzipien, fußend auf etymologie und analogie und logik
ach, wie rostig sie leuchten, die neuen blüten
wider diese zu löcken bedeutet verrat
und lockt jene aus den löchern, die befugt zur zensur
oder zum verteilen schlechter zensuren
getrennt geschrieben, was doch zusammengehört
getrenntes schreiben als unsere profession:
imperfektes präsens und auf ewig
zukunft der schreibenden zunft?
Franz Kabelka, A 6800 Feldkirch
Adalbert, Brigitta, Konrad & Friedrich, R.-R.
Als ehemaliger Duden- und Deutschredakteur eines Schulbuchverlags bin ich zur Zeit der Rechtschreibreform nicht nur von Kultureinrichtungen in Danzig, Warschau und Krakau eingeladen worden, über Stand und Problematik der geplanten Änderungen zu berichten; sogar das germanistische Institut einer ungarischen Universitätsstadt am östlichen Rand des "Großen Tieflandes" wünschte orthografiereformerische Aufklärung. Da ich auf diese Weise den Landstrich kennen lernen konnte, dessen Beschreibung mir in Adalbert Stifters Brigitta einen tiefen Eindruck gemacht hatte, folgte ich der Einladung nicht nur aus orthografischen Gründen gern.
Von Berlin nach Budapest benutzte ich einen Flieger, aber in der ungarischen Hauptstadt bestieg ich den Zug und fuhr bald durch "eine Pußta, so prachtvoll und öde, als sie nur immer Ungarn aufzuweisen haben mag." - wie ich mir von Adalbert Stifter bestätigen ließ, in dessen Erzählung ich mich, kaum hatte der Zug die eisen- und glasgekuppelte Bahnhofshalle hinter sich gelassen, vertiefte:
Es gibt oft Dinge und Beziehungen in dem menschlichen Leben, die uns nicht sogleich klar sind, und deren Grund wir nicht in Schnelligkeit hervor zu ziehen vermögen... Eben so fühlen wir uns manchmal zu einem hingezogen, den wir eigentlich gar nicht kennen, ... während wir mit einem andern ... nicht ins Reine kommen können, wenn wir auch Jahre lang mit ihm umgegangen sind. Daß zuletzt sittliche Gründe vorhanden sind, die das Herz heraus fühlt, ist kein Zweifel, allein wir können sie nicht immer mit der Waage des Bewußtseins und der Rechnung hervor heben... Wir glauben daher, daß es nicht zu viel ist, wenn wir sagen, es sei für uns noch ein heiterer unermeßlicher Abgrund, in dem Gott und die Geister wandeln.
Verblüfft hob ich den Blick aus dem Buch und ließ ihn durch das Tiefland jenseits des Zugfensters schweifen, wo dem monatlang umher wandernden Icherzähler solche Gedanken im Kopf herum gegangen waren.
Diese kurze Textpassage, gedruckt in Stifters 1850er Orthografie, wies so markante Beispiele für die Problematik einer "klassischen" Rechtschreibung auf, dass ich damit am Ende meiner Pusztafahrt die ungarischen Germanisten für eine "liberalisierte" zu sensibilisieren hoffte.
Und meine Hoffnung erfüllte sich! Seit dem gibt es jenseits der Theiß ein auslandsgermanistisches Institut, das dank Stifters Brigitta das Fähnlein der nachkonradinischen Rechtschreibung hochhält bzw. hoch hält.
Otmar Käge, D 10245 Berlin
Rechtschreibreform
Wonach soll der Thesaurus ausgerichtet sein?
- Wörter kommen und gehen, Sprache, durch die lt. W. v. Humboldt der Mensch erst Mensch geworden ist, ändert sich beständig. Termini, in Sonderheit in den Bereichen Medizin, Technik und EDV, unterliegen einer laufenden, logischen Veränderlichkeit, dem Fortschritt, der Globalisierung. Sie sind zu berücksichtigen.
- Aber, inwiefern sind unterschiedliche Spracheigentümlichkeiten aus dem
deutschen Sprachraum aufzunehmen?
- Inwiefern der Anglizismus? Dieser ist wirtschaftlich gesehen nicht mehr vollständig zu verdrängen. Doch gilt seit 1885 für alle Fremdwörter: „Keines für ein Wort, das deutsch ausgedrückt werden kann.“ Deshalb sollten wir wieder lieber Rückmeldung statt Feedback, Höhepunkt statt Highlight usw. sagen!
- Mit einer Überfremdung unserer Sprache, übernehmen wir ja auch eine Überfremdung unserer Kultur! Semantik und Syntax leiden bereits jetzt darunter. Der Sinn der Wörter, des Satzes, des Gesetzes. Sinn soll doch die Bedeutung, die Wörtern und Sätzen zukommt, ausdrücken. Um unsere schöne Sprache lesbar und verständlich zu erhalten, wird sonst zukünftig neben einem Studium altdeutscher Schrift auch eines der Orthographie erforderlich werden.
- Für eine geschlechtsneutrale Sprache (nicht gender, gespr. dzendə) gibt es mehr Möglichkeiten als das „Binnen-I“. Tschender klingt gesprochen wie andere eingedeutschte Wörter: Tschako (ung.), Tschapka (poln.), tschau (ciao, ital.), Tschibuk (türk.) oder tschüs, usw.
- Hurenkinder werden ohnehin bereits ignoriert.
Mit der Computeranwendung wird, vorwiegend im Blocksatz, weder auf die alte noch auf die neu gültige Silbentrennung Rücksicht genommen. Während Reportagen, speziell solchen von Sportübertragungen, wird viel zu viel und dazu auch noch Stuss gesprochen, insbesondere von überflüssigen Senfgebern. Da kann nur der Ton weggeschaltet werden. Denn wie oft hören wir: „besser wie, weiter und höher wie, Bild statt Fotografie…“
Vorschlag: Möglichst wenige Doppelungen von Schreibweisen im Wörterbuch aufnehmen.
Schreiben wie gelernt, mehr oder weniger zulassen, was das EDV-Wörterbuch vorschlägt. Mit Sätzen eher vorsichtig umgehen.
Franz Th. Kammerhofer, A 8052 Graz
Bekenntnisse
Ich bekenne an dieser Stelle erstmals öffentlich, das, nein, dass ich regelmäßig Dass- und Das-Fehler mache. Dies tue ich trotz aller dadurch drohenden Schmach und Schande für einen Vielschreiber, der gerne seinen Senf und manchmal auch sein Ketschup (Müsste das nicht konsequenterweise „Ketschap“ heißen?), also sagen wir lieber sein Ketchup zu allem dazu gibt.
Ich bekenne fernerhin, dass der mich traumatisierende Das-/Dass-Fehler ein Daß-Fehler war. Im zarten Alter von 18 Jahren verschlechterte er meine Deutsch-Maturarbeit um einen Notengrad auf „Gut“, da ich ihn sowohl im Konzept als auch in der Reinschrift an der gleichen Stelle machte. Der Satz, der mich zum Stolpern brachte, ist mir entfallen; wahrscheinlich habe ich ihn auch nur verdrängt und er wird mir im Augenblick des Todes nochmals vor Augen geführt. Oh welcher Schmerz!
Die vor 20 Jahren zur Welt gebrachte Rechtschreibreform hatte für diese, meine, nein, diese meine Wunde keinen Balsam parat. Ich leide also weiterhin. Dass „daß“ jetzt „dass“ heißt und das, nein, dass es immer noch an den gleichen Stellen zu setzen ist wie damals, als es noch „dass“ hieß, hat für mich keine Bedeutung. Ich werde ob dieses Traumas diesen Mangel – trotz der mir innewohnenden Akribie – ein Leben lang nicht mehr loswerden. Es sei denn, es findet sich jemand, der in der Lage ist, mir diese Erschütterung beispielsweise durch Hypnose, EMDR oder ein ähnliches, dass, nein, das Unterbewusstsein verändernde Verfahren ein für allemal auszutreiben.
Bis dahin muss ich auf die Kraft meiner Lektorinnen und Lektoren vertrauen.
Wie gut, das, nein, dass es jene gibt, die dieser Dinge Frau und Herr sind. Ihnen sei hiermit große Ehre erwiesen, im besonderen, nein, im Besonderen meiner geliebten Frau. Sie leben hoch und mögen lange leben und noch länger wirken!
P.S. Abschließend bekenne ich, das, nein, dass ich nicht sicher bin, ob die in den beiden ersten Absätzen verwendeten Begriffe „Das“- bzw. „Dass-Fehler“ groß oder klein zu schreiben sind.
Michael Karjalainen-Dräger, A 1130 Wien
Der Duden auf der Eselsbrücke
Seit ich in die Schule ging, hatten meine Lehrer „Eselsbrücken“ auf Lager. Sich reimende Merksätze, die man ein Leben lang nicht vergaß. Meine Kinder wissen schon gar nicht mehr was das ist. Als ich meiner achtjährigen Tochter kürzlich riet, sich doch eine „Eselsbrücke“ zu bauen, damit sie sich etwas besser merken kann, sah sie mich an und fragte: „Ist das sowas wie im Tierpark steht?“
Ich haben mir in der Kindheit gebräuchliche Wörter durch viel Bücherlesen eingeprägt – das half und befreite mich oftmals über Regeln nachzudenken. Es gab genügend Eselsbrücken.
So kam es, dass ich über ein Vierteljahrhundert später erst gar nicht mitbekam, dass wir nun tatsächlich eine neue Rechtschreibung haben. Diskussionen in den Gremien wirklich zur Umsetzung führten. Ich wunderte mich nur über Wörter, die plötzlich beim Lesen anders aussahen. Als meine Kinder die Silbentrennung erlernten und mir wieder die Regeln „Trenne nie st, denn es tut den beiden weh“ einfiel, belehrten mich meine Kinder, wie man nun richtig trennt und überhaupt: Der Computer braucht keine Trennung!
Viel schlimmer finde ich nun, dass man nicht mehr „Creme“ schreibt oder „Ski“ sondern „Krem“ und „Schi“. Ich für meinen Teil denke bei „Vanille-Butter-Krem“ nicht an Vanille-Butter-Creme sondern eher an Kren, der Bezeichnung für Meerrettich in Österreich.
Was wurden wir im Grundschulalter mit Diktaten gequält, oder dem Verfassen einer „Nachschrift“ (Einen vorgelesenen Text originalgetreu niederschreiben). Das Vollschreiben der Hefte war effektiv – heute lernt man online und schreibt Grundschul-Aufsätze auf Reizwortgeschichten basierend (aus drei Wörtern soll eine phantasievolle Abenteuergeschichte entstehen), Personenbeschreibungen (wehe, man erwähnt dabei die Nasenwarze des Lehrers) oder auch Vorgangsbeschreibungen, wie die Zubereitung eines Kuchens nach Rezept.
Was ärgerte mich früher der Rotstift der Lehrerin auf meinen sorgfältig mit königsblauer Tinte verfassten Einträgen. Heutzutage erledigen Teenager ihre Hausaufgaben auf i-Pads!
Natürlich habe ich mich jetzt zwangsweise an die neue deutsche Rechtschreibung gewöhnt. Mir deswegen auch einen Duden gekauft, zur Sicherheit und zum Nachschlagen, denn meine Eselsbrücken sind so gut wie allesamt eingestürzt. Die ersten 35 Jahre meines Lebens brauchte ich wie erwähnt keinen Duden, jetzt schon! Jedoch kaufe ich mir nicht permanent die neuste Ausgabe, sondern muss mit dem Leben, was in Auflage 17 steht und schreibe sowieso lieber weiter nach Gefühl!
Margot Karl, D 82256 Fürstenfeldbruck
Rechtschreibung
Die deutsche Sprache lieb ich sehr,
doch erlernte ich sie schwer.
Wegen Vergangenheit, Zukunft und all der ganzen Zeiten,
die mir soviel Kopfschmerzen bereiten.
Wegen dieser "ss" und "ß"
das war für mich ein großer Stress.
Über Großbuchstaben oder Kein,
konnte ich nie einig sein.
Über das Zusammen oder Außeinand,
ich nie eine Lösung fand.
Lange habe ich studiert, alle Lernmethoden ausprobiert!
Endlich habe ich´s kapiert, wie das Schreiben funktioniert!
Plötzlich ist eine Rechtschreib-Neuregelung gekommen,
hat mir mein erlerntes Wissen wieder genommen.
Daher wünsche ich so sehr,
eine einheitliche Rechtschreibung muß wieder her!
Denn allgemein gewünscht ist ja bekannt,
aufzuheben endlich diesen "Misstand" Miss-Stand"!
Arlett Kaufmann, o. A.
Das Lieblingsessen und Rechtschreibung
Unser Sohn besuchte die Volksschule und sollte einige Sätze über seine Lieblingsspeise schreiben. "Nun gut", dachte ich "das wird ja nicht so schwer sein." Das war es auch nicht. Wie bei vielen kleinen Kindern war sein Lieblingsessen damals Spaghetti. Deshalb ermunterte ich ihn, über unser seinerzeit zelebriertes Spaghetti-Essen am Freitag zu schreiben.
Mein überaus kritisches Kind stimmte dem Vorschlag zu und begann zu schreiben. Als es mit seinen Ausführungen fertig war, durfte ich sein Werk begutachten. Aufmerksam las ich seine Worte durch und wies auf die eine oder andere verbesserungsbedürftige Stelle hin. Ich mußte bei jeder Verbesserung eine Erklärung abgeben und je nachdem, ob diese Erklärung zu seiner Zufriedenheit ausfiel, wurde verbessert.
Nun mußte ich das Gesamtwerk nochmals durchsehen. Und beim genauen Hinsehen stellte ich fest, daß mir das Wort "Spaghetti" als "Spagetti" entgegen lachte. Etwas verunsichert, wie es denn nun wirklich geschrieben wird, meinte ich zu meinem Sohn: "Ich schau' mal lieber nach, wie man dieses Wort nun schreibt. Vor der Rechtschreibreform - dies bedurfte nun wieder einer Erklärung, welche ich gerne abgab - schrieb man es mit "h"."
Um schneller zu sein, suchte ich mit meinen PC, um im Duden nachzulesen, was unser Kind zu folgendem Satz verleitete: "Mama, ich frage morgen ganz einfach die Lehrerin. Es ist nicht schlimm, wenn du es nicht richtig schreiben kannst!"
Ich drehte mich verblüfft zu ihm und zeigte ihm im Computer, daß beide Schreibarten richtig sind, was mich ebenfalls erstaunte.
Abends erzählte ich diese kleine "Story" meinem Mann, der herzlich in mein Lachen einstimmte.
Sabine H. Kaup, A 1140 Wien
Eines Regenten Vermächtnis
Es war einmal ein Königreich, dessen Volk mit Begeisterung die Kunst des Lesens und Schreibens lernte. Große Druckereien, riesige Bibliotheken, jedem zugänglich, und Universitäten entstanden. Nun begab es sich aber, dass im Volk Zweifel am König aufkeimten. Aus leisem Flüstern in den Hinterhöfen wurden in aller Öffentlichkeit geschwungene Reden und bald große Aufstände im ganzen Reich, derer die königlichen Fürstreiter nur mit Mühe Herr wurden. Dem König wurden diese Vorkommnisse zugetragen, und er berief seine engsten Berater, was nun zu tun sei. „Es sind die Bücher, Eure Majestät“, sprach einer von ihnen, „das gemeine Volk hat Eingang gefunden in die Kunst des Lesens und das königliche Schriftsystem erlernt. Daher verbreiten sich feindliche Gedanken in Windeseile und die Menschen verlernen den Gehorsam Euch gegenüber.“
Der König verstand. Die Bücher waren die Wurzel des Übels, daher musste man sich ihrer entledigen. Er gedachte, eine reichsweite Buchverbrennung durchzuführen, doch ein Berater erhob Einspruch. „Eine solche Handlung wird das Volk noch mehr in Rage versetzen, Majestät. Hört daher, was ich zu sagen habe...“
Noch am selben Tage erhielten die Druckereien im ganzen Reich den Auftrag, die gusseisernen Lettern des königlichen Schriftsystems zu vernichten. Einige Zeit später trafen neue ein. Manche ähnelten den bekannten, viele waren jedoch neu hinzugekommen und einige fort. Überdies hatte der König verfügt, dass neue Regeln für die Schreibung vieler Wörter eingeführt wurden. Von durchdachten Gesetzen aber war nicht zu sprechen. Die Neuerungen erfolgten willkürlich, ohne Sinn und Verstand. In den Bibliotheken und Universitäten brodelte es. Wie konnte der König es wagen, den Charakter jahrhundertealter Worte zu verändern, Buchstaben zu ermorden und durch Fehlgeburten seiner Fantasie zu ersetzen?
Doch mit der Zeit ging des Königs Plan auf: Viele befanden die Mühe, diese neue, fremde Schreibung zu erlernen, für zu groß und widmeten sich fortan anderen Aufgaben wie Hausarbeit und Landwirtschaft. Viele Gelehrte versuchten sich daran, doch die wirren Gesetze und der oftmals veränderte Sinn ganzer Sätze ließen sie schier verzweifeln und die Angst vor den Schergen des Königs verhinderte einen Schriftverkehr nach dem alten System.
So kam es, dass weniger Bücher verfasst und gelesen wurden, bis die Druckereien schließlich still standen. Die Zahl der Aufständigen schwand zusehends, sodass kaum noch jemand seine Stimme gegen den König zu erheben wagte.
Jana Faye Kelterborn, D 30855 Langenhagen
Strafarbeit bzw. Förderaufgabe (In memoriam E.J.)
Strafarbeit Förderaufgabe (In memoriam E. J.)
Verbessere zehnmal: Meine Getrennt Schreibung ist fehlerhaft.
1) Meine getrennt Schreibung ist fehlerhaft.
2) Meine Getrenntschreibung ist felerhaft.
3) Meine Getrennt-Schreibung ist fehlerhaft.
4) Meine Getrenntschreibunk ist fehlerhaft.
5) Meine Getrenntschreibung ißt fehlerhaft.
6) Meine Getrenntschreibung ist fehlerhafft.
7) Maine Getrenntschreibung ist fehlerhaft.
8) Meine Getrenntschraibung ist fehlerhaft.
9) Meine Getrenntschreibung war fehlerhaft.
10) Ich bin in Fehler-Haft.
Gewidmet allen Grundschülern und Grundschülerinnen, die nach den neuen Unterrichtslinien das Schreiben lernen müssen.
Adrian Kicks, D 40699 Erkrath
Krieg der Buchstaben
Mit der Rechtschreibreform begann der Krieg der Buchstaben. Einige kämpften darum doppelt oder dreifach in Wörtern vorkommen zu dürfen, andere hingegen versuchten einfach nur zu überleben und waren dankbar für ihre bloße Existenz. Einzelne Buchstaben taten sich hervor und wollten plötzlich großgeschrieben werden. Viele waren bestürzt darüber, dass es sie nur noch in Kleinschreibung geben sollte. Kompromisse mussten her und fanden großen Anklang unter den Buchstaben. Als endlich alle ihren Platz gefunden hatten, kam es zu einem unvorhergesehenen Wirbelsturm. Viele Wortschreiber packten die Buchstaben wieder dahin, wo sie Jahrzehnte lang gewesen waren und brachten damit das neue Gleichgewicht sofort wieder ins Wanken. Der Wirbelsturm hat sich zwar mittlerweile gelegt, aber noch heute purzeln einige Buchstaben ziemlich durcheinander.
Beate Kidd, D 93059 Regensburg
Wie es euch gefällt
Als Schriftstellerin stelle ich Schrift an ihren Platz. Schrift, die aus Buchstaben und Zeichen besteht, die man mir in der Schule beigebracht hat. Den Namen meiner Lehrerin werde ich nie vergessen, denn schließlich hat sie mir die Welt des Schreibens und Lesens geöffnet und damit tausende Welten mehr. Unermüdlich wiederholte sie Rechtschreibregeln bis wir sie auswendig konnten. Nur die Regel: "wer 'nämlich' mit einem stummen-H schreibt ist dämlich" muss auf andere Art ihren Weg in mein Gehirn gefunden haben. Für meine Lehrerin war kein Schüler "dämlich" und jede Leistung fand ihre Belohnung in der Form eines Sternchens im Hausübungsheft. Ich war stolz auf jeden Stern, den ich nach Hause brachte. Meiner stolzgeschwellten Brust ging erst Jahre und eine Rechtschreibreform später die Luft aus. Damals schrieb ich einen Brief an meine jüngere Schwester und bekam zur Antwort: "Lustig, wie viele Fehler du machst beim Schreiben!"
Vor mir sehe ich einen Boxring. In der einen Ecke hüpft ein ehrwürdiges Männchen mit weißer Lockenperücke auf und ab. Auf seinem schwarzen Umhang ist der Nachname "Heyse" in Großbuchstaben zu lesen. In der gegenüberliegenden Ecke macht ein zweites Männchen mit Perücke Aufwärmübungen. Auf seinem Umhang prangt der Name "Adelung". Es herrscht eine angespannte Stimmung im Saal. Auf den Zuschauerrängen kann ich unter anderem die Gebrüder Grimm ausmachen, Jacob wippt aufgeregt mit dem Fuß, auch Wilhelm hält es kaum auf seinem Sitz. Ihr Sitznachbar Duden scheint gelassener, auf seinem Schoß ein Notizblock und eine Feder. In der ersten Reihe sehe ich überraschenderweise meine Lehrerin. Der Rest des Publikums besteht aus hunderten von Volksschülern. Es wird ein spannender Kampf. Als der Gong zur letzten Runde ertönt, geht ein Raunen durch den Saal. Heyse und Adelung stehen erschöpft in ihrer Ecke, die Gebrüder Grimm skandieren: "Weiter! Weiter!" Selbst Duden kaut nervös an seiner Feder. Da tritt der Richter in die Ringmitte und verkündet: "Wie dieses oder jenes Wort geschrieben wird, darauf kommt es doch eigentlich nicht an; sondern darauf, dass die Leser verstehen, was man damit sagen wollte!" Die Gebrüder Grimm sehen sich verblüfft an. Duden runzelt die Stirn und notiert etwas auf seinem Block. Meine arme Lehrerin verlässt protestierend den Saal. Hunderte Volksschüler applaudieren und schreien begeistert: "Bravo, Goethe!" Ich grinse und stelle weiter meine Schrift an ihren Platz, darauf hoffend, dass mein Lektor einen guten Lehrer hatte.
Yvonne Kienesberger, A 5280 Braunau
Arche Nova
Vor 20 Jahren, es war enorm,
da ereilte uns die Rechtschreibreform.
Dem Känguruh, dessen Schreibweise vertraut,
wurde das stumme H geklaut.
Das Springbeuteltier hatte nichts dagegen,
letztendlich war es für das kangaroo ein Segen.
Das H, das braucht es nicht, ist's doch stumm.
Bleibt übrig die Kuh, man nennt sie dumm.
Der Kuh ihr H musst nämlich bleiben,
sie hatte nun als Außenseiterin zu leiden.
Mit ihrem stummen H allein auf weiter Flur,
war sie seither ihrem Namen auf der Spur.
Auf einer Flussschifffahrt lernten sie sich kennen,
das Känguru breit grinsend, die Kuh am Flennen.
Das Känguru ward bewundert von Zebu und Gnu,
sie jubelten: jetzt gehörst du endlich dazu!
Emu und Marabu riefen: Wir ohne H sind die Exoten!
Nandu und Kakadu übertrieben: Die anderen sind Idioten!
Der Kuh ihr Selbstwertgefühl war dahin,
kein Rindvieh in ihrer Nähe, es war schlimm!
Das Känguru, einstens mit H bestückt,
zeigte Mitleid, selbst immer noch beglückt.
Ich verstehe dich nicht!, sagte das Tier auf zwei Beinen.
Du hast ihrer vier, du musst doch nicht Weinen.
Das Problem ist ein anderes, das kann doch nicht sein:
Mit meinem H bin ich in der Zoologie ganz allein!
Könnte ich nur erkennen den tieferen Sinn!,
gab sich die Kuh ganz ihren Tränen hin.
Vollkommen am Ende ging sie in die Knie,
mit einem Aufschrei: das überlebe ich nie!
Der Uhu, scharfsichtig und weise,
näherte sich von oben und erklärte leise:
Wärst du nun Ku, bedenke nur,
du wärest wirklich allein in der Natur.
Denn Kühe tät es nicht mehr geben,
dann müsstest du ganz alleine leben.
Karin Kinast, D 55288 Armsheim
Die Rechtschreibreform
Kein Mensch kennt sich damit noch aus,
es ist ein Jammer und ein Graus,
was uns´re Rechtschreibung angeht,
ein wahres Chaos, wie´s im Duden steht!
Reformen kosten Millionen,
die sich bei Gott gar niemals lohnen.
Veränderungen hier und da,
mit viel Erklärung und bla, bla!
Wir wollen eine Einheit haben,
die alte Schreibung nicht begraben.
Lasst uns doch endlich einig sein,
das wünschen alle, Groß und Klein!
Katharina Kitzbichler, A 6343 Erl
Von Philosophen und Delfinen
Liebe Philosophen, liebe Delfine,
in der griechischen Sprache fühlt ihr euch heimisch, doch in die deutsche mögt ihr nicht recht integriert werden. Tatsächlich gehen nicht nur graecophile Deutschlehrer auf die Barrikaden, wenn die griechischen Fremdwörter mal wieder aufs Tapet gebracht werden. Die Gretchenfrage: ph oder f ? Tradition oder Anpassung? Also, wie hat man's nun damit? Obgleich es gut gemeint sein mag, auf die persönlichen Belange der Protagonisten Rücksicht zu nehmen, zieht die orthographische Obrigkeit einer einheitlichen Lösung den Eiertanz vor. Gerade für Nicht-Muttersprachler ist Verwirrung garantiert, wenn man sich in einem Fall zwingend für das ph oder das f entscheiden muss und im anderen selbst vor die Wahl gestellt wird.
Ein Beispiel: Ein Fotograf telefoniert mit einem Delfin. Das ist möglich, da der Fotograf schon sehr lange in Deutschland und gut integriert ist, ebenso wie sein Telefon. Da es den Delfin augenscheinlich noch nicht so lange in Deutschland gibt, kann ein Philosoph auch mit einem Delphin sprechen. Will jedoch der Delfin mit dem Filosofen in Kontakt treten, endet das in jedem Fall in einer Katastrophe. Skurril wird es für fotophobe Delfine - es braucht schon ein wenig Fantasie, um zu erklären, warum man es der griechischen Silbe phob im Gegensatz zu phot verbot, sich zu verdeutschen.
Die vielgepriesene Vereinfachung beim Schreibenlernen verkommt zur graphematischen Posse auf dem Rücken jener, die unsere Sprache erlernen wollen. Doch üblicherweise kommen an dieser Stelle bloß die Ressentiments der Deutsch-Liebhaber gegen eine Eindeutschung auf den Tisch. Auf sein h bildet sich der Deutsche schließlich etwas ein! Jener Buchstabe scheint einen magischen Glanz der Seriosität zu versprühen - im Gegensatz wirkten Teologen oder Fysiker gar einfältig. Dass letztere heutzutage sogar Fotonen erforschen, müsse nun wirklich genügen! Dabei geht es doch auch anders, wie die Italiener zeigen. Um ihr h scheren sie sich bekanntlich nicht und der Freund der Weisheit wird einfach zum filosofo. Na und? Im Deutschen wäre das sicher nicht möglich, dann könnte man ihn ja gleich Scharlatan nennen. Zumindest lässt die Debatte diesen Eindruck entstehen.
Jesper Klein (*1994), D 69181 Leimen
Verwortungen
Arabische Wörter werden von rinks nach lechts geschrieben
Chinesische Wörter werden mit Buchstäbchen gegessen
Englische Wörter werden postoxfordistisch verbreitet
Persische Wörter sind paradiesische Karawansereien
Ungarische Wörter sind hermetisch abgeriegelt
Schweizer Wörter sind deren wahrer Schatz
Spanische Wörter kommen komisch vor
Finnische Wörter fünfzehnfachverfallen
Russische Wörter puschkinen tolstoi
Österreichische Wörter sind urlieb
Japanische Wörter sind affixaffin
Türkische Wörter sind mit alles
Deutsche Wörter werden gedudent
Markus Köhle, A 1160 Wien
Rechtschreibung
Deutschland hat derzeit - und in Zukunft erst recht – andere Sorgen als die Rechtschreibung von Texten. Die Schreibe, ganz gleich in welcher Form oder Art und in welchem Medium sie veröffentlicht wird, ist jetzt schon vermischt mit Anglizismen. Im technischen Bereich sind für den Laien verwirrende, un- sowie missverständliche Abkürzungen auch Akronyme die Regel und im wissenschaftlichen Umfeld ist Englisch längst Standard. Im Internet ist die Schreibe, man denke an SMS, Twitter o.ä. ohnehin willkürlich, so sie nicht durch Emojis, Emoticons bzw. Smileys ergänzt oder völlig ersetzt wird.
Den zu uns Kommenden wird aus nachvollziehbaren Gründen mit der „leichten Sprache“ eine Hilfe geboten, in wie weit hier die Rechtschreibung – gleich welchen Zeitstandes – dabei überhaupt eine Rolle spielt, ist eine andere aber bestimmt unwichtige Frage.
Ein weiteres Beschäftigen mit der Rechtschreibung ist meines Erachtens eine Verschwendung der Ressourcen Geist, Geld und Zeit. Diese Drei - und die dafür erforderliche Infrastruktur - sollten für notwendigere Dinge, wie z. B. beseitigen der kulturellen Grenzen zwischen Islam und Christentum, durch Aufklärung über Fundamentalismus, der Integration der Flüchtlinge, dem Kampf gegen Kunststoff im Meer oder den Klimawandel eingesetzt werden.
Günter Kohlbecker, D 80992 München
Schreiberei
bei zwei versionen ist's eine zu viel sag drei und denk dir haselnüsse denk dich im geiste schon ins ziel schlag wurzeln dreh und wende dich im kreis ein wortgefecht mit qual bleibt nur ein wortsalat zur wahl schnapp dir vergnügt das kleine a schieb es nach rechts nach links egal das schreiben im dreivierteltakt drei möglichkeiten abgezwackt das wort ein ewig schatz und scheu versuch es stetig bleib dir treu sag zwei mach dir ein fest ein lied pfeif dir auch mehr als drei verdient was gilt in dieser schreiberei geschwungen scharf wirkt sie wie blei die haselnüsse werden schal das blau im himmel allemal wird gräulich grau dann dunkler noch du fällst symbolisch in ein loch dabei ists schreiben noch ganz flink dir die moral ne hymne singt auf die reform im allgemeinen auf die vernunft und auf die kleinen so lieb gewordenen wörterketten bleibt stets das abc dir – wetten?
Claudia Kohlus, A 5061 Elsbethen/Salzburg
schreib-Gefühl ab handen gekommen
Mein Sprach-Gefühl war Bomben-sicher,
so lang die alten Regeln galten;
durch Zeitungs-Lesen und durch Bücher
konnt' ich es weiter hin behalten.
Bin heut' zu Tage Gott verlassen,
seit "rauer Stängel" sich gehört:
Heisst es nun "Läberkäs" und "Massen"?
Ich bin echt End gültig verstört.
Ich war so blau-äugig: "Hey Leute,
das wird mir bald ge-läufig sein!"
Nicht Lebens lustig bin ich heute,
der Miss-Erfolg bereitet Pein.
Schwer wiegend ist die Depression,
so wie ein Albtraum, Grauen haft!
Viel fältig sei die Diskussion,
die diesen Mist bei Seite schafft!!
Antonia Kolb, D 81667 München
Aphorismen zum Begriff „Rechtschreibung“
Der Begriff Orthografie sagt klar und deutlich was er meint, nämlich die richtige Schreibung.
Die Aussagekraft des Begriffs Rechtschreibung hingegen, ist nicht eindeutig und lässt verständnismäßig Spielraum für sematische Beweglichkeiten:
Genaugenommen verbildlicht Recht-Schreibung die Verschriftlichung von Recht, also das schriftliche Festhalten von Gesetzen, die schriftwerdende Gesetzgebung, die Verfassung der Gesetzbücher.
Rechts-chreibung könnte als orthografischer Lapsus interpretiert werden, in dem Sinne, dass hier ein „S“ verlorengegangen ist beim Versuch das Schreiben von RechtshänderInnen schriftlich festzuhalten - dies im Gegensatz zur Links-chreibung, dem Schreiben von LinkshänderInnen (ebenfalls mit einem fehlenden „S“).
Wohingegen die Link-Schreibung im vorherigen Sinne die schriftliche Mitteilung eines Links = hyperlink, eines URL = uniform ressource locator, im IT-Bereich meint.
Rechts-ch-Reibung wiederum könnte als lautmalerische Verschriftlichung der Reibungskraft einer rechtsdrehenden Mühle zur Zerkleinerung von körnigem Material jeglicher Art verstanden werden, bei deren Verwendung während des Mahlvorgangs ein schabendes Geräusch, nämlich „ch“ hörbar wird.
Recht-Schrei-(b)ung zu guter Letzt schließt den Bogen zum Recht an sich, und erklärt den Vorgang des stimmgewaltigen, lauten Verkünden von Rechten. Diese Form verschafft sich vor allem bei verbalen Auseinandersetzungen Gehör! (Das (b) dient hier als Trennkonsonant zwischen zwei Vokalen.)
Die Link-Schrei-(b)ung wäre ein Rückschritt, denn Links werden angeklickt und nicht mit lauter Stimme verkündet!
Reformbedürftig?
Daisy Kopera, A 8010 Graz
Klassentreffen mit Umgestylten
Sie trafen sich bei den Grammatikregeln, beim Semikolon, dort war noch alles beim Alten. Niemand hatte am Semikolon gerührt, obwohl der kleine Strichpunkt sich das so sehr gewünscht hatte. Aber er war als Satzzeichen aus der Mode gekommen und wurde nur noch selten gesetzt.
„Mit jeder Änderung wäre ich zufrieden gewesen! Ich hätte nicht gemotzt.“ Vorwurfsvoll sah er zu dem Dreiergrüppchen hinüber, das am Ecktisch dem Selbstmitleid fröhnte.
„Ich fühl mich schrecklich fett“, klagte die Schnee-Eule.
„Das dritte E in der Mitte hätte wirklich nicht sein müssen“, stimmte die Kaffee-Ernte zu. „Pfeif doch auf Logik.“
„Ihr seid wenigstens nicht mit dem dicksten aller Vokale geschlagen“, sagte die Zoo-Organisation. „Meine Silhouette ist komplett ruiniert.“
Und dann: Auftritt der Erschlankten. Den Jogurt, der sich seines „h“s entledigt hatte, erkannten noch alle. Beim Delfin mussten sie schon grübeln. Aber wer war das fremde Wesen, das dann kam?
„Ich geb euch einen Tipp“, sagte es. „Mich gibt es in Dosen.“
Schulterzucken.
„Ich bin im Nizzasalat.“
Keine Idee, nirgends. Die Stirn des Delfins runzelte sich, doch er kam auch nicht darauf.
„Neugeboren“, jubelte das Wesen. „Ich bin ein Gestalter, ein Abenteurer. Vorbei die Tage, da niemand wusste, wie ich im Stück aussah. Jetzt schaffe ich was.“
„Machwal?“, riet der Delfin. „Unternehmerhai? Nein, ich weiß es, du bist der Tunfisch!“
„Mein alter Netzkumpel!“ Der Erratene klatschte in die Flossen. „Lass uns tanzen, bis Greenpeace kommt. Oder Grienpiece? Grinpis? Egal.“
Und sie fanden sich zu einer Polonäse. Mit Ä, weil auch das jetzt erlaubt war.
Ruth Kornberger (*1980), 69469 Weinheim
Vorrede zu Bachmann
[...] Die Diskussionen dieser ausgewechselten Jury waren natürlich überhaupt nicht mehr nachvollziehbar und erregten völliges Unverständnis. Ohne viel Federlesen kürte sie einen hypertonischen Untergangspropheten zum Sieger, der seiner Meinung, dass die mitteleuropäische Gesellschaft durch einen verhängnisvollen Prozess intellektueller Verweichlichung dümmer und dümmer werde, was sich anhand der verhunzten Rechtschreibreform unter Beweis stelle, welche sich in vorauseilendem Gehorsam dem angloamerikanischen Kulturimperialismus unterworfen hatte, wodurch Wörter, die im Deutschen seit je her zusammengehört hatten, barbarisch auseinandergerissen wurden, weshalb die verblödenden Massen noch weniger gezwungen und imstande wären, Textelemente von mehr als drei, vier Silben kognitiv zu verfassen sofern ihnen diese nicht von Comicfiguren ins Gehirn geschmiert würden, dadurch Rechnung zu tragen versuchte, indem er seinen Text „ur zach saudung“ nur mehr in E I N Z E L N E N B U C H S T A B E N vortrug.
(Ausschnitt aus einem längeren Text, der sich satirisch mit dem Abhalten von Lesungen beschäftigt)
Dietmar Koschier, A 1170 Wien
Nichts Anstössiges, nur heiße Liebe
Ich bin ein moderner Mensch, mein Credo: Veränderung! Begrüße Neugestaltungen, sei es im Denken oder auf geduldigem Papier, ob in der Ordnung der Dinge oder der Rechtschreibung!
In letzterer gilt es, Fehlerquellen auszutrocknen, und das Mittel zum schrittweisen Erfolg scheint klar: Logik unter Beachtung kreativer Wortvielfalt und des Volkes Schreibneigungen. Da bietet sich als erste Maßnahme die Lockerung des orthographischen Reglements durchaus an; löblich die einvernehmliche Nachbarschaft von Alt und Neu. Dies ermöglicht so manchem Kompositum das Verschränken beider Elemente, ein wahres Reißverschlusssystem. Und nichts weist Fehlerquoten mehr in ihre Schranken als ein gleichberechtigtes Nebeneinander. Weshalb nicht Joghurt und Jogurt? Schmeckt doch der neue genauso gut wie der gewohnte und verursacht, ob mit oder ohne diesen Parasiten h, dessen Vernichtung schon im 19. Jahrhundert betrieben wurde, keine Essstörung.
Hübsch, nicht? Diese Dreifachkonsonanten mit zuletzt mehr Entfaltungsraum! Wer mag sie nicht?! Meine wahre Liebe gehört dem scharfen S oder Eszett, wie es auch genannt wird. Für mich, den Genießer, eine eher pragmatische Bezeichnung, die die Wölbungen, die Wohlgestalt, ja, das Erotische ganz weglässt. Man möchte ß streicheln und liebkosen, ß bewahren vor Ignoranz und jedweder Pein. Schon der Anschlag auf der Tastatur muss ihm doch wehtun. Ich möchte ß liebevoll malen, ß hinhauchen, ihm so nah wie möglich sein. Glücklicherweise ist ß nicht verschwunden, in seiner Präsenz jedoch krass eingeschränkt. Wenngleich ich einräumen muss, gerade an diesem Punkt erscheint die Reform sinnvoll. Da knallt logisch kurz wie ein Schuss das Doppel-s und dehnt sich lang das scharfe S nach Art der Soßen. So ist, was bleibt - mal süß, mal possenhaft -, nichts Anstößiges. Andere Vorstöße gleichen geplanten, nie realisierten Trassen.
Dem Romantiker in mir bleibt so manche Poussiererei erhalten, andere gehen verloren. Gern nähm' ich auf mich Straf` und Buße, behielte ich nur den Kuß als solchen! Der ist mir lieb, seit Goethe ihn - im Abschied trauernd - allen Zeiten enthob: „War unersättlich nach viel tausend Küssen / Und mußt mit einem Kuß am Ende scheiden“!
Dichtkunst wie diese bewegt und steigert
nach dem scharfen S „mein heiß Verlangen“,
möcht' im Märchenschloß mit ihm verweilen
oder ein' Heißluftballon besteigen.
Und steigen!
Zuletzt, wie's immer war, ein Gruß. An die Erde! Wo sie deutsch palavert!
Janko Kozmus, D 12045 Berlin
Börnes Betttuch
Wieder und wieder beugt sich der Initiant über die von Staubzucker bedeckten Zeichen. Mit
verbundenen Augen folgt er den Weisungen des Schriftgelehrten und fährt mit der Zungenspitze
langsam über die Oberfläche der Lettern. Das hebräische Alphabet liegt hier in Zucker gegossen auf
einem langen Tisch aus. Mit tastender Zunge und stockendem Atem nimmt der Alphabet-Novize die
feine Spur der Buchstaben auf. Aleph, Beth, Gimel. Beim neunten Zeichen, dem Tet, richtet der
Schriftgelehrte den Jungen plötzlich auf und flüstert ihm etwas ins Ohr. Danach nimmt das
kulinarische Alphabetisierungs-Ritual wieder seinen Lauf.
Das Tet, lateinisch T, sollte auch im erwachsenen Leben des jüdischen Schriftstellers Ludwig Börne
ein steter Stachel im Fleisch der Buchstaben bleiben. Am T, das im Schriftzug seines Namens fehlt,
hat er sich vehement abgearbeitet. Verbunden fühlte er sich Jean Paul, dessen Name diesen
Buchstaben ebenfalls vermissen ließ, während er Metternich als Träger des Doppelkonsonanten T mit
allen publizistischen Mitteln bekämpfte. Mit spitzer Feder reagierte er auch, als im Zuge von Johann
Christoph Adelungs 1788 veröffentlichter Studie zur Orthographie die Frage nach der dreifachen
Verwendung desselben Konsonanten diskutiert wurde. Wieder kaprizierte Börne sich auf das T und
verfasste ein leidenschaftliches Plädoyer für jenes Stück Stoff, das über die Matratze einer Schlafstatt
gespannt wird. Betttuch müsse es heißen – mit dreifachem T. Bei einem Bet-Tuch handele es sich
hingegen um jenen weißen Gebetsmantel, den die Juden Tallit nennen. Der Umstand, dass ein
gläubiger Jude auch in seinem Tallit zur letzten Ruhe gebettet werde, gebe niemandem das Recht,
jenes Bet-Tuch in die orthographische Nähe zu einem profanen Betttuch zu rücken.
Börnes Bemühen um orthographische Differenzierung musste freilich noch mehrere
Reformgenerationen überdauern, bevor es Gehör fand. Merkwürdig nur, dass auch im Namenszug
der meisten Träger des Ludwig-Börne-Preises das T keine Resonanz findet: Joachim Kaiser, Hans
Magnus Enzensberger, Frank Schirrmacher, Alice Schwarzer, Joachim Gauck, Florian Illies, Jürgen
Kaube. Wirklich drängend wird aber die Frage, was der Schriftgelehrte dem Neophyten wohl ins Ohr
geflüstert haben mag, wenn man nach Boerne, Texas schaut. Hier hatten europamüde Alt-1848er
dereinst eine Siedlung nach ihrem Idol benannt. Auf einer Tafel am Eingang der Boerne Public Library
steht noch heute in dräuenden Lettern: No handguns permited.
Stephan Krass, D 76133 Karlsruhe
Eingedeutscht
wenn dem rütmus
beziehungsweise
rytmus
die rhythmen orthographisch
abhanden kommen
wird nämliche fantasie
in dieser majonäse
ersaufen
Rudolf Kraus, A 1200 Wien
Sprachliches Qualitätsmanagement
Es ist ein Markenzeichen der Deutschen, Probleme aus der Welt zu schaffen und dabei immer neue Wege zu beschreiten. Das ist nicht weiter verwunderlich, hatte sich das Land der Dichter und Denker doch einst Kreativität, Effizienz und Genauigkeit verschrieben. Und die großen Erfolge dieses selbst auferleget Anspruchs an Qualität und Erfolg gab Deutschland Recht. Provokante Thesen wie Oscar Wildes „Das Leben ist zu kurz, um Deutsch zu lernen.“ wurden auch deshalb nie ein großes Thema, da man stolz war auf sich und die nationalen Errungenschaften. Und als die deutsche Sprache nicht Weltsprache wurde, da man das augenscheinlich simplere Englisch angesichts der den breiten Massen für angemessener hielt, war das ja auch beinahe ein Kompliment. Doch seit einiger Zeit haben Gefühle der Heimatliebe und der Stolz auf die eigene Herkunft, der nach wie vor viele Menschen anrührt, kaum mehr Platz zwischen Globalisierung und „Political Correctness“. Und wenn dann der Ruf nach einer Vereinfachung des Deutschen laut wird, spring man gerne auf diesen Zug auf. Ganz im Sinne der früheren deutschen Mentalität der Problembewältigung. Leider verhält es sich mit der Sprache jedoch nicht anders als mit Beruf, Politik und Bildung: Wenn man weniger reinsteckt, kommt eher selten mehr raus. Weniger Aufwand, mehr Qualität - deshalb schlagen wir uns jetzt nicht mehr mit drei verschiedenen Arten von „s“ herum, sondern mit drei „f“ in „Flussschifffahrt“. Eindeutig ein Zugewinn! Jedoch nicht an Effizienz, sondern vielmehr an Konsonanten. Ohnehin bleibt fraglich, wieso man derart brachial in die Entwicklung einer Sprache eingreifen muss - erledigt sich eine Hinwendung zur Trivialität doch meistens von allein. Vielleicht ist all das für die Generation Multi-Kulti unbedeutend. Aber wenn wir einen Blick auf Ausländer und Migranten werfen, dann wird eins klar - nicht mal ihnen ist mit der Reform geholfen. Wahrlich wichtige Dinge wie Bescheide von öffentlichen Ämtern sind sprachlich - heute wie damals - ein Buch mit sieben Siegeln für Auswärtige. Aber sollten sie in die Bedrängnis einer schriftlichen Konversation über Kaffeeplantagen kommen, wissen sie, dass ihr Augenmerk in puncto Rechtschreibung auf dem dritten „e“ in „Kaffeeernte“ liegen muss.
Vielleicht sollten wir versuchen, die Ruinen des deutschen Traums von Qualität und Denkertum wieder aufzubauen und diesem Traum durch eine sprachliche Rückbesinnung wieder Leben einzuhauchen.
Sophia Kraus (*1998), D 83700 Rottach-Egern
So weit meines kurzes soweit
So weit bin ich sprachverliebter Sprachverwirrter nun.
In ein Meer der Möglichkeiten geworfen, in dem mich das Wellenspiel von Alt und Neu kaum Halt finden lässt. Konsolidiertes zerrinnt, Anzueignendes bäumt sich auf. Zwischen althergebrachtem Verlagswesen, selbstgebieterischem Netz und neomanischem Neusprech scheint alles zu zerfließen, und meine sprachliche Intuition und Selbstverständlichkeit erleidet angesichts all der liquiden Dokumente ein Liquiditätsproblem.
Soll ich aus jemandem, der sich mit etwas auseinandersetzt, einen machen, der sich auseinander setzt - also von etwas oder jemandem wegsetzt? Weg setzt? Es ist ein Unterschied, ob man mit Schrecken davonkommt, oder mit Schrecken davon - die richtige Assoziation wäre eine sich auf und ab bewegende und einen schreckende Hand - kommt. Sie verstehen, was ich meine?
Letzteren Beistrich lasse ich mir übrigens nicht nehmen, finde aber trotzdem, dass der ermöglichte Verzicht einer gewissen Eleganz nicht entbehrt, so viel ist gewiss, und zwar ohne das rein optisch viel weichere und dennoch scharf genannte, nun auf gelegentliche Gastauftritte im Diphtong-Ping Pong eingeschränkte Eszett.
Nein, Dipthong-Ping-Pong, denn da ist ja die Sache mit dem neuerdings grassierenden Durchkoppeln. Also Die-Sache-mit-dem-Durchkoppeln. Die Sache-mit-dem-Durchkoppeln? Hässlich. Oder? Wie Maul- und Klauenseuche. Oder wie Maul-und-Klauen-Seuche? Sind auf der Sprachkoppel dem Divis die derart bis hin zur Bindestrichwut verseuchten Pferde durchgegangen? Überhaupt, woher diese psychosemantische Bindestrichwutinfektion? In Annahme möglicher Leseschwächen? Aus Angst vor dem zusammengesetzten Wort, einer der kreativsten, poetischsten Facetten der deutschen Sprache? Als Symptom der Generation Autokorrektur? Und weil es eh schon egal ist, machen wir uns groß und aus der autokorrekturhörigen eine Autokorrektur-hörige Generation auf Maul-und-Klauen-Seuche-infizierten Gäulen.
Eine Generation, bei der auch der orthografische PH-Wert am Absinken ist, um es philosofisch zu sagen. Was ja großgeschrieben so etwas wie ein Freund weiser Fische sein könnte, aber Spaß beiseite, mein Verwirrungseklektizismus gebiert keine Inner-Wort-Vermischungen, eher dann schon Innersatzvermischungen oder Phantasiewörter wie Fantasie-Schifffisch - dank der Neuerungen vier F samt Hattricktrick inklusive. Gut, hier gilt: Hattrick-Trick hat Trick.
Soweit somit das Spritzen meiner Sprachgischt. Soweit und so weit der Einblick in die Liquidationen meiner Sprache.
Daniel Krčál, A 1100 Wien
Vom Schreiberling
Hab immer gerne richtig gschrieben
Groß und Klein unterschieden
Von Trenn- bis zum Gedankenstrich
Selbst nie von Satzdruckregeln wich
Verwechslungen derart vermieden
Kümmerte mich um Orthographie
Das Elfte Gebot: Verwende nie
Den neuen Duden ohne Pflicht
Kein Leerschritt ist mir entgangen
Ob Apostrophe richtig hangen?
Wortzwischenraum bei Block zu groß!
Wofür die Silbentrennung bloß?
Gedrucktes prüfte ich auf Fehler
Statt achtzugeben, was der Erzähler
Professor oder Rechtsgelehrte
Mir sagen wollte im Bericht
Aus welchem Anlass er denn spricht
Dank sei dem Lehrer Denk
Der Reform-Duden sein Geschenk
Waltraud Krönner-Berry, D 82362 Weilheim i. OB
Ich lebe
Es war ein Donnerstag im August, als Du inmitten von Zigarettenqualm und verschüttetem Bier in der Kühle saßest und zu den Sternen sahst, die noch greller als die Straßenlaternen leuchteten.
Während die noch müden Dächer von der Morgensonne geweckt wurden, dachtest Du wieder darüber nach, dass alles Leben ein Ende hat. Das verstehen die meisten Menschen zwar, aber nicht wirklich.
Existierte ein Buch über Dein Leben, wünschtest Du, dass es ein Bestseller sei, voller Euphorie und Drama, erfüllten Sternschnuppenträumen und Unmengen vergossener Tränen, einer Überdosis von Serotonin und Endorphinen, bei dem man lacht und weint immer im Wechsel vor Freude und Trauer bis »glücklich« herauskommt. Doch Du erkanntest, dass »glücklich« für Dich nur in Träumen existierte, und Träume waren einfach nicht für Dich gemacht.
Leben war für Dich so viel mehr als Schulnoten und eine sichere Zukunft, in der sich Halbtagstrance in Alltagstrance verwandelt und der Morgenkaffee nur die ersten Stunden rettet.
Und während die Nacht längst der Dämmerung wich, fragtest du Dich:
„Existiere oder lebe ich?“
Dann lerntest du sie kennen, die Protagonistin Deines Lebens, deren Küsse nach Zigaretten schmeckten und sich anfühlten wie Stroboskopaufnahmen.
Sie zu küssen war schön, nicht weil das Küssen an sich schön war, sondern weil sie es war und weil Du in ihr etwas sahst, das wundervoller als das Universum war.
Sie liebte den Himmel bei jedem Wetter und Chaos stand ihr ausgesprochen gut. Von all den Dingen, die Du jemals in Deiner Hand hieltest war sie das Beste und sie zeigte Dir, wie schön das Leben ist.
Ihr ranntet in Sommernächten durch verlassene Schrebergärten, knacktet Kaugummiautomaten, um Plastikringe zu klauen, rauchtet gefühlt die örtliche Tankstelle leer und ließt absichtlich 1-Cent-Münzen fallen, weil ihr tief und fest daran glaubtet, alles würde gut werden.
Ihr wart nicht mehr als Jugendliche mit Ängsten, die Lust hatten, etwas zu riskieren und in der Mitte der Zeit befürchtetest Du, in einem kurzen Moment vollkommener Leere, Du seist »glücklich« und mit einem Mal bestand Dein Leben aus einem Haufen Superlative.
Die Kalenderblätter fielen und dann standest Du da, wo Du schon einmal standest und nahmst einen tiefen Zug aus dem Zigarettenstummel, der zwischen Euren Mündern wanderte, bliest den feinen Rauch in den Sternenhimmel über Euch und mit einem Gemisch aus dem besagten »glücklich« und Freiheit beantwortetest Du Deine Frage:
„Ja, ich lebe!“
Marisa Odile Landwehr (*2001), D 33790 Halle (Westfalen)
Aufstand der Wörter (Auszug)
Es war zu spät, er hatte zuviel auf einmal gewagt. Am lautesten schrie der Aufstand, der alle aggressiven Wörter um sich versammelt hatte. Sie stürmten auf ihn zu. Harrys Thron wackelte. Angst überfiel ihn. Er mußte fliehen.
„Sie wollen dich mundtot machen. Komm!” Die Treue griff nach seiner Hand. „Du willst zur Sprache? Ich zeige dir den Weg.” Das war seine Rettung. Ohne die Treue wäre Harry von einer Clique aus bösen Wörtern im wahrsten Sinne des Wortes mundtot gemacht worden. Sie liefen um ihr Leben. Die Treue kannte sich auf ihrem Weg gut aus, der durch endlose, geheimnisvolle Gänge führte. - „Es gibt eine Verschwörung”, sagte sie. - „Denkst du an das Wort?” - „Nein, ich spreche von einer richtigen Verschwörung. Darunter leidet die Sprache. Der harte Kern dieser Verschwörung hat einen Rat der Wörter gebildet.” - „Es gibt einen Rat der Wörter?” wiederholte Harry ungläubig. - „So ist es.” - „Warte! Laß uns ein wenig ausruhen.” Harry war die Luft ausgegangen. „Woraus besteht der Rat?” - „Aus alten, vergessenen Wörtern, und aus den mißratenen Teilen der Sprache.” - „Ich verstehe.” Langsam erholte er sich wieder. - „Sie planen einen Umsturz. Sie wollen die Sprache zwingen, sich aus der Verantwortung für die Menschen zu befreien. Zurück bliebe der Instinkt und die Welt der Symbole.” Die Wörter hatten zum Aufstand geblasen. Sie wollten ihrer Stammutter an den Kragen. Harry fragte sich, wie sie das durchführen wollten. Es gab nur eine Stimme, die unerreichbar irgendwo im Raum schwebte. Sie gab sich als Mutter der Sprache aus. Wer war sie wirklich? Warum zeigte sie sich nicht? Was verbarg sie jenen, die mit der Sprache geboren wurden, deren lebenslange Begleiter aus dem Reich der Phantasie und Intuition kamen? Es war nur eine Frage der Zeit, dann würden Wörter wie der Haß, die Lüge, die Feigheit, das Vorurteil, die Gewalt, der Aufruhr und die Niedertracht, an das Tor des Hauses ihrer Stammutter klopfen, und zusammen mit der Gleichgültigkeit, der Apathie und der Verachtung – für die guten Werte des Lebens – machten sie der Sprache – der schönen, klugen, der tiefen und poetischen – den Garaus.
So stellte sich Harry einen Aufstand der Wörter vor. Er hörte schon das Gegröle, die bösen Rufe nach Unterwerfung – worunter?, natürlich unter die Instinkte, Symbole und Phrasen. Und er fürchtete das anmaßende Diktat der Straße, das der freien Phantasie alle Hoffnung auf ein offenes Wort nehmen würde.
Gregori Latsch, D 26160 Bad Zwischenahn
Artikelreform
Die Rechtschreibreform, na schön und gut -
Indes gibt es Anlaß zu meckern.
Es kommt doch wahrlich darauf an,
Zu klotzen und nicht zu kleckern.
So sollte die werte Expertenzunft
Sich endlich einmal bestreben,
Das Feminin- und Maskulin-
Dilemma zu beheben.
Wozu die Multiartikelei?
Und ohnedies schafft sie Probleme:
Die Genderdebatte kommt nicht voran,
So lange es bleibt beim Systeme.
Da heißt es machohaft DER Mensch,
Die Frau wird ausgeschlossen,
Kein Wunder, daß die weibliche Welt
Brüskiert ist und verdrossen.
Kurzum, ich schlage dringlich vor,
Die Diskriminierung zu enden
Und anstelle von DER und DIE
Ein DAS nur zu verwenden.
Passé wär der alte Notbehelf,
Die In- und die Sternchenmarkierung,
Geschenkt würde Frauen und Männern das Heil
Grammatischer Neutralisierung.
DAS Professor hieße es dann,
DAS Rektor, DAS Senator,
DAS Polizist und DAS Soldat,
DAS Knotenkoordinator.
DAS Mensch denn auch, das übrigens
Sehr gut zum Neutrum paßte,
Das dieses Wesen mit dem Vieh
Authentisch zusammenfaßte.
Und dann: Ob DER, ob DAS Gehalt -
Die Ob-Kassation wär ein Segen;
Entlastet wäre das Gehirn
Vom So- oder So-Überlegen.
Schließlich käm die Artikelreform
Dem Deutsch-Erlernen zugute;
Den Kömmlingen aus dem Morgenland
Wär's strebeleichter zu Mute.
So ist, was sie unverzichtbar macht,
Ihr Nutzwert, zu kommunisieren;
Afghanen und Frauen und Syrer sind
Kaum anders zu integrieren.
Und wenn es heißt: "Das schaffen wir!",
So vergaß man freilich zu sagen:
Voraussetzung ist das Bekenntnis zum DAS.
Hier galt es, dies nachzutragen.
Bernd Leistner, D 04229 Leipzig
Die Orthographie oder Orthografie
Wie auch immer man dieses Wort nun schreiben mag. Fest steht, dass dieses Thema immer weniger bekannt im Leben der Gesellschaft heutzutage ist. Man braucht nur auf Soziale Plattformen gehen, um festzustellen, dass es wirklich schlimm um die Rechtschreibung der Menschen steht. Erst neulich sah ich auf einem wirklich netten Bild auf Facebook einen Text, der folgendermaßen lautete: „Entlich ist Freitag!“ Jetzt stelle man sich einmal folgende Situation vor. Ein Volksschulkind, das gerade erst Lesen und Schreiben lernt, treibt sich wie so viele andere junge Leute auf diversen Plattformen um, saugt alles was es sieht, ungefiltert in sich auf. Dann findet es so einen Spruch, wie bereits oben erwähnt. Tja, mich wundert es kaum, dass junge Menschen gar nicht mehr wissen, wie man Wörter richtig schreibt. Nun, es gibt auch für mich Fälle, wo ich echt nimmer weiß, wie das nun zu Papier gebracht wird. Zum Beispiel „Ich möchte meine Arbeit fertigstellen.“ Oder auch „Ich will nun meine Arbeit fertig stellen.“ Ja, auch ich bin verunsichert. Vor einigen Jahren erlebte ich etwas, worüber ich mich wirklich ärgerte. Man denke an eine Firma, die Artikel rund ums Auto und auch Rad verkauft. Ich will jetzt keine Namen nennen. Doch vor einigen Jahren fand ich in der Post, ja in der Post, ein Flugblatt. Da lautete der Text:„Zum Fatertag!“ Und so etwas flattert direkt ins Haus. Man kann sich kaum dagegen wehren. Mir ist schon klar, dass es sich dabei um einen Werbegag handelte. Trotzdem finde ich das unverantwortlich den Abc-Schützen gegenüber. Ich frage mich gerade, woran diese weit verbreitete Unkenntnis der Rechtschreibung liegt. Ich tippe einmal ganz frech auf die Möglichkeit der zunehmenden Lesefaulheit der Bürger. Vielleicht ist aber auch die Tatsache, dass es immer mehr Möglichkeiten der Selbstpublikationen gibt, Schuld daran. Selbst, wenn Menschen viel lesen, kann es durchaus passieren, dass man da Wortbilder in sich aufnimmt, die eben nicht lege artis erscheinen. Ich selber bin ja froh, dass es wattpad gibt. So hat man als Schreibbegeisterter die Möglichkeit, seine Werke einmal Probe laufen zu lassen. Doch wenn da Leute ihre Literatur veröffentlichen, die sicher fantastische Ideen beinhalten, jedoch das Lektorat beiseite lassen, fürchte ich um die Orthographiekenntnisse der zukünftigen Generationen. Ich oute mich hiermit als Schreibbegeisterter oder auch „Scribopath“ wie ich mich selber gerne bezeichne.
Diane Legenstein, A 2020 Hollabrunn
Leo’s Backstube, Merkel’s und Gabrielis Mund
Kürzlich ging ich in Leo´s Backstube Brötchen kaufen und schaute später im Fernsehen Merkel´s Sommergastgespräch, bis ich auf meinem Display blitzartig den Apostroph rot blinken sah.
Ich eilte zu Herrn Duden ins Bibliothekszimmer und ließ mir sagen: «Der Apostroph zeigt an, dass in einem Wort ein oder mehrere Buchstaben ausgelassen worden sind (vgl. aber Regel 16). In vielen Fällen können die Schreibenden selbst entscheiden, ob sie einen Apostroph setzen wollen oder nicht (vgl. Regel 14)». - Danke, sagte ich, die Regel ist also nicht alternativlos.
Es blinkte allerdings weiterhin rot, ob ich die Augen offen hatte oder nicht. Einverstanden, bei Leo´s, Merkel´s und Co. wird kein Buchstabe ausgelassen, es dürfte also kein Apostroph stehen. Es steht aber einer. Also muss es einen tieferen Sinn haben, dachte ich, denn der “Apostroph” ist ein Zeichen und weist wie alle Zeichen auf etwas hin. So habe ich es im Deutschunterricht einmal gelernt und so war es auch aktuell in Wikipedia nachzulesen.
Herr Duden war in der Mittagspause, sodass ich der Sache selber auf den Grund gehen musste.
Der “Apostroph” hat, von seiner griechischen Wortwurzel her betrachtet, als Verb, Substantiv und Adjektiv drei Grundbedeutungen: sich abwenden, vertreiben, verdrängen.
Das ist es! Der Apostroph wird zur Alternatiefe. Er öffnet mir einen gedanklichen Spielraum. Super!
Ich stieg in die Tiefe hinab und fragte mich, was denn wohl die Interviewpartner oder die Bundeskanzlerin im Gespräch verdrängt, vertrieben oder wovon sie sich innerlich abgewendet haben. Oder, waren in Leo´s Backstube die Brötchen wissentlich versemmelt worden?
Ich war unsicher, welchem der beiden Vorgänge ich mich zuerst widmen sollte, was mich zu einem Ausweichmanöver zwang, nämlich mich noch mit Herrn Gabriel zu befassen.
Das war gut so!
Bei ihm konnte, in Anlehnung an ein altes Weihnachtslied, die Formulierung «aus Gabrielis Mund» übernommen werden. Ein Nachsinnen, wie es bei «Gabriel´s Mund» der Fall gewesen wäre, erübrigte sich.
Bitte keine Apostrophenreform! Ich möchte mir einen gedanklichen Freiraum bewahren.
Die ganze Brisanz des Problem´s ist offensichtlich in zwanzig Jahren Rechtschreibreform von den Kultu´sministern noch nicht erkannt worden und die ohnehin großen Mühen um Sprachkurse für Flüchtlinge mit Migration´shintergrund werden künftig solche Alternatiefen kaum zulassen.
Wie sagte schon Friedrich Dürrenmatt?
Un´s kommt nur noch die Komödie bei.
Alfons Lenherr, D 81245 München
Einladung zur Flussschifffahrt
Sehr geehrter Herr von Goethe, hiermit lade ich Sie am 28. August 2016 zur Flussschifffahrt auf dem Main ein. Für die Verpflegung ist gesorgt. Lassen Sie uns bei Spagetti (oder Spaghetti) und Tunfisch oder (Thunfisch) kennenlernen (oder kennen lernen). -Ach, es ist in unserer heutigen Zeit alles so kompliziert geworden. Denken Sie bitte nicht, dass ich nicht lesen oder schreiben kann. Heutzutage ist alles sehr dehnbar, sozusagen kann man sich entscheiden, wie man schreiben möchte. Eine richtig feste Regel sucht man vergebens.- Ein kommunikativer Austausch mit Ihnen würde wohl viel Klarheit in mein Leben und mein Schreiben bringen. Bitte wundern Sie sich nicht über das Wort „Flussschifffahrt“, „Spagetti“ oder „Tunfisch“, denn dies wird im Jahr 2016 so geschrieben. Doch am besten fange ich ganz von vorn an: Einst saß ich in der Schule und wir lasen viel von Ihnen und Herrn Schiller. Kompliziert? Vielleicht! Aber wohl immer noch einfacher, wie heute. Ich wusste damals viel und wurde beneidet von Groß und Klein. Das Abitur wurde mir vorher gesagt. Doch eines Tages passierte das wahrlich Schlimmste. Ich wusste nicht ein, noch aus. Bevor Sie fragen, es war der 1. Juli des Jahres 1996. Alles änderte sich, zumindest für mich. Die große Rechtschreibreform wurde ins Leben gerufen. Ich verstand damals leider, wie auch heute, den Sinn dahinter nicht. Altes sollte man doch nie ändern?! Oder lag ich dabei womöglich falsch? Damals sprach ich zu mir selbst: „Habt Ihr nun bald die Rechtschreibung gnug geführt? Wie kann's Euch in die Länge freuen? Es ist wohl gut, dass man's einmal probiert; Doch ohne Sinn und ohne Verstand, ein Jeden in die Irre führt. Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“ Auch heute, nach gut 10 Jahren später ist mein Schreibstil von Unsicherheit geprägt. Die Schule habe ich zwar damit geschafft, aber das Schreiben gehörte von nun an zu den schwierigsten Dingen in meinem Leben. Ich hoffe sehr, dass Sie mir diese Unsicherheit nehmen können. Wir werden für unsere Unterhaltung genügend Zeit haben, denn unser Schiff wird nur Schritttempo fahren.
Elena Lerm (*1990), D 96138 Burgebrach
Sprache auf halbmast
Der Anlass war schrecklich genug, warum Frankreich seine Fahnen wieder einmal auf halbmast setzte. Da kommt man sich schäbig vor, wenn einem im Zeitungsbericht darüber ein lächerlicher Rechtschreibfehler ins Auge sticht: 'Auf halbmast, dachte ich ein wenig verächtlich, wieder so ein junger Redakteur, dem die Sache mit der Orthografie schnurzegal ist. Aber nach 35 Jahren Übersetzen, wo die Rechtschreibung quasi die Visitenkarte ist, ist man nun einmal kleinlich geworden. Und auch ein wenig wütend: Weil ich seit der Reform so vieles bloß wegen meiner Verunsicherung nachschlage. Hätte eh gestimmt, nachgeschaut habe ich trotzdem.
Es ist diese Verunsicherung, die mir auch beim Halbmast keine Ruhe lässt. Ich sage mir zwar vor: an Geheiß', 'auf Nimmewviedersehen', auf Gedeih und Verderb’, doch allesamt großgeschrieben, also kann das 'an halbmast’ nur eine Schlamperei des Zeitungsmenschen sein. Nur, einmal nachgeschlagen, gibt der Duden diesem schlampigen Menschen rechtl: 'an halbmast setzen' genauso klein geschrieben wie 'auf vollmast setzen'.
Mit dieser einen Einschränkung: es sei denn, man meint die Tiermast. Dann ist ein Schwein, das nur die Hälfte in den Sautrog bekommt, auf Halbmast...oder doch auch 'auf halbmast? Also wie jetzt? Stundenlang beschäftigt mich das Problem, ohne Ergebnis. Schon will ich mich begnügen mit meinem üblichen Seufzer: Nicht nur Gottes Wege sind unergründlich, sondern auch die Gedankengänge der Sprachreformer. Aber allmählich bringt mich das nur halb gemästete Schwein doch auf die Spur. Es muss etwas mit dem Artikel zu tun haben. Und plötzlich geht mir ein Licht auf: Wenn ich eine Fahne vom Vollmast auf den Halbmast setze, dann hätte ich zwei Masten nötig, einen großen und einen kleinen. Ich würde also die Fahne von der einen Stange auf die andere umhängen müssen! Voll berechigt also dieses 'an vollmast und 'an halbmast'. Da ist ja nur eine einzige Fahnenstange, an deren Ende ich nun auch angelangt bin.
Immer noch bin ich schwer beeindruckt, ehrlich! Diese Akribie im Denken der Sprachreformer. Die ist schließlich genial und auch dazu da, damit wir uns intensiver den Kopf zerbrechen über unsere Muttersprache. Was sicherlich keinem schadet! Jedenfalls werde ich mein Lebtag nicht vergessen, dass man Fahnen entweder auf vollmast oder halbmast setzt. Allein schon, damit man sie nicht verwvechselt mit dicken und dünnen Schweinenl
Ernestine Leutgeb, A 1140 Wien
Ein großer Wunsch: rechtschreibung.de
Mein größter Wunsch für die Rechtschreibung ist, daß meine Enkelkinder eine genauso sinnvolle, einheitliche, unaufgeregte, sachliche und leicht lernbare Schreibweise vorfinden wie ich selbst, als ich mir das Lesen beigebracht habe.
Der Weg dahin ist leicht, nachdem bis 2006 bereits 90 v.H. der 1996er „Reform“ wieder zurückgebaut worden sind: Das restliche Zehntel und damit die leichtlernbare Einheitlichkeit sind schaffbar! Und wie? Durch Aufklärung, Geduld, langen Atem, Nachdenken. Und durch Fleiß, Klugheit, Internet.
Ein Wirtschaftsingenieur hat mir die Netzanschrift
Rechtschreibung.de
zum Kauf angeboten, für 12.500 € (das sind seine Selbstkosten; 2006 sollte sie noch 500.000 kosten), mit Teilzahlung: Sobald die Hälfte bezahlt ist, können die Käufer mit der Seite arbeiten. 2000 € an Spenden habe ich schon eingeworben, wenn jetzt weitere 4.250 € kommen, kann es losgehen. – Was würde man mit dieser erstklassigen Anschrift machen wollen?
Mehrere schöne Dinge fallen mir ein, die ein Schüler, Student und auch Professor sich dort wünschen würde:
– eine Frage-Ecke: Was schreibt man wie?
– ein Forum, in dem die Leute sich austauschen können,
– ein Rechtschreibdienst, in welchem kostenfrei und kostenpflichtig geholfen wird,
– Wörterbücher: Grimm, Adelung, Wahrig, Ickler, Wiktionary, Leipziger Wortschatz ... und all die verschiedenen Duden-Fassungen! Wenn jemand aus Versehen fühere, dienstag oder zusammmen geschrieben hat und es rot angestrichen wurde? Da kennen wir doch eine Duden-Ausgabe, in der das so geschrieben wird! (Rechtschreibung soll ja auch Spaß machen.) Aber umgekehrt wird ein viel besserer Schuh daraus: Wenn wir gemeinsam aus den Wörterbüchern
– die Merksätze und Übersichts-Kästen in ein Lexikon sammeln,
– ein weiteres Lexikon für die Rechtschreibregeln, die es schon mal gegeben hat,
– jede Menge Beispiele, und alles als Wiki: Jeder kann mitmachen.
– Und das beste: Wir können die Redaktionsregeln selbst bestimmen und brauchen uns keinem KuMi oder Bertelsmann zu beugen.
– Auf Knopfdruck kann jeder die Rechtschreibung wählen, die er möchte:
[bewährt], [„reformiert“ (verschiedene Fassungen)], [Schweizer ss-Schreibung].
Was ist zu tun? Wenn mehrere Leute das Vorhaben gut finden, können sie ohne Eile einen Plan machen und damit die fehlenden 4 k€ einwerben. Alles weitere ist Klugheit, Fleiß und Freude.
Denn Sprache ist eine Freude; ich selbst habe unter Rechtschreibung nicht gelitten – und möchte genauso, daß meine Enkel nicht unter ihr leiden.
Detlef Lindenthal, D 25856 Hattstedt
Wir machen zu wenig
nein, ich bin kein revoluzzer, ich gehe zum einen logisch vor, zum anderen nach meiner erfahrung. zum einen: über zehn jahre gab das bairische kultusministerium einen elternbrief heraus, dessen letze seite ‚telegramm‘ hieß. alles war klein geschrieben, es gab weder missverständnisse noch Proteste. ich schreibe auch gerne so, und niemand versteht mich falsch oder gar nicht. zur erfahrung: viele jahre haben kinder bei mir in der 1. klasse lesen und schreiben gelernt, ich weiß um schwierig- und unsinnigkeiten unserer rechtschreibung. die reform der neunziger hat manches gebessert, aber unklares nicht konsequent beseitigt.
oder doch, ich bin ein umstürzler. große buchstaben sind völlig verzichtbar, auch bei den kleinen ist änderungsbedarf. niemand braucht ein scharfes ß. auf dem floß, da ist was los. gleiche aussprache, warum dann verschiedene buchstaben? logisch wäre: lang gesprochen 1 s, kurz gesprochen doppel-s. dame, samen, rahmen, was soll das stumme h? groß, moos, was rechtfertigt die o-verdopplung? unsere sprache unterliegt einem ständigem wandel, keine ahnung, ob immer zum besseren, bei der rechtschreibung aber wäre ein wandel zum einfacheren sinnvoll. konsequent weg mit überflüssigem.
ach ja, und ich bin ein fanatischer leser, ich würde ohne bücher verkümmern. als ich noch volksschullehrer war, habe ich – wenn es ging – jeden morgen mit einem lesekreis begonnen. wer etwas mitbrachte, las uns vor, und es gab grundsätzlich nur lob, ob comic oder fußballzeitung oder buch oder küchenrezept. freude am lesen wecken zählte für mich immer mehr als der vom schulrat gemachte vorwurf mangelnder qualität in der lektüre. und nebenbei bemerkt: auch ein goehte wird nach einer konsequenten rechtschreibereform noch zu lesen sein.
Volker Linder, D 83075 Bad Feilnbach
Es gilt das gesprochene Wort
Deutsch, reformiert? Üppig mag mancher Sprachtraum gelingen - gerade in regelwidriger Schreibweise bei Kunst, literarischem Kabarett, Mundart, Kanak Sprak (Morddrohung ISCH DISCH FRIEDHOF!) oder Werbung (Verheißung UNKAPUTTBAR). Mager bleibt Sprachkost beispielsweise eher im Mediziner-, Ingenieurs- oder Juristendeutsch, sehr trocken in Amtsblättern sowie industriellen Gebrauchsanweisungen, mitunter aus asiatischen Sprachen gedankenlos von Softwares übersetzt. Dazwischen befinden sich in erheblicher Qualitätsbandbreite die Sprachkonzerte der klingenden Medien Radio und Fernsehen (aktuell KANZLERIN KANN KRISE), reichlich besetzt von selbstverliebten Moderatorinnen und Moderatoren, den heimlichen Sprachkompetenten der Gegenwart, sowie jedermanns tägliche Sprachstümperei, jugendlich mit Emoticons/Smileys/Emojis EXTREM angereichert (etwa c:-) für KLEINERES HIRN) im digitalen Austausch.
Gremiengestützte Rechtschreibung, zudem im Nachgang einer einschlägigen Reform, erscheint angesichts dieser Schwemme sprachlicher Kommunikationsvielfalt lediglich noch als braver akademischer Zeigefinger, unerlässlich für Schulaufsätze oder Dissertationen, für Gesetzes- und Verordnungstexte oder Allgemeine Geschäftsbedingungen - bezeichnenderweise "Kleingedrucktes" genannt -, Zeigefinger auch für kultivierten schriftlichen Umgang unter Gebildeten und für Korrekturen durch Professionelle im Tagewerk der Verlage von Buch, Zeitschrift oder Zeitung.
So klingt das millionenfach "gesprochene Wort" (worauf unter ausgeteilten Redemanuskripten wegen angestrebter Authentizität bei Berichterstattung gelegentlich verwiesen wird): Prädikatfrei im Hauptsatz (DUDEN ÜBERFLÜSSIG), inversionslos nach WEIL (weil man kennt keine Umkehrung mehr), Nebensatz-Anschluss durch WO (aus Kindersprache beibehalten), Betonung bevorzugt auf ERSTER WORTSILBE, zweiten und dritten FALL miteinander verwechselnd, Phrasen einleitend mit dem sinnfreien Stöhnlaut ÄHM, als Garnitur schließlich gehäuftes SOZUSAGEN oder das schon betagte Jugend-F-WORT (inzwischen eher harmlos gemeint für "lass gut sein, Alter!).
Also nein, Volkes Stimme klingt überhaupt niemals VOLL recht. "Recht gesprochen" wird ebenso unwahrscheinlich Reformers Traumziel werden können wie "recht geschrieben".
Bernd Litke, D 60435 Frankfurt am Main
Sprachwatte gezinkt
Hoch liegt der Paß;
vier schreiben pässer.
Auch du schrei Pneu!
Rechtschreibparcours im Gummiqualm - nach nicht mal 'ner halben Runde
ß schied schon aus.
Kniefallrutsch in die digitale Knechtschaft.
Ein Häldendenkmal ab zu werfen - machbar, aber viel zu auf- und abwändig.
Hinweg auch mit Großklein, Umlaut, Kommaregeln!
Voller Fräude und behände jubeln die Damen und Herren Trendschreibvertreter:
Lieber Neuschreib per Verordnung als minutiöse Linguisteneintagsfliegenkost.
Professor Konratlos, Doktor Handkonfus, Magister Gleichviel-Schielglück - Vorsitz Augst-Eonder - hochweißnäsig bieten nun zum Sonderpreis:
Sprachkrüglein aus ungebranntem Ton
unverwüstlich für alle Zeiten
mit Garantie und wohl gefüllt mit Sprachzinkwatte als Ersatz für Porzellangeschirr, unwiderbringlich
zerschlagen
Des Panschers Trost: alles wird gutt
Rolf Lohse, D 53111 Bonn
Epochal und nachhaltig
Wie so viele Reformen geschah auch die Rechtschreibreform halbherzig. An der Bevölkerung 60+ schwebte sie unbemerkt vorbei. Studierende bedienen sich gerne einer skurrilen Mischform und Lehrende haben stets den Duden zur Hand.
Hier mein Vorschlag zu einer grundlegenden Rechtschreibreform, die keine Unsicherheiten und Zweifel in der Schreibweise des angewandten Wortschatzes offen lässt.
Das Alphabet:
Müssen sich Schulanfänger in der Aneignung der Kulturtechnik Lesen und Schreiben tatsächlich mit 26 Buchstaben und zusätzlichen Lautzeichen herumplagen?
Zu streichen, weil ersetzbar:
C=tse, Q=kwe, V=f, X=iks, Y=ü, Z=tset, Sch=š, Ch=ȟ, ß=s, (wird auch nach Rechtschreibreform meist falsch angewendet) Äu und eu=oi, ä=e, ie=i, kein Dehnungs „h“, Wegfall der weichen Laute wie b und d, stattdessen p und t (die harten Laute sind akustisch besser verständlich)
Mit dem Wegfall der genannten Laute und Lautbildungen, die meist eine unmittelbare Anhäufung von Rechstschreibfehlern zur Folge haben, ist bereits eine erste nachhaltige Reform geschehen.
Groß- und Kleinschreibung:
Hier gibt es nur zwei Vorgaben zu beachten. Ausschließlich Satzanfänge und Eigennamen werden mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben.
Satzzeichen:
Beistriche, deren richtige Anwendung den meisten Menschen ein Leben lang ein Mysterium bleibt, sowie Ruf- und Fragezeichen, Doppelpunkt und Redezeichen fallen weg.
Es entstehen neue Wortbilder, die das laute Lesen wieder in den Vordergrund stellen.
Beispiel:
Maks unt Feliks gehen in ti erste Klase unt lernen lesen unt šreiben. Si kenen on file pu ȟstaben unt hapen noie frointe gefunten. Peite jungen wolen šriftsteler werten.
Evelyne Lorenz, A 8471 Spielfeld
Rechtschreibreform - eine unendliche Geschichte
Die deutsche Sprache hat sich seit Jahrhunderten laufend verändert, vereinfacht und rationalisiert. Walther von der Vogelweide würde sich in der heutigen Literatur nicht mehr zurechtfinden, sämtliche "y", "ph" und "th" wurden durch "i", "f" und "t" ersetzt, außer, es handelt sich um Eigennamen. Altdeutsch und auch die Kurrentschrift sind Vergangenheit und werden nur mehr als Zeitfenster
gebraucht. Das ist der Lauf der Welt in einer extrem schnelllebigen Zeit - und schon habe ich ein Tabu gebrochen, denn drei "l" in einem Wort ohne Trennung durch Bindestrich sind jetzt normal, früher undenkbar.
Vor zwanzig Jahren hatte man versucht, die deutsche Rechtschreibung zu simplifizieren, zusammengesetzte Wörter wieder zu trennen und für das "ß" und "ss" verständlichere Regeln zu finden. Das Abteilen der Wörter am Satzende (mit der Regel, ein Konsonnant sollte
immer am Anfang der nächsten Zeile sein) ist auch nicht mehr interessant, der Computer setzt automatisch zu lange Wörter in die nächste Zeile, so geht es schneller. Wer verwendet heute noch eine Schreibmaschine? Unzählige zeitsparende Neuerungen sind uns Literaten inzwischen schon in Fleisch und Blut übergegangen, weil sie logisch sind.
Vereinfachungen in der Rechtschreibung sind besonders bei der Integration von Einwanderern vorteilhaft, denn sie erleichtern die Schulbildung für Kinder und Erwachsene. Auch in anderen Sprachen gab es bereits Lockerungen, warum sollte das bei uns nicht möglich sein, man müsste sich nur einigen, und wenn das nicht gelingt, mehr tolerieren.
Was mich ein wenig an unserem Vokabular stört, ist, dass wir in letzter Zeit stark vom Anglizismus unterwandert werden. Der Grund mag wohl sein, dass die Computersprache englisch ist und hauptsächlich die Jungend diese schnelle coole Ausdrucksweise bevorzugt.
Die ältere Generation versucht, sich anzupassen, und so verliert unsere Sprache ihren persönlichen Charme. Vielleicht ist das auch nur eine Zeiterscheinung - man wird sehen.
Ich jedenfalls bin nicht geneigt, mich blind von Neuregelungen und Verordnungen einengen zu lassen, für mich gilt die künstlerische Freiheit.
Juliane Loydold, A 2542 Kottingbrunn
Warum ich Lotto spielen muss
Es ist ein Schmerz. Wie Körperverletzung. Augenschmerz. Der sich über das Gesicht zieht, das Hirn verklemmt, Übelkeit hervorruft. Wenn sich großgeschriebene Worte, die das Substantivische nicht verdienen, wie Hürden im Text aufbäumen, vom Lesefluß ablenken. Borchert durfte das. Sein Anderer so bedeutsam. Wie ich mir diesem Borchertschen Anderen gleich fremd vorkomme. In meinem Land, in meiner Sprache! Aber ich muß ja nicht, ich muß ja nicht. Gelb unterlegte Wohlfühlvarianten im Duden. Manche Verlage nehmen die, andere wie sie es mögen. Die einen lassen der rauhen Buchstabenlandschaft das h, andere halten sich strikt an neue Regeln, die alten vergessend. Das Känguruh verliert sein h, und Reh und Kuh? Es bleibt alles beim Alten? Bei dem, der da sitzt? Hätte man es mal beim alten sein lassen. Wollen wir zusammen schreiben, was andere zusammenschrieben? Aufwendig mit ä und notwendig? Kommt denken nicht von Gedanke? Stengel mit ä von Stange. Wer die Schreibweise ändert, macht mir bange, war es ein Bängel? Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Der Duden wird zur Bibel. Ist's möglich, ist's falsch? Der neue. Aufgebläht bis zur Unkenntlichkeit. Warum Mittag, dennoch gleich zwei Ausnahmen sind. Bei Schellack hat man die Erklärung vergessen. An wen kann ich mich wenden? Rufen Sie an: 1,86 aus dem Festnetz! Keine Konzentration mehr auf den Text, die Buchstaben treiben mich in den Wahnsinn. Mein Sprachgefühl wird getreten, ich fühle mich wie ein degradiertes Komma! Hätte man es doch beim ss nach kurzem Vokal belassen. Aber die Gleichstellung. Auch andere Konsonanten drängen nach vorn, die Brennessel will mit dem 3. n pieksen. Dazu schreibt der Duden 6 Zeilen, daß man es häufig mit ie schreibt, man es aber trotzdem beim einfachen i beläßt. Warum? Weshalb mußte das sein? Wirklich aus dem Grund, ein unpolitisches Thema zwischen Ost und West durchzudrücken, wie Peter Eisenberg sagte? Der sich selbst zurückzog, nachdem er das adverbiale leid wieder als klein zu schreiben in die 26. Auflage übernahm, weil es ihm leidtat? Es schmerzt, es tut weh. Es gab eine gewisse Logik in der Sprache. Verspielt, alles verspielt. Irrsinn, Wahnsinn. Sprache als Spiegel der Gesellschaft. Als nächstes gibt es die Reform des Einmaleins. 6 mal 1 aus 49! Spielen! Lotto spielen! Gewinnen, Millionen. Verlage aufkaufen, Politiker bestechen, Bücher neu drucken. Kinder Diktate schreiben und Deutschlehrer aufatmen lassen. Sich wieder auf Inhalte konzentrieren. Lesen, Macht, Lust!
Katharina Mälzer, D 06217 Merseburg
Ottogravieh - Ein Beitrag zur Rechtschreibreform
In der Ausgabe 6/97 des Magazins "Profil" des Deutschen Philologenverbandes äußern sich Bundespräsident Roman Herzog und Kultusminister Rolf Wernstedt zu Bildungsfragen. Während Herzog in einem Auszug aus seiner am 26.4.1997 gehaltenen "Berliner Rede" einen Aufbruch in der Bildungspolitik fordert und sich dabei getreu seiner Auffassung, daß die Rechtschreibreform so überflüssig sei wie ein Kropf, der bisher geltenden Schreibweise befleißigt, ist bei Wemstedt in seinem Festvortrag "Bis heute ein großer Anreger," gehalten anläßlich des Melanchthon-Kolloquiums am 7. Mai 1997 in Wittenberg, das offensichtliche Bemühen um die Umsetzung der von ihm propagierten Schreibreform erkennbar. Zwar schreibt er folgerichtig dass statt daß, aber bei allen anderen Wörtern, die jetzt nach kurzem Vokal mit ss zu schreiben wären, bleibt er der alten Schreibung treu (z.B. muß, gewußt, Anlaß, Kongreß und Kompromiß.) Philipp Melanchthon wird viermal nach Sprechsilben Melanch-thon statt wie bisher nach seinen Bestandteilen Melan-chthon getrennt; dagegen verzichtet der Kultusminister in Kün-sten, Prote-stanten und exi-stentiell auf die neuerdings mögliche Trennung von st; bei letzterem bevorzugt er zudem offensichtlich die ältere Schreibung existentiell gegenüber der neueren existenziell; auch bei dem Wort funktionieren beläßt er es lieber bei der alten Silbentrennung funktio-nieren statt neu funkti-onieren. Dagegen erweist sich Wernstedt als "Erneuerer "durch die Verwendung des doppelge-schlechtlich verstandenen Wortes Lehrerinnen, das weder durch die alte noch die neue Schreibung gedeckt ist. Hätte es nach der neuen Schreibung statt menschenverachtend und Hochbegabter nicht Menschen verachtend (wie Arbeit suchend) und hoch Begabter (wie allein Erziehende) heißen müssen? Wenn schon ein Kultusminister Probleme zu haben scheint, die von ihm als Jahrhundertwerk verteidigte angebliche Vereinfachung der Rechtschreibung zu verinnerlichen, obwohl man sich nach seiner Meinung nach nur drei oder vier Stunden mit der: Reform beschäftigen müsse, um 90% der Probleme los zu sein, um wieviel schwerer dürfte es dann Lehrkräften und Schulkindern sowie deren Eltern fallen, das neue Regelwerk zu begreifen und umzusetzen!
Peter Mahlstedt, D 26160 Bad Zwischenahn
Linsschreibreform
Ich bin für eine Linksschreibreform.
Von rechts nach links schreiben, wie der Islam, statt wie gewohnt von links nach rechts. Das dient der Völkerverständigung. Und erfreut alle Linkshänder.
Oder bushotrop, furchwendend, wie der Bauer sein Feld pflügt, mal von links nach rechts, dann von rechts nach links. Das spart Zeit, so wie's der Drucker sowieso macht und wie es in der Frühzeit des Schreibens bereits üblich war.
Oder von oben nach unten, wie es die Chinesen machten, bevor sie sich uns anglichen.
Und alles einheitlich, also weder groß noch klein, so wie's es bis zur beginnenden Neuzeit üblich war; früher war doch alles besser. Und die Handynutzer machen es jetzt sowieso schon wieder.
Albrecht Dürer schrieb ein Wort auf einer Seite auch dreimal verschieden, ohne Legastheniker genannt zu werden. Vielleicht geht es doch nur um die Verständlichkeit. Oder doch um ein Korintenkackerthum. Oder eine i-Tüpfelscheisserei.
Dann sollte man aber auch wissen, wo die i-Tüpfelchen herkommen. Und die Umlautstriche; und das ß. Und die Groß- und Kleinschreibung. Und dass das Wort „Sütterlin“ kein Synonym für „Deutsche Schrift“ ist.
Aber vielleicht sollten wir gar nicht mehr schreiben.
Oder weniger, und mehr reden.
Miteinander.
Du und ich.
Johann Georg Maierhofer (*1959), D 93047 Regensburg
Happy Birthday, Reförmchen
Liebe Rechtschreibung,
deine Reform nullt jetzt zum zweiten Mal. 20 Jahre sind eigentlich ein Grund zum Feiern. Aber kaum jemand spricht noch von dir - wie sollte auch? Der größte Teil deiner Anwender - Schülerinnen und Schüler - war noch nicht einmal geboren, als du aus der Taufe gehoben wurdest.
Kannst du dich noch erinnern, wie um deine Reform diskutiert, gar gestritten wurde. Es ging ein Aufschrei durch die Republik: Ob Schriftsteller, Journalisten, Lehrer oder Eltern, viele von ihnen wollten die alte Schreibweise zurück. Es wurden Unterschriften für Volksentscheide gesammelt, um dich zu stoppen.
Dabei warst du ja noch nicht mal eine Reform, sondern nur ein Reförmchen. Für den großen Wurf brachten die Bildungspolitiker nämlich nicht genügend Mut auf, den Wegfall der Großschreibung. Schade! Gerade heute hätte sich das ausgezahlt. In Zeiten von WhatsApp, Twitter und Facebook ist Rechtschreibung beliebig geworden. Da wird durchgängig klein geschrieben, Kommas werden kaum gesetzt, dafür aber Abkürzungen benutzt. Schließlich gilt: Es muss schnell gehen.
Das Fazit, das an deinem 20. Geburtstag gezogen werden muss, ist fast schon tragisch zu nennen. Du warst damals angetreten, den Schülern das Erlernen der deutschen Rechtschreibung zu erleichtern, die Regeln zu vereinfachen. Doch das ist gründlich in die Hose gegangen, wie Studien belegen. Im Gegenteil: Es werden mehr Fehler gemacht als zuvor. Sprach- und Bildungsforscher bezeichnen die Reform geradezu als "Flop". Tja, jetzt bleibt nur noch festzuhalten: Da hatten deine Gegner wohl Recht.
Trotzdem, bleib so wie du bist. Mittlerweile haben alle gelernt, mit deinen Schwächen umzugehen. Dieses jahrelange Hickhack um deine Reform will keiner zurück.
Pass auf dich auf!
LG
Sabine Mangels, D 26135 Oldenburg
Die Vermeidung
Wenn ich etwas nicht kann, wähle ich zwischen zwei Strategien: Entweder, ich tue so, als ob ich es kann,
oder ich tue es eben nicht. Vor allem die zweite, die Vermeidungsstrategie, hat mir in peinlichen
Situationen oft geholfen, mein Gesicht zu wahren.
Nicht so, als eine ehemalige Mitschülerin letztens zum Klassentreffen nach Hamburg einlud: Das Rathaus
wollte sie uns zeigen, die Reeperbahn und, am nächsten Tag, den Hafen. Gut, dachte ich mir. Ein Rathaus
haben wir in Wien auch, und für Rotlichtviertel bin ich zu seriös. Aber so eine Hafenrundfahrt, das könnte
mir gefallen.
Ich verfasste also meine Antwort. Liebe Kollegin, schrieb ich, was für eine prachtvolle Idee! Am Donnerstag
bin ich leider unabkömmlich. Aber bei einer Schifffahrt am Freitagabend würde ich gerne dabeisein.
Dann stutzte ich. Schifffahrt, mit drei f. Da konnte doch etwas nicht stimmen. Am Freitagabend? Vielleicht
doch besser am Freitag abend? Am Freitag abends? Und wie war das mit dem Dabeisein? Vielleicht war es
doch eher ein Dabei sein?
Ich schluckte und entschied mich für die Vermeidungsstrategie: Wenn ihr eine Bootsfahrt zustande bringt,
würde ich nicht zuhause bleiben! Zu Stande bringt? Zu Hause bleiben?
Ich schluckte noch einmal. Dann räusperte ich mich und schrieb: Wollen wir vielleicht etwas anderes
machen? Etwas – Anderes?
Ich keuchte. Es blieb mir ein letzter Ausweg. Ich musste meinen Vorschlag konkretisieren: Sollten wir
vielleicht doch lieber Rad fahren oder spazieren gehen? Radfahren? Spazierengehen?
Ich wimmerte. Deine Pläne interessieren mich nicht, schrieb ich. Lass mich in Ruhe. Ich will zu meiner
Mama. Dann setzte ich mich auf mein Bett und weinte.
Seit der Rechtschreibreform ist eben vieles anders. Vieles? Vielleicht auch alles. Ich weiß es nicht.
Anmerkung zur (Vor-) Lesbarkeit: Groß-, Klein-, Zusammen- und Getrenntschreibung lassen sich durch einfache Armbewegungen
bildlich darstellen.
Anton Maurer, A 2500 Baden
Können Sie es mir bitte ausdeutschen?
Wenn sie das Ihre dazu beitragen will,
aber auch das Seine berücksichtigt,
und Sie sich dann fragen,
ob sie das seine auch gleich behandelt und gleichbehandelt wie das ihre,
wissen Sie dann tatsächlich,
ob das Spiel ausgewogen ist?
Monika Maurer, A 1180 Wien
Verfangen
Irgendwo im Dschungel
der deutschen Schrift
der ja von Natur aus
´ne heikle Sache ist
lebte,
zurückgezogen wie ein Eremit
ein armes kleines grünes Amphib.
"Eigentlich heiße ich ja Amphibion,
aber die Rechtschreibreform,
die bringt mich fast um.
Denn obwohl aus dem Griechischen ins Deutsche gekommen
wäre ich gern dem Delfin auch mit f nachgeschwommen.
Aber nein, da kommt die Regel und spricht:
"Du bist griechisch, das geht aber nicht!"
Jetzt muss ich mich weiter mit dem ph plagen
und einen Buchstaben mehr auf dem Rücken tragen.
Mein Freund, der Panther, der hat es gut!
Der hatte genug Courage und Mut
sich gegen die Reform aufzubäumen.
Ich darf von einem solchen Leben nur träumen!
Und die Spagetti schmecken nicht mehr konform
- ist weniger dran seit der Rechtschreibreform.
Auch ins Portmonee geht jetzt weniger rein,
es ist ganz einfach zwei Buchstaben zu klein!
Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wär, zu flieh´n
und wieder ins Griechische umzuzieh´n."
Carl Meinhof (*2001), D 06917 Jessen OT Seyda
Rechtschreibreform
Daß das daß, das Geniepoetengenerationen zur Konjunktion diente, scharfes-ß-los vegetieren muß – benutzt vom Gemeingesindel samt seiner in als „sozial“ geheuchelten Netzwerken perfektionierten Stammelschreibung. Schal. Brechsüß. Schluß! In welchem Einheitssumpf haben wir Anker geworfen, daß kaum Unterschiede zwischen Wortklassen ersichtlich sind, sich jahrelang an bedeutendsten Bildungseinrichtungen des Staates studiertes Wissen von proletarischer Schulabbrecherignoranz nur durch einfältige Duplikation oder gewiß mit Bauernschläue als unbeabsichtigt vorgegaukelte Weglassung eines singulären Konsonanten ohne Sonderstellung im Alphabet differenziert? Tod des Germanisten. Expertenmeuchel. Triumph wertfreier, sprachproletarischer Antikultur! Der korrekte Einsatz des Zeichens, das seine Mitstreiter im unermüdlichen Kampf gegen die Verrohung des Schriftbildes zur Konjunktion vereinte, ließ ad hoc erkennen, welche Position in der Hierarchie der Bildungspyramide sein Benutzer …
Reform! Prallt das Wort schon gegen mein Tympanum. Reformierer ins Reformhaus! Sollen sich diese weichgespülten Linkslinken an Delfin und Seeelefanten freundlich gefangenem Tunfisch ergötzen, an glutenfreien Vollkornspagetti mit Ketschup, an Brennnesselstängeln in Jogurtsauce, klimaneutral produzierte Flanelllappen shoppen, sich Tipps zur stressfreien Dünstung garantiert nicht fetttriefender Hanfnusslaibchen einbläuen, Karamelllutscher mit Rohrohrzucker sharen und einander later mit du anschreiben - Anreise idealerweise montagabends im Wagon eines City-Shuttles oder per Flussschifffahrt. Im Fundus der deutschen Sprache haben die Orthographie-Banausen nicht zu wühlen! Und nun geben sie auch noch vor, nichts davon intendiert zu haben. Diese formatlosen Möchtegernschriftsteller, diese geltungsgeile Autorenmischpoche! Sie, die ihre giftsprühenden Klauen als erste gen Himmel recken, wenn es ums Aufweichen von Traditionen geht! Alpträume entstehen einem. Albträume! Spätestens beim Anblick dieser Begriffsverschmutzung ist jeder vernunftbegabt Denkende gezwungen, aufzuschreien: „Was soll dieser Bedeutungskoloß mit stimmhaftem Konsonanten?“ Das beste Beispiel - Reform kann nichts. Der Mensch ist zur Änderung unfähig. Er ringt ein Leben, sich an höchstpersönliche Eigenarten zu gewöhnen. Vergeuden wir keine Sekunde für belämmerte Umbruchsfantasien, geschweige denn deren Beschlussfassung!
Kommentar: OstR. Dir. Prof. Mag. Dr. Dr. Erhart Standfuß
Daniela Meisel (*1977), A 2511 Pfaffstätten
Das Bewerbungsgespräch
„Sie haben in Ihrem Bewerbungsschreiben drei Rechtschreibfehler gemacht!“ rügt mich der Personalchef im Vorstellungsgespräch.
„Das wage ich zu bezweifeln“, schüttele ich überzeugt den Kopf, schließlich habe ich den Text zweimal zur Korrektur gelesen, woraufhin er mir einige mit Rotstift markierte Stellen zeigt. Das „daß“ paßt ihm scheinbar nicht. Offensichtlich ein selbsternannter Jünger der Rechtschreibverschlechterung. Die Einführungsvorlesung in Sprachwissenschaft hat der mit Sicherheit nicht besucht. Vermutlich weiß dieser Amateur nicht einmal, woher das „ß“ historisch betrachtet überhaupt kommt. Das kann ich ihm schon sagen.
„Das scharfe S hat sich aus einem 'sz' entwickelt“, doziere ich elementare Trivialitäten. „Es stellt die ineinanderfließende Schreibschriftform eines 's' dar, gefolgt von einem alten 'z'. Die verschmolzene Form begreifen wir mittlerweile als einzelnen Buchstaben. Optisch trennt es das häufig verwechselte relative 'das' und das einen Nebensatz einleitende 'daß' höchst effizient.“
„Das mag schon sein, aber Sie müßten das doch in einem formellen Anschreiben so schreiben, wie es gültig ist.“
„Wissen Sie, ich habe Germanistik lange genug studiert – Sie haben das nicht. Ich kann mittelhochdeutsche Texte verstehen und halbwegs mittelniederdeutsche. Warum soll ich als Germanist so einen bodenlosen Unsinn fachlicher Art, wie es diese Pseudoreform darstellt, hinnehmen?! Warum sollte ich eine offensichtliche Verschlechterung akzeptieren, die mir auf völlig undemokratischem Wege, sozusagen diktatorisch, aufoktroyiert wurde?“
Darauf wußte der gute Mann dann auch keine Antwort mehr. Es macht tatsächlich einen gravierenden inhaltlichen Unterschied, ob ich aus dem Urlaub wiederkehre oder den Innenhof wieder kehre. Daß das den Mitgliedern und Mitgliederinnen und sonstigen Subjekten der Rechtschreibverschlechterungskommission unklar ist, das wundert mich nicht. Was eine Gruppe von Dilettanten im Kämmerlein mauschelt, die von Sprachwissenschaft nichts versteht, wen kümmert das schon? Da lese ich lieber einen satirischen Essay mit dem Titel: „Die Tee-Eier des Schwimmeisters der Schiffahrtsgesellschaft“ oder alternativ „ß, ss und die SS“. Wer den Unterschied nicht versteht, der sich daraus ergibt, ob man ein Wort zusammenschreibt oder in geselliger Runde zusammen schreibt, der wird nie eine tiefere Einsicht in die deutsche Sprache erhalten. Dem hilft auch keine Rechtschreibreform mehr.
David Mertner (*1981), D 83083 Riedering
Die „Goldene Himbeere"
...wie ein schlechter Film: 1996 -zum Glück noch vor der Einschulung unseres Sohnes wurde die deutsche Rechtschreibung „reformiert".
Für ihn damals eher unproblematisch. Er hatte ja keinen Vergleich, die Neuerungen lernte er von Anfang an. Deshalb frage ich mich: Wozu DIESE Reform? Damit man sich „leichter tut"? Jeder, der die deutsche Rechtschreibung erlernt, wird die vorgegebene Schreibweise akzeptieren. Ob nun Schifffahrt mit zwei, oder drei "f'. Den Delphin in einen Delfin umzuwandeln, das tut dem Tier nicht weh, hingegen dem Panther das „h" zu zwicken, da bekomme selbst ich eine Gänsehaut!
Unter Vereinfachung stelle ich mir etwas anderes vor! Das Nachsehen hat unweigerlich der Vorreformatorische, denn jener hatte es ja anders gelernt und mußte - Verzeihung - musste die alte Rechtschreibung irgendwie aus seinem Kopf bekommen! Jene, welche nach wie vor die herkömmliche Schreibweise anwenden, zeigen sich bei Überprüfung der Deutsch Hausaufgaben gewiss skeptisch gegenüber der Orthographie ihres Nachwuchses. Die Krönung allerdings ist, dass sogar Fremdwörter eingedeutscht wurden, wie z. B. das Nudelgericht: „Spagetti", das dem Italiener ob dieser Schreibweise, bzw. der daraus resultierenden Aussprache, bestimmt im Halse stecken bleibt!
Dagmar Mietner, D 83646 Bad Tölz
Als sich die Buchstaben vor dem Frühstück stritten
Im Buchstabenhaus war Streit ausgebrochen. Das E hatte angefangen: „Wir sollten das 20jährige Jubiläum der Wiener Erklärung zur ‚Neuregelung der deutschen Rechtschreibung' feiern und einen Buchstabenmeister wählen. Und da ich der wichtigste Buchstabe bin, verlange ich, dass ich dazu gewählt werde. Allein im Wort ‚Erdbeermarmelade' komme ich gleich fünf Mal vor! Wenn es mich nicht gäbe, müsstet ihr beim Frühstück von Müsli und Milch leben ...“
„Daran siehst du aber“, warf das M ein, „dass ich genau so wichtig bin wie du. Müsli, Milch und Marmelade kommen ohne mich genauso wenig aus.“ - „Na, und ich?“, rief da das L. „Kein Müsli, keine Milch, keine Marmelade ohne mich L.“
„Wenn wir schon einen Buchstabenmeister wählen, muss es auf jeden Fall ein Selbstlaut werden“, meldete sich das A und erntete dabei ein heftiges Nicken des I.
„Und warum, wenn ich das wissen dürfte?“, erkundigte sich das W, das in seinem Satz immerhin drei Mal vertreten war.
„Weil wir Selbstlaute, wie der Name schon sagt, für uns selbst stehen können, während ihr Mitlaute ausnahmslos auf uns angewiesen seid.“
„Na, und wenn ihr das Frühstück hinuntergeschlungen habt“, rief da das M. „was sagt ihr dann, wenn ihr satt und zufrieden seid? Da lehnt ihr euch zurück und sagt: Mmmm.“
„Mmmm“, wiederholte sein Nachbar, das N. „Da ist was Wahres dran. Das M braucht nicht unbedingt einen Selbstlaut.“
„Und noch dazu - was könnt ihr schon ohne uns Mitlaute groß anstellen?“, rief das P. „Ja, gut, wenn ich vor irgendetwas Schönem stehe, da sage ich vielleicht einmal ‚Ah!“, aber selbst da braucht das A ein stummes H, sonst steht es ganz schön blöd da, aber probier das mal mit einem E oder U!?“ - „Oh!“, rief da das O. „Willst du sagen, dass mein O nicht allein bestehen kann?“ - „Ja, aber auch du kommst nicht ohne mich aus“, rief da das H gar nicht stumm. „Ich beantrage, dass ich zum Buchstabenmeister gewählt werde.“ - „Iii!“, rief da das I und bewies, dass es als Selbstlaut für sich allein bestehen konnte. „Kommt ja gar nicht in Frage! Nie! Indiskutabel! Irrwitzig!“
Da wurde im Buchstabenhaus das Frühstück serviert, sodass sich alle Streitparteien gierig auf das Essen und Trinken stürzten und ihren Streit vergaßen.
Und so gibt es nach wie vor keinen Buchstabenmeister.
Harald Mini, A 4040 Linz
GAUDÎNE
Spielerei in neuer Rechtschreibung - zweimal rück“übersetzt“
Titanic, welich arc gesiht der mervart, aver gaudîne, narrenspil fiur merolifanten, barône gehen under, stiurman weinen - denn diu reise ist umbe; unde das wazzer ach so unwarm, behande hüpft unser cappitên inns mer, sein gûder rât: „tuot veste swummen!“; ô wilde sê, stunde der wesentlîcheit, dörpel besufen geleich wîsen, rîche/schuldenrîche, man/wîb, alt/junc, mervisch/stocvisch - keyn merswîn zu rettigunge; vriuntschaft?, ze kurz (nur ain krûmen), umbe aller niden ... sluz, musz trahten! Sweines smalz inn kruoc, nessessär - niht umbe gulden, umbe sus -, troc, tant, gerête - ieglich erloschen strô ist merkelich -, schuoch, lûte, bârtruhe ... ? Heiâ! Hinein! Ishmael überlebt! (Entschuldget, ain ander buoch.)
Hapaxlegomenon: Titanic, welch Alptraum der Schiffahrt, aber Gaudium, sozusagen Varieté für Seelefanten, Millionäre gehen unter, Kartographen weinen - denn die Reise ist vorbei; und das Wasser ach so kalt, behende hüpft unser Kapitän ins Meer, sein guter Tip: „Tut fest schwimmen!“; oh rauhe See, Stunde des Essentiellen, Tolpatsche ertrinken ebenso wie Genies, Reich/Arm, Mann/Frau, alt/jung, Hai/Stockfisch - kein rettender Delphin; Freundschaft?, zu spät (allenfalls ein Quentchen), überwunden aller Haß ... Schluß, muß nachdenken! Ketchupflasche, Necessaire - nicht um Geld, gratis -, Klomuschel, Zierat, Zeug - jeder Strohhalm zählt -, Schuhe, Gitarre, Sarg ... ? Hurra! Hinein! Ishmael überlebt! (Pardon, anderer Roman.)
Hapaxlegomenon: Titanic, welch Albtraum der Schifffahrt, aber Gaudium, sozusagen Varietee für Seeelefanten, Millionäre gehen unter, Kartografen weinen - denn die Reise ist vorbei; und das Wasser ach so kalt, behände hüpft unser Kapitän ins Meer, sein guter Tipp: „Tut fest schwimmen!“; oh raue See, Stunde des Essenziellen, Tollpatsche ertrinken ebenso wie Genies, Reich/Arm, Mann/Frau, Alt/Jung, Hai/Stockfisch - kein rettender Delfin; Freundschaft?, zu spät (allenfalls ein Quäntchen), überwunden aller Hass ... Schluss, muss nachdenken! Ketschupflasche, Nessessär - nicht um Geld, gratis -, Klomuschel, Zierrat, Zeug - jeder Strohhalm zählt -, Schuhe, Gitarre, Sarg ... ? Hurra! Hinein! Ishmael überlebt! (Pardon, anderer Roman.)
Ingrid und Christian Mitterecker, A 7522 Heiligenbrunn
Waise Wörter statt weiser Worte
Wie Fremdwörter zu fremden Wörtern wurden und ihre Herkunft der Wortfamilie verloren haben.Immer galt der Leitgedanke: Wisse woher Du kommst, erkläre damit wo Du bist und baue darauf Deine Zukunft auf - Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft.
Wie ehemals erlernte Fremdwörter zu fremden Wörtern wurden und der Sinn-Bezug in der Schreibweise verlorengegangen ist, zeigen beispielhaft folgende ‚Waisen` :
Es gab es die „Graphie“ von γράφειν (gráphein) → griechisch für „schreiben“, wie auch den „Graphologen“, den Schreibkundigen oder die „Biographie“ usw. Im Ohr des gelehrten Muttersprachlers bleibt noch der Sinn, da er aus dem Zusammenhang erkennen kann, daß eine Biografie nach neuer Rechtschreibung wohl den Sinn einer ‚Selbst-Schrift` haben soll, anstatt eine Auskunft über einen Adeligen zu geben. Einem Musikgelehrten klingen polyphone Klänge im Ohr. (altgriech. πολύ polý „viel“ und φωνή phonḗ „Stimme“: „vielstimmig“). Liest ein des Griechischen Kundiger heute ‚polyfon` und fragt nach dem Sinn dieser Schreibweise,so fände er im Lexikon nur ein Volk in Benin namens Fon. Er fragte sich,was viele dieser Menschen hier im Text zu suchen hätten.
Bei rein akustischer Schreibweise stellte sich zudem die Frage,wieso nicht gleich gründlich ‚polifon` zu schreiben wäre, da der Buchstabe Y im Deutschen nur dem Griechischen entlehnt ist, falls man sich dieser Wurzeln dieser schriftlichen Herkunft entledigen wollte.
Welche Frau kennt nicht das Necessaire? Akustisch schmeichelnd aus dem Französischen entlehnt der Französisch Sprachkundige ‚den Bedarf` erkennt. Nach neuer Schreibweise erinnert das Nessessär in Schreibweise eher an einen Nasenbär.
Zu bedenken ist jedoch, daß von alters her Kulturen auf Dauer ihren Fortbestand verloren haben, die ihr Wissen und ihre Weisheit nur mündlich überliefert haben. Nur durch die Schrift, die in ihren Silbenbildungen die Rückbezüge zu den schrift-sprachlichen Wurzeln in Sprachen wie Hebräisch, Jiddisch, Griechisch und Latein bewahrt hat, lassen sich für nachfolgende Generationen Bezüge und Sinnzusammenhänge erschließen. Schrieben wir nur noch, wie wir aktuell die Worte sprechen und verließen wir weiterhin im Schriftbild den Bezug zu den eigentlichen Herkunftswörtern, so würden wir den mit diesen Wörtern in Zusammenhang über Jahrtausende gewachsenen europäischen Kulturbezug verlieren, der die Menschen in einem Europa der abendländischen Wurzeln verbindet.
Susanne Möhring, D 94146 Sonndorf
Ein Hoch auf die Alternativen
Reformen, Reförmchen, Umformung, morphing - ich liebe Veränderungen. Das satte, träge, sichere Gefühl, der deutschen Rechtschreibung mächtig zu sein, beunruhigte mich schon länger.
Panta rhei - alles fließt. Oder, wie der Bayer sagt: nix is fix. Das ist es, was wach hält, den Geist fordert und die Geschmeidigkeit der Synapsen fördert . Jawoll, der alte Heraklit hatte es drauf, er wusste von was er sprach. Ist es nicht ein ästhetischer Hochgenuss, den Blick liebevoll über farbstofffreien Kaffeeersatz, Schifffahrt, Schneeeule und Co. gleiten zu lassen? Das sind doch mal Worte! Da hat man keine Worte mehr! Formvollendete Gebilde, die die Augen des Betrachters mit Tränen der Rührung füllen. Das ich das noch erleben darf.
Vor Freude hüpft gar mein Herz, wenn die Schreibweise - ganz kurz nach der sich scheinbar in trockenen Tüchern befindenden Reform - schon wieder verändert wird. Sei es mit dem Argument, dass das Stammprinzip verstärkt werden müsse, oder aber, weil man von angeblich logischeren, anglizistischen Formulierungen ausgeht, wie z. B. „I am sorry“. So wird „es tut mir Leid“, an dessen Großschreibung ich mich gerade gewöhnt habe, nun dieses große Leid also, barmherzig gemildert, in dem man es wieder klein schreibt. Kleines Leid ist in jedem Fall besser zu ertragen als großes. Dieser Weg des Mittragens rührt mich.
So tut es mir manchmal auch nur ein kleines bisschen leid, einmal in grauer Vorzeit viel Energie und Zeit in das korrekte Erlernen der deutschen Orthographie investiert zu haben.
Allerdings, ob die Trennung von s - t diesen Buchstaben tastsächlich jemals weh getan hat, sei noch dahingestellt. Und nicht wirklich nachvollziehbar ist, warum c - k zu k - k mutierte, wenn man diese beiden Buchstaben trennte. Beides Regeln, die dem erklärten Ziel dieser jüngsten Reform: „das Schreiben und das Schreibenlernen zu erleichtern“, konträr gegenüber standen und völlig zu recht wegfielen.
Gefälliges Fazit dieser possierlichen Reform ist, bei dem Versuch, die Bedeutung eines Satzes zu verstehen, ist vor allem auf den Kontext zu achten. U n d : Die Kluft zwischen Regelwerk und Mehrheitsschreibung hat sich deutlich verringert.
Nein, ich sehe das Ganze nicht als Quelle der Verunsicherung, wie mir Wikipedia einreden will. Ich sehe es als freundliche Aufforderung, kreativ und selbstbestimmt vorzugehen. Wichtig scheint alleine: alle Varianten sollen eindeutig und für alle verständig sein.
D a s versteht man doch - nicht wahr!?
Christa Mollenhauer, D 36037 Fulda
Neue alte deutsche Rechtschreibung zum Ankreuzen
Gemsen traten gestern abend
Gestern Abend traten Gämsen mit helllila Einschussstellen
als ein Alptraum wie ein Albtraum aus den Wäldern
um im Rauhreif blauen Raureif in den Wiesen und den Feldern
um im Flußsand diesem allzu tiefen Flusssand
mit neun See-Elefanten nein acht Seeelefanten
Spaß um Spass die Nacht zu tanzen
und um nicht als kleines Zoo-Orchester als zu kleines Zooorchester
in den Winkeln und den Nischen länger noch im trüben zu fischen
sprich im Trüben fischen.
Zum Anlaß: Anlass dafür waren als vor Kurzem
als vor kurzem nein: seit Jahren unsre Stammütter unser aller Stammmütter
mit den roten Stallaternen dunkelroten Stalllaternen
allzufrüh man muss es sagen allzu früh
mittels Schiffahrt wie wir ahnen Donauschifffahrt
streßbedingt gerüchteweise stressbedingt wieder mal von uns entfernten
so daß wir sodass wir als Erben zur zeit hungers zurzeit wirklich Hungers sterben.
Und wir fragen unsre Mütter bitter wo sind unsre Väter ? Doch davon später.
Denn: allein seligmachend unvermutet alleinseligmachend
beugte sich ein Nußstrauch heller Nussstrauch
über unsre Tränen und umfaßte uns mit Lachen
ja: umfasste sorgsam unsre Trauer
Schluß mit dem zufrüh und dem zuviel
dunkle Schwestern eines grellen Traumas
Schluss mit dem zu früh und dann vor allem lachend Schluss mit dem zu wenig
und die Zweifler hören uns Nächtens lachen
lachen wie im Spiegelsaal ein Bauer
lachen wie im Ziegenstall ein König.
Johannes Maximilian Müller, A 1130 Wien
Alternativlos
Man muß wissen, daß die Kritische Kafka-Ausgabe vor 1996 ihren Anfang nahm, wenn man in ihren Editionsrichtlinien liest, daß die »ss«-Schreibung durch »ß« ersetzt wird – »wo dies der heutigen Regel entspricht«. Ein solcher Grundsatz entspringt dem naiven Glauben an die (relative) Stabilität unseres Schreibsystems. Es wird nicht in Erwägung gezogen, daß der hergestellte Text bereits nach kurzer Zeit orthographischer Übersetzungen bedürfen könne. – – Stellt man sich vor, in hundert Jahren (man könnte wohl auch sagen: in zehn) nimmt jemand einen Band der genannten Ausgabe zur Hand: er müßte sich zunächst über das spezifische für sie geltende Regelsystem kundig machen. Und dabei auch die Eventualitäten reflektieren, daß zwei in ihrem Erscheinen nur wenige Jahre auseinanderliegende Bände oder Bände anderer Auflagen orthographisch unterschiedlich ausgerichtet sind.
Hätte die Ausgabe ihre Prinzipien nach der Rechtschreibreform von 1996 formuliert, wäre es ein wenig besser um sie bestellt. Zwar würde es in den Texten trotzdem noch von »ß« wimmeln. Eine ›nachbessernde‹ Reform wäre – ausgenommen, man ließe gleich die Schweizer ans Werk – von Nöten, wollte man sie ganz und gar verschwinden lassen (§ Verbannung der »ß«) und dem entsprechen, was in Kafkas Manuskripten tatsächlich geschrieben steht. – Zumindest hätten wir es dann aber nicht mit solchen Peinlichkeiten wie der die Brodschen Schreibung affirmierende ›Fassung‹ »Das Schloß« zu tun. Es hieße richtiggehend »Das Schloss«. Geglückte Dissimulation.
Die sich jagenden Reformen und Reformen der Reformen, die uns die gewaltsamen und historisch uninformierten Eingriffe klar vor Augen führen, haben immerhin ein Gutes. Wir müssen uns von der Stabilität unserer Orthographie verabschieden und damit auch von der Möglichkeit, sie als Referenzsystem zu benutzen. Auf das, was heute als Orthographie gilt, kann man nichts bauen. Schon gar keine Edition, die (so möchte ich behaupten) ihrem Wesen nach aere perennius sein will. Jeder Editor, der seinem Selbstverständnis nach nicht nur für die Jetztzeit produziert, sollte durch die Rechtschreibreformen zur Einsicht kommen, daß es besser – eigentlich: alternativlos – ist, sich bei der Textdarbietung an der Graphie des überlieferten Materials zu orientieren. Man kann freilich an dem Bewußtseins(zu)stand einer Gesellschaft zweifeln, die, um das erkennbar werden zu lassen, ein ganzes Regelwerk destabilisieren muß.
Marit Müller (*1989), D 69115 Heidelberg
Wenn etwas nicht mehr ist
Wenn etwas nicht mehr ist, dann hört es doch nicht auf, gewesen zu sein, sagst du auf meinen Einwand, daß man daß nun seit 20 Jahren dass schreibe, daran erinnere ich mich, während ich die blanken und rissigen Stufen zum Turmzimmer hinaufsteige, Wände und Decken wie ein papierner Himmel, als wäre es erst gestern gewesen, dabei ist es 20 Jahre her, daß Vater, Bruder und Schwester nicht mehr sind, nach dem Unglück hab ich nur noch dich, hast du gesagt, ich bin aber nur adoptiert, habe ich geantwortet, das spielt keine Rolle, hast du gesagt, wenn du deine Mutter liebst und an ihr Buch glaubst; sind 2000 Seiten denn nicht genug, Mutter, habe ich gedacht, aber nicht gesagt, weil du aber auch hörst, was ich nicht sage, hast du gesagt, es sei dir egal, was ich dächte, solange ich dir jeden Tag deinen Teller Spaghetti mit etwas Butter sowie Parmesan in deine Schreibklause brächte, es sei dir aber nicht egal, ob ich Spagetti oder Spaghetti kochte, ja, das sei ein Mißstand, habe ich dir zugestimmt, und wenn es bei dir der Missstand sei und bei anderen der Miss-Stand, belege das ja nur die allgemeine Schreibverwirrung, die seit Langem oder hieß es neuerdings seit langem herrsche, nur, bei Spaghetti höre der Spaß auf, und dann stehe ich zum ersten Mal in deinem Zimmer und du bist nicht da und alles ist verwandelt, wie Schiffe liegen die Worte jetzt auf weißem Papier verankert, blau das Geheimnis der Flüße, himmelwärts unsere Gesichter, Hände in den Wolken, Tage und Häuser und Menschen auf dem Schreibtisch meiner Mutter ein leeres Blatt, Sätze und Worte ungeduldig gegenüber dem, was wir Schicksal nennen, und ich sehe auf deine kleine verschnörkelte Schrift in alter Rechtschreibung, einen Regenhimmel, der sich in einem Fluß spiegelt, der nachtblaue Schatten eines Vogels über dem Steg, auf dem Vater, Bruder, Schwester warten, und du stehst plötzlich hinter mir, sagst, seitdem seien alles nur noch schimmernde Trugbilder für dich, aber die Sprache, sage ich, ja, sagst du, in der Sprache sei alles eindeutig, leicht und hell und darüber dürfe es keine Verwirrung geben, denn Verwirrung gäbe es in der Welt genug, und die Sprache sei doch dazu da, die Verwirrung zu ordnen, wie meine Spaghetti, danke für die Spaghetti, lächelst du, und im Treppenhaus laufe ich durch ein weißes Licht wie von zerrissenem Papier, und auf einmal habe ich Angst vor dem Tag, an dem du aufhören könntest, zu schreiben. Ach bitte, Mutter, fang noch einmal von vorne an.
Daniel Mylow, 35075 Gladenbach
Der Partner
Nach Rainer Maria Rilke
Sein Blick ist vom Reformieren der Lettern
so müd geworden, daß ihm nichts gefällt.
Ihm ist, als ob es aberhundert Regeln gäbe
und hinter Aberhundert Regeln stirbt die Welt.
Der alte Kampf der zwanzig Jahre wettert,
und sich immerzu im Kreise dreht,
ist vielmehr Krampf, der nichts verbessert,
und viel mehr auch nicht weitergeht.
Nur manchmal pocht noch eine Ader
wenn er das Zooorchester sieht
doch dann schweigt er der Salbader,
der somit einen Schlussstrich zieht.
Fabian Navarro, A 1070 Wien
Orthographie und Unzucht
Man erzählt, schwerfällige und wortgeile Germanieristen betatschen seit 20 Jahren grob die zarten Formen der Sprache. Doch die Sprache bleibt keusch, behält ihre Jungfräulichkeit. Sie zerren an Worten und Wendungen; zerreißen, was zusammengehört, leimen ungeschickt und mutwillig, was einander abstößt. Sie hobeln und raspeln und schleifen vor sich hin. Späne bleiben und Staub. Verkrüppelte Wörter liegen herum. Mit der Dämmerung kommt der Hausmeister und macht Ordnung. Was er unter dem Tisch findet, kränkt ihn:
fallengelassene Wörter, von den mit der Sprache Unzucht treiben Wollenden unverstanden, hochmütig weggestoßen. Vergessen. Für die vorsätzlich mit gepresstem Gaumen Wörter auswerfenden Manipulierer am Wort unaussprechbar. Er sammelt die Fragmente, fügt sie behutsam zusammen. Das Geformte wird ihm lebendig, und Klänge aus vergangener Schulzeit vermischen sich zu Neuem:
… s ist möglich, dass in Sachsen und beim Rhein
Es Leute gibt, die mehr in Büchern lasen;
Allein was sprachlich wohl klingt und dem Ohr gefällt,
Der frohe Klang, der schlichte, off'ne Sinn,
Da tritt der Österreicher hin vor jeden,
Denkt sich sein Teil, und lässt die andren reden.
(Frei nach Franz Grillparzer)
Herbert-Ernst Neusiedler, A 1020 Wien
Nein, wie hässlich!
Auch nach zwanzig Jahren fällt es mir schwer, mich durch die Rechtschreibreform zu Schreibweisen zwingen zu lassen, an die ich mich nur sehr schwer gewöhnen konnte. Das mag an meinem hohen Alter oder an konservativer Grundhaltung liegen, zu einem großen Teil liegt es aber auch an meinem ästhetischen Empfinden. Und damit war ich keineswegs allein! Ich erinnere mich nach all den Jahren noch sehr genau an die Unterrichtsstunde, in der ich als Deutschlehrerin in einer Klasse 7 ankündigte, man müsse jetzt das Wort "Mißstand" mit drei s schreiben. Und als ich es so an die Tafel schrieb: "Missstand", erhob sich lautstarker Protest, der in dem Ausruf eines immer sehr spontan sich äußernden Mädchens in der ersten Reihe gipfelte: "Igitt, wie häßlich!" Die Klasse staunte ungläubig und war entsetzt.
An "dass/das" habe ich mich mit Mühe gewöhnt, ohne dass mir der Sinn der Änderung einleuchtet, denn die Neuerung nimmt dem Schüler ja die Entscheidung Pronomen oder Konjunktion nicht ab.
Nicht gewöhnen kann ich mich zum Beispiel an den lächerlichen "Stängel", das von Unkenntnis zeugende "selbstständig" oder den gleichermaßen falschen "Tollpatsch", der zum Glück aber nicht so oft vorkommt.
Für sorgsame Wächter der Sprache gäbe es genug Anlässe, korrigierend einzugreifen. Um nur zwei Beispiele aus aktuellen Rundfunksendungen zu nennen: man gedenkt neuerdings d e m Krieg, auch kennt man den Unterschied zwischen dem Neutrum und dem Maskulinum "Verdienst" nicht mehr. Bei der Rechtschreibung gab es dagegen keine chaotischen Verhältnisse, die dringend der ordnenden Maßregelung und so gewaltsamer Eingriffe bedurft hätten.
Um es kurz zu sagen, für mich hat die Rechtschreibreform einen häßlichen Mißstand geschaffen!
Helene Olbert, D 53227 Bonn
20 Jahre Rechtschreibreform
Unsere Sprache entwickelt sich mit dem Leben,
muss sie doch wiedergeben die Entwicklung der Welt,
Bilder finden für das Neue, in sich aufheben,
was wir denken, damit es zusammenhält.
Ab und zu muss man sie dann reformieren,
weil zuviel in ihr ist, das keiner mehr versteht.
Doch Vorsicht ist geboten wie beim Räder schmieren,
dass nicht zugleich auch Wichtiges verloren geht.
So wie Aroma gibt es viele alte Wörter,
die ihre Geschichte in sich tragen.
Oft verweisen Buchstaben auf die Örter,
streicht man sie, lässt sich nichts mehr darüber sagen.
Ein jeder kann es anders sehen und spricht,
so wie er will, doch schreibt er, gibt es Regeln.
Da sind wir seit der Schule in der Pflicht,
es klappt sonst nicht, genauso wie beim Kegeln.
Gar manches ist logisch und nachvollziehbar,
doch anderes wieder nicht, wie der Verzicht,
auf die Bedeutung dessen, was einst greulich war.
Jetzt ist es auch gräulich, da fehlt bloß das Licht.
Weil unsere Sprache derart schwierig ist,
war eine Reform wohl angemessen,
damit endlich alles gut zu erklären ist.
Ist das jetzt so oder darf man sie vergessen?
Angelika Oppenheimer, D 20149 Hamburg
Glosse; Reformer mit Weitblick
"Schreibt man 'miserabel' mit ie?", fragt meine Tochter beim Frühstück. Um es gleich zu sagen: Wir reden hier nicht von einer Erstklässlerin. Meine Tochter besitzt ein bayerisches Abitur mit durchaus achtbarem Schnitt und studiert an einer Hochschule in Baden-Württemberg. Trotzdem glaubt sie, dass man "miserabel" so ähnlich schreiben müsste wie "mies". Denn das wäre einleuchtend.
Hier offenbart sich schlaglichtartig das größte Defizit der Rechtschreibrefrom: Sie ging nicht weit genug. Vereinfachen wollte sie, doch der Versuch blieb im Ansatz stecken. Statt lediglich einen Bruchteil aller Wörter zaghaft zu optimieren, hätte sie Mut zum Rundumschlag beweisen sollen. Die Kunst macht es vor: "Fack ju Göthe" zeigt uns, was alles möglich ist.
Wenn ich am Büfett essen darf, warum dann nicht auch im Restorang? Ein Triumf der Logik wäre das, eine Detox-Kur für die Lehrpläne - endlich mehr Zeit für die Fächer, auf die es in der modernen Welt wirklich ankommt: Matte und Füsik.
Denn, Hand aufs Herz, was nützt es dem Bruttoinlandsprodukt, ob ich "Konsumklimaindex" richtig schreiben kann? Wird in China nur ein einziges deutsches Auto mehr verkauft, wenn ich weiß, dass es "Entgelt" heißt und nicht "Endgeld"? Eben.
Die Gesellschaft hat sich ohnehin längst in die orthographische Anarchie verabschiedet. Kein Mensch kann mehr richtig buchstabieren, und das wird nicht nur am Mitteilungs-Durchfall in digitalen Medien und sozialen Netzwerken deutlich. Längst kommen auch offizielle Briefe, Behördenschreiben und förmliche Mitteilungen nicht mehr ohne Fehler daher. Die meisten Verfasser scheitern bereits an der Groß- und Kleinschreibung von "sie". Kommas werden frei nach Schnauze verwendet, am liebsten aber weggelassen.
Und plötzlich passt die Rechtschreibreform gar nicht so schlecht ins Bild. Denn hat sie ja vor allem eines erreicht: Verwirrung. Keiner kennt sie so ganz, manche kennen sie gar nicht, wieder andere machen sie bewusst "nicht mit". Verlage erlassen in Hausorthographien ihre eigenen Regeln. Jeder macht, was er will. Die Politik sah das schon in den 1990er Jahren kommen, trug mit der Reform das Ihre dazu bei und bescherte ganz nebenbei Schulbuchverlagen, Druckereien und Softwareherstellerm ein gut getarntes Konjunkturprogramm. Da hatte die Rechtschreibung dann plötzlich sogar Einfluss aufs Bruttoinlandsprodukt.
Ulrike Osman, D 82269 Geltendorf
RECHTSCHREIBEN: KREATIVITÄT VS. NORM
„Nichts ist leichter, als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss.“
So beschrieb einst Arthur Schopenhauer sein Tun. Richtiges Schreiben – Was ist das? Ein Abstraktum! Ein Potpourri aus Lexemen, Morphemen, Kontexten und einem zeitlich geschlossenen Raum. Wo ist die Grenze zwischen kreativer Schöpfung und normierter Schriftlichkeit? Was überhaupt gilt als Text, was als Kunst und was als verletzte Rechtschreibung? Während Kinder in der Schule unlängst lernen, dass dass mit ss und nicht mehr als daß geschrieben wird, finden sich heute noch vielfach computergetippte Texte oder alteingesessene „Normquäler“, die in ihrer Schrift die klassische ss-Schreibung benützen. „Schreib wie du sprichst“ oder besser: „Schraip widu schprichsd“ ist die Divise, nach der sich die Rechtschreibung ausrichtet, dabei vergessen wir oft, dass Schreiben weder natürlich noch angeboren ist und somit nur abstrakten Regeln folgt, die noch dazu in gewissen Kontexten ungültig sind. In der Lyrik z.B. finden sich viele Kuriositäten, die fantastische Bilder in unseren Köpfen zustande bringen, die jedoch in einem anderen Zusammenhang vollkommen fehl am Platze wären. Ist also die Bedeutung oder die Schreibung eines Wortes trivial und nur in seinem Kontext eingebettet von Bedeutung? Ist die Schöpfung von Lyrik, die kreative Arbeit eine Gradwanderung zwischen Normierung, freiem Gestalten und Akkommodation der Sprache?
Selbst wenn die Antwort auf diese Frage „Ja“ ist, sollten wir uns folgendes stets vor Augen halten: Sprache ist nicht der Pinsel, mit dem wir Zeichnen, sondern die Farben, die wir auftragen. Schrift lässt sich nicht in eine allumfassende, ewiggültige Normierung quetschen. Ist die Fähigkeit reflexiven, künstlerischen Schreibens nicht weitaus wichtiger als die ökonomische Regulierung einer Sprache? Ja und Nein; und doch: Schreiben ist ein Abbild eines mentalen Prozesses und begegnet uns in jedem Bereich unseres Lebens; facettenreicher als sonst eine Tätigkeit.
Schreiben erschafft. Schreiben bedeutet einem Denken Ausdruck zu verleihen. Schreiben kann Therapie sein, Schreiben kann verbinden, Schreiben schafft ein Denken; manchmal ein Andenken.
„Exegi monumentum aere perennius.“
Tobias Pamer (*1995), A 6464 Tarrenz
Die Kuh, das Gnu und das Känguruh
Es waren einmal eine Kuh, ein Gnu und ein Känguruh. Die stritten sich, wer das schönste und prächtigste Hinterteil habe. Die Kuh verspottete das Gnu: „Nanu! Bei dir ist hinten das U nicht zu! Das wäre mir zu roh und rauh.“ - „Genau, genau!“ stimmte das Känguruh zu. Du bist hinten nicht ganz dicht! Hinten hat ein H. Weißt du das denn nicht?“ „Laßt mich in Ruh'“, gähnte das Gnu. Allmählich hatte das gutmütige Gnu g'nug. „Drei Buchstaben hab' ich, g'nau wie du“, sagte es zur Kuh. „Drei Buchstaben sind keiner zu viel und keiner zu wenig, mit einem Hinter-H wär' ich zu gewöhnlich.“ Die Kuh unterbrach das Gnu: „Hör' mal zu, Gnu: Ohne H könnt' ich Kuh nicht muhen. Mehr noch: Ohne H könnten Eulen nicht heulen und Elfen nicht helfen!“ Die Rede des Gnus erzürnte aber nicht nur die Kuh, sondern auch das Känguruh. Hibbelig hüpfte und hopste es immerzu. „Ohne H könnt' ich nicht hüpfen, müßte stets am Boden sitzen. Schon früher sagte die Mamá: ‚Achte auf dein Dehnungs-H!` Wer's verliert, der springt zu kurz, wohl wahr!“ Das kämpferische Känguruh fügte hintendran hinzu: „‚Drüben im Walde / Kängt ein Guruh.` So wunderschön und gelungen hat ein Dichter uns besungen. Was wär' ein Guruh ohne H? Wie ein Sekt mit E am Ende, klar?“ „Schon gut, schon gut!“ grunzte das Gnu. „Ich versteh' dich ja, doch hör' mir zu: Hohe Herren haben beschlossen, dir dein Hinter-H zu mopsen. Und ich mein', sie haben recht. Wenn wir nämlich einzeln sind, sind wir hinten alle gleich: Kuh, Gnu und Känguruh. Doch wie ist's, wenn wir viele sind? Kühe, Gnühe, Kängurühe? Nein, es heißt: Kühe, Gnus und Känguruhs. Dein H ist reinster Überfluß.“ „Hohe Herren, wie sagst du?“ kicherte das Känguruh. „Hohle Herren, das meinst du!“ Worauf die Kuh gleich munkelnd muhte: „Den hohen Herren, ganz unverhohlen, hat wohl einer das L gestohlen.“ Doch das geduldige Gnu redete weiter den beiden zu. „Hört meinen Rat“, sagte es da. Geht in den Wald zum Tier-Anwalt. Bei ihm, dem Paragraphensohn, waren Panther und Thunfisch schon. Ihnen hat er gut geholfen. Die hohen Herren ließen sich erweichen: Panther und Thunfisch konnten viel erreichen. Sie behalten ihr H, wenn sie wollen, als Zeichen.“ Doch das hochmüt'ge Känguruh lachte lediglich immerzu. Den Rat des Gnus schlug's aus: „Wenn die hohlen Herren kommen, werde hüpfend ich entkommen. Und mein Freund, die Kuh, muht los.“ Da kamen die hoh(l)en Herren und stahlen dem Känguruh das H. „Oppla“, rief das Känguru. „Haha“, lachte das Gnu. Und die Kuh schaute nur zu - mutlos.
Thomas Paulwitz, D 91350 Gremsdorf
Rechtt schrei (b) ung
Die Hilfe
schreibt man groß
ist aber klein,
denn
nach der Reform
weiß niemand so recht,
ob er hat Recht.
Wir schreiben so
oder doch anders,
denn
kaum einer weiß
was er glaubt zu wissen,
will er die weiße Fahne hissen.
Drum gehe ich nach Gefühl
obwohl ich sitze,
auch wenn ich schwitze,
schreibe einfach wie früher
Groß oder klein … und ohne Pein.
Günther Peer (*1950), A 6020 Innsbruck
Recht-schreib-reform
Recht
schreib
Reform
Recht-schreib-Reform
recht
Schreib
reform
recht-Schreib-reform
Wilhelm Pellert, A 1140 Wien
Zum Wert der Rechtschreibreform
„Laß das!“ warnte ihn Greta, „steck dein Erspartes in eine solide Anlage!“
Hajo schlug die Warnung aus, obwohl er ihre feine Spürnase allzugut kannte. So deutsch das ß ist, war die Hoffnung auf herrenrassische Elite in seiner Konkurrenz, dem Doppel-S, kodiert gewesen, damals im Zeitalter verläßlichen Untertanengeistes. Vielleicht erschien ja Hajo das internationale Deutsche Reform-Investment (intDRI) plausibel, weil seinem Herzstück die Bezeichnung „S,ss-Index“ verliehen war. Mit gleicher Logik, wendete Greta ein, müßte er merken, daß intDRI in der Schule als Rechtschreibfehler angestrichen würde. Ob er übrigens glaube, die Obrigkeit dürfte Lehrmeinungen für richtig oder falsch erklären?
Ein verläßlicher Untertan wolle er sein, verteidigte sich Hajo und sah sein Ansinnen zur Mitte des Folgejahrzehnts bestätigt, als ihm die große Kampagne erklärte, natürlich auch er sei Deutschland. Derweil war allerdings der S,ss-Index von galoppierender Inflation erfasst worden, das intDRI - Gemeinschaftsprodukt aller deutschsprachigen Länder! - war abgestürzt, Hajo hatte sein Geld verloren und ihm dröhnte durch den Kopf, wie Greta gewarnt hatte: „Lass das!“, um dann hinzuzusetzen, er solle sein Erspartes in eine solide Anlage stecken.
Während der nächsten Jahre folgte Krise auf Krise: Banken, Euro, Griechenland, Flüchtlinge, Grammatik, Vokabular. Hajo suchte nach Hoffnung und beschloss, zumindest den S,ss-Index aus der Inflation zu zaubern, indem er das Übermenschliche um Hilfe anrief. Ob denn die Zeit gekommen sei, fragte Greta, dass Widerstand geleistet werden müsse gegen unsinnige Reformen?
Hajo schauderte. Sprache verleiht dem Denken Form. Ihren Impetus zurückweisend, fütterte Hajo sein untertänigstes Deutschsein mit Symbolkraft, hängte drei beschwörende Bilder über sein Bett - in die Mitte eines von Trixi Storch, darunter der Schriftzug: „Meine Liebe!“, links daneben eines von Horst Seehofer, darunter der Schriftzug: „Mein Held!“, rechts eines von Adolf Hitler, darunter der Schriftzug: „Mein Führer!“
Der Zauber bleibt ausss - aber wer weiss, wohin neuerliche Reformen den S,ss-Index künftig führen! - „In Hyperinflation,!,“, befürchtet Hajo, und gegen Hyperinflation müsste öffentlich etwasss unternommen werden! Im Geissste hört er Greta sssagen,:, „lass dasss,!,“, um dann hinzuzusssetzen,:, „sssteck dein Erssspartesss in eine sssolide Anlage,!.“
Karsten Winfried Peter, D 34320 Söhrewald
Gedicht - “Der Moment” (G.Pichl aka Georgharlekin)
Jetzt ist der Moment....
- permanent ist er, der Moment.
Egal welcher, er ist einfach da.
Er ist immer jetzt, der Moment.
- auch gleich ob er ihn kennt der Mensch,
der Moment ist präsent! - immer jetzt.
Ein schöner Moment kann sein,
ein schlechter Moment kann sein...
doch der Moment an sich, steht für sich
ALL-EIN. Der Moment stellt sich immer dar,
seine Wirklichkeit ist die All-einig-keit,
rein und klar.
Doch bleibt es ein Geheimnis,
wohin sein Weg auch führt,
der Moment bleibt ewig, im Absoluten,
- verwoben im göttlichen Licht.
Danke! Georg Harlekin /Autor
Georg Pichl, A 1070 Wien
Zeitgeist
Ist die Rechtschreibreform kein brisantes Thema mehr / war die Umstellung anfangs ziemlich schwer.
Die ersten Unterrichtsjahre wirklich sattelfest / gab mir die Korrektur und Suche im Duden den Rest.
Doch mit der Wort-Erneuerung / brachte es zumindest dem Buchhandel kräftigen Aufschwung.
Dem Zeitgest entsprechend ist Festlegung - auch politisch - ein Todesstoß. / Klare Strukturen, Aussagen und Regeln vermeiden viele bloß.
Besonders die Fremdwörter-Eindeutscherei ist zum Lachen: Delfin, Panter, Tunfisch...solche Sachen.
Die Beistirich-Setzung ist schwammig nun / bei Partizipialgruppen und Infinitiv kann das Komma jetzt ruhn.
Ich setze Beistriche immer ohne Kommentar bei Klausuren / so wie es früher üblich war.
Die s - Schreibung brachte effektiv Erleichterung / verstanden haben sie Alt und Jung.
Das -ss nach Vokalkürze haben sogar Freunde kapiert / und sich als Könner selbst gratuliert.
Dass man Spaß und Spass nach regionalem Unterschied gelten lässt / ist für diejenigen, die es verstanden haben, fast ein Freudenfest.
Mit dem Bindestrich-Wirrwarr / kommt bis jetzt kaum jemand klar!
Hier wären eindeutige Aussagen viel wert / und - dem Zeitgeist entgegen - nicht verkehrt.
Da gibt es keine Unklarheiten / und man sollte die Regeln lernen beizeiten.
Die Rechtschreibung wurde akzeptiert / und dass es nicht langweilig wird
ist beim Sprachgebrauch das Gendern erfunden, damit man vergeudet wertvolle Stunden.
Unsere Bundeshymne wurde umgeschrieben / Haarspalterei - offensichtlich sind keine anderen Sorgen geblieben.
Der Merkeffekt ist beim Lernen vorhanden / bis das nächste Reförmchen kommt, wird wieder nichts verstanden.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier geblieben / falls eine NR kommt, werden wir unsere jetzige so richtig lieben!
Bella Pindur, A 1230 Wien
20 Jahre Rechtschreibreform: Meine Erfahrung
Als überaus empörend empfanden wohl viele Gegner der Reform, mich eingeschlossen, die Art und
Weise, wie ohne Mitsprachemöglichkeit der Betroffenen - Leser, Schüler und Lehrer, Autoren und alle, denen die deutsche Sprache am Herzen liegt - praktisch in Hinterzimmern etwas so Ein-
schneidendes wie eine angebliche Vereinfachung der deutschen Orthographie ausgehandelt wurde.
Gehört und gelesen hatte ich von diesen Plänen, doch die Einzelheiten waren mir unbekannt.
Als die Ergebnisse der Verhandlungen einer erstaunten Öffentlichkeit, die sich nicht ohne Grund über-
rumpelt fühlte, präsentiert wurden, war ich - im Wortsinn - sprachlos. Etwas so Alltägliches, im Grunde
Beiläufiges, wie die Rechtschreibung, die man im Lauf des Lebens immer besser erlernt, indem man
viel Gutes und Schönes liest und schreibt, sah ich unter die Fuchtel von Leuten geraten, denen die Sprache offenbar nicht annähernd so lieb und teuer war, wie mir und vielen Gleichgesinnten.
Ich sage nur: Stängel! Gämse! Von der sinnentstellenden Auseinanderschreibung in der Art des
frisch gebackenen Ehemannes erst gar nicht zu reden. Ich empfand das Ganze als eine ästhetische
Zumutung. Aus der DDR stammend, war mein erster Gedanke, daß selbst deren Funktionäre, die immer alle umerziehen wollten, einen solchen Eingriff in die vertraute Sprache nicht fertiggebracht hatten. Ich frage mich auch heute noch, wie man sich das so einfach trauen kann, die Einheit der deutschen Rechtschreibung zu untergraben. Denn selbst geübte Leser begegnen so zahlreichen
Varianten, die dank der Reform der Reform auch noch alle gelten dürfen, ob in Zeitungen, die ihre Hausorthographien verwenden, ob in Büchern diverser Verlage, nicht zuletzt in den geliebten
eigenen im heimischen Bücherregal, daß mitunter Verunsicherung eintritt, wie etwas zu schreiben sei. Nahm ich in solchem Fall früher den Familien-Duden zur Hand, besitze ich heute derer vier und achte
darauf, den Aktuellsten auszuwählen. Denn ich habe mehrere Identitäten angenommen. Privat schreibe ich so, wie ich es gelernt habe. An Behörden schreibe ich reform. Will ich mich als
konservativ zu erkennen geben, beispielsweise in Leserbriefen, schreibe ich dann doch wieder wie vor 1996. Dieser spielerische Wechsel hat natürlich seinen eigenen Reiz, wiegt aber den Schaden,
der unserer Sprache zugefügt wurde, nicht auf.
Ulrike Pohla, D 18356 Barth
Variantenreich oder Armutszeugnis?
Schockschwerenot! Wie die Nachricht der Rechtschreibreform 1996 in mein Leben potz blitzte, daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Aber, dass sie mich bis ins Mark traf, weiß ich heute noch! Schließlich gehörte ich damals der schreibenden Zunft an, das Spiel mit der Sprache war seit meiner Zeit als Abc-Schützin meine Leidenschaft und unsere Kinder standen kurz vor der Einschulung. Skeptisch nur näherte ich mich also den Neuerungen, die zu verinnerlichen ich tatsächlich die zehnJahre bis zur Verabschiedung der zweiten Version brauchte. Doch was geschah dann, als doch alles wieder hätte gut werden können? Verunsicherung und Verwirrung allüberall! Jung und Alt traf es gleichermaßen, da kam die durch SMS und E-Mail begünstigte Aküsprache (siehe Duden von 2013) doch gerade recht.
Da ich heute täglich mit einer in Werbung, Business und privater Post üblichen Schreibweise konfrontiert werde, die mich fast schon körperlich quält, frage ich mich: Ist es für das Gros der Massen einfach nur ein „grosser Spass“, sich mit freundlichen „Grüssen aus der Schloßstrasse“ zu verabschieden? Wenn die Anwendung nicht einmal dieser relativ einfachen Regel (nach kurzem Vokal wird „ß“ zu „ss“) gelingt, wie sieht es dann erst bei all den nicht so leicht eingängigen Änderungen aus?
Oder ist es heute einfach völlig egal, ob im Kamin der Ruß oder Russ‘ sitzt? Ob das Genus(s)system ein grammatikalisches oder eine gastronomisches Thema ist? Ob mir der Stil oder Stiel eines Typen gefällt? Pardon, Letzteres ist schlüpfrig und war schon vor der Reform eine Fehlerquelle, aber damals – also früher, als alles noch besser war – machte man sich noch die Mühe, im Zweifelsfall im Lexikon nachzuschlagen. Heute dagegen ist doch eh alles möglich, ergo egal: Willkommen also im Variantenreich, auch wenn es ein Armutszeugnis ist?
Möge das Känguru meinetwegen nun ohne „h“ durch den Busch hoppeln, die geliebten Spaghetti aber kommen mir „h“-los weder über die Lippen noch auf den Tisch! Auch den Panther will ich behalten, die Satire nicht im Zoo suchen müssen und der Göttin der Liebe möchte ich weder als Afro-Dite noch als Wehnuss begegnen... Ich will mich auch künftig einfach nur in Muße von der Muse küssen lassen und krass Spaß haben dürfen mit Nonsens-Sätzen wie: „Alle Aale tranken Ale im All und mit der Ahle aß das Ass Aas.“ - Strikt wehren werde ich mich jedenfalls dagegen, dass irgendein Biograf eines Tages meinen lang gehegten Traum von der Alp einfach zum Alptraum degradieren darf!
Sabrina Postel-Lesch, D 82438 Eschenlohe
III. Teil der Rechtschreibwortreform 08 Fasz. 6/1
Punkt 1: Die Mehrzahl I ― eine Genauerisierung aus zweiter Hand
Meerschwein ― ist ein Meerschwein
|. Meerschwein | ― sind zwei Meerschwein
|: Meerschwein | ― sind drei Meerschwein
|:. Meerschwein | ― sind vier Meerschwein
|:: Meerschwein | ― sind fünf Meerschwein
| Meerschwein | ― sind viele Meerschwein
Fortsetzung Mehrzahl = II:
Gebildet durch die Verdopplung des letzten Buchstabens.
Aus Langenlois wird Langenloiss
Aus Tablet ― Tablett
Godert (noch mit Bedeutung zu belegendes Wort) ― Godertt (ebenfalls bei Gofert–Gofertt)
Computer ― Computerr
Solcherart Verfahren führt unstrittig zum nächsten Laich der Reform:
Punkt 2: ― strenge Vokalisierung: der zweiten Hand dritter Streich
Fliege \ Fliige (Aufgabe des „langen ies“, Ersetzung durch „ii“)
Moos \ Moos ― bliebt gleich, da im Sinne der neuen Wortversetzung das lange „o“ richtig wiedergegeben. Ebenfalls: Aar = Aar, Aal = Aal so wie Ufer \ Uufer oder ― langes „u“ wird verdoppelt, wie „a“ und neuerdings auch „i“ und wie gehabt bei „e“ ― Seele \ Seele und Fee \ Fee.
Mithin ist jetzt möglich:
Fett, das \ nun: Fet, das, Mehrzahl I: |Fet| und in der Mehrzahl II: Fett
Geschichte, die \ nun: Geeschichte, die; Mehrzahl I: |Geeschichte|, Mehrzahl II: Geeschichtee
Vokale, die lang gesprochen, aber bisher kurz geschrieben, nun auch lang geschrieben, exemplarisch ausgearbeitet.
Eine Rechtschreibwortreform muss nach gut ausgearbeiteten Kriterien mehr Logozität und Plastizität in und um Schrift real machen.
Punkt 3: Ersatzlos gestrichen: das „ck“ (keine Diskussion und Exemplifizierung, ein Fall der evidenten Skartierung seit langem).
Punkt 4: Ein interessanter Fall ist das bisherige „Schuh“; ― narrativ gesprochen:
Das „stumme h“ ist ein Fall für vergangene Geeschichte, hat keinen Platz in zukünftigen |Geeschichte| (oder: Geeschichtee). Neue Schreibung, auf Grund obiger Kriterien der Logizität und Plastizität: Schuu; damit Mehrzahl I: |Schuu| und Mehrzahl II: |Schuuu|. Wir haben die Einführung des Triple-Vokals erreicht. Ein Höhepunkt unserer Rechtwortreform! (Nicht heimlich applaudieren, rufen Sie es in die Welt, aber bitte nicht als Konkurrenzierung des Triple-Konsonanten der mittlerweile doch schon wieder alten Rechtschreibreform zu verstehen.)
Jetzt, bisher: Uhr, die. Wir schreiben (Einzahl): Uur, die; den beiden uns nun zur Verwendung frei verfügbaren Mehrzahlformen: |Uur| und Uurr. Der zweiten Hand vierter Streich.
|.Punkt| 5 und 6 wurden schon wieder reformiert.
Heinz Pusitz, A 7210 Mattersburg
Inschrift
Wie ich war das Wort.
Auch ich war am Anfang...
Just riß man mich aus.
Brutal war der Griff,
Der mir die Kapillaren
Zerquetschte. Mein Blut:
Gestaut stieg es auf,
Zu Kopf, daß es pochte.
'Herein' sagte niemand.
Der Pfahl aber steckt
Noch tief in der Erde.
Vielleicht treibt er neu...
Doch mich treibt es um.
Zurück bleibt der Schmerz,
Wie ich ein Fantom.
Sonja Maria Rathjen, D 89331 Burgau
Wie mit dem Mond …
Es ist wie mit dem Mond. Dem abnehmenden oder zunehmenden. Ich weiß, dass meine Intelligenz ausreichen müsste, um beim Anblick des Mondes zu erkennen, in welcher Phase er sich gerade befindet. Ich habe es sicherlich schon zehn Mal erklärt bekommen. Nicht als Kind, sondern als erwachsene Person. Jedes Mal habe ich irgendwann behauptet, ich hätte es verstanden, um die unwürdige Situation zu beenden. Jedes Mal ging es irgendwann unweigerlich um den Buchstaben "z", in einer alten Schreibweise, die ich genau vor Augen sehe. Daran liegt es nicht. Ich weiß ganz genau, wie dieses altertümlich geschriebene "z" aussieht, aber ich sehe es nicht im Mond. Weder im zunehmenden noch im abnehmenden. Oder ich sehe das "z", aber gleichzeitig auch das "a".
So ist das mit dem Mond, wenn ich darüber nachzudenken beginne, gerät irgendetwas in meinem Kopf durcheinander und ich verfüge nicht mehr über meine ja doch ansonsten von mir und meiner Umgebung für normal gehaltenen kognitiven Fähigkeiten. Ich kenne das auch umgekehrt. Also bei anderen, denen ich etwas erklären möchte. Dreisatz. Oder Prozentrechnung. Kann JEDER begreifen. Aber die Worte "Dreisatz" oder "Prozentrechnung" lassen andere Menschen im Kopf so durchdrehen wie mich der Mond. Sie wissen genau, dass sie es nicht verstehen werden und winken bereits bei den ersten Worten resignierend ab.
Vermutlich könnte in derart verfahrenen Situationen nur Hypnose helfen oder eine andere wirklich tiefgreifende Maßnahme. Die Rechtschreibreform zum Beispiel. Der Mond hat nämlich noch ein paar Kollegen, die in meiner kleinen Gedankenwelt ihr Unwesen treiben und einer davon ist das "ß". Oder war es. Bis zur Rechtschreibreform. Ich weiß noch nicht einmal genau, was dann passiert ist. Warum es auf einmal für mich möglich war, das "ß" als einen ganz normalen Buchstaben zu betrachten. Warum ich auf einmal fast immer wusste, wo ich es platzieren musste und wo nicht und bei seinem Anblick nicht mehr durchdrehte. Lag es an den veränderten Regeln oder haben sich die Regeln gar nicht entscheidend verändert, aber ich konnte ihnen eine entspannte Chance geben? Ich weiß es nicht, aber seit ich fast immer weiß, weiß, weiß, dass dass dass ich diesen Mount Everest meiner Rechtschreibprobleme gemeistert habe, sehe ich viel zuversichtlicher in die Zukunft – und abends in den Himmel: Auch der Mond wird mir sein Geheimnis noch verraten ...
Jutta Reichelt, D 28201 Bremen
20 Jahre Zwangsbehandlung
Es gibt Patienten, die sind krank, gehen zum Arzt und lassen sich helfen.
Es gibt weitere Patienten, denen nicht bewusst ist, dass sie krank sind. Dementsprechend begeben sie sich nicht in ärztliche Behandlung. Diesen Patienten ist solange schwer zu helfen, bis sie sich in Behandlung begeben.
Darüber hinaus gibt es Patienten, die krank sind, denen aber niemand hilft, da sie sich z. B. in unterversorgten Armutsregionen oder in Kriegsgebieten befinden. Diesen Patienten könnte grundsätzlich geholfen werden, aber auch bei ihnen ist eine Behandlung schwierig.
Neben den beschriebenen Patientengruppen gibt es eine „Patientin“, die eine zentrale öffentliche Rolle einnimmt: die Rechtschreibung. Vor 20 Jahren wurde sie von politischer Seite für „krank“ erklärt. Der zwangsweise initiierte Genesungsprozess, die Rechtschreibreform, ist immer noch nicht abgeschlossen. Schwierig.
Daniel Reichwald, D 27404 Zeven
Ganz oder gar nicht?
Das Recht zu schreiben in gleicher Form?
Oder die Pflicht zu schreiben in der Norm?
Was gäbe es für ein Verdruss,
wenn alles, was mit Müh erworben,
der Istzeit einfach weichen muss?
Erst Spaß, dann Spass und nun Emoji.
Den Höhlenmenschen immer gleicher,
die malten`s nur auf festen Stein.
An Buchstaben fehlt`s,
an Zeichnungen reicher ?
So einfach kann jetzt Schreiben sein?!
Doch manchmal packt die Sehnsucht mich
nach Worten voller Poesie,
die vielfältig die Flügel breiten
im Winde meiner Fantasie.
Sprache ist ein Teil des Menschseins,
ganz einheitlich ist sie so nie!
Hilma Reichwald, D 27404 Zeven
Rechtschreibreform
An einem Dienstagabend, bevor die 11 Jährige Jennifer ins Bett geht, übt sie noch einmal alles durch, was sie für den nächsten Tag wissen muss, denn dann steht ein Aufsatz zum Thema die neue und alte Rechtschreibung an. Als Jennifer nun wenig später im Bett liegt, braucht es etwas, bis sie einschlafen kann. Und selbst in ihrem Traum dreht sich alles um die Rechtschreibreform. Alles fing damit an das Jennifer an einem Waldrand spazieren ging, als plötzlich 30 Wichtel aus dem Gebüsch springen sie gehen der 11 Jährigen gerade mal bis zum Knie. Ein Wichtel tritt ein paar Schritte nach vorne und fängt an mit den Armen zu fuchteln, da beginnen die Wichtel ein Gedicht und das ging so:
Der Dreifachkonsonant steht schon am Start für eine kleine Schiffahrt,
oh nein das dritte „ f“ in Schifffahrt ist wichtig
sonst ist das ganze Wort nicht richtig.
Es bleibt einem auch nichts erspart,
wie von Photoapparat zu Fotoapparat.
Denn Früher wär´s „Ph“ gewesen, heute wird's als „F“ gelesen.
Bis 1996 wurde Haß mit „ß“ geschrieben,
das ist danach nicht mehr so geblieben.
Nun ist es das Doppel-s,
also der Hass ist das Gleiche wie mit daß und dass.
Etwas geschah auch noch im Jahr 1876.
Damals veränderte sich die deutsche Rechtschreibung
Indem sie durchaus Fortschritte machten
und dabei daran dachten,
ja an den Entschluss,
dass das begleitende „h“ wegmuss.
Doch das wurde erst 25 Jahre später umgesetzt,
also hat es mit der Zeit nun wirklich nicht gehetzt.
Und nach dem die Wichtel das Gedicht beendet hatten gab es einen Knall und alle Wichtel waren verschwunden. Fünf Minuten später wurde Jennifer auch schon von ihrer Mutter geweckt. Wenig später ging sie fröhlich zur Schule denn, sie fühlte sich gut vorbereitet.
Tabita Reichwald (*2006), D 27404 Zeven
Wie ich schreibe
Daß ich schreibe,
das ist nicht zu verhindern,
das muß doch sein,
das tut so gut, das geht so tief,
das ist so bitternötig
wie Bitteres nötig ist beizeiten,
und es ist bittersüß und unerbittlich.
Und wie ich schreibe,
das kann natürlich, folgerichtig,
nicht einer Regel folgen,
die man so ändern könnte,
so einfach, einfach so,
ministeriell und/oder bürokratisch.
Wie ich schreibe,
das ist nicht so zu ändern,
das kann sich niemals
dem Diktat des Geldes und der Geltung beugen.
Wie ich schreibe,
das trotzt jeder Willkür,
das spottet jeder Verordnung,
die jeder Beschreibung spottet.
Und wie ich schreibe!
Und weiter schreiben werde!
Auf neue Duden aber kann ich verzichten.
Ich schreibe dann mal, wie ich muß.
Magnus Reitinger, D 82362 Weilheim
Max Rho, D Wiesbaden
Betrachtungen eines Wortklaubers
Warum heißt es nicht Richtigschreibung? „Man schreibt doch nicht falsch oder recht, sondern falsch oder richtig“, murmelte mein Onkel Hans.
Jetzt heißt es Gämse statt Gemse, weil es von der Gams abgeleitet wird. Hans – er war Jäger – lästerte oft über die neue Schreibung der Gämsen und dass er nie wisse, ob er Waidmann oder
Weidmann schreiben soll, nachdem beides erlaubt wäre. „Mir ist das alles ein Gräuel“, seufzte Hans. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass man früher Greuel schrieb, jetzt aber Gräuel, weil es vom Grauen kommt. Gut, die Ostfriesen sagen greuen statt zunehmen, und dieses Zunehmen kann schon auch ein Grauen sein, vor allem bei Frauen.
Ach, wenn das nicht alles so kompliziert wäre und so relativ ... Hans hieß mit Nachnamen Spreizer. Das war kein Problem für ihn, sehr wohl aber war es ein solches für seinen Bruder, der den Beruf des Gynäkologen ausübte.
Onkel Hans hat sich sein Leben lang zu viel geärgert. Er wurde schließlich – ein paar Jahre, nachdem die sogenannte Rechtschreibreform obsiegt hatte – von einem Herzinfarkt dahingerafft. Er saß eines Tages auf seinem Erleichterungsbüro, wie er die Toilette gerne nannte. Seine letzten Worte waren, an seine Gattin gerichtet, bei halb geöffneter Tür: „Das Klopapier, ... es geht zu Ende!“ „Es geht zu Ende“, hätte ja gepasst, aber das Klopapier war für einen letzten Satz fürwahr unpassend. Der Pfarrer sagte beim Begräbnis, dass man so stürbe, wie man gelebt hätte. Ich dachte mir: „Ja, auf dem Klo starb er, weil er im Leben so ein Scheißer war.“
Beim Versenkungsakt sprach der Pfarrer dann von den sterblichen Überresten, die er der Erde übergeben wolle, obwohl das keine s t e r b l i c h e n waren, sondern schon gestorbene!
Zum Schluss der Feierlichkeit wurde das Vaterunser geleiert: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit.“ Korrekt müsste es aber heißen: „Denn dein s i n d das Reich und die Kraft ...“ In der Religion steht man nicht selten mit der Sprache auf Kriegsfuß.
Es gibt auch kuriose Vorstöße aus kirchlichen Kreisen, zum Beispiel in Richtung Geschlechtsidentität. Benediktinerinnen wollen nicht länger die weibliche Variante männlicher Mönche sein und nennen sich deshalb neuerdings Benediktinen. Wenn das Schule macht, muss der Duden eine Fülle neuer Wörter aufnehmen: Radfahrin, Abteilungsleitin, Lehrin, Schülin und so weiter, und so fort und förter.
Reinhard Rinnerthaler, A 5020 Salzburg
Jubiläum ohne Onloss zum Jubln
Di sognonnte Rechtschreibrefoam is a Homma,
scho zwanzg Joah oid - und imma noo a Jomma
fia olle, di schreim woin in koarrakda Oathografii,
owa seit da Refoam aafoch nimma wissn, wii.
Zomm oda drennt gschriim, groß oda glaa?
Di Voagom san zum Deu recht schwaa
z ́vaschdeh, donn east zum Daleana!
Gnifflig - ned nua fia „echde Weana“!
Bsundas on deara Refoam ned grod schlau:
Vi vüün Ausnohman fuxn und stengan genau
im Gegnsotz zu ana Refoam mit Sinn.
Ob do driiwa nua ii so rotlos bin?
Dafia gibt’s an Bonus, an intressantn:
fia monche Weata zwaa Schreibwariantn,
ned unbedingt logisch, owa sei ́s drum,
do frogt ma liaba ned long, warum.
Weu s ́is jo aanaseits recht brakdisch,
nua leida muass ma si widarum fakdisch
dameakn, wöchane des glei san;
und dafia föht an zumeist da Blan.
Kaa Wunda, doss midunta söbst Geamanisdn
di frogwiadign Regln gean ibalisdn
und si ned goarazvüü um si scheean,
jo sogoa schdondhoft dagen weahn.
Di neichn „ss“ und „ß“ duan wenigst ned weh,
mochn immahin kaa Broblem, na guad, okee.
Nua: Di s-Schreibung, samma si eahlich,
zu refoamiian, woa do schlicht entbeahlich.
Da Eindruck entsteht, ma woit meglichst kompliziian,
uns beim Schreim exdra aufs Glotteis fiahn,
aus Bosheit, Unvamegn oda Narretei, -
fiad Refoamgegnaschoft bleibt des aanalei.
Ealeichdan soit des Rechtschreim do a Refoam,
so owa samma east recht wiida oam,
weu meah denn je voa Föhla ned gfeid.
Woih neamd hot mit so sötsome Noaman a Freid.
Ma blogt si ned sötn damit umadum, is eh gloa,
und mocht doo meah Schreibföhla ois je zuvoa.
Des Gonze beschead voa oim etliche Leit
nix ois a Menge Schreib-Unsichaheit.
Vüün kommt di Refoam misslungan voa,
ned wiaklich blausibl und hext unbrauchboa.
Ned hüüfreich, sundan a aanzge Pflanzarei.
Denan Uaheban muass echt faad gwesn sei!
Susanne Rödl, A 1160 Wien
Falsches Wort
Der gute alte Duden liegt träge auf meinem Schreibtisch, als habe er wieder einmal zu viele Buchstaben gefressen. All die neuen falschplatzierten, unkonventionellen, allein meiner Logik entsprechenden Aneinanderreihungen – all die Fehler! Müde haben sie ihn gemacht, über die Jahre hinweg, die zu vielen Worte, die er gefunden und aufgenommen, unschädlich gemacht hat; dass er angeschwollen und von Ausgabe zu Ausgabe schwerfälliger geworden ist. So dass ich nun, wenn die Dämmerung hereinbricht, und der Blick des Duden sich bereits etwas trübt, immer öfter wage aufzustehen, vom Schreibtisch wegzuschleichen, ins andere Eck des Zimmers, auf mein Bett, wo ich heimlich und leise Gedichte schreibe mit lauter falschen Wörtern, die der Duden nicht kennt. Und hoff, dass er, wie es ihm in letzter Zeit öfters passiert ist, das leise Kritzeln nicht hört, und hoff, die Wörter auf dem dünnen Papier halten noch eine Weile still und beginnen nicht gleich wieder vor Aufregung über ihre Neuheit laut zu rascheln. Auf dass es eines Tages genug sein werden, sich zu erheben, um ausgesprochen zu werden, einen Sinn oder eben gerade keinen zu ergeben, und der Duden für einmal sich nur noch schleppend nach ihnen stürzen kann. Es wird immer noch genug geben, die es nicht schaffen, die keine Kraft, keinen Ort finden zu bleiben, die der greise Duden sich krallt. Aber wenn es nur ein Wort schafft, ein falsches Wort, auf der Straße zu überleben, das würde mir schon reichen.
Werner Rohner, CH 8003 Zürich
Recht Schreiben
Der größte Fehler - hier zeigte er sich wieder - echte Reformen sind Experten oft zuwider: “wozu hätten wir studiert, soll möglichst so bleiben wie es ist” denkt man da beim Germanist “warum keine echte Reform für unser Land”, - denkt sich da ein Praktikant - !
Wir wollen klein und phonetisch schreiben!
Text-Bild wird sich ändern, Inhalt wird bleiben!
Alphabet j, q, v, x, y, z sind phonetisch ergänzbar, brächten wir
nicht wirklich (Baiern, kwalle, fater, ksaver, ceppelin, erinnert sei an “Falentin”)
Umlaute nur ae, oe, ue
Konsonanten keine Verdreifachung, wenn nicht hörbar (Schiffahrt)
scharfes ß ganz streichen
Dehnung nicht mit e u. h (die u. sehr) sondern mit
Vokalverdopplung (dii u. seer)
Großschreibung alle Wörter klein außer Namen und Ich (wie
Engländer)
Fremdwörter möglichst nicht eindeutschen!
Wir sollten sie meiden u. den Akademikern
vorbehalten, um einfache Vorgänge für sie interessanter zu gestalten!
Ausnahme Computer Englisch
Interpunktion keine starre Regelung!
Überlassen wir es denen die schreiben Ihre Zeichen zu
setzen, damit sie uns mit deren Retorik und Textauffassung in Erinnerung bleiben.
Grundüberlegung in einer ceit, wo das gesprochene wort fuer dii
computer durch spracheingabe immer wichtiger wird, sollte das geschriibene wort klangecht wiidergeben und von den alten Duden-fesseln der “unechtschreibung” befreit werden.
wer deutsch-schreiben lernt, taete sich erheblich leichter.
Joseph Rosenberger, D 80337 Muenchen
Spiegelungen: Durchblick-bezirhungsweise-Einblick
Komisch fühlen sie sich an die ermüdeten Knöcheln, während sie sich hinters Lenkrad pressen; ich finde auch kaum das Gaspedal. Und schaffe es bis zum Supemarkt.
Da fasziniert mich keine Geschichte.
Du hast mir viel besser gefallen - aber Schönheit ist vergänglich.
Eine Weile könnte ich Kurs halten - vie Wände verschaffen doch ein Ziel; mit Heizofen und Abendbrottisch.
Könntest Du etwas leiser sprechen, beim mir den Kuchen rüber reichen?
Denn mit geschlossenen Augen, gerade wo anders seiend, lasse ich meien Finger am Rand des Weinglases kreisen.
Und rechtschreiben: Oh ja, ich liebe Dich. Wenn auch lethargisch-jetzt ... finde ich am Tisch eine Rosine, die mein ganzes Mitgefühl erntet.
Intimität: Immerwährende Geburtsstunde des Täglichen - und über Freundschaft sprechen.
Es kreischt jemand. Sogar der Hausmeister da, von dem ich den Quatsch, in der Gerageneinfahrt, anhören muss, wo er gerade seinen Kartoffelbrei, über sein Zigarrenmundstück, reingestöpselt hat.
Er riecht nach Verdautem und Restalkohol, wie rundum fast alles - überall: Ein Umfrageproblem.
Die selbstverständliche Zukunft stimmt mich für kurze Zeitreidlich. Es ist besser, ich gebe meine Ernsthaftigkeit in dieser Sache auf.
Wieviel belüge ich mich selbst?
Gravitationswellen also.
Astronomisch, wie unsere Zustimmung, wie alle unsere Entscheidungen, gemessen zwischen Individualität und den vielen Konnotationen, die eine echte, modellhafte, repräsentative Demokratie
ergeben.
Wandelbarkeit einer Illusion.
Im Alltag witerhin dumpfe Unzufriedenheit.
Klageton im Wurzelholz, gekachelte Vokabeln, als würde mich alles langweilen und reizen.
Wellen über Wellen das leben als Ganzes betrachten.
Ab wann ist es zu spät?
Ivo Rossi Sief, A 6074 Rinn-Tirol
Klagesong auf den Diphthong
1977, Südfrankreich,
ich bin zehn und beginne, im Gymnasium Deutsch zu lernen,
als Fremdsprache.
Mein Vater ist Deutschlehrer,
ich sitze in seiner Klasse
– das Buch heißt „Deutsch ist Klasse“–,
er schreibt mit der Kreide an die Tafel:
Guten Tag
Guten Abend
Vati sucht seine Pfeife
und erörtert des langen und breiten
die Groß- und Kleinschreibung,
die Zeichensetzung,
zwischen Laut und Buchstabe die Beziehung,
die Schreibweise,
die Grammatik und die vielen Ausnahmen.
„Wie soll ich wissen, wie man es schreibt,
wenn ich nicht weiß, wie man es spricht?“
„Nach einem Zwielaut scharfes ‚s’, t’as compris?“
Später kam – untrennbar – zer/be/er/ge/miß/emp/ent/ver
und der doppelte Infinitiv des Verbs.
Das ist die Kunst zu schreiben.
Später lerne ich „Die Lorelei“,
„Der Nachtschelm und das Siebenschwein“
auswendig,
es war recht aufwendig,
aber am Ende konnte ich
Deutsch,
zumindest dachte ich
die letzten zwanzig Jahre:
ich muß, du mußt, er muß,
in Massen und in Maßen,
die Gasse und die Straße,
die Küsse und die Grüße,
die Beeren und die Bären.
Ja, ich dachte, ich sei
auf dem laufenden
Zeit meines Lebens.
Aber seit dem Inkrafttreten neuer Rechtschreibregeln
glaube ich, ich kann’s nicht mehr.
Um Goethes willen,
ich stehe kopf
und brauche ein Update.
Wie soll ich jetzt schreiben:
Schweizer Käse, Wiener Küche,
Schweizerhaus, Tiroler Knödel?
Sie sagen, das Phonologische sei jetzt endlich logisch.
Ich finde das Morphematische recht problematisch.
In Deutschland hat man Spass, in Österreich mehr Spaß.
Kommt das auf das Gleiche?
Ich fühle mich entkräftet wie das „ph“ in fotografisch,
stimmlos und perplex wie ein „eß“ nach einem Diphthong,
da hilft mir nicht mal mein Tai-Chi Qigong.
Ich bin nicht mehr im Stande,
ja außerstande,
aufs Äußerste verwirrt.
Ich versteh’ nicht im Geringsten,
es ist ein Albtraum,
ein Gräuel,
und übersteigt meine Fantasie.
Wer kann mir denn helfen aus meinem Nicht-mehr-fertig-Werden?
ch zerfalle in Wörter, die auseinander geschrieben werden,
nicht mehr zusammengehören.
Muss ich alles aufs Neue lernen?
Blieb denn nichts mehr beim Alten?
Ich muss achtgeben, größte Acht geben,
und ich bin mir im Klaren,
ich muss mein Wissen mit drei „t“ langsam ins Reine bringen:
im Schritttempo die neuen Regeln über die Hippocampi zurück zu meinem
Cortex schicken,
meine Großhirnrinde zum Hotspot der Orthographie entwickeln.
Aber genau genommen bin ich guten Willens
und angesichts der Situation
ist es von meinem Wissen noch nicht die Endstation,
und ich bin wie diese Reform
voll und ganz für Integration,
Integration,
Integration…
Nathalie Rouanet, A 3400 Klosterneuburg
Was geschah im Jahre 1996?
Es waren einmal ein paar Schreibweisen
Die ärgerten sich über die vielen Schreibweisen
Viele Monate haben sie zusammen gesessen
Als Erstes änderten sie das mit den S-en
Das das schreibt man mit einem, mit zweien das dass
Aus As wurd Ass, doch was ist mit was?
Kann das Eszett jetzt entfallen? Mitnichten!
Auf das bucklige S wollte keiner verzichten
Bei langem Vokal wie Füße und gießen
Aber Riesen gehen immer noch über die Wiesen.
Aus Phon wurde Fon und wir schreiben auch brav
Statt Photograph jetzt Fototgraf
Doch würde es die Philologen entsetzen,
täte man den Dr. Phil. durch Dr. Fil ersetzen.
Schreibt man zusammen, getrennt oder mit Bindestrich,
Ein Komma, Semikolon, Punkt?, fragt man sich.
Wer weise ist, macht es wie die Weisen auch
Entscheidet nach Gefühl und aus dem Bauch.
Brigitte Rübsam, D 36096 Künzell
Regeln, "neu zusammengefaßt"
"... die Reform kann nicht anders vor sich gehen, als daß die Regeln neu zusammengefaßt werden. Anders geht es nicht." Dies sagte der damalige Vorsitzende der Zwischenstaatlichen Kommission, Karl Blüml, im Oktober 2004 im NDR.
Bemerkenswert ist daran zunächst das von den Reformern immer wieder an den Tag gelegte orwellsche "Doppeldenk", auch bekannt als kognitive Dissonanz, denn das Verfassen neuer Regeln ist nun einmal etwas ganz anderes als das Zusammenfassen bestehender Regeln.
Schauen wir uns an einem konkreten Beispiel, dem Bindestrich, aber einmal an, wie die 'neu zusammengefaßten' Regeln aussehen, denn hier ging die 'neue Zusammenfassung' besonders rabiat vor sich. Gestrichen wurde im Zuge der Reform die vorreformatorische Dudenrichtlinie 212: eine Vereinfachungsregel, nach der Ableitungen und Zusammensetzungen mit Zahlen immer ohne Bindestrich zusammengeschrieben werden, ganz egal, ob die Zahl ausgeschrieben oder eine Ziffer verwendet wird. Die Anwendung von R 212 (u. R 37) erzeugt folgende unproblematische Schreibungen, die alle ohne Bindestrich auskommen:
- hundertprozentig
- ein Hundertprozentiger
- 100%ig
- ein 100%iger
- 100prozentig
- ein 100prozentiger
Seit dem Wegfall von R 212 müssen Schreibende nunmehr strikt zwischen Ableitungen und Zusammensetzungen unterscheiden (§§ 40(3) u. 41 E entsprechend R 38 im unreformierten Duden) -- eine Aufgabe, die selbst für Linguisten nicht immer leicht zu bewältigen ist. Unter den Bedingungen der Neuregelung wird die Schreibung der o.g. Fälle daher zu einer Denksportaufgabe, deren Lösung wie folgt aussieht:
- hundertprozentig
- ein Hundertprozentiger
- 100%ig
- ein 100%iger
- 100-prozentig
- ein 100-Prozentiger
Offenbar unzufrieden mit der 'Vereinfachung' durch Zusammenfasserei, haben Blüml & Co. 2004 im Widerspruch zum Regeltext noch eine Sonderregel für Ableitungen auf "fach" auf dem Umweg über das Wörterverzeichnis eingeführt. Das Ergebnis:
Unreformiert/Neuregelung 1996:
- 8fach
- das 8fache
Neuregelung seit 2004:
- 8fach, auch 8-fach
- das 8fache, auch 8-Fache
Wie man das Schülern und 'Wenigschreibern' beibringen soll, kann Herr Blüml wohl bis heute nicht erklären. Aber er ist ja im Ruhestand und kann für das "neu Zusammengefaßte" nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden.
Christoph Schäfer, D 35614 Aßlar
Der unverlierbare Schatz
Zwei Lehrer auf dem Weg zur Schule
Erster Lehrer
Gestern hab ich bei der Klassenarbeit mal ausnahmsweise nur ein Thema gegeben: Die Qual der Wahl.
Zweiter Lehrer
Originell.
Erster Lehrer
Hab ich mir auch gedacht. Aber leider, leider, kaum einmal Originelles von den Schülern.
Wenn überhaupt, dann in der Rechtschreibung. Einer schreibt mir „Freiheit“ mit V.
Zweiter Lehrer
Das ergibt ja irgendwie noch einen Sinn. Ich hatte dieser Tage eine, die schrieb „Zwang“ mit zwei n. - Und das 200 Jahre nach der Einführung der allgemeinen Schulpflicht.
Erster Lehrer
Schulpflicht. Das besagt doch rein gar nichts.
Vor der Einführung der allgemeinen Schulpflicht: Hexenwahn.
Nach der Einführung der allgemeinen Schulpflicht: Rassenwahn.
Zweiter Lehrer
Ja, hat alles nichts genützt.
Die einzige Reform, die überhaupt etwas gebracht hat, war die Rechtschreibreform von 1996.
Erster Lehrer
Wieso denn jetzt das?
Zweiter Lehrer
Wenn du morgen kommst, zeig ich dir mal was: einen Ordner, prall gefüllt mit wunderbaren Texten.
Du glaubst gar nicht, was im Lauf von über 20 Jahren alles an Intelligentem, höchst Sachkundigem - gespickt mit den überzeugendsten Beispielen – gegen die Reform ins Feld geführt worden ist; wirklich ein unverlierbarer Schatz. Ich laß das mal binden und geb dirs dann fürs Schularchiv.
Erster Lehrer
Dann wollen wir mal hoffen, daß irgendwann wieder eine Generation heranwächst, die liest statt zu glotzen.
Werner Schäfer, D 55765 Birkenfeld
Neue Rechtschreibung - Jetzt wird alles einfacher
Ich hatte noch mit der letzten Rechtschreibreform zu kämpfen, schon gab‘s eine Neue. Die Alte hatte ich zwar nicht miterlebt, aber meine Oma. Sie schrieb in alter deutscher Schrift, nach alter deutscher Rechtschreibung und was ich las, das übernahm ich. So schreibe ich noch heute „Photo“ statt „Foto“, wenn ich nicht darüber nachdenke.
Ein Hobby, welches meine Rechtschreibfähigkeiten noch mehr herausforderte, ist die Ahnenforschung. Es klappt inzwischen recht gut alte Schrift zu lesen und zu verstehen. Ich spreche dazu aus, was ich lese. So war ein heutiges i oft ein y z.B. bei, wurde früher bey geschrieben. Andere Worte haben früher den tatsächlichen Sinn viel besser wieder gegeben. So wurde ein Kind gebohren. Ja, tatsächlich mit „h“. Als vierfache Mutter finde ich, das trifft es. Geboren klingt für diesen Vorgang viel zu harmlos. Ich denke da eher an Schlagbohrmachinen.
Deutsch lesen kann ich inzwischen über vier Jahrhunderte hinweg, doch beim Schreiben muss ich viel länger überlegen. Auch es einfach hinzuschreiben und zu sehen, ob es richtig aussieht, funktioniert irgendwie nicht mehr. Neulich war ich mir sogar ganz sicher, dass ich etwas falsch geschrieben hatte, jedoch wollte mir nicht einfallen, wie es richtig wäre. Ich konnte den ganzen Nachmittag nicht nachschauen, was mich fast zu Verzweiflung trieb, nur um abends festzustellen, dass ich es zuerst richtig geschrieben hatte.
Auch die Kommaregeln waren früher einfach und klar formuliert. Heutzutage habe ich den Eindruck, dass jeder Kommata setzen kann, wie er lustig ist. Einen überzeugten Pedanten, wie mich, irritiert so etwas einfach. Ebenso frage ich mich ernsthaft, was es am „ß“ auszusetzen gab. Ich glaube, jemand hat einen persönlichen Rachfeldzug gegen diesen schönen Buchstaben geführt, so wild wie er eingekürzt wurde. Manchmal schreibe ich aus bloßem Trotz und Mitgefühl „dass“ mit „ß“, obwohl ich es besser weiß.
Selbst die Hoffnung, dass meine Kinder es leichter beim Erlernen haben werden, hat die neue Rechtschreibung nicht erfüllt und ich kann ihnen nicht einmal helfen. Immerzu muss ich den Duden herauskramen und nachschauen, was aus der guten alten Physik oder dem treuen Portemonnaie gemacht wurde, ganz zu Schweigen von kompletten Berufsständen, die verhunzt worden sind. Der französische Charme geht einem Wort wie Frisör nämlich komplett ab.
Für meine kleinen Leser übe ich sie, aber ich mag sie nicht,
weil sie nichts einfacher macht, außer meine Verunsicherung zu verstärke
Diana Schlößin (*1980), D 16225 Eberswalde
Sprache entwickelt sich – wenn man sie lässt
Mit Sprache kann man spielen, Bilder vor dem geistigen Auge malen, positive oder negative Gefühle hervorrufen. Wie viel mit Sprache möglich, wie viel erlaubt ist, zeigt die Lyrik, allen voran Ernst Jandl.
„Deutsche Sprache, schwere Sprache“ war und ist ein geflügeltes Wort. Wollte man mit der Rechtschreibreform die deutsche Sprache leichter machen? Ich glaube, das war vor 20 Jahren eines der Hauptargumente. Irgendwo auf dem Weg der Umsetzung scheint dieses Bestreben aber verlorengegangen zu sein.
Man wollte einen „großen Wurf“, eine umfassende Reform der deutschen Sprache. Vergessen wurde dabei auf diejenigen, die das umsetzen sollten. Eine Fülle von neuen Regeln wurde vorgestellt, die nun von allen Deutsch Sprechenden erfüllt werden sollten - alle auf einmal. Viele waren überfordert oder erkannten schlicht keinen Sinn in dieser Aktion. Sogar Qualitätsmedien hielten lange an der „alten“ Rechtschreibung fest.
Ich denke, manchmal ist es besser, ein Ziel in kleinen Schritten zu erreichen, statt in einem großen Satz. Eine Reform des scharfen ß allein beispielsweise wäre leicht erklärbar und mit einigen wenigen Regeln auch leicht umsetzbar gewesen - und durchaus sinnvoll.
Einige andere „Korrekturen“ der deutschen Sprache aus der Reform erschließen sich vielen Menschen hingegen bis heute nicht. Warum müssen viele Begriffe, vor allem solche, die aus anderen Sprachen kommen, so „vereinfacht“ werden, dass sie quasi zur Lautschrift verkommen?
Die Folge dieses vermeintlich großen Wurfes war insgesamt ein Schlag ins Wasser, nach dem man „zurückrudern“ musste. Die Folge: Der Duden führt zahlreiche Beispiele an, in denen es zwei oder sogar noch mehr zulässige Schreibweisen gibt.
Sprache entwickelt sich - wenn man sie lässt. Änderungen der deutschen Rechtschreibung müssen nicht unbedingt immer „von oben verordnet“ werden. Sinnvolle Vereinfachungen können sich im Lauf der Zeit durchsetzen, Sinnloses verschwindet auch wieder.
Verballhornungen wie „Ketschup“ oder „Konsommee“ verletzen mein Sprachempfinden mehr als moderne Verkürzungen wie „Gehst du Kino?“, die - wenn auch nicht schön - so doch wenigstens aus dem praktischen Sprachgebrauch entstanden sind.
Sonja Schmid, A-2435 Ebergassing
Klarere Rechtschreibregeln!
Besser als die Schreibreform wäre oft die ält're Norm. Um's den orthographisch Schwachen und den Kindern leicht zu machen, finde ich mit Sprachgespür bess're Regeln auch dafür. Denn wenn vage Regeln sie verwirren, werden sie sich öfters irren. Klare Regeln helfen gut, wo's das Sprachgefühl nicht tut! Sich an feste Regeln halten fügt zusammen, statt zu spalten. Und die Gegner der Reform freute es doch ganz enorm, würde Schreibung umgestaltet, so dass da mehr Logik waltet.
Mein Sprachgefühl wird sehr verletzt, wenn man nach Komparativ vor „als ...“ ein Komma setzt. Gut ist, „dass“ mit Doppel- s zu schreiben, statt beim scharfem ß zu bleiben. Ebenso nach Kurzvokal bleibt zum s-s keine Wahl: (Fluss - Fuß). Doch die Schreibung - groß und klein - sollte reflektierter sein! Beispielsweis' bei „recht“, „not“ und „leid“ wäre es doch recht gescheit, sie in dem Fall groß zu schreiben, wo sie bei der Urbedeutung bleiben:
(Er leidet Not, Hilfe tut not (=nötig). Die Reformgegner haben mit ihrer Kritik zwar recht, aber dennoch kein Recht, den Reformern ein Leid anzutun; sonst täten sie mir leid. Es wäre mir ganz recht, zur altbewährten Schreibweise zurückzukehren).
Wird vom feststehenden Begriff der erste Wortteil betont, wird durch Zusammenschreibung das belohnt - erst recht, wenn einem Teil allein nicht viel Sinn innewohnt.
Liegt auf dem zweiten aber der Akzent, dann schreibe besser man getrennt! (Damit Kinder zusammen spielen, müssen viele Faktoren zusammenspielen! Er steht zwar nie recht zeitig auf, kommt aber meist rechtzeitig ins Büro.
Sie haben so viel Material zusammengetragen, dass sie den Sack zusammen tragen müssen. Rechtgläubige (=Orthodoxe) sind nicht immer recht (=sehr) gläubig, fühlen sich aber oft im Recht und sind rechthaberisch. Der Kranke kann noch schlecht gehen, weil es ihm nach der OP schlechtgeht. Dem schwerbeschädigten Soldaten dürfte es schwerfallen, den schwer beladenen LKW zu fahren. Er hat wohl gemerkt, wie wohltuend ein wohlverdientes Bad nach einer - wohlgemerkt langen - Bergtour ist. Wem das Geld lockersitzt, der soll auch hochherzig spenden!
Ein frischgebackener Ehemann, eine alleinstehende Frau, eine alleinerziehende Mutter, hochwassergeschädigte Bürger, gerngesehene Gäste, auseinandergehende Ansichten, ineinandergehende Räume, schnellstmöglich, etwas bekanntmachen, etwas gutheißen oder schlechtreden, selbstgenutzter Wohnraum, holzfreies Papier, ein rechtmäßiger Anspruch, aber eine recht mäßige Beteiligung)
Hiltrud Schmid-Egger, D 82467 Garmisch-Partenkirchen
Carusos Rache
Seit frühester Kindheit hatte Max wissen wollen, wie der Hase läuft. Seine dunklen Locken machten ihm Ältere zueigen; Gleichaltrige verachtete er. Dämmerlicht, dachte er, Dämmerlicht, mein Dämmer-Ich, ganz fürchterlich, sang er in schrillem Knabenfalsett vor
versammelter Hausgemeinschaft. Tante, Mutter und die Großeltern nickten zustimmend und dachten an vergangene Liebschaften, mit Lust und Leidenschaft und für Max blieb nur ein Nicken übrig. Das und die dunklen Locken reichten Max, um sich für eine Karriere als
Opernsänger zu entscheiden. Jubel, dachte er, Jubel und die ganze Welt für mich. Im schwer verhängten Foyer des Heimathauses litten Generationen von Vorgängerporträts an der Verschwendungssucht des angehenden Jahrhunderts.
Als Caruso 1903 an der Met im „Rigoletto“ debütierte saß Max so nahe er konnte. Leidenschaft, dachte er, welche Leidenschaft, und nichts mehr wollte er, als ins Duett mit ihm auf der Bühne und darüber hinaus. Die ersten Jahre blieb es bei Vorsingen. Mutter, Großeltern und Tante schickten Briefe nach New York und Pakete mit Kuchen, die auf der Reise Schimmel angesetzt hatten.
Dann schrieb Caruso einen Wettbewerb aus, um vor ihm, vielleicht später mit ihm zu singen.
Es gab Teilnahmebedingungen, das Antragsformular war per Post zu schicken, die Anmeldegebühr von sieben Dollar fünfzig beizulegen. Im Fieber füllte Max das Formular aus, als der Fehler kam. War er zu schnell gewesen, war das Papier verrutscht und hatte die Betreffzeile ungünstig verhüllt? Lag es an den von Großeltern, Tante, Mutter mühsam zusammengekratzten pennies und quarters, die das Päckchen so fatal beschwerten? Wir wissen heute nur, aus Carusos Memoiren 1905/1906, dass „mich [Caruso] ein Paket mit Sichtfenster
erreichte. Es dämmerte als ich es wog und, über meinem Namen & Adresse las, Antrags. Ich sprang auf. ‚Vergiftet`, rief ich aus, ‚vergiftet von einem Neider?!` Doch der Anschlag war erkannt, somit vereitelt. Auge um Auge [...]“ Carusos Kokainsucht dürfte ihm den Zugang zu
Quellen, die ihm diskret alles Nötige besorgten, erleichtert haben.
Maxens schmerzhafter Tod, nachdem er das rückadressierte, wieder etwas zu schwere Päckchen, Zusagen sind immer schwerer als Absagen, dachte er, hastig geöffnet hatte und das Anthrax ihm die Lunge wegpuderte, führte zu einem tristen Begräbnis, bei dem Mutter, Tante und Großmutter, nun allein, im Chor zu einer gemieteten Schallplatte dem jaulenden Caruso zunickten, denn für mehr
war kein Geld mehr da. Bald kam der Krieg.
Andreas Schmiedecker, D 10553 Berlin
Schreib recht Recht!
Erwägen ist immer gut. Erwägen und bedenken.
Man soll nämlich bei allen Dingen, so weit es geht und sie überhaupt über zwei Seiten verfügen, auch die andere hören; nicht nur die eine. (Audiatur et altera pars, wie angeblich die Gebildeteren unter den Alten [zumal: Seneca?] gesagt haben.)
Auf diese Weise hat nun einmal kaum ein Schlechtes nicht auch ein Gutes an sich.
Von einem bei der Matura (oder beim Abitur) an den Tücken des Faches Deutsch Gescheiterten – weil er im Allgemeinen geschrieben hatte, als noch die Form im allgemeinen galt -, von einem solchen Unglücklichen also weiß man, dass er bald darauf als Hersteller von Autozubehör oder mit Energie versetzten Fruchtsäften oder Ähnlichem mehr (im internationalen Stil, versteht sich!) seine erste Dollar-Million eingefahren hat.
Nur Alexander der Große ging inzwischen beinahe seines schmückenden Beiworts verlustig, weil er – angbelich (dicitur) plötzlich nicht mehr wusste, was es mit dem Gordischen Knoten auf sich habe. Er, Alexander, fristet seither, als nunmehr Un-Großer, sein tristes Dasein: als eine prominente Randerscheinung.
So verliert mancher Werth im Lauf(e) der Zeit nicht nur ein h …
Wie alles von Bedeutung, sind allerdings auch die Sprache und das auf-geschriebene Wort in permanentem Fluss (panta rhei, laut Heraklit). Ob mit ss, sz, ß oder sonst wie. Wichtig ist lediglich, dass man nicht überflüssig werde.
Den vom Aussterben bedrohten Genitiv kann daher letztlich nur sein häufiges Gebraucht-Werden vor eben diesem Schicksal bewahren.
Erst, wenn er einmal vorwiegend der Vergessenheit anheim gefallen sein wird, müssen wohl oder übel (nolens volens) auch seine treuesten Anhänger seiner entraten.
Doch Rettung (vor allem von unerwarteter Seite her) winkt: Ausgestattet mit ein wenig verzeihender Aufgeschlossenheit exotischem Wortklang gegenüber (statt mit allzu engherziger [womöglich gar noch patriotisch-nationalistischer] Sprachverliebtheit, die, wir müssen es zugeben, doch auch bisher schon ebenfalls manch unfreiwillig komische Blüten hervorgebracht hat), werden wir zuletzt auch dem kehlig artikulierten Asylanten-Sprech einiges an Charme zugestehen müssen, geht es um die akkurat formulierte Aufforderung, gemeinsam eine – übrigens: immer noch outdoor gelegene - Grünanlage aufzusuchen, wenn es da also kurz und bündig heißt: Gemma Park, Oida!
Prof. Bernd Schmidt, A 8010 Graz
Delfine in pH-neutralen Gewässern
Irgendwas stimmt nicht. Ich wippe unruhig auf meinen Fußballen herum und versuche herauszufinden, warum mich plötzlich so ein komisches Gefühl der Unstimmigkeit durchströmt. Ich überfliege erneut den Namen auf der Duschgel-Flasche, die ich gerade inmitten des Überangebotes aus dem Regal genommen habe. Wie mit einer neongelben LED-Warnblinkweste bekleidet, leuchtet im ersten Wortdrittel etwas auf. Nein, es leuchtet nicht, es springt mich, einen knallbunten Wasserball auf der Schnauze balancierend, geradezu an. Ein Wort: Delphin. MIT PH.
Aber darf man das?, schießt es mir durch den Kopf, während ich feststelle, dass „Delfin-Sinfonie“, äh „Delphin-Sinfonie“, gar nicht mal so schlecht riecht. Ich drehe die Flasche in meiner Hand, bis ich im Kleingedruckten des Etikettes etwas von „pH“ und „neutral“ lesen kann. Ach so, denke ich erleichtert, als ich zur Kasse schlendere, neutrales ph, na dann ist ja alles gut...
Delfine oder Delphine, oder Delfine und Delphine. Sie alle schwimmen, mal mit scheinbar mehr, mal mit weniger allgemeiner Daseinsberechtigung, von Zeit zu Zeit im Meer der deutschen Sprache. Bei einem zu niedrigen pH-Wert werden die Meere sauer. Die Rechtschreibung anscheinend neuerdings auch. Oder auch nicht, je nachdem, was gerade wieder erlaubt ist oder nicht und wer weiß, dass es erlaubt ist oder eben nicht.
Und die ganze Diskussion ist ja auch in Ordnung, solange wir etwas wie der Delph/fin-Frage, und somit etwas, das sich nur durch „das schreibt man so“ oder eben „das schreibt man nicht so“ seinen Platz im täglichen Aufmerksamkeitsranking der Bevölkerung sichert, mehr Beachtung schenken, als den Delfphinen als solchen. Denn die sind dem pH-Wert an sich letztlich so neutral gegenüber, wie eine Duschgel-Flasche voll Delphin-Sinfonie.
Man muss Prioritäten setzen, klar. Und die deutsche Sprache als sich zwar ständig selbst reformierendes, aber dann auch trotzdem immer wieder unantastbares Regelwerk genießt unbestritten Priorität. Doch neben den Delfinen und Delphinen an sich schwimmt in unseren Meeren mit dem regional sehr variablen pH-Wert eben noch unbestreitbar eine ganze Menge Plastikmüll, der auch Aufmerksamkeit haben will.
Deshalb sollten wir bei allem Stolz auf unsere „schöne deutsche Sprache“ auch hier toleranter werden. Unsere Aufmerksamkeit für sie mit anderen Dingen teilen, Variationen zulassen, die es sowieso schon gibt und alle Delfphine akzeptieren, mit und mit ohne pH. Solange wir es den pH-Wert zulassen lassen.
Leonie Schneider (*1994), D 26131 Oldenburg
Spielplatz der Buchstaben
Madame Eszett, eine in die Jahre gekommene, korpulente Dame,
lässt sich schwerfällig auf einer Parkbank nieder. Milde lächelnd
betrachtet sie das Treiben einiger kleiner as, is und os, die sich im
Sandkasten des Spielplatzes um ein kleines e streiten.
Auch zwei junge Frauen steuern die Bank an. Die Zwillinge Doppeless,
die ein kleines u an den Händen halten, bemerkt sie erst, als sie direkt
vor ihr stehen. Sobald das kleine u den Sandkasten erblickt, reißt es sich
los und stürzt sich ebenfalls auf das kleine e, das unter dem Ansturm
im Sand zu versinken droht. Ohne den Kleinen oder Madame Eszett
weitere Beachtung zu schenken, setzten sich die Zwillinge auf die Bank
und reden gleich munter darauf los. Madame Eszett lauscht. Es klingt
wie deutsch, dennoch versteht sie nichts von dem, was die jungen
Frauen sagen. Derweil hustet und spuckt das kleine e, da es Sand in
Mund und Nase bekommen hat. Madame Eszett räuspert sich und
deutet auf den Sandkasten.
Die Zwillinge antworten gemeinsam, bemüht, hochdeutsch zu klingen:
"Alle wollen es haben, weil es modern und international ist. So wie wir
in der Schweiz. Mit diesen Strichen haben die Kleinen Probleme im
Internet. Sie müssen das doch wissen!"
"Die Jugend will immer alles ändern.", seufzt Madame Eszett. "Da ist
man plötzlich nicht mehr zeitgemäß und wird weg rationalisiert."
Die Zwillinge springen auf.
"Da kommt ja unsere Freundin Ess."
"Lasst uns zu dem Imbissstand dort gehen.", begrüßt Ess sie.
Das kleine u läuft ihr in die ausgebreiteten Arme.
"Nimm e mit, vielleicht gibt's dort ja etwas Suesses.", ruft Ess.
"Immer noch: Süßes!", korrigiert Madame Eszett pikiert.
Ulrike Schoelzel, D 64832 Babenhausen
Opfer
Der Kammolch fühlte sich beschissen,
hat seine gesamten Papiere zerissen,
das Messingtürschild weggeschmissen
und in seine Ehrenurkunde gebissen.
Dann beschloss er, sich vor einen Hecht zu legen
(der seelische Druck war zu enorm).
Als Kammmolch wollte er nicht länger leben.
Ein weiteres Opfer der Rechtschreibreform…
Heike Schrapper, D 58675 Hemer
Zurück auf Start ==> 1996
Moderne Politik will die Menschen - auch Schülerinnen und Schüler - dort "aufsuchen”, wo sie sind - und dann "auf Augenhöhe” ernst- und "mitnehmen”. Hätte sie das bei der sogenannten Rechtschreibreform, die mit so vielen Reserven verfolgt wird, doch bessser gelassen. Nun muß man fragen, was sie gekostet und was sie gebracht hat - auf Euro und Cent. Der Verband der Schulbuchverlage hatte 1993 darauf hingewiesen, daß ein vollständiger Austausch der Lehrwerke (rund 30.000 Titel) einen finanziellen Mehrbedarf von ca. 5 bis 10 Milliarden DM erfordern würde. Dazu kamen noch die Bücher für die Lehreraus- und fortbildung. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hatte gemeint: "Ganz sicher unterschätzen die Befürworter einer Reform die wirtschaftlichen Folgen: "Sämtliche Druckerzeugnisse in der Verwaltung wie Formulare, Textbausteine etc. mußten hier umgeschrieben und die zahlreichen Bediensteten in Behörden, Ämtern umgeschult werden. Beim Verlag- und Druckgewerbe ist vor allem die Textsoftware umzuschreiben gewesen. Soweit handelt es sich um zusätzliche Kosten, die die Budgets der Kommunen, Behörden und Firmen belasteten, die sich aber positiv auf das Buttoinlandsprodukt (BIP) auswirken - eine Konjunkturspritze für Bertelsmann & Co..
Da ist einiges bei der Rechtschreib-Reform schief gelaufen. Alle die mit Schulkinder zu tun haben - Eltern, Großeltern und vor allem Lehrer - sind immer noch selbst verunsichert. Die Schreibhand, die bislang 90 Prozent der Fälle beherrschte, versagt. Beim Tippen und bei den suggestiven Wortvorschlägen gerät das Rechtschreibempfinden weitgehend außer Kraft. Und der Duden - galt der noch? Und das Internet - ist das überhaupt verantwortlich? Ein stützendes Umfeld fehlt allen, die Schreiben lernen wollen und sollen. Die Schreibhilfen der Textprogramme sind eigensinnig, Trennhilfen schaltet man am besten ab. (Wie oft sieht man Trennungen, die - richtig oder falsch - mit dem Trennstrich in die Zeilenmitte rutschen.) Ältere, die sich in die Ironie flüchten, sind natürlich Gift für die Kleinen auf der Grundschulbank. Die Reform lieferte kein "praxi-staugliches” Regelwerk. Nun muß die Politik ganz stark sein und loslassen.
Gerhard Schroeder, D 24943 Flensburg
Untergang eines Buchstabens
Plädoyer für eine verständniswahrende Einheitsschreibung
Der Untergang eines einzigen Buchstabens erzeugt das Vereffen: nämlich das Unkenntlichmachen von Wörtern (alt)griechischen Ursprungs, indem man φ (phi, den Buchstaben ph) als f wiedergibt. Zur amtlichen Sitte der Unverständigen erhoben.
Türkisch
Solches Ummodeln von Fremdwörtern hat z. B. in der Türkei seit Atatürks Sprachreform vor rund einem Jahrhundert Bildungen wie den kuaför dargestellt. Diesem Dompteur des menschlichen Kopfbewuchses könnte das Deutsche, heutzutage anglophil, einen Showföhr an die Seite stellen.
Zur Anschauung: Vieh-Ersatz
Einstweilen werden wir zu Zeugen, wie eine flegmatische Voss-vor!-Fotografin mit ihren Foten und Fotonen den Mühtoss der Filogenese der Filosofie — eine Fahl-Angs in der Fenomenopause — Fase um Fase in einem Öhwre dokumentiert, dessen Begleitmusik — fonetisch fobofob —viel Haarmonie-Kernen entspringt. Dem Fies Icker, einem Viel-ißt-er, sagt das nicht zu.
Fragen
1. Ist das verständniswahrend?
2. Kann man erwarten, daß aus den Wucherungen des Vieh-Ersatzes eine einheitliche Schreibweise erwächst.?
Naturalismus
Das Schreiben der Sprache ist weder ein Naturvorgang noch ein Gipsabdruck (und wovon? das wäre ein Schallplatte, eine Audiodatei, keine Schrift).
Vielmehr ist Schrift ein verabredetes System von Zeichen. Unfug, von ihr zu verlangen, daß sie eine schmiegsame Nachbildung der Ohreindrücke sein solle, ein Naturalismus der Schallwellen (wie ihn einst Arno Schmidt in seiner Naivität durchsetzen wollte).
Schrift — so die Keilschrift auf Tontafeln oder die gemeißelten Hieroglyphen mit geregeltem phonetischen Aspekt — stammt aus einer viel älteren Epoche der Kultur, als von Schallwellen nichts bekannt war. Sonst hätten wir zur Aufzeichnung unserer Sprachen und Begriffe eventuell etwas Anderes bekommen, analoge Wellenlinien, hochabstrakte Schwankungskritzel, Rillen, Edison's Wachswalze, oder digitale Audiodateien (d.h. gerasterte Kritzel), jedenfalls bloße Affungen des Ohrwürdigen. Nichts, was Mundarten übergreift oder Sprache von Geräuschen und Musik unterscheiden könnte. Kein Zeichensystem, das — vom Hören emanzipiert — als selbständiger Bau eigenen Ausdruck entwickelt; kein Arsenal sprachlicher Instrumente, die Philologie, Wortgeschichte, Sprachwechsel, Kulturschichten und Bedeutungswandel anzuzeigen vermögen.
Keine Bibliotheken, nur Höroberflächen. Mit wenig Übertreibung: keine Vergangenheit, nur Gegenwarten.
Herbert Schuldt, D Hamburg
Leserbrief nach 20 Jahren Rechtschreibreform
An alle Buch- und Rechtschreib-Verlage
Allen, die sich in den zurückliegenden 20 Jahren ein Denkmal setzen wolten, sei gesagt, daß es einen körperlichen Schmerz verursacht, wenn man einmal in seinem Leben den logischen Aufbau unserer Deutschen Sprache erlernt hat und dieser nicht mehr erkennbar ist. Ein negatives Beispiel: "zurzeit"
und "mithilfe" statt "zur Zeit" und "mit Hilfe". - Sprache verändert sich von Zeit zu Zeit, siehe "Thür" zu Zeiten Goethes. - Interpunktion ist überhaupt nicht mehr relevant in Zeiten von Twitter und Facebook. Das Weglassen von Satzzeichen kann somit einen völlig anderen Sinn ergeben. Beispiel: "Er will, sie nicht!" - "Er will sie nicht!"
Mit reformierbarm Gruß
Margarete Schulz
Margarete Schulz, D 26919 Brake
Deudsch auffs new zugericht` (Gedicht 1/2)
Wie hat der Luther noch aufs schönste
die deutsche Sprache zugericht`,
er gab ihr, was ihr fehlte:
eine Heimat in der Schrift.//
Sie elidierten diese Heimat
und täuschten sich hinaus,
die Germanisten wollten einen Staat,
doch wurde keiner draus.//
Der Kultus säte früh den ersten Keim:
Warum schreiben wir nicht alles klein?
Damals lachte man:
Auch politische Ideen fangen klein an.//
Es kam die Wende
Sie reformierten gegen Schönheit und Vernunft
die Wörter, sprachlos in der Fremde,
verraten von der eignen Zunft.//
Die Axt des Pragmatismus
hat viel gespalten, kaum vereint
Was bleibt nach all den Jahren?
Die Wörter sind entzwei.
Der Gärtner der Sprache//
Er würde die Wörter nicht
von ihren Wurzeln abschlagen
und zurechtstutzen wie eine
hässliche Hecke, um der Ökonomie
den Ring zu küssen//
Er fühlte ihre Energie
und bis in die Wipfel könnten sie atmen
und blühen in irisierenden Farben
wären sie das Lächeln der Sprache
und endlich in wilder Ordnung/ vereint
Nikolaus Schulz (*1990), D 70180 Stuttgart
Versuch, aus einem Wort klug zu werden:
RECHTSCHREIBUNG
Inges Recht-Bruch?
(Rechtsbruch, Inge!)
Burger-Schichten?
Bergrutschen? Ich
trug Scherben, ich
schrieb gern: Tuch,
Becher, Gischt, nur
berechtigt: Schnur,
Rechtschreibung
gebe Richtschnur,
schnurre: echt big.
Brunch gesichert!
P.S.: Das Wort „Rechtschreibung“ wurde für dieses kleine Anagramm ohne das Adjektiv „neue“ genutzt - aus folgendem Grund: Während der 17 Jahre, die ich von 1997-2014 als Unterrichtende an einer Wiener VHS mit der neuen Rechtschreibung verbrachte, habe ich mich mindestens ebensosehr mit dem „alten“ Regelwerk beschäftigen müssn, schließlich mit dem Phänomen Rechtschreibung überhaupt. Ich kann nicht werten oder angeben, ob die neue Rechtschreibung dazu führt, dass nun weniger „falsch“ oder missverständlich geschrieben wird. Sprache war und ist stets auch ein Lebenszeichen, und als solches verändert sie sich, wie die Zeit, Kultur, Gesellschaft ... Darum gab und wird es immer Wörter, Ausdrücke, Schreibweisen geben, die sich in kein Regelwerk einfügen lassen; darum kann es kein perfektes Regelwerk geben. Diese Erkenntnis verdanke ich u.a. der neuen Rechtschreibung, das heißt, der Erklärungsnot, in die mich erst die Reform, dann die Reform der Reform (ab 2006) im Unterricht oft brachte. Der Versuch, besonders genau zu sein, hat bei diesen Reformen auch irritierende, da mehrdeutige Lösungen hervorgebracht (z.B. mehrere Ausdrücke mit zwei Schreibweisen; für Lernende wäre eine einzige Schreibweise besser zu merken). Aber mitunter kommt es so dazu, dass wir über Sprache, unser wesentliches Denk- und Wahrnehmungsinstrument reden, dass die Frage nach der richtigen Schreibung mehr in Gang setzt ... Siehe oben: „Rechtschreibung / gebe Richtschnur“ - und rundum und rundum das Meer der Sprache, eine ganze, pulsierende Welt. - Übrigens: Das Anagramm entstand mithilfe von „sibillers anagramm-generator“ (s.Internet).
Birgit Schwaner, A 1020 Wien
Alles ganz frei.
Letzter Stand der Texte zur Freigabe.
Sehr geehrter Herr D.,
im Anhang erhalten Sie den letzten Stand der Texte mit der Bitte um Freigabe.
Mit freundlichen Grüßen
Re: Letzter Stand der Texte zur Freigabe.
alles in ordnung, nur im letzten absatz kennenlernen schreibt man doch jetzt kennen lernen. bitte ändern dann freigegeben
mfg
Aw: Re: Letzter Stand der Texte zur Freigabe.
Sehr geehrter Herr D.,
herzlichen Dank für Ihre Antwort. Bei "kennenlernen" ist nach dem Duden die Schreibung in einem Wort oder zwei Wörtern möglich. Der Duden empfiehlt die Schreibung in einem Wort. Vielleicht sollten wir uns daran orientieren.
Mit freundlichen Grüßen
Re: Aw: Re: Letzter Stand der Texte zur Freigabe.
sieht aber komisch aus. man schreibt doch jetzt alles auseinander. nachher denken die noch wir haben da nen fehler drin.
mfg
Aw: Re: Aw: Re: Letzter Stand der Texte zur Freigabe.
Sehr geehrter Herr D.,
wie gesagt sind laut Duden sind beide Schreibungen möglich. Wir müssen das dann nur einheitlich handhaben und es entweder zusammenschreiben oder auseinander.
Mit freundlichen Grüßen
Re: Aw: Re: Aw: Re: Letzter Stand der Texte zur Freigabe.
mmmh, ich weiss nicht sieht komisch aus. übrigens fehler in ihrer email: zusammen schreiben ;-)
mfg
Aw: Re: Aw: Re: Aw: Re: Letzter Stand der Texte zur Freigabe.
Sehr geehrter Herr D.,
"zusammenschreiben" oder "zusammen schreiben" hat einen Bedeutungsunterschied. Im Sinne von „in einem Wort schreiben“ heißt es „zusammenschreiben“. Wenn wir beide aber zum Beispiel gemeinsam an einem Buch arbeiten, wäre „zusammen schreiben“ richtig.
Mit freundlichen Grüßen
Re: Aw: Re: Aw: Re: Aw: Re: Letzter Stand der Texte zur Freigabe.
HÄÄÄH??!!!! na dann lassen wir das so FREIGABE!!!
mfg
Re: Re: Aw: Re: Aw: Re: Aw: Re: Letzter Stand der Texte zur Freigabe.
ich nochmal. fällt mir zum glück gerade noch auf: im 2. Absatz reißender Absatz schreibt man doch jetzt reissend ist doch wie bei fluss. ändern, dann freigabe.
mfg
Thorsten Schwerdt, D 22087 Hamburg
Rettungspaket nach Reformroulette
Aus Kuß wurde Kuss,
ein Stängel aus Stengel.
Fasse meinen Entschluss
wie ein trotziger Bengel.
Es ist nicht wichtig,
ob falsch oder richtig.
Keine Lust auf Rechtschreibdrill,
schreibe so - wie ich schreiben will:
Dich rett' ich.
Dich Rettich nicht.
Dich rett' ich.
Dich Rettich nicht.
Dich rett' ich.
Meerrettich nicht.
Petra Semler, D 36041 Fulda
(Die ersten drei Zeilen sind fakultativ.)
(Keine Haftung wird für folgendes übernommen.
Zur neuen Rechtschreibung fielen mir folgende Zeilen ein, ich bin empört
was man heutzutage alles in den Zeitungen lesen muß.)
Der potenzielle Nachfolger des Liebhabers der O. heißt K.
Der frühere Liebhaber platzierte sich in einem Auto
mit einer Autobombe.
Die Missstand daneben.
Martin Seystahl, D 97072 Würzburg
Mehrgenerationenhaus 0.2
Unsere Nachbarn führen einen Mehrgenerationenhaushalt. Was früher weitverbreitet war, ist heute eher exotisch. Und das vermutlich nicht ohne Grund: Zumindest bei unseren Nachbarn geht es alles andere als geordnet zu.
Ein großes Streitthema zwischen Eltern und Großeltern war die Einrichtung. Die Großeltern hängen an ihren alten Möbeln. Zugegeben, die Möbel sind im großen und ganzen etwas klobig und schwer, haben durch ihre aufwendigen Verzierungen aber auch einen gewißen Scharm. Die Eltern dagegen wollen ihren beruflichen Erfolg durch minimalistische Eleganz nach außen tragen. Irgendwann einmal hatten sie kurzerhand all den ‚alten Ballast` auf den Dachboden verbannt. Zumindest so lange, bis die Großeltern sukzessive ein Teil nach dem anderen wieder hervorgekramt und mehr schlecht als recht in das neue ‚zeitgemäße` Interieur eingeflochten haben. Nach einiger Zeit war es den Eltern zu mühsam geworden, die Sachen ständig wieder wegzupacken, und so versuchten sie, Frieden zu schließen, indem sie sich widerwillig zugestanden, dass das Haus letztlich ihnen allen gehörte. Aber glücklich war mit dem Ergebnis niemand.
Auch Querelen zwischen den Eltern belasten die Familie. Die Frau hatte schon immer mal die eine oder andere Affäre, doch seit seiner Midlifecrisis ist für sie amouröses Outsourcing zu dem Essential eines modernen Lifestyles geworden.
Bei ihrer Tochter dagegen ist sie nicht so tough. Nachdem diese mit ihrem Studium begonnen hatte, hing sie ihren Eltern unentwegt in den Ohren, dass sie als Studierende dringend auf ein Auto angewiesen sei, weil doch schließlich jeder im Studierendenheim ein Auto habe. Während sie in den Augen der Großeltern den Bogen damit klar überspannte, wollte die Mutter einfach nur ihre Ruhe und so bekam die Tochter ihren Willen.
und der 14 jährige sohn geht für opa und oma ga nich der hat nur pc im sinn & is voll unzuverlässig !!!! die mama is da nich so streng , sind doch alle jungs in seinen umfelt so. und der papa is viel zu sehr mit seine arbeit beschäfigt
Vor allem die Kinder können einem leidtun, wirken sie in all dem Chaos häufig so orientierungslos. Aber das passiert wohl, wenn autoritäre und antiautoritäre Erziehung aufeinanderprallen. Die Lösung wäre oft einfach: Konsequent an einem Strang ziehen - mit Sinn und Verstand. Das sagt sich so leicht, ist in der Praxis aber reichlich vertrackt. Immerhin müssten sie dafür erst einmal annähernd die gleiche Sprache sprechen.
Ulla Sippel (*1983), D 99975 Mühlhausen
Nur Sprache? Nur Schrift? Werkzeug allein?
Heimat: Ort und Horizont. Pilzwurzelgeflecht tief unter dem Sichtbaren, Vergangenes und Heutiges, Lebende und Tote miteinander verbindend. Geist formt Verwehendes, vertraut-örtliches Mitteilen, Sprache hinüber und herüber, Menschen verbindend. Male erinnern, gemahnen, sind sichtbare Zeugen.
Heimat: Geisteswelt. Zwischen Lufthauch und Stein steht sie, zärtlich-fein ausgemalt oder hastig-verwischt niedergelegt, nur für sich selbst gedacht, dem anderen Kundgabe äußeren Begehrs oder innerer Verfaßtheit, einziges Mittel bleibenden Eindruck zu hinterlassen auch des Unscheinbarsten, kaum Wahrgenommenen - gewiß: der Gnade des Empfängers ausgeliefert -, Geist und Wort in Form zu gießen: die Schrift. Schrift als Form, Schrift als Ergebnis. Gedanken, Erfahrung, Lebensgang: das Mal, das ein jeder setzen kann. Ein Vielleicht des Bleibens gegen den Dämmer des Schwindens der Erinnerung, ob „banaler“ Alltag, großes Geschehen (was ist groß in und vor der Zeit, je mehr sich der Blick weitet?). Mittel des Zusammenhalts, wird sie aus dem Zusammenhang von Denken und Sprechen in Zeichen gegossen, Wegen folgend, deren Lauf das ihrem Blick auf im Geiste Gewachsenes gemäße Regelwerk zeichnet - Abbild der Zeit sui generis. Zeichen bedürfen der Konvention, soll der Wunsch nach Verständigung über Zeit und Generation bleibende Verständlichkeit erfahren - Regeln, wie sie jedes Miteinander fordert. Sprache und Zeichen, Schreibung, geben Auskunft über Herkunft und Wachsen, in der langen Zeit wie in der kleinen menschlichen Lebensspanne. Alte Wurzeln im Eigenen, Austausch mit Nachbarn, beherrschende Ebenen des jeweiligen Umgangs, sind sie beobachtbares Abbild äußerer Geschichte wie der des Denkens. So werden sie - Sprache, Schrift und Schreibung - Zeichen des Denkens (und der Fähigkeit zum Denken) in der Zeit. Bewahrt sie gut, unsere Sprache, unser Schreiben. Daß sie nicht zum Menetekel werden. Weit hinaus geht der Umgang mit diesem Erbe über administrative Kriterien, bürokratische Regelwerke oder das Kretinhafte, was man dafür hält. Tief hinein in das Verständnis unserer selbst, rührt er an das Empfinden, die Fähigkeit des Empfindenkönnens für Gewordenes, für Heimat.
Ort löst sich auf, Horizont wird enger, Verbindendes stirbt ab, wird den falschen Lichtträgern (mit dem Knüttel ministerieller Anordnungen) gefolgt - verschwindende bewußte Regelbedachtheit geht nie an Identität, Identitätsschärfe vorüber. Wo der Schritt zum Schwanken gerät, wird bloßer Sehnsuchtsort, was einst Heimat war.
Hans Joachim Söhn, D 51588 Nümbrecht
A poa so Gedaunkn
Waun i des Wurt „Orthographie“ oder do „-fie“ – wiar a hoibate „Fifi“ – her... I bin fir a urndliches Deitsch und mecht ́s mit Gfüh schreibm. Fost glaub i, daß oder dass es an eignan Ordn gibt: den „Ordo Krahvieh“. Do sitzn de oft unstimmingn, belcantolosn weisn Robm – oder weißn, fois s in d Müch der fromman Lenkungsoat eineplotschkert san – und legen uns immer wieder Eier, de ma daun – hoat oder waach – ausleffen kennan. – Natirlich schlogt aa bei meine
Formulierungan de neiche Rechtschreibung durch; bsunders bei „ss“ und „ß“ bin i empfindlicher wurn. Des is da oft a Schaas, a Schaß oder so, den ma si leicht eitretn kau. Do muaßt – oder muasst – hoit aufpassn. Drum is es wichtig, daßß ma zwischndurch a schöpferische Pause eilegt: Ma mocht hoit hoit (klane Pause) oder hoit Hoit (große Pause). Mit Hüfe – waun dus ober gnädig host, mithüfe – von an (doppetn) Musnkußkuss kummst leicht auf an grienen Zweig.
Den derfst da natirlich net öber osagln; dazua san scho aundre do.
Wichtig san aa Kenntnis und Bedeitung von grammatikalische Begriffe, wia z.B.
Verhötniswurt: Gspusi
Vurwurt: boshofter Off
Nochwurt: Off, eiserner
Varneinung: Jo freulich – und a goidane Uhr aa no.
Bejohung: Na, du bist da vielleicht deppert!
Zoiwurt: Heit brennst wiar a Luster!
Schochtlsotz: Daun hängt ma de oite Schochtl, diese Schastromme, a Goschn au, daß i glaub, a Rooß oder Ross – besser „Pferd “ – hot mi bissn.
Füllwort: Den ghert amoi urndlich s Maul gstopft.
Doppeter Imperativ: Speising (und no wos Tiafares)
Strichpunkt: Ecke Geilhaummergossn/Liebstöcklweg...
A Freid san aa de zusätzlichn weiblichn Endungan aun bloß männliche Begriffe, wobei ma bei vüle Schriftoatn dieses „I“ net von an „l“ unterscheidn kau. Do hauma in Wien Bezirksaumtsleiterln und Stövertreterln. Und des geht daun a so: „Der/Die Bezirksamtsleiterln und sein/e bzw. ihr/ihre Bezirksaumtsleiterln-Stellvertreterln haben folgende Aufgaben...“ Putzig – wiar in aner Zwergerl-StaDt (sic, hick). Nur ans is ma dabei net Wurscht: „Der Traumpe“ (HD „Trampel“) miaßt endlich korrekt „die Traumpe“ haaßn. (Firs männliche Geschlecht kummt ma min „Trottl“ voi aus.) Hingegn kauns – mir strafn dabei kurz des klaschreibun(gs)wesen – bei „haut“ bleibm, wias is: „der haut“ oder „die haut“, je nochdem wer hihaut; logo gibts no „das haut hin“, so hot olles einen Sinn -- wia vielleicht wenigstns mei absolut net schoafes Schluswort ( geistig bin i scho auf Urlaub: hier zu Lande oder dort zu Wasser):
Die Hochsprache weiß ich genauso zu schätzen wie kunstvolle Brunnen auf staubigen Plätzen.
De Mundoat soi trotzdem net föhn:
De her i so gern wiar a Quöön…
Hans Werner Sokop, A Wien
Acht Gedanken zur Rechtschreibreform
- Wer an der Sprache herumschraubt wie ein Ingenieur an einer Maschine, verkennt, daß es sich bei der Sprache um einen Organismus handelt. Gesellschaftsreformmechaniker, die sich als Sprachexperten ausgeben, können der lebenden Sprache nur schaden.
- Gegen den die Rechtschreibreform ablehnenden Volksentscheid entschieden die Volksvertreter und mißachteten somit die Entscheidung des Volkes. Ab da wurde dies schamlos mehr und mehr üblich.
- Ich bevorzuge ß. SS gefällt mir einfach nicht.
- Wörter wie Flussschifffahrt schreiben und lesen zu müssen, ist wie die Verpflichtung, beim Sprechen zu stottern.
- Reformer, die mit ihrer Reform an Schreibern und Lesern Leid tun, können einem leid tun wie auch leidtun.
- Wenn Politiker meinen, über die Rechtschreibung entscheiden zu dürfen, sollten Dichter die Gesetze beschließen.
- Das Wort besitzt nach Reiner Kunze eine auf unser Unterbewußtsein wirkende Aura, die aus Schriftbild, Klang und ermöglichten Assoziationen besteht, welche durch die schlechte Aura der Buchstabier-Experten und Politiker zerstört wird.
- Reformbesessene Schreibreformer ziehen rücksichtslos ihre Reformideen samt ständiger Reformationen der Reform durch - ohne Rücksicht auf die Kosten, auf eine Schädigung der Demokratie, auf die Vervielfältigung der Rechtschreibregelungsparagraphen, auf die Orthographiefehlersteigerung an den Schulen, auf das ästhetischen Empfinden, auf die Tradition, auf die Meinung von Dichtern und Autoren, auf den gesunden Menschenverstand und auf vieles mehr.
Andreas Städter, D 14167 Berlin
Übers Reformieren
Eine Reform muss irgendwo festgemacht werden. Für ihre Legitimierung wird gerne zu den „Quellen“ zurückgegangen. Es brauchen ja im Deutschen nicht gerade die Merseburger Zaubersprüche oder, obschon lohnend, der Minnesang sein: ich saz ûf eime steine. Der Stein braucht nicht so weit geworfen werden; vielleicht nur bis zur Zeit dessen, was man als des Heutigen Beginn bezeichnet? Aber auch da lauern die Glashäuser. Man sieht respektive hört geradezu das geschraubte Deutsch und lacht sich eins ins Fäustchen. Dabei sollten wir in Zeiten der SMS von der kompletten Gegenseite her womöglich vorsichtiger im Urteilen sein: Im Bedenken, was in 200 Jahren von unserer sprachlichen Kommunikation gehalten werden wird! Vielleicht darum lieber doch der Retroblick: Ach, wie war das damals schön, weitgehend so zu schreiben, wie man sprach. Am besten demnach laut zu lesen, wie bei Dialekttexten noch immer zu empfehlen. Im neuen Schreibdeutsch kann eine solche Empfehlung indessen zweifelhaft sein: Selbstständigkeit ist ein reiner Zungenbrecher, Fischers Fritz braucht's nicht mehr. Ich höre den Einwand: selbständig gilt gleichwohl noch. Wenigstens als erlaubtes Nebenbei. Etwa wie bei selbst und selber. Und so weiter. Die Reform gestattete uns vor 20 Jahren also immerhin gewisse Freiheiten, freilich gezähmte, angesiedelt im weiten Land zwischen Akademie und Amtsstube. Dabei nicht zu vergessen, es gilt die Reform ebenfalls dem Grammatikalischen. In ihm nähern wir uns wieder jenen früheren Schreibgrößen, welche kreativ-konsequent eine Eigenversion der Interpunktion auf das richtige Leseverständnis ihrer Texte ausrichteten. Wenn diese nicht wie bei den erwähnten SMS vergessen oder gar ganz verloren geht. Was soll demnach das, notabene nachfolgende, Gejammer über der Schreibreform militante Merkwürdigkeiten, buchhalterische Ungereimtheiten, intellektualistische Volten, stolpersteinige Widersprüchlichkeiten. Bis zu einem gewissen Grad sind das, wie, noch einmal, die Geschichte nachweist, durchaus Kennzeichnen einer jeden Reform. Wobei man der jetzigen zugutehalten muss: An Leib und Leben gehen die Bestimmungen glücklicherweise nicht! Deshalb sollten sich die Schreibenden, insofern nicht abhängig von einer allzu braven Lektorin, einem pfennigfuchsigen Korrektor, trotzdem, das heißt trotz all des Festgelegten, freuen - und die Freiräume nutzen: Welche allemal nicht zuletzt und zudem alles andere als steinige Spielräume sind!
Martin Stankowski, CH 9430 St. Margrethen
Rechtschreibreform - Song
Mein Lehrer sagte früher:
"Dein Aufsatz ist ein Graus!
Der strotzt grad so vor Fehler" -
heut schaut das anders aus.
Jetzt hätt ich einen Einser,
denn s`Deutsch wurd reformiert -
die Trennung, s`Gross- und Kleinschreib´n,
studiert und ausprobiert:
Rechtschreibreform - Song,
für uns soll´s leichter wer´n,
doch ich denk voller Grausen,
ob ich das jemals lern.
Rechtschreibreform - Song,
nein, das versteh ich nie.
Dazu braucht´s keine Logik,
dazu braucht´s Phantasie.
Dazu braucht´s keine Logik,
dazu braucht´s Phantasie!
Mein Freund studiert schon länger,
Germanistik und Latein,
und sagt: "Was die da aufführ´n,
das kann doch wohl nicht sein.
Latein, da bin ich Primus,
Deutsch ewiger Student,
weil man die Muttersprache,
wie´s sein soll, nimmer kennt":
Rechtschreibreform - Song, ....(usw. wie Refrain oben)
Renate Stautner, D 83098 Brannenburg / Inn
Die Rechtschreibreform
Die Rechtschreibreform,
die gibt uns vor die Norm.
So sollen wir schreiben.
Wird das jetzt so bleiben?
Es gibt kein daß mit ß mehr,
nehmen dafür ein s mehr.
Groß oder doch klein?
Wie soll das Wort sein?
Worte mit drei Konsonanten,
wie wir es von früher nicht kannten.
Vor Jahren in der Schule
saßen wir auf dem Stuhle.
Lernten Schreiben und lesen,
ist nicht immer leicht gewesen.
Jetzt gibt es neue Regeln,
ein mancher würde lieber kegeln.
Ist es auch nicht immer richtig,
gut schreiben ist wichtig!
Drum üb' ich das Neue.
Über Erfolge ich mich freue.
Erscheint mir auch manches ohne Sinn,
im Duden steht alles drin.
Hoffe diese Reform
bleibt noch lange die Norm.
Antje Steffen, D 22889 Tangstedt
Verpackter Optimismus und Hoffnungen: Träume
Für Träume gibt es Interpretations-Ratgeber, in rauen Mengen - keiner wird je ein Bestseller.
Ich träume mit Stolz; auch das zukünftige Leben.
Gut wäre, ein erfülltes Leben, vorausahnend, zu träumen.
Emanzipationsbewegung des Geistes?
Ob Theologen konstatieren, dass Träume von der Seele mehr wissen, als ihre katechetische Substanz, ist nicht interessant zu wissen.
Im Träumen fühle ich distanziert im Gefühl, wie ich meine Zeit verbringe; Sekunden, Minuten, Tage, Jahre.
Täuschen aber über die Frage: "Was tue ich-hier-auf dieser Welt-eigentlich?" niemals hinweg.
Tiefer sind sie meine Träume; tiefer als Verstand und Gefühl.
Letzte Nacht habe ich geträumt (es hält im Wach-Zustand noch an): Die Dame hinter mir trug entweder ein Korsett oder den Zorn über die Schwiegermutter, war vor lauter Misstrauen derart verkrampft, dass man ihr das Gefühl "überall hin–Entfernung egal", nur weg von hier(!), gut anmerkte.
So schob, diese Frau, die wohl meine Anima darstellt, tiefgefrorene Lasagne mit sich herum (was hat das aber mit meinen Gefühlen zu tun!?) und ging sichtlich angemotzt, am Waschmittelregal vorbei.
Aus der Schultertasche ließ sich, seltsamer Anblick bei dieser Stimmung, ein Poesiealbum erkennen – oder war es ein Lexikon über Rechtschreibung?
Und da passierte es, dass im Traum sie mich direkt ansah und sagte: "Was in Büchern steht, ist nicht das Paradies auf Erden, Manche schaffen es aber, diesen gut zu beschreiben!".
Jetzt stehe ich da, mit einer Botschaft, mit der ich nichts anzufangen weiß.
Soll ich mir jetzt eine neue Bibel kaufen?
Wirkliche Antworten auf unsere Lebensfragen lassen sich nicht in Schriften nachschlagen.
Mit tiefem Sinn erfüllt - Sinn und erfüllt, was sind das für Zweckbündnisse?
Kraft der Einbildungen und Angst des Fehlermachens?
Ob ein in Illusionen verpackter Optimismus Hoffnung erzeugt und für welche Urteilskraft ist Hoffnung eine Komponente? Schnellsehkurs und jetzt was lesen. "Sex im reiferen Alter?" Scherz beiseite: Ich würde da keine Minuten für einen Absatz verschwenden.
Eveline Stolz, A 6020 Innsbruck
Ein ungewöhnliches Klassentreffen nach 20 Jahren
Es kennen sich alle - wie bei jedem Jubiläumstreffen. Jeder ist gespannt, was aus dem anderen geworden ist. Ein Knistern liegt in der Luft. Haben sich die anderen verändert? Wie sehen sie mich? Da kommen die Ersten. Schau mal, da ist das „ß“, das sieht auch nicht mehr so toll aus wie in früherer Zeit. Ob die anderen das auch bemerken? Es ist zwar noch ebenso groß, aber nicht mehr so stolz. Und es bewegt sich viel langsamer. Da drüben ist das „s“, das hat sich gut gehalten. Schau einer an, ich hatte es schon immer geahnt: das „s“ scheint nun mit dem „s“ zusammen zu sein. Ist ein schönes Paar, unser „ss“. Sie machen zusammen so einen frechen und schnellen Eindruck. Das „ph“ sieht traurig aus. Dabei hörte es sich früher immer so schön an. Aber ich habe schon von anderer Seite gehört, dass nun das “f“ ihm die Schau gestohlen hat. Einsamkeit tut niemandem gut.
Früher waren das „Du“ und „Ihr“ etwas ganz Besonderes. Jeder schaute zu ihnen auf. Aber heute sehen sie als „du“ und „ihr“ eher klein und bedrückt aus, so ändern sich die Zeiten.Das ist eine Überraschung, „leidtun“ sind scheinbar gerade wieder zusammen. Die können einem wirklich Leid tun - wie oft die sich schon getrennt und wieder zusammengefunden haben.
Na, das habe ich mir fast gedacht, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die kommen wie früher als Gruppe: „liegenbleiben“, „sitzenbleiben“, „stehenlassen“ und natürlich „kennenlernen“. Immer noch zusammen und immer noch genauso langweilig wie früher.
Wer ist denn das? Ich hätte nicht gedacht, dass die zu so einer Veranstaltung kommen würden. Früher habe ich die fast nie gesehen. Finde ich gut, dass „ttt“,“eee“ und „fff“ jetzt auch mal dabei sind. Ich denke, dies ist eine Bereicherung für uns alle. Da vorne steht der „Bindestrich“, der hat sich praktisch gar nicht verändert. Ist irgendwie ein komischer Kauz. Ich weiß immer noch nicht, mit wem er eigentlich verbunden ist. Er scheint ein Freund von „Komma“ zu sein, das ich auch nie so richtig verstanden habe.
Ganz ehrlich - früher hat mich keiner beachtet und ich war immer das hässliche Entlein. Keiner konnte mit mir was anfangen. Die anderen begrüßen mich jetzt zwar nicht überschwänglich, aber sie wissen meine aufwändige Anreise zu schätzen. Auch wenn meine Geschwister „ö“ und „ü“ immer noch nicht beliebt sind, so respektieren sie doch zumindest mich, das “ä“. Es ist schon seltsam, wie sich einiges verändert und anderes unverändert bleibt. Nach welchen Regeln die Götter dies wohl alles festlegen?
Christian Stremmel, D 79100 Freiburg
Sonniger Herbsttag
An einem sonnigen Herbsttag lag ich auf einem bunten Blätterteppich unter einem Baum und träumte. Die Problematik vom Nachdenken ermüdete mich. Arme und Füße weit ausgebreitet, ruhte ich inmitten einer beliebten Lesegegend.
Plötzlich vernahm ich: “I glob, der isch übre!”.
Jemand schüttelte mich an der Schulter, eine weibliche Stimme fragte: “Was machst du da?”
Mit einem Satz sprang ich auf und schrie: “D’Reform ploget mi! Efach nüt me schriba und luaga op eppas nohegoht!”.
Manfred Strolz, A 6700 Bludenz
Weltkulturerbe
"Bitte warten Sie noch mit der Veröffentlichung des Textes!" Die Mail war hastig geschrieben; mit zwei Schreibfehlern. Herrn G. war es ernst. Er war gerade 60 geworden, Kritiker, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. Manchmal schickt er einem Text für meinen Weblog. Und nun? Ich war verblüfft.
Warum sollte ich seinen Text zurückhalten? Ich las ihn noch einmal und dann fiel es mir auf.
Neulich hat Peter Handke geschreiben, dass er das "ß" als sein "persönliches Weltkulturerbe" betrachtet.
Handke schreibt seine Manuskripte mit der Hand. In den Verlagen werden sie dann abgetippt in den Computer. Seine Verlage weist er an, die alte Rechtschreibung zu verwenden. Ich sehe die rot unterstrichenen "ß"-Wörter auf den Bildschirmen seiner Verlage vor mir. Er benutzt das "ß" immer, auch dort, wo es längst falsch sein soll.
Und so war es auch bei Herrn G. Er hatte zum Beispiel "dass" geschrieben statt "daß" und wollte dies korrigieren. Nein, er schickte mir seine neue Version zu. Als Kind lernte ich, dass dieses Zeichen
"Esszett" heißt. Lange Zeit hatte ich nicht verstanden warum bis es mir mein Vater erklärte. Es kam, so sagte er, aus dem "langen S", das fast aussah wie ein "F". Dieses "lange S" verschmolz mit dem "Z" und so entstand das "Esszett". Warum dann Schokoladenplättchen "Eszet-Schnitte" hießen, habe ich nie verstanden. Später dachte ich immer daran, wenn ich das französische Wort OEuvre schrieb. Auch so ein Buchstabe, der an einem anderen klebt.
Wenn ich mit der Hand schreibe, benutze ich immer das "ß". Am Computer nie. Fast immer wähle ich das Doppel-S. Rot unterstrichelt ist es dann, wenn es doch ein "ß" sein muss. Manchmal lasse ich es trotzdem stehen.
Bald werden alle domestiziert sein und das "ß" wird auch in der Handschrift keine Rolle mehr spielen.
Nur noch in den antiquarischen Büchern wird man es an merkwürdigen Stellen lesen und irgendwann werden die Jüngeren über dieses Zeichen dann staunen.
Natürlich ist der Ausdruck "Weltkulturerbe" eine Übertreibung. Aber nur eine kleine. Fast verzweifelt klingend.
Lothar Struck, D 40231 Düsseldorf
Tour de forme – die Recht-Schreib-Reform
Als vehementer Gegner dieser Reform war ich dennoch zu allen Zeiten in meinem Beruf aufgefordert, sie als Lehrer im Schulalltag umzusetzen. Deswegen erlaube ich es mir, ein wenig an der Fassade von Reformen schlechthin zu kratzen. Ich weiß seit längerer Zeit, oder soll ich sagen, seit langem, dass Reformen einer Sache schaden oder sie gar umbringen können (einige politische Parteien könnten hier als Beispiel dienen), dennoch: das Re-formieren ist unabdingbar im Leben, das Umgestalten, Neugestalten von Institutionen, Körperschaften, Einrichtungen und Sitten, und häufig passiert das ja von selbst; es ändert sich automatisch, wie ein Fluss sich verwandelt, wenn es stark regnet. Die Sprache selbst ändert sich in Farbe und Rhythmus, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, sie ist den Umwelteinflüssen noch stärker ausgesetzt als Moden und Lebensformen, und ich selbst weiß im Moment gar nicht, ob meine Sprache noch zeitgemäß ist. Uff! Dennoch, stets und immer wieder sollten wir bei den Reformen sorgsam sein und auf jeden Schritt achtgeben, wie bei einem Essen, das man zu sich nimmt, oder bei einem Gefährt, das man benützt und bei dem die Achsen, Schienen, Keile und Riemen funktionieren müssen. Es kommt nicht so sehr auf die Facon an, wie eine Sprache daherkommt, salopp oder streng, sondern aufs Funktionieren, und wenn ich Worte sage, wie festhalten, freistehen, weitergehend, menschenverachtend, dann muss die Sprache standhalten und die Bedeutung wiedergeben und hochhalten, und dann ist es ein Unterschied, wenn die Zeit stehenbleibt, oder der Angeklagte stehen bleibt, oder der Bürger, die Bürgerin stehen bleibt und nach Worten sucht, und überhaupt alles liegen und stehen bleibt. Die Sprache als Laut und Schrift muss belastbar sein, teilhaben und festhalten an der Bedeutung und vor allem an der Bedeutungsdifferenz, an den Facetten, Nuancen, an der einzelnen Sache selbst, die es auszudrücken gilt. "Unterschiedenes ist gut." (Hölderlin)
Jozej Strutz, A 9020 Klagenfurt
Das Glas ist "halb voll"! Zur Lage der Orthografie
Nach der Revision der Rechtschreibreform 2006 ist ein erträglicher Zustand hergestellt! Seien wir froh, dass unsinnige Eingriffe rückgängig gemacht wurden, dass viele alte, bewährte Schreibungen wieder gültig oder zumindest erlaubt sind, und vor allem, dass es zu den in früheren Jahren diskutierten radikalen Änderungen nicht gekommen ist: dass uns die „gemäßigte Kleinschreibung“ erspart blieb und das Komma seine satzgliedernde Funktion behalten hat! 1974, als Reaktion auf den Kongress „Vernünftiger [!] schreiben“, notierte ich als Student: „Es wäre bedauerlich, wenn historisch gewachsene Möglichkeiten einer semantischen Differenzierung und einer übersichtlichen Textgestaltung einem unkritischen Reformeifer zum Opfer fielen“, und 1990 schrieb ich in einem Leserbrief: „Die Duden-Kommaregeln sind klar und logisch begründet, und eine Reform der Orthographie und Interpunktion ist überhaupt unnötig“. Man wollte damals jedoch unbedingt etwas ändern, und so wurde dann getrennt geschrieben, was zusammengehörte, umgekehrt bislang Getrenntes - dies nun sinnvollerweise - zusammengeschrieben (sodass, stattdessen, von seiten, ähnlichsehen).
Es hätte der Reform nicht bedurft, aber schlimm ist sie nun nicht mehr. Im Gegenteil! Es ist gut, dass wir Spaß und Pass jetzt unterscheiden! Schön, dass man heute schreiben darf: jeder Einzelne, das Bild des Anderen! Erfreulich, dass wir nach wie vor schreiben können: … zu Recht, alleinerziehend, wohlbedacht! Ist es erheblich, ob es im allgemeinen (alt) oder im Allgemeinen heißt? Und waren denn z. B. die früheren Schreibungen beiseite legen oder bessergehen einsichtiger?
Problematisch sind weniger die Dubletten, gibt es doch Grenzfälle, deren Schreibung vom Sinn abhängt (gehen lassen, sich gehenlassen), und Schreibungen, die einem Prozess unterliegen (Biographie, Biografie). Doppelschreibungen gab es schon immer. Wahlfreiheit, wo sie begründet ist, ist nicht von Übel! Probleme resultieren vielmehr aus mangelnder Differenzierung, verbunden mit Überkorrektheit, wenn z. B. die Wortfolge … was du weißt, und … fertigstellen mit drei Fehlern geschrieben wird, weil man gehört hat, dass ß zu ss geworden sei, dass vor und kein Komma mehr stehe und dass man Komposita jetzt getrennt schreibe. Ärgerlich ist, dass z. B. Kantische Philosophie nun kantische … (als wäre sie eine Philosophie in der Art Kants) oder Kant'sche … geschrieben werden soll. Aber schlechte Regeln, die das Leseverständnis erschweren, lassen sich immer ändern!
Jens Stüben, D 26209 Hatten
Groteske oder nur Schuldebakel
Die Analphabeten-Rate steigt weltweit. In Deutschland können aktuell 7,5 Millionen Erwachsene Texte nicht richtig verstehen und schreiben. Dies ist aber nicht Sorge der Kultusminister, die teils mit den Folgen einer durchgepeitschten Rechtschreibreform und der Umsetzung der Gender-Ideologie beschäftigt sind. Die Einführung der neuen Schreibregeln löste seinerzeit Widestand der Sprachgemeinschaft aus. Der Rechtsausschuß des Bundestages fand es 1998 "grotesk", eine zustimmende Empfehlung aussprechen zu müssen. Pseudopädagogische Sprachideologen aus West und Ost sahen einst in der geltenden Rechtschreibung eine "Unterdrückung breiter Volksschichten", die "vom Joch der Regeln" zu befreien waren.
Verdient die Reform nach der verbindlichen Einführung noch den Namen, oder war es nur ein Test der Gesellschaft, wie veränderungsfähig und -willig sie sei? Die Reform hat nichts vereinfacht. Die Fehler bei "daß" und dem Relativpronomen "das" haben sich vervielfacht. Auch die Getrennt- und Zusammenschreibung fällt ähnlich aus. Die "Einsparung von Kommas, Angebot des Wählens zwischen Varianten" haben die Beliebigkeit in der Rechtschreibung verstärkt. Grundschüler machen fast doppelt so viele Rechtschreibfehler als vor der Reform.
Heise online bemüht eine Studie des Jahres 2013, wonach die Reform Unsicherheiten und Orientierungslosigkeit bewirkt habe, die zum Zerfall sprachlicher Verbindlichkeiten beitrügen. Soziale Netzwerke belegen dies.
Wie aber lernen Schüler am besten "rechtschreiben"? Das Alphabet muß von Anfang an erarbeitet werden und als Grundlage des Rechtschreibens gelten. Ein Experiment 2012 in den USA hat bewiesen, daß das Schreibenlernen besser per Hand als
über die Tastatur gelinge, da dies u. a. feinmotorische Fähigkeiten und fließendes Denken fördere. Der Einstieg in die korrekte Rechtschreibung - erst nach dem "Schreiben nach Gehör"
macht Versäumnisse nicht wett. Viel wurde nach den Ursachen der schlechten Ergebnisse geforscht. Die Senkung der Anforderung durch Schulen war der falsche Ausweg. Beachtenswert ist das "Guckomobil-Förderprogramm" des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung, das aus Rechtschreib- und Lesetraining besteht. Systematisches Einüben erleichtert Lesen und Schreiben.
Sprachförderung ist Aufgabe der ganzen Sprachgemeinschaft, unabhängig von Veränderungen der Population in Schulen. Unsere Rechtschreibung ist nicht nur Symbol der Sprache, sie ist Bestandteil unserer Identität.
Norbert Tarsten, D, 50765 Köln
Iba de Rechtschreibung
won i des scho hea
rechtschreibung
des mocht mi kronk
wäu des interessiert mi net
wiasd wos schreibst
vastest mi?
wö des anzige, wos zöt
is do, obsd mi vastest
won i da wos schreib
wö sprache
hobts ia großkopfatn
oiwei gsogt
dient der kommunikation
und wonds mi davon ausschliaßt
nua wö i net waaß
wia ma wos richtig schreibt
donn bist a orschloch
vastest mi?
Christine Teichmann, A 8045 Graz
Orthographei
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so traurig bin.
Die Regeln vor 20 der Zeiten,
die gehn mir nicht aus dem Sinn.
Ihr Sinn scheint unklar und dunkel,
bereitet uns vielerlei Pein,
doch im Bürokratengemunkel
darf selbst das Dümmste noch sein.
Die schönsten Bücher trifft es,
sein sie auch wunderbar.
Die Opfer dieses Giftes,
sie mehrn sich Jahr für Jahr.
Es trifft sie mit ehernem Besen
Und fahndet nach jedem Wort,
und kehrt sie, als wär nichts gewesen,
aus unserem Gedächtnis fort.
Den Schreiber in seiner Kammer
ergreift es mit wildem Weh,
vergebens ist all sein Gejammer.
Dies ist s, was ich kommen seh:
Ich glaube, am Ende verschlingen
die Regeln den Schreiber sodann,
das hat auf tödlichen Schwingen
die Orthographei getan.
Walter Torwartl, Wien
Rechtschreibreform unnötig!
Ein Mensch, der ganz normal und leise
lebt und leibt
denkt selten an die richt'ge Weise
wie man etwas schreibt !
Wie in der Schule er's gelernt -
so schreibt er bis zum Tode
und denkt nicht mal im Traum daran
zu Wechseln die Methode.
Wozu auch ? Ist doch piepegal
und alles Null und nichtig
wenn richtig für jeden anders ist -
ist richtig nicht mehr wichtig !
Die Kinder werden vollgestopft
mit unnötigem Wissen,
wär' das ein bischen weniger -
sie würden's nicht vermissen.
Wen fragt ein Kind denn heut'zutag
wenn's etwas mal nicht weis ?
Papa` hat anders es gelernt -
na ist das nicht ein SCH.....wachsinn ? !
Gisela Torres Talledo, A 2103 Langenzersdorf
Sprachpolizei
Zwei Uhr früh. Läuten. Heftiges Klopfen. „Aufmachen. Sofort!“ Herr Huber schreckt auf, springt aus dem Bett, öffnet die Sicherheitsschlösser. Frau Huber verschwindet unter der Bettdecke. Zwei Männer in schwarzen Mänteln laufen durch die Wohnung und öffnen Türen. „Auf und zwar dalli!“, ruft der dickere der beiden Männer Frau Huber zu. Er wirft seine Lederhandschuhe auf den Wohnzimmertisch. Frau Huber zieht sich den Morgenmantel über und schlüpft in ihre Hausschuhe. „Möchten Sie einen Kaffee?“. „Aha!“. Der dünnere der beiden notiert ‚Bestechung’ in ein kleines schwarzes Buch. „Wir haben ihre Emails gelesen, Herr Huber. Was sagen Sie dazu?“. Der dickere zieht ausgedruckte Emails aus der Aktentasche, der dünnere drückt seinen Finger an die relevanten Stellen. „Haben Sie das geschrieben?“. Herr Huber hält die Blätter nahe an sein Gesicht. „Ja, sicher. Wieso?“. „Haben Sie ‚infolge dessen’ auseinander geschrieben?“. „Ja. Falsch?“. „Total falsch!“. „Das habe ich aber so gelernt“. „Wann war das?“. „Vor, ... lassen sie mich nach zählen“. „Wie schreibt man nachzählen? Na? Wie? Antworten Sie“, sagt der Dicke, „so etwas muss man im Schlaf wissen“. „Das war vor, vor 56 Jahren, 1958, da ist unser Sohn geboren“. „Uninteressant! Wie schreibt man das heute?“. „Nach zählen’ oder ‚infolge dessen’?“. „Beides!“ Der Dicke legt seine Pistole auf den Wohnzimmertisch. Herr Huber schreibt mit zittriger Schrift 'nach zählen' und 'infolge dessen'. Die Beamten lachen. „Zeigen sie uns sofort den neuen Staatsduden und ihren Computer!“. Frau Huber eilt zur Glasvitrine und holt den noch in Zellophan verpackten Duden hervor. Der Dicke schiebt den Duden vorsichtig in einen Plastiksack. „Den haben wir doch noch nicht verwendet“, sagt Frau Huber. „Eben“, sagt der Dünne, „eben. Öffnen sie den Computer“. Frau Huber zieht vorsichtig die gehäkelten Deckchen von Bildschirm und Tastatur. „Passwort?“, sagt der Dicke. „Klaus“, sagt Frau Huber, „das ist unser...“. „Sohn. Wissen wir. Das Passwort ist total unsicher und deshalb verboten, es könnten alte Schreibweisen in Umlauf gekommen sein. Außerdem haben sie ein völlig veraltetes Korrekturprogramm“. „Computer und Duden nehmen wir mit. Und sie auch, Herr Huber!“. Herrn Huber werden Handschellen angelegt. Frau Müller weint. Der Dünne schreibt in sein Notizbuch: „Es wurden zahlreiche Rechtschreibvergehen von Herrn Karl Huber festgestellt, demzufolge er am 19.8.2016 um 2 Uhr 35 in Haft genommen wurde“.
Reinhard Tötschinger, A 1010 Wien
Für Einfachheit durch Vielfalt
Es ist die Leidenschaft, die Leiden schafft,
die Manie zur Präzision.
Der Spielraum dann immer kleinere Kreise zieht,
der Vielfalt die Luft zum Atmen stiehlt.
Bis aus dem Horizont ein Standpunkt wird.
Dem steht die Toleranz gegenüber.
Ob frühreif oder früh reif ist vielleicht noch einerlei,
doch nicht »kleinkariert« und »klein kariert«.
Es ist nicht eine Idee, nein zwei,
die in Geschriebenem verborgen wird.
Ob »ihre« oder »Ihre« kann in Schreiben
die Angesproch’nen multiplizieren.
Genau wie »paar« und »Paar«.
Pech hat, wer »sie« und »Sie«
im Telefonat benutzen muss.
Das Binnen–I nicht zu vergessen.
Betonung ist dabei das A & O,
sonst ist der Andere verwirrt.
Das Wort in Schrift macht hier schön klar
um wen es geht und um wen nicht.
Auch ist dramatisch konsterniert,
wer im Stillleben das Stil–Leben vermutete,
was nebst Schifffahrt und dem Schnelllauf
wie ein weit’rer Tastenhänger wirkt.
Das Abteilen wird dafür viel klarer
für all jede, mit Problemen
in korrekter Orthographie,
sofern man an die vielen Striche sich gewöhnt.
Was macht’s für einen Unterschied,
ob ich nach Hause geh’ oder nachhause?
Keinen, wird man sagen.
Zu recht gar ohne Unbehagen.
Oder »zu Recht«? Das kommt drauf an,
ob man dem Wort die Größe gönnt.
Überhaupt die Großschreibung,
sie ist seit Neuem ausgebaut.
Was ironisch ist,
schreibt man doch seit langem
dank Internet fast alles klein.
Zum Ärgernis der Konservativen
darf der Albtraum auch als Alptraum gipfeln.
Was trotzdem immer noch in vielen Foren
für Diskussionen sorgt.
Ob’s zielführend ist, sei mal dahingestellt.
Trägt man ein Adjektiv ganz stolz im Namen,
darf man es ersichtlich machen.
Ob »Blauer Brief«, ob »Schwarzes Brett«,
die eigene Aufwertung ist nett.
Eine Eigenschaft gehört dazu,
ist Bestandteil der Persönlichkeit.
Wie Eigennamen.
Unveränderbar. Bedeutungsschwer.
Fakt ist: Die Sprache ist im Wandel.
Was einst Wein, Weib und Gesang war,
ist heute Sex, Drugs and Rock’n’Roll.
Es geht doch darum zu verstehen,
was das Gegenüber will.
Wenn die Gestik und die Mimik fehlen,
muss Wortschatz eine Lücke füllen.
Es geht nicht darum zu schreiben,
wie einem das sprichwörtliche Maul gewachsen ist.
Regeln braucht es, keine Frage.
Als Leitfaden, damit von hunderttausend Wörtern
nicht ein einziges abhandenkommt.
Denn nicht mal Synonyme
sind in ihrer Bedeutung gleich.
Es geht um die Nuancen,
den eigenen Stil.
Die Einfachheit.
Was dem Körper seine Luft
sind dem Geiste seine Worte.
»Artikulationsvermögen« als kultureller Reichtum.
Alexander Philipp Tschirk, A 1220 Wien
Wenn alle über Sprache sprechen
Ich mochte die Rechtschreibreform. Plötzlich wurde über Sprache gesprochen. Plötzlich haben sich ganz normale Menschen mit Wortarten auseinander gesetzt. Nicht bloß ein paar Part-of-Speech- Leute an der Alma Mater. Es hat ja auch Groß und Klein betroffen. Und natürlich hat die Reform schon im Voraus Angst gemacht, natürlich gab es viele, die alles beim Alten lassen wollten. Die der Meinung waren, dass nicht getrennt werden solle, was die Zeit zusammengefügt hat. Dass nicht klein sein dürfe, was einmal groß war. Dass drei gleiche Buchstaben nebeneinander zu viel seien. Das Volk begehrte auf. Und es wurden Abertausende von Unterschriften gesammelt (und dann doch nicht eingereicht}, Intellektuelle (viele von ihnen weit über sechzig) gingen gegen das Gräuel auf die Barrikaden, man sprach von Kulturkampf.
Und natürlich konnte man es belämmert finden, dass ein Wort von seiner Ursprungsbedeutung gelöst wurde, um es mit der Volksetymologie zu versöhnen. Aber ich mochte das. Ich mochte, dass es Begründungen gab. Und dass auch berücksichtigt wurde, was zwar wissenschaftlich nicht stimmte, aber einleuchtend erschien, und nicht bloß, weil man es uns eingebläut hatte. Ich mochte schnelllebige Brennnesseln und Cleverness bei Kängurus. Ich mochte, dass die Schweiz sich kein scharfes S hat aufbuckeln lassen und dass in Österreich Unterschriften für eine radikale Kleinschreibung gesammelt wurden (aber tausend waren es nicht}.
Ich mochte auch die Freiheit, die diese Reform gebracht hat. "Der Duden empfiehlt." Da denkt man doch beinahe an Gruß aus der Küche. Und ich nehme mir diese Freiheit als Schriftstellerin, mal schreibe ich andersdenkend, mal anders denkend. Ich mag Variationen.
Und doch bin ich nicht zufrieden mit der Reform. Und doch bin ich der Ansicht, dass die Reform nicht weit genug gegangen ist, dass sie damals etwas Zentrales außer Acht gelassen hat. Und darum appelliere ich für eine neue Reform. Denn gestern gab mir der Duden folgende Antwort:
“Leider haben wir zu Ihrer Suche nach ‘gendergerecht' keine Treffer gefunden. Oder meinten Sie: kindergerecht?"
Nein, meinte ich nicht. Ich meine, dass es eine neue Reform braucht, die verbindliche Regeln für eine geschlechtergerechte Schreibweise etabliert. Musthave, nicht Nice-to-Have. Das wünsch ich mir zum Jubiläum der Rechtschreibreform. Eine neue Reform, die nicht nur das Schreiben verändert, sondern auch die Gesellschaft. Denn das kann ja passieren, wenn plötzlich über Sprache gesprochen wird
Ulrike Ulrich, CH 8003 Zürich
Leserbriefe
Er träumte von ihnen. Träumte von s und t, die sich aneinanderklammerten, um nicht getrennt zu werden. Träumte von ph, die nicht in f verwandelt werden wollten. Träumte von du, die groß bleiben und daß, die ihr ß nicht aufgeben wollten. Im Traum vermischte sich alles, was die Leser schrieben, zu einem einzigen großen Aufstand.
Wenn er aufwachte, kam er sich albern vor. Er, Dr. Johannes Höpcken, Zeitungsverleger in dritter Generation, würde sich doch von ein paar Leserbriefen nicht ins Bockshorn jagen lassen. Es kamen zwar deutlich mehr, als er gedacht hatte. Auch mehr, als ihr Konkurrenzblatt bekam. Aber wenn sie erst einmal umgestellt hatten, würde sich das schon beruhigen. Unsicher wurde er nur, wenn er morgens ins Büro kam und vor seiner Sekretärin wieder neue Briefe und ausgedruckte E-Mails lagen. Er wünschte sich, sich bräuchte die Leserpost nicht zu bearbeiten. Aber sie waren nun einmal eine Lokalzeitung, da musste jeder alles übernehmen können. Noch mehr wünschte er sich allerdings, sie würde ihm nicht jedes Schreiben zur Kenntnis vorlegen. Einmal hatte er das vorsichtig zur Sprache gebracht. „Sie müssen doch wissen, was unsere Leser denken“, hatte sie geantwortet. Seitdem las er wieder alles. Oder tat wenigstens so. Sie konnten doch nicht die letzte Zeitung in Deutschland sein, die noch nach alter Rechtschreibung schrieb. Zum nächsten Ersten würden sie umstellen. Wenn bloß nicht noch mehr von diesen Schreiben kamen.
Es war wieder einer dieser langen Arbeitstage geworden und schon kurz vor acht, als seine Sekretärin nach Hause kam. Sie machte sich etwas zu essen, fuhr den Computer hoch und legte ein weiteres E-Mail-Konto an, diesmal auf den Namen W. Schmidt. Sie fing an zu tippen: „Ich lese Ihre Zeitung seit 35 Jahren, aber daß sie sich jetzt auch dieser sogenannten neuen Rechtschreibung anschließen wollen, empört mich zutiefst. Das wird Ihnen noch leid tun.“
Sigrid Varduhn, D, 14548 Schwielowsee
(ein aphorismus)
schreibrechtformen geben deinem schrieb recht
Birgit Waldenberger, A 6800 Feldkirch
Heitere Seiten eines Gendarmenlebens
Das Leben hat manchmal schon heitere Überraschungen parat. Ein kleines Erlebnis wird mir immer in lieber Erinnerung bleiben. Als junger Gendarm hatte ich einmal an der stark befahrenen „Reiter-Kreuzung“ in Haid den Verkehr zu überwachen; übrigens eine trostlose und fade Tätigkeit, als ich plötzlich aus meiner Lethargie gerissen wurde, indem mich jemand laut von hinten ansprach: „Grüß Gott, Herr Wallner!“ - „Grüß Gott!“, erwiderte ich und fügte, neugierig geworden, hinzu: „Entschuldigen Sie, ich kenne Sie nicht, woher wissen Sie meinen Namen?“ - „Ja“, meinte der ältere Herr lächelnd, „ich kenne Sie auch nicht, aber vor vielen Jahren arbeitete ich mit Ihrem Vater in einer Tischlerei in Schiedlberg, zuvor war er Gendarm wie Sie. Er war damals in Ihrem Alter und er sah in Uniform genau so aus wie Sie heute.“
Zuhause rief ich meinem Vater gleich bei der Begrüßung zu: „Du hast es zwar bis heute ohnehin nicht abgestritten, daß ich dein Sohn bin, ab jetzt hättest du aber auch gar keine Chance dazu!“ Er schaute mich verdutzt an und ich erzählte ihm die Begegnung bei meinem Außendienst. Was wiederum meine Mama veranlaßte hinzuzufügen: „Das sieht doch ohnehin ein Blinder, daß du das Ebenbild deines Papa bist.“ Papa sagte dazu nichts, aber sein verschmitztes Lächeln verriet, daß er mit dieser Gegebenheit voll zufrieden war. Wie heißt es doch so schön in einem alten Sprichwort: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Ein weiteres Erlebnis klingt wie ein Witz, ist aber Tatsache. Ein Autolenker hatte auf selbiger Kreuzung den Vorrang eines Mopedlenkers mißachtet, es kam zum Unfall, der Mopedlenker wurde verletzt. Ich hatte den Unfall aufzunehmen, an und für sich reine Routinesache. Auf dem Unfallort verlief alles reibungslos. Auf dem Posten mußte mit dem Autolenker eine Niederschrift aufgenommen und ein Personalblatt angelegt werden. Es begann auch ganz alltäglich: Familienname, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit - normale Fragen, normale Antworten. Doch bei den Vornamen der Eltern haperte es auf einmal. „Franz“, war die zögerliche Antwort. - „Und die Mutter?“ - Keine Antwort. - „Den Vornamen der Mutter!“ - „Ich weiß ihn nicht“, war die Antwort. „Sie werden doch den Vornamen Ihrer Mutter noch wissen?“ bohrte ich nach. Die Antwort war dann so verblüffend, daß ich alle Mühe hatte, einigermaßen ernst zu bleiben und nicht lauthals herauszuplatzen. Stammelte nicht der gut 60jährige Mann, fast wie ein Kind: „Ich hab' immer Mama zu ihr gesagt.“
Helmut Wallner, A 4050 Traun
Das beleidigte Blesshuhn
Ein Blässhuhn schwimmt im Toten Meer,
Seufzt: „Ich versteh die Welt nicht mehr!
Warum hat man mich umgetauft?
Hab mir deshalb die Federn gerauft.
Mein schlankes e ward zum ordinären ä,
Mir bleibt nur eines zu sagen: wäh!
Warum nur musste ich mich ändern?
Die schicke Blesse, nach der ich benannt,
Heißt noch heute: Blesse — allerhand!
Die Orthografen treiben's immer bunter!"
Das Blässhuhn plustert sich auf — und taucht unter.
Bernd Watzka, A 1070 Wien
Binnen-I& Co.
Im verschnörkelten Barock hätten sich unsere Feministinnen und ihr politisch korrekter Anhang sehr wohl gefühlt. Gab es doch eine weibliche Form der Familiennamen, z.B. Herr Weber, Frau Weberin. Dem Sinn und der Logik von Eigennamen folgend wurde die weibliche Form aber abgeschafft. Die Anrede zeigt ja den Geschlechter-Unterschied. Desgleichen wäre auch bei Gattungs- oder Berufsbezeichnungen (z.B. Lehrer, Direktor etc.) keine "in-Endung" notwendig. Wie würde z.B. eine "Mensch-in" aussehen? Es blieb unserer "coolen", nüchtern auf das Daseinsglück orientierten Zeit vorbehalten, verschnörkelte, scheinbar gendergerechte Sprachformen einzuführen: z.B. den Begriff "man/frau". Hier wird das Fürwort "man" mit dem Substantiv "Mann" verwischt. Das Pronomen "man" ist bekanntlich geschlechtsneutral und bezeichnet eine unbestimmte Anzahl von Personen, also Frauen und Männer. Auch kann es nicht dekliniert werden wie "der Mann" und "die Frau". Also, wozu diese sinnlose Haarspalterei? Oder wie jüngst in einem Leserbrief zu lesen war: "(...) Ansprechpartner-innen für uns Pädagogen-innen, Sozialarbeiter-innen, Eltern und Schüler-innen sind (...)". Der Satzfluss wird gehörig irritiert. Wozu die "Genderung" der Substantive? Sie bezeichnen doch eine Gattung (z.B. Schüler) und beinhalten demnach sowohl einen weiblichen wie männlichen Teil (wie bei Eltern). Und außerdem stehen sie in der Mehrzahl, die sowieso weibliche Artikel hat.
Und jüngst traute sich eine Expertin des Österreichischen Normungsinstitutes mit der vernünftigen Aussage in die Öffentlichkeit, dass das Binnen-1 abzuschaffen sei. Auf die anderen verwirrenden Schreibformen des Weiblichen ist sie gar nicht eingegangen, aber trotzdem sind die Arbeiterkammer, diverse Abgeordnete und das Leitungsgremium des Institutes, ohne entsprechende Reflexionen, ob der Vorschlag sinnvoll wäre oder nicht, empört über sie hergefallen und haben mit disziplinären Konsequenzen gedroht. Man hat sie in einem Akt von Meinungsterror mundtot gemacht.
Glücklicherweise kehrt auch in der jüngeren Frauengeneration allmählich die Vernunft ein. Sie hat genug mit sozialen und wirtschaftlichen Gleichstellungen zu kämpfen und braucht keine sprachlichen Kinkerlitzchen. Aber: Wo bleibt unsere "Sprachpolizei"? Wo bleibt der Aufschrei der Philologen, die das Gender-Wirrwar, semantisch und grammatikalisch, wieder auf Linie bringen?
Horst Weber, A 5084 Großgmain
Wie das „daß“ zum „dass“ wurde
Es war einmal vor langer Zeit ein kleines "daß", dass sich, wie es sich nun mal gehörte, mitten in einem Satz, hinter einem Komma befand. Das kleine "daß" war zufrieden mit seinem Los, denn es spürte, dass es genau an der richtigen Stelle stand und für seinen Satz auch genau richtig aussah. Für das kleine "daß" hätte es nicht besser laufen können.
Doch eines Tages hörte das kleine "daß" eine Unterhaltung mit, die ihm Angst und Schrecken einflößte.
"Hast du gehört, Frieda?", fragte ein Leser, "es soll bald eine Rechtschreibreform geben. Damit soll unser ganzes Rechtschreibsystem erneuert werden!" "Wirklich?", antwortete eine andere Stimme, vermutlich Frieda, "und was soll alles geändert werden?" "Vieles. Beispielsweise soll das "daß" nicht mehr mit scharfem, sondern mit zwei normalen s geschrieben werden."
Ab diesem Punkt hörte das kleine "daß" nicht mehr zu. Zu furchtbar fand es die Vorstellung, sein ß zu verlieren. Es überlegte hin und her, wie es diese Tragödie verhindern könnte, doch ihm fiel nicht das geringste ein.
Und irgendwann kam dann der Tag, an dem der Satz mit dem kleinen "daß" in den Neudruck kam. Das "daß" wurde zum "dass". Und siehe da, es war gar nicht so schlimm, wie es es sich ausgemalt hatte. Natürlich kam es von Zeit zu Zeit vor, dass das kleine "dass" von Hand noch in seiner ursprünglichen Form geschrieben wurde, doch mit der Zeit geschah das immer seltener. Das kleine "dass" freundete sich mit seinem neuen Aussehen an und lebte glücklich und zufrieden weiter.
Luisa Weber, D 81735 München
Es lebe der Kaiser!
Ihm, wenn nicht seiner Majestät Wilhelm II., verdanken wir den Thron, den er 1918 allerdings auch ohne h verloren hätte. Ein Keiser auf dem Thron, undenkbar, unästhetisch. Das wenigstens haben uns die vielen Konferenzen zur weitgehend überflüssigen Reform der Rechtschreibung gelassen. Das Gewaltmonopol gehört dem Staat, die Rechtschreibung nur in Grenzen, das hilft aber nicht viel. Über Schule und Verwaltung kann er sich durchsetzen, notfalls mit Sanktionen vielfältiger Natur. Also wird sich die Gesellschaft als Ganzes sehr schnell unterwerfen. Gottseidank sind jeder Reglementierung Grenzen gesetzt. Die Sprachteilnehmer sind heute freier denn je, der Niederschlag auf die Orthografie ist unmerklich, aber stetig. Warum nicht Ortografie, der man das ph auch vor einiger Zeit genommen hat? Filosofie wäre keine Katastrofe. Als Gurmee möchte ich jedoch keineswegs auf die Geschmacksnüancen von Oberschienen mit Spagetti (siehe da, das Programm unterstreicht nicht rot, man lernt immer noch dazu) verzichten. Bei Ketschap ist mir das speiegal. Solche und ähnliche Pampen dürfen sie gerne germanisieren. Stopp, eigentlich wäre KetschUp ein schöner Gag, ist doch der Schreiber dieses im pfälzischen Flecken Ketsch ansässig, dies aber nur in Parenthese. Auch den Trainer können sie gerne zum Träner machen. Das Bouquet meines St. Emilion werde ich mit aller Kraft verteidigen. Sonst aber, bittschön, germanisiert mal schön, wer geht heute noch ins Bureau? Knackpunkt aber war und ist die deutsche Spezialität der Großschreibung, die dann doch noch in letzter Sekunde gerettet wurde. Die Spitzfindigkeiten dabei interessieren mich nicht. Ich fühl mich zu Hause so wohl oder so unwohl wie Zuhause oder zuhause, Thüringer Bratwürste mag ich so wenig wie thüringer Bratwürste. "Ich habe in Moskau liebe Genossen." Dem ziehe ich vor: "Ich habe in Paris Liebe genossen." Ist aber kein Argument. Die Großschreibung jedenfalls verhilft mir zum schnelleren Lesen, das ist bewiesen. Die Dänen allerdings sollen das Jahr 1948 (Umstellung auf die generelle Kleinschreibung) ohne größere Schäden überstanden haben, wenn man einmal davon absieht, dass GOtt der Herr ein paar Sturmfluten mehr geschickt hat.
Einmal in hundert Jahren eine Reform, das kann man überleben. Wer liest heute noch seinen Gryphius oder seinen Leibniz in der Orthografie ihrer Zeit? Die es tun, können es. Die anderen kauen Kekse (Cakes schmecken schon lange nicht mehr).
Die Angst vor Babylon aber ist so alt wie übertrieben.
Rainer Wedler, D 68775 Ketsch
Dass das „daß“…
… das Steinchen des Anstoßes gewesen sein soll, gehört ins Reich linguistischer Legenden. Doch warum wurde ihm vor 20 Jahren eigentlich der Garaus gemacht? Vorgeblich, um jungen Menschen – vom „I-Dötzchen“-Stadium bis zur Abiturstufe – bessere Noten zu bescheren. Bei Licht betrachtet ist es indes keinen Deut weniger kompliziert, zwischen zweimal „s“ und einmal „s“ zu wählen als zwischen „s“ und „ß“.
Überhaupt dürften die neuen Regeln gerade in punkto Entscheidung, ob ein Wort wie früher mit „ß“ oder neudeutsch mit Doppel-s zu schreiben sei, mehr Verwirrung gestiftet als fehlerfreies Schreiben erleichtert haben. Behördenbriefe, Gebrauchsanweisungen, Werbeprospekte und Printmedien belegen das Tag für Tag – ein häufiges Beispiel ist wohl die „Straße“, die in unzähligen Fällen als „Strasse“ daherkommt … Ganz, ganz früher konnte man sich damit herausreden, dass (und deshalb erschien das einstmals korrekte „daß“ schon damals oft in der erst jetzt festgeschriebenen Form) die Tastatur der Schreibmaschine über kein „ß“ verfügt, aber im Zeitalter des Computers?
Getrennt- oder Zusammenschreibung, bei der die Neuregelungen vor 20 Jahren ebenfalls nicht einfacher, sondern nur anders geworden sind, korrekt auseinander zu halten, bleibt ein schwer verständliches Problem, und es wird wenige geben, die darüber stehen … Gleiches ließe sich, ohne das hier des Langen und Breiten erörtern zu wollen, über die Veränderungen bei Groß- und Kleinschreibung sagen.
Da sprachliche Entwicklungen selten Gesetzen der Logik folgen, fühlten sich (logischerweise) auch die Rechtneuschreibmacher nicht daran gebunden. Sonst wäre es rätselhaft, warum man (etymologisch durchaus begründet) neuerdings „behände“ und „Stängel“ zu schreiben hat, die „Eltern“ aber trotz klarer Abkunft von „alt“ auf das „Ä“ verzichten müssen. Apropos: „Bengel“ behalten zu recht – oder „Recht“? – ihr „e“; verwandt zu sein mit „bange“, ist ihnen partout nicht nachzuweisen.
Ungemein vergnüglich erscheinen Neuerungen wie „Wolllappen“, „Stofffetzen“ und „Betttücher“, Wetttaucher“ und „Balletttänzer(innen)“ oder gar die Verdreifachung im Doppelpack wie sie sich bei „Flussschifffahrten“ zeigt.
Selbst dem volksetymologischen Affen wird Zucker gegeben, indem eins (leider weiß keiner wieso nicht beide) zweier gebräuchlicher Lehnwörter aus dem Ungarischen nun zwingend mit Doppel-l zu schreiben ist: „Dolmetscher“ bleiben simpel wie zuvor, während sich jeder dahergelaufene „Tollpatsch“ seiner neugewonnenen Tollheit freuen darf.
Magarete Wein, D 06128 Halle (Saale)
Von Teeeiern und gelben Rüben (Glosse)
Es tat so weh. Jahrzehntelang litt das kleine st unter Trennungsschmerz. Wann immer Schüler das zarte s und das empfindsame t auseinander rissen, schrie das Buchstabenpaar, das sich unzertrennlich wähnte, gequält auf. Seit die 1996 beschlossene Rechtschreibreform vor elf Jahren an Schulen in Kraft getreten ist, müssen sich Pennäler einen neuen Reim auf die jetzt geschiedenen Konsonanten machen: Trennst du mal st, ist das schon okay. Etwa in der militärischen Wachs-Tube.
Außer den Schülern machen eh alle, was sie wollen. Und die Reform somit erst recht zu jener Deformation, als die sie dem vorlauten Volksmund gilt. Noch immer herrscht Chaos im Land der Dichter und Denker. Medien pflegen Hausorthografien, die Altes und Neues munter mischen, und in den Buchverlagen kam es nur ansatzweise zu einheitlichen Schreibweisen. Anfangs schrieb kaum jemand neu. Schon gar nicht die deutschen Autoren, die als kulturkonservativ gelten.
Bereits vor der Reform schrieben viele Deutsche regellos, lies: fehlerhaft. Sie tun dies jetzt nur auf andere Weise. Die buchstäbliche Beliebigkeit birgt Freiheiten für rhetorische Autodidakten und fantasiebegabte Querulanten. Sie argumentieren, Sprache sei nicht statisch, sondern im Fluss. Daher sei es einerlei, ob man Friseur mit ö oder mit eu schreibe. Viel Laerm um nichts also?
Vor elf Jahren, als die Kinderkrankheiten des laxen Regelwerks noch nicht absehbar waren,reagierten Sprachpuristen ob der Inkonsequenz verprellt – nicht nur am Sonnabendabend. Denn ausgerechnet das vermeintliche Standardwerk Duden erhob Ungerechtigkeit zur Norm, als es die Gelbe Rübe größer beließ als die gelbe Paprika. Womöglich nur, weil Rüben in Samuel Becketts Drama „Warten auf Godot“ wichtig sind. Das freut immerhin Feuilletonisten. Und entschädigt dafür, dass sie, wollten sie regelkonform agieren, Goethe’sches Werk schreiben müssten. Als genüge Goethes Werk nicht.
Platz sparend ist die seinerzeit sinnig im Sommerloch platzierte Reform nicht – schon gar nicht für Journalisten. Das Potenzial einer Zeitungsspalte ist seit 2005 durch Konsonanten - und Vokalzierrat mehr als nur ein Quäntchen überlastet. Berichte über Teeeier, Seeelefanten und Nussschalen sind so Raum greifend wie Texte über Missstände in der Donauflussschifffahrt oder Balletttänzer in Kristalllüstern. Eine Stresssituation in einem schnelllebigen Gewerbe, in dem man stets Acht geben muss. Aber jedem Land die Rechtschreibung, die es verdient. Endlich Schluss mit dem Reformstau.
Hendrik Werner, D 28199 Bremen
Jagd auf Rechtschreibfehler
Während meiner Schulzeit hatte ich in Deutsch stets ein „sehr gut“. Daher bildete ich mir auch ein, die deutsche Sprache zu beherrschen. Seit meinem zehnten Lebensjahr schreibe ich bereits Gedichte und Erzählungen und seit geraumer Zeit tue ich das auch für Verlage. Die Lektoren sind stets zufrieden mit meinen Werken, da sie kaum etwas ändern müssen. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat, meinem Partner mein gerade fertiggestelltes Gedicht zur Überprüfung der Rechtschreibung vorzulegen. Er ist ein Perfektionist in Sachen Rechtschreibung und Grammatik, währenddessen mir der Inhalt und der Ausdruck wichtiger sind. Schließlich habe ich einen Lektor. Aber der Reihe nach.
Geschafft, endlich war ich mit meinem Gedicht fertig. Meine Testleser auf Facebook waren hochzufrieden und niemand hatte etwas zu bemängeln. Einhundertvierzig „Gefällt mir“ in einer halben Stunde konnten nicht lügen. Ich war hoch erfreut. Da klingelte mein Telefon. „Hallo Schatz, du hast das Gedicht doch noch nicht an den Verlag geschickt oder?“, tönte es mir entgegen. „Nein, warum?“ „Es sind Rechtschreibfehler drin.“ „Das kann nicht sein.“ „Doch. Nach der neuen Rechtschreibung musst du „da sein“ auseinanderschreiben.“ „Ich schreibe nach der alten Rechtschreibung.“ Davon ungerührt fuhr er fort: „Einen weiteren Fehler hast du bei „aufs Neue“. Das musst du ändern.“ So ging es munter weiter. Ich kam mir wie ein Schüler in der 1.Klasse vor, der gerade erst das Schreiben lernt. Keines meiner Argumente wurde gehört, so dass ich schließlich entnervt ausrief: „Halt, ich sende das Gedicht jetzt an zwei Lektoren zur sofortigen Überprüfung. Dann werden wir weiter sehen. Bis dahin will ich nichts mehr hören.“ Ich war den Tränen nah und wollte das Gedicht nicht mehr einreichen. Mein Werk war zerstört und ich am Boden. Das Gedicht wurde eingereicht. Rasch kamen die Antworten. Ich war verblüfft. Auch bei den Lektoren gab es keine Übereinstimmung. Und nun? Ich konfrontierte sie mit ihren Ergebnissen, aber beide beharrten auf ihre Meinung. Letztendlich entschied ich mich dafür, dass Gedicht an den Verlag zu senden und der Meinung der dortigen Lektorin zu vertrauen. Monate später bekam ich die Korrekturfahne und siehe da, ich hatte wieder eine andere Version vor mir.
Einige Zeit später fragt mich mein Partner: „Bist du böse auf mich?“ Ich sehe ihn an und erwidere lachend: „Eigentlich nicht, denn ganz offenbar kann heute jeder schreiben wie er will. Reine Ansichtssache.“
Birgit Wichmann, A 1190 Wien
Neue Welten
Sprache barg bereits in meiner Kindheit überraschende Mysterien. Kein Wunder, wenn man im Dreiländereck Deutschland - Frankreich - Schweiz aufgewachsen ist. Die eine Oma sagte „c' est“, wenn sie mir eine duftende Aprikose reichte. Und „A Dieu“ beim Abschied. Zuhause sprachen wir ein kehliges Alemannisch, ähnlich dem Schwizerdütsch, das den Vorteil hatte, überall anderswo eine Geheimsprache zu sein, weil uns keiner verstehen konnte.
Und dann am ersten Schultag die Erkenntnis: Eine weitere Sprache kommt auf mich zu: Schriftdeutsch. Die Sprache der Bücher und der Zeitung. Wie aufregend das klang. Neue Welten öffneten sich. Unser Lehrer riet damals weitsichtig: „Intelligente Leute besitzen die Fähigkeit, sich an neue Herausforderungen anzupassen.“ Diesen Satz hatte 1912 der deutsche Psychologe William Stern formuliert.
Änderungen annehmen, sich nicht von ihnen beherrschen lassen, sie ausloten, vielleicht sogar mit ihnen spielen. Mit Lust an der Sprache schreibe ich heute, lektoriere und unterrichte Deutsch.
Ich versuche, meinen erwachsenen Umschülern die neue Rechtschreibung zu vermitteln. Viel Zeit brauchen wir, um die Verwirrung in den Köpfen zu sortieren. Das einst Gebüffelte sitzt fest, weigert sich hartnäckig, Platz zu machen für die neuen Regeln. Aber die Umschüler sind willig zur Einsicht.
Meine jugendlichen Schüler mit diagnostizierter Lese-Rechtschreib-Schwäche mühen sich, die Länge von Vokalen sicher differenzieren können. Sie kennen mehr Regeln als Menschen ohne Rechtschreibprobleme, aber genau diese Vereinfachung durch die Rechtschreibreform können sie kaum nutzen. Ist der Vokal in „Spaß“ nun kurz oder lang? Die „Omma“ aus dem Ruhrpott wünscht doch immer „viel Spass“.
Übrigens gibt es in der Schweiz das ß nicht, da steht dann: Strasse, Fuss, Spass.
Als Lektorin in einer Tageszeitung schlage ich Wortbilder nach, die mir seltsam vorkommen. Oft handelt es sich um vom Duden erlaubte Varianten. Dann stelle ich eigene Regeln auf: Wer bereits vor 20 Jahren angefangen hat, Saxofon zu spielen, der behält sein Saxophon. Sprache hat schließlich mit dem Menschen zu tun.
Meine derzeit größte Herausforderung ist die Autokorrektur meines Smartphones, die mir völlig losgelöst von orthografischer oder sonstiger Logik scheint. Statt meines Vornamens „Susanne“ wird mir „Sudan“ vorgeschlagen. Ich überlege, nur noch mit Emoticons zu signieren. Bildsprache. Back to the roots. Nichts bleibt, aber alles kommt wieder. Irgendwann.
Susanne Wiermann, D 06406 Bernburg (Saale)
Ach wie gut, dass niemand weiß,…
Ist die Rechtschreibung nicht sehr gut,
braucht man nur etwas Mut.
Muss die Katze trennen - wie mach ich das?
Ist es Kat-ze oder Ka-tze, also was?
Ich schreibe einfach unleserlich -
Die Lehrkraft findet's widerlich.
Die Dampfschifffahrt sieht ziemlich doof aus,
egal der Dampfer fährt den See hinaus.
Ich mag die neue Rechtschrift schreiben,
es gibt wenig Regeln, die nun bleiben.
Anneliese Wilkes, Starnberg
Haus der Sprache: Luther an Lammert
Wer sagt
dass die Sprache dem Volk gehört
seinen Kindern, Männern und Frauen
Der muss
dem Volk auch aufs Maul schauen
ihm Reden und Schreiben zutrauen
Der Sprache
ein lebendiges Haus bauen
Bernhard Winter, D 85570 Markt Schwaben
Neue Rechtschreibung - gut, aber nicht makellos
Mit der neuen Rechtschreibung hatte ich nie wirklich Probleme. Dass nun Geografen der Flussschifffahrt auf der Donau eine große Bedeutung zumessen, während früher nur „Geographen der Flußschiffahrt“ auf der Donau eine große Bedeutung zumaßen, mag als Beispielsatz gelten. Und auch, dass jetzt endlich Nick-ligkeiten nicht mehr als Nik-kligkeiten abgeteilt werden müssen, ist gewiss keine Nickligkeit sondern nur allzu gut. Ich gehörte zu jenen unglücklichen Schuljahren beziehungsweise Generationen, die in der Volksschule gerade noch die alte Rechtschreibung erlernten und dann prompt ab der 1. Klasse Gymnasium auf einmal erfahren mussten, dass das Wort „daß“ so falsch geschrieben wird. Probleme hatte ich dabei nicht, vor allem lernt man mit zehn Jahren noch recht schnell und auch die Lehrer, die viel länger die alte Regelung gewohnt waren, mussten sich erstmal umstellen. Unsicherheiten bleiben und insgesamt lässt sich nicht leugnen: Grundsätzlich geht die Tendenz in der heutigen Sprache abgesehen von einer Rechtschreibreform dahin, das ß auch bei Großbuchstaben auszuschreiben anstatt es - sowohl nach der alten als auch nach der neuen Rechtschreibung - durch ss zu ersetzen. Um möglichen Verwechslungen vorzubeugen - etwa zwischen „Buße“ und „Busse“ - wäre zu begrüßen, wenn man eine Großbuchstaben-Variante des ß einführen könnte. Dennoch, auch jetzt bei der neuen deutschen Rechtschreibung: Die Vorteile überwiegen, wie vor allem die Silbentrennung von ck, das als ein Laut gesehen wird und nicht mehr k-k abgetrennt wird. Also „schik-ken“ gehört beispielsweise der Vergangenheit an. Auch dass man die Silben so trennt, wie man sie ausspricht, ist ein großes Plus. Und, was soll`s, im Grunde genommen ist es ja so: Die Verständlichkeit eines Textes hängt nicht unbedingt von der Anzahl der Rechtschreibfehler ab, also auch einen Text mit vielen Rechtschreibfehlern kann man noch immer verstehen. Man wird dann in so einem Fall nur an den Orthographiekenntnissen oder „Orthografiekenntnissen“ der Person zweifeln - egal ob sie nun die alte, neue oder gar keine Rechtschreibung beherrscht.
Lukas Wogrolly (*1986), A 8020 Graz
Ich schreibe, also bin ich…wie Otto
Das allererste Schuldiktat meines Lebens war ganz ohne Rechtschreibfehler. Ich hatte die Worte OTTO IST DA vollkommen korrekt drei Mal untereinander ins Diktatheft geschrieben, während meine Sitznachbarin Sabine OTA ISST DA in ihr Heft gekritzelt hatte. Wie beschämt ihre Mutter war! Eine Horthilfe, die sich offiziell als Hortleiterin vorstellte und Sabine nach der Korrektur des Diktates ins „finstere Kammerl“ sperrte, damit diese über ihre Fehler nachdenken konnte. Ich hatte nach diesem ersten Rechtschreibtest fortan einen besseren Stand in der Klasse und mehr Ansehen als Menschen wie Sabine, ich war selbstbewusster und durch mein Knowhow über die korrekte Schreibweise von Wörtern nicht so leicht zu erschüttern. Heute ist Sabine Modedesignerin, selbst-ständig oder selb-ständig, was jetzt für sie seit den diversen Rechtschreibprogrammen am Computer keine Rolle spielt. Statt zur Strafe ins finstere Kämmerchen zu gehen, öffnet sich Sabine jetzt mit ihrem modischen Rundumangebot in geschliffenem PR-Deutsch und mit zahlreichen Anglizismen erfolgreich einer breiten Öffentlichkeit. Ehrlich gesagt, für mich war's zunächst ein Schock, eine narzisstische Kränkung, nachdem ich mich immer, auch später im Studium der Deutschen Philologie, an „die Regel“ gehalten hatte - als diese REGEL auf einmal abgelöst werden sollte durch eine so genannte REFORM - Ein paradigmatischer tiefer Schock, ein existenzielles Trauma war das! Und als Akt der Willkür erachtete ich den gesetzliche Erlass, auf einmal „ss“ statt „ß“ usw. zu schreiben - warum denn nur? Nie hielt ich mich in der Folge strikt daran. Und so bildet meine heutige Schreibe ein Mischmasch aus ursprünglich Erlerntem und später künstlich darüber Gestülptem. Man tut der deutschen Sprache nichts Gutes, fand und finde ich, wenn man sie von den vermeintlichen Fesseln der Rechtschreibung erlöst. Und was soll das für eine „Reform“ sein, ist Rechtschreibung etwa einer Religion vergleichbar, dass es auch hier eines befreienden Reformators bedarf? Ich lasse mich doch weder pflanzen noch pflantzen und schreibe, also bin ich. Und eins steht fest: Mit dem historischen Satz OTTO IST DA werde ich auch noch in hundert Jahren Recht behalten.
Monika Wogrolly-Domej, A 8010 Graz
Als das dass das ß verlor
Geraume Zeit lebte ein kleines Wort bescheiden in dem Bewußtsein, es mit Titanen seiner Sprache wie Tragbügelxylophongrundfrequenz oder ähnlichen nie aufnehmen zu können, schon weil es deren kürzeste Worte kaum überstieg. Doch durch seine Fähigkeit, Haupt- und Nebensätze bequem zu verbinden, erfreute es sich überaus großer, dem Empfinden mancher Sprachästheten nach, gar zu großer Beliebtheit. Diese Funktion erfüllte es zuverlässig und unprätentiös, obgleich sein Schlußkonsonant bei erstmaliger Begegnung durchaus befremden ließ. Solcherart Verwirrung wandelte sich jedoch angesichts seiner funktionalen Ästhetik regelmäßig zu Vertrautheit, ja sogar Zuneigung. Dies tapfere Wort besaß einen Halbbruder, der ihm in Antlitz wie Aussprache glich. Ihr gegenseitiger Verkehr war respektvoll aber distanziert, zu verschieden war ihre Aufgabe. Während unser Wort Satzteile logisch miteinander verband, fungierte der Stiefbruder schlicht als Platzhalter im Falle des neutralen Genus. Angesichts ihrer phonetischen Nähe stiftete der einst irritierende Endbuchstabe Orientierung zur Unterscheidung der Verwandten. Derart in Verwendung und Funktion getrennt, lebten sie friedlich neben- und miteinander. Eines Tages jedoch versprachen Ideologen den mit der Schriftsprache Kämpfenden sowohl leichteres Lernen als auch weniger Schreibfehler. Die Grammatik würde leichter, verständlicher und sinnbildhafter. Sie verhießen den stets der Utopie zustrebenden Menschen ein linguistisches Paradies. Plakativ wurde der charakteristische Endgraph unseres Wortes durch den doppelten seines Halbbruders ersetzt. Dies sei nötig, so die Sprachrevolutionäre, da es sich bei dem bisher verwendeten, distinktiven Buchstaben um ein Symbol von Herrschaftswissen handle, das der Demokratisierung und des sozialen Ausgleichs entgegenstehe. Erschien diese Änderung anfänglich marginal, entlarvte sie sich als substantiell. Denn nun konnten die Schreibenden die Stiefbrüder nur mehr schlecht voneinander unterscheiden. Die visuelle Verschiedenheit eines singulären zu doppelten Endbuchstaben war schlicht zu gering. Das Grammatikverständnis sank rapide, der sprachlogische Schriftinhalt wurde der orthographischen Simplifikation geopfert. Doch Schatten bedingt Licht! Hier das der Erkenntnis: Offensichtlich ist der optische Einfluß von Buchstaben und deren Verbindungen auf Leser und Schreibende deutlich größer, als vor 1996 angenommen. Statt schlicht Buchstaben zu schreiben, entsteht Schrift aus visuellem Erfahrungsschatz.
Stephan Wupper, D 81543 München
Ein Hirsch
Es begab sich, dass ein lebendiger Hirsch in den Hirschensaal von Schloss Gottorf bei Schleswig gebracht wurde.
Dies war eine Idee des regierenden Herzogs gewesen, dem es gefiel, neben den Hirschplastiken an den Wänden und den schmackhaften Bratengerichten, die nach der Jagd stets auf den Tischen der Hofgesellschaft standen, auch einmal einen lebenden Hirsch hier betrachten zu können und sich an einem Gesamtkunstwerk aus Kunst, Küche und der Kreatur selbst zu erfreuen. Wahrlich, den Regenten erschauderte es bei der Betrachtung des Befohlenen wohlig, zumal ein edler dunkler Tropfen Rotwein seine Kehle durchrann und seine Sinne belebte.
Doch auch dem Hirschen widerfuhr mehr als die Merkwürdigkeit der Kombination aus Waldferne und Bratenduft, welcher dem Fleisch seiner Artgenossen entstieg: Er wurde sich seiner selbst bewusst und verstand völlig klar, dass das Wort „Hirsch“, das allen Mündern entströmte, ihn und seine Art, sein Wesen als Exemplar der Gattung und nicht als einzelnes Lebewesen meinte, denn es fiel bei gemeinsamen Blicken auf die Wände, beim Mampfe von den reich verzierten Tellern und zugleich, wenn der ausgestreckte Arm und Finger eines Essenden ganz gezielt auf ihn wiesen.
So waren seine ersten Gedanken, und sie durchschwebten ihn in den folgenden Monaten in seinem Gatter im Park von Gottorf, denn dort genoss er zum Dank für seine Komplettierung des Abends ein herzogliches Gnadenbrot. Alsbald wurde eine Tafel angebracht, die das Wort „HIRSCH“ trug, und wieder war ihm gleich deutlich, dass dies nun die Weise sei, wie sein Name bei den hirschversessenen Kerkermeistern seiner Gattung wohl in geschriebener Form erschien. Da sich auch diese Tafel wieder auf ihn und seine Art bezog, so fragte er sich dann doch, ob er wohl fände, dass das Wort, so wie es da geschrieben stand, ihm und seinen Artgenossen gut anstünde. So überlegte er:
Das „H“ zu Beginn schien ein passables Abbild seines Geweihs, schon einmal etwas! Das „I“ machte seinem länglichen Hals alle Ehre, einem Hals, dem im „R“ sein Röhren entstieg, hierfür fand er den ihm inzwischen ebenfalls wohlbekannten Laut des Wortes wirklich treffend. Schließlich sagte ihm das „SCH“ besonders zu, wies es doch auf seinen schnittigen Leib, mit dem er sich dereinst schnellen Laufes durch die Wälder bewegt hatte.
Immerhin schien ihm sein Leben erträglich; war er zwar zu Unrecht gefangen, stand doch sein Name hier ganz recht geschrieben. Ein kleiner Trost!
Thomas Würtz, D 14163 Berlin
Vom Urlaut zum Alltag: Eine Reise ins Ungewisse
Rechtschreiben, mit links – so dachte ich. "Deutsch hat viele Regeln", kündigte mein Lehrer an "aber auch viele Ausnahmen. Die muss man lernen." Und einfach zu schreiben sollte meine neue Fremdsprache auch sein, "da jeder Buchstabe ausgesprochen wird." Zuerst musste ich mich an die 'ü's und die 'ä's gewöhnen. Ich war 12 Jahre alt und saß in meinem Klassenzimmer in einem englischen Internat. Die Cedille und die Accents aigu und grave im Französischen fand ich witzig und etwas Besonderes. Dann entdeckte ich das Schriftzeichen 'ß'. Wie eine Note in einer Partitur kam es mir vor; genial fand ich es zudem, da in der Sprache meiner Vorfahren, Walisisch, 'll' und 'ff' auch jeweils einen Buchstaben bilden. Jetzt hatte ich ein doppeltes 's' und eine Sprache, mit der man genauso endlos lange Worte wie walisische Ortsnamen bilden konnte.
Zunächst ein Vokabelbuch in gotischer Schrift, die ersten Prüfungen, die ewigen Sätze eines Heinrich von Kleist und dann das Abitur. Danach ging es nach Deutschland. "Wenn Sie sich für die Kultur und die Sprache des Landes interessieren, dann sind Sie bei uns richtig", hieß es in der Anzeige. Ich machte mich auf den Weg. Es war Winter und stockfinster als der Zug an dem kleinen Bahnhof in den Bergen anhielt. Ich stieg auf der falschen Seite des Zuges aus, nämlich der linken, und fiel in den Tiefschnee. Willkommen in Deutschland! Der bärtige Bahnwärter in Tracht war gerade dabei alles abzuschließen, als ich mich aus meinem Mißgeschick ausgrub. Die Antwort auf meine allererste Frage an einen echten Deutschen verstand ich überhaupt nicht. Nicht einmal ansatzweise. Es gab keine Konsonanten, keinen Anfang und kein Ende. Ein Urlaut. Willkommen in der Realität!
Aus dem Urlaut ist im Laufe der Zeit eine Sprache geworden, und auf jenen Auslandsaufenthalt folgte das Sprachstudium. Mir zur Seite standen Duden und Wahrig, um den Wirrwarr des Rechtschreibens zu entschlüsseln. Aber was einmal wahr war, ist nicht unbedingt jetzt so. Über die Jahre hinweg sind die Flügel des musikalischen Eszett gestutzt und viele Eigenarten entfernt worden. Auch der Einzug meiner Muttersprache in die deutsche Sprache schreitet voran. Manche mühselig erlernten Worte werden heute kaum noch verwendet – aber so ist eine lebende Sprache. Genauso ist es dem verschneiten Ort in Oberbayern ergangen: Der Bahnwärter ist durch einen Fahrkartenautomaten ersetzt worden und "Tante Emma" ist längst pensioniert. Aber den Andenken Laden gibt es noch. Er heißt jetzt Souvenir Shop.
Christopher Wynne, D 83646 Bad Tölz
Überdruss und Schönheit
Wenn nichts mehr richtig ist, also alles erlaubt, und wenn ich höre, daß die reformierte Sprache gut ist, weil sie modern ist, und wenn ein Duden den anderen ablöst, so daß kein Schüler mehr weiß, wie er recht schreiben, geschweige denn rechtschreiben soll, und er am Anfang, wenn er es lernt, oftmals bis zum Ende schreiben wird, wie er hört, und wenn die Allerfortschrittlichsten unter den Veränderern Fellachenidiome wie das „Kiezdeutsch“ als gleichberechtigt, ja reichere deutsche Sprache heiß ersehnen (heißersehnt wird gewiß auch eine solche Philosophie) und wenn niemand versteht, warum ein Unternehmen erst Bankrott geht und anschließend bankrott ist, und wenn also verschwinden Artikel und Flexionsformen und wenn die sieben Millionen Analphabeten, die in diesem Land gezählt werden, kaum mehr als gelegentliche Artikel in Feuilletons wert sind und wenn in einem Aufsatz eines Schülers der 12. Klasse eines Gymnasiums zu lesen ist: „Der Alte von dem Gregor ist ein fauler Sack und tut das Geld von dem Gregor verprasen und macht nix für den Käfer, der wo mal sein Sohn war“, und wenn in Hessen ab 2018 Fehlerindizes so weit gesenkt werden, daß sie nur noch zu minimalen Abzügen führen dürfen, und wenn „Leichte Sprache“ (flugs wird der Un -Begriff zum Eigennamen!) so sich zu einer Norm wandelt, daß deren Regeln alsbald den durchschnittlichen Sprachstandard definieren könnten, und wenn man im Bereich der neuen technischen Geräte Nachrichten weder schreiben (man spricht sie in das „Smartphone“) noch lesen muß, entfesselte Kräfte der vernetzten Welt, die nicht nur das Papier überflüssig machen, die mehr als Tolpatschigkeit sind, sondern das Tollhaus der Maschine, und im Grunde also dieses Denken immer hinauslaufen auf ein willenloses Funktionieren muß und wenn alles und jeder inkludiert wird, der Kommunismus für die Schule, so daß jeder eingeschlossen wird in das Unwissen von Ausgeschlossenen, Bildungspläne mit Kompetenzen nicht mehr vorschreiben, was zu behandeln ist, sondern Inhalte zu handhabbaren Sachen für wirtschaftliche und instrumentalisierbare Interessen machen, die Exegetik der Kompetenz, wie ich einmal hörte, und wenn also Sprache an sich der Welt nichts mehr zu sagen hat:
Genügte es uns dann, daß die Schönheit unseren Überdruß streift, wenn diese flüchtet aus dem Leben der Menschen sich herauf in den Geist und ideal wird, was Natur war, und fänden Zuflucht in der Metapher als letztem Schutzgebiet des Geistes, das weitgehend unzulänglich bleibt?
Norbert Zankl, D 60489 Frankfurt