Liebe Besucherin und lieber Besucher,
wie Sie vielleicht wissen, wurde die Rechtschreibreform am 1. Juli 1996 durch die Wiener Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in Gang gesetzt, und schon am 2. Juli lag Die neue deutsche Rechtschreibung von Bertelsmann (Startauflage: 700.000) in den Buchhandlungen. Als dann der 21. Duden die Neuregelung in zahllosen Fällen anders auslegte, war klar: »Die große Errungenschaft von 1901, die deutsche Einheitsorthographie, ist dahin.« (DIE ZEIT, 27.9.1996)
Sogleich begann ein jahrelanger Widerstand gegen die geplanten Schreibveränderungen, an dem bestimmt auch einige von Ihnen beteiligt waren: auf der Frankfurter Buchmesse 1996 mit dem Flugblatt Stoppt die überflüssige, aber milliardenteure Rechtschreibreform und der Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform, in zahllosen Zeitungsartikeln, Tausenden von Leserbriefen, Hunderttausenden von Unterschriften zu Volksinitiativen und schließlich dem erfolgreichen Volksentscheid in Schleswig-Holstein am 27.9.1998. Doch am 14. Juli 1998 gab das Bundesverfassungsgericht den Kultusministern in allem recht; zur Verhandlung hatte man 13 Institutionen eingeladen, zwei reformkritische und elf reformbejahende.
20 Jahre danach gibt es neben der Rechtschreibung, in der die klassischen Werke der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts gedruckt sind, noch immer keine einheitliche Reformschreibung. Im 26. Duden finden sich noch immer zahllose Varianten: kennen lernen neben kennenlernen, vor Kurzem neben vor kurzem, Spagetti neben Spaghetti, Kons-truktion und Konst-ruktion neben Kon-struktion usw. Auch deshalb bevorzugen zahlreiche Autorinnen und Autoren weiter die klassische Rechtschreibung.
Da es den Kultusministern nicht gelungen ist, die Verwirrung zu beenden, haben wir uns im Juni dieses Jahres in einem Arbeitskreis Lesen und Rechtschreiben heute zusammengefunden, um noch einmal eine Diskussion über unsere Rechtschreibung anzustoßen.
Zu dieser Diskussion hat ein Schreibwettbewerb eingeladen, der auf der diesjährigen Buchmesse mit den mit 22.100 Euro dotierten Frankfurter Orthographie-Preisen prämiert wurde. Fast alle der mehr als 250 Beiträge zu diesem Wettbewerb, über die wir uns sehr gefreut haben und freuen, sind seit einigen Tagen auf dieser Webseite zu lesen und bilden ein vielstimmiges Dokument für den derzeitigen Zustand unserer Rechtschreibung, der an den »unbefriedigenden Übergangszustand« erinnern könnte, den Konrad Duden im Jahr 1872 beklagte. Hoffentlich dauert es diesmal nicht fast 30 Jahre, bis wir wieder eine stabile und einheitliche Rechtschreibung haben!
Mit Dank für Ihren Besuch auf unserer Webseite und viel Vergnügen bei der Lektüre wünschend:
Gabriele Ahrens, Universitätsangestellte, Oldenburg; Dr. Sylvia Brockstieger, Germanistin, Universität Heidelberg; Friedrich Denk, Deutschlehrer, Zürich (früher Weilheim i.OB); Matthias Dräger, Verleger, St. Goar und Lübeck; Hannah Greven und Peter Kerpen, Schülerzeitungsredakteure, TMG Daun; Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Ergolding; Walter Lachenmann, Verleger, Waakirchen; Anna Weininger, Abiturientin, Fuchstal
P. S. (30. Oktober 2016) Heute vor einer Woche fand auf der Frankfurter Buchmesse unsere letzte von fünf Veranstaltungen zur Rechtschreibung und zum Lesen statt. Das Echo in den Medien war - trotz eines ansprechenden Einladungsfaltblatts - sehr gering (vgl. die Hinweise auf der Seite News). Da wir die Themen Rechtschreiben und Lesen jedoch weiter für wichtig halten, werden wir - neben Ihren lesenswerten Beiträgen zu unserem Schreibwettbewerb - auch diese Veranstaltungen möglichst genau dokumentieren.
1997: Einführung der Rechtschreibreform in einer Berliner Schule (Foto: Jens Kalaene, dpa picture alliance)